Synonym(e)
Erstbeschreiber
Ferdinand v. Hebra 1860; Ernest Pierre Antoine Bazin 1862; Erasmus Wilson, 1869
S.a. Newsletter "Lichen ruber"
Definition
Nicht kontagiöse, akut, subakut bis chronisch verlaufende, ausgeprägt juckende, selbstlimitierte (Erkrankungsdauer zwischen 1 Monat und 10 Jahren), (autoimmunologische) inflammatorische Erkrankung der Haut- und/oder Schleimhäute ungeklärter Ätiologie, mit typischer klinischer (wie poliert glänzende Papeln) und histologischer Morphe (Zerstörung basaler Keratinozyten durch zytotoxische T-Zellen, lichenoide Inflammation) und einem charakteristischem, häufig beugeseitig betontem Verteilungsmuster.
Der Lichen ruber (planus) ist durch eine charakteristische "lichenoide Gewebereaktion" gekennzeichnet, die auch bei anderen inflammatorischen Prozessen der Haut z.B. bei lichenoiden Arzneimittelreaktionen, bei einer "Graft-versus-Host Reaktion" beim initialen Lichen sclerosus, beim Lupus erythematodes, beim Erythema dyschromicum perstans oder auch bei aktinischen Keratosen das histologische Bild prägen kann und somit zwar charakteristisch jedoch nicht spezifisch für den Lichen ruber ist.
Auch interessant
Einteilung
Je nach der klinischen Morphologie und dem Verteilungsmuster kann der Lichen planus wie folgt unterteilt werden:
Klassifikation nach Verteilungsmuster:
- Lichen planus exanthematicus (generalisierter Lichen planus)
- Lokalisierter Lichen planus
- Erythrodermischer Lichen planus
-
Lichen planus linearis (Lichen ruber striatus)
- Blaschkoider Lichen planus (Kutanes Mosaik)
- Zosteriformer Lichen planus (Isotopische Antwort?)
- Inverser Lichen planus (s.u. Lichen planus pigmentosus inversus)
- Lichen ruber mucosae/Oraler Lichen planus
- Lichen ruber genitalis (s.a. Lichen planus vulvae)
- Lichen planus palmoplantaris
- Lichen planus der Nägel (Nagellichen)
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Klassifikation nach klinischem Erscheinungsbild:
- Lichen planus klassischer Typ
- Lichen planus actinicus
- Lichen planus anularis
- Lichen planus verrucosus (hypertrophicus/obtusus)
- Lichen planus follicularis
- Graham-Little-Syndrom
- Lichen planus atrophicans
- Lichen planus erosivus (Erosiver Lichen planus)
- Lichen planus pigmentosus
- Lichen planus bullosus
- Lichen planus pemphigoides (wird als koinzidielle Erkrankungsentität (Overlap von Lichen planus und bullösem Pemphigoid angesehen).
- Lichen planus erythemato-squamosus (Lichen plan érythémato-squameux)
- Invisibler Lichen planus (Lichen invisible-Gougerot 1925) pruritisch ohne eindeutige klinische Zeichen des LP; ehenmals Lichen discretus). Entiät wird bestritten.
- Overlap Syndrome:
- Lichen planus bullosus/pemphigoides
- Lichen planus erythematosus/systemischer Lupus erythematodes.
Vorkommen/Epidemiologie
Prävalenz: 0,6%-1,2% der (erwachsenen) Bevölkerung und die Inzidenz bei 20,1/100.000 Personen . Die Inzidenz ist in größeren Kollektiven im Alter zwischen 60 und 79 am höchsten. Hierzu im Gegensatz hierzu ist die Inzidenz und Prävalenz bei Kindern und Jugendlichen (<18) gering. Die jährliche Prävalenz liegt in pädiatriscchen Kollektiven bei 3,9/100.000 (Schruf E et al. 2021).
Bis zu 25% der Pat. haben einen isolierten Lichen planus der Schleimhaut (s.u. Lichen planus mucosae).
Familiärer Lichen planus ist selten. Etwa 100 Fälle sind dokumentiert.
Ätiopathogenese
Autoimmunreaktion: Bis heute wird die Ätiologie und Pathogenese des Lichen ruber nicht vollständig verstanden. Es bestehen Assoziationen zu Autoimmunerkrankungen, viralen Infekten, Medikamenten (s. Lichen ruber e medicatione) sowie mechanischen Triggerfaktoren (Kratzen, Reiben, etc.). Lichen-ruber-artige Läsionen treten bei chronischer Graft-versus-Host-Disease (GVHD) auf, bei der alloreaktive, zytotoxische T-Zellen und Antikörper, die fremde MHC-Moleküle erkennen, entscheidende Effektoren sind. Familiärer Lichen ruber ist bekannt (selten). Ebenso das Auftreten des Lichen ruber als Mosaikdermatose (Lichen striatus), was über eine somatische Mutation erklärbar wäre.
Auch die morphologische Pathogenese ist nicht vollständig geklärt (Vogt T (2018). Die morphologische Analogie der lichenoiden dermatitischen Reaktionen führte zur Hypothese, dass beim Lichen ruber eine Autoimmunreaktion gegen Epitope basaler Keratinozyten vorliegt, die durch virale oder medikamentöse Induktion modifiziert bzw. induziert wurde. Auffällig ist die deutliche Vermehrung antigenpräsentierender Zellen (APZ), im Wesentlichen sind es Langerhans-Zellen, die in frühen Läsionen des Lichen ruber nachweisbar sind. Die APZs werden möglicherweise durch die Keratinozyten selbst, möglicherweise über eine fehlerhafte Zytokinproduktion angelockt. Letztlich bleibt die Natur der Autoantigene bisher unklar. Die antigenpräsentierenden Zellen aktivieren autoreagible T-Zellen, die weitere proinflammatorische Zytokine produzieren. Hierbei scheint das Th1-Zytokin Interferon-gamma eine Schlüsselrolle zu spielen.
Unstrittig ist, dass die apoptotische Zerstörung der basalen Keratinozyten die gemeinsame Endstrecke der Lichen-ruber-Reaktion darstellt. Als deren Ursache werden Liganden-Rezeptor-abhängige Fehlregulationen (TNF-alpha/TNFR1 = TNF-alpha-Rezeptor) diskutiert. Keratinozyten gehen schließlich unter durch eine Interaktion von FasL, dem aktivierenden Liganden des Fas-Rezeptors, und Fas. Weiterhin kommt es zur Expression Membran-schädigender Perforine die eine direkte "Porenbildung" in der Zellmembran verursachen mit nachfolgender Freisetzung von enzymatisch wirkenden Serinproteasen (s.u. Granzyme B) aus den T-Zellen. Aus dieser zytotoxischen Aktivitäten erklären sich Vakuolisierung, Pigmentinkontinenz (Verlust von Melanin die die Dermis), apoptotische Kamino-Körperchen als morphologische Phänomene der lichenoiden Reaktion.
Unklar noch ist die Rolle der Melanozyten für die lichenoide Gewebereaktion. Das Phänomen der Pigmentinkontinenz ist konstant nachweisbar und weist auf eine Störung des Melanintransportes.
Unstrittig ist, dass die apoptotische Zerstörung der basalen Keratinozyten die gemeinsame Endstrecke der Lichen-ruber-Reaktion darstellt (diese spielt sicherlich auch bei anderen Autoimmunerkrankungen der Haut, z.B. LE, eine bedeutende Rolle). Als deren Ursache werden Liganden-Rezeptor-abhängige Fehlregulationen ( TNF-alpha/TNFR1 = TNF-alpha-Rezeptor) diskutiert.
Ebenso diskutiert wird die bei der Apoptose bekannte, direkte "Porenbildung" durch Perforin und der nachfolgende enzymatische Abbau durch Serinproteasen (s.u. Granzyme B).
Weitere ätiopathogentische Assoziationen:
- Virale Antigene scheinen in der Ätiopathogenese des Lichen ruber eine bevorzugte Rolle zu spielen. Die Prävalenz von HCV/HBV-Infektionen (Hepatitis C/B) ist beim Lichen ruber 13,5 fach höher als bei Kontrollen. Beim oralen Lichen ruber konnten in einem hohen Prozentsatz HCV-RNA und TTV-DNA (Transfusion-transmitted-virus) in läsionaler Schleimhaut nachgewiesen werden. Das Auftreten von Lichen ruber nach HBV-Vakzinierung ist beschrieben. Die ätiopathogenetische Assoziation zu HHV-7/HHV-8 ist nicht eindeutig belegbar.
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Vakzinierung und Lichen planus: Das Auftreten von Lichen planus nach c ist beschrieben. Es wird postuliert, dass viral alterierte Hepatozytenantigene Epitope mit Homologien zu Keratinozytenantigenen exprimieren und auf diese Weise autoreaktive zytotoxischen T-Zellen aktivieren. Mehrfach wurde das Auftreten des Lichen planus nach SARS-CoV-2Vakzination beschrieben (Zengarini C et al. 2022). Hierzu im Gegensatz ist die ätiopathogenetische Bedeutung des Lichen planus zu HHV-7/HHV-8 nicht eindeutig belegbar.
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Medikamente: Als medikamentöse Auslöser kommen Betarezeptorenblocker, Interferone, Chloroquin und Nichtsteroidale Antiphlogistika in Betracht.
Paraneoplasien: Vereinzelt existieren Berichte über einen paraneoplastischen Lichen ruber. Eine Assoziation mit Thymom ist beschrieben (s.u. Good-Syndrom)
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Komorbitäten
- Diabetes mellitus: Auffallend häufig ist eine Assoziation von Lichen ruber und Diabetes mellitus. Bei jedem 2. Patient besteht eine Störung des Glukose-Stoffwechsels und bei jedem 4. ein manifester Diabetes mellitus.
- Kontaktallergien: Die Rolle von Kontaktallergien gegen eine Reihe von Metallsalzen (Gold, Amalgam, Kupfer) ist beim oralen Lichen planus gut bekannt. Hierbei wird diskutiert, dass diese Antigene nach Art von Haptenen eine LP-Reaktion auslösen können.
Manifestation
Bevorzugt bei Erwachsenen vom 3. bis 6. Lebensjahrzehnt auftretend, selten bei Kindern (etwa 1-4% der Fälle). Keine ethnische Prädisposition. Frauen scheinen etwas häufiger als Männer zu erkranken (Schilling et al. 2018).
Lokalisation
Bevorzugt findet sich der Lichen ruber an den Schleimhäuten (65%), oft an Haut und Schleimhäuten (20%) und seltener isoliert an der Haut (10%). Durch Beteiligung der Nägel und Haare kann es zu dauerhaften Nageldystrophie bzw. zur vernarbenden irreversiblen Alopezie kommen.
Im Einzelnen werden folgende Nagelveränderungen beschrieben (zitiert n. H. Hamm et al. 2018):
- Verdünnte Nagelplatte
- Longitudinale Furchen
- Onychorrhexis
- Grübchen
- Seltener:
- Onychoschisis
- Trachyonychie
- Partielle Onchyoatrophie
- Koilonychie
- Onycholyse
- Onychomadese
- Rötung der Lunulae
- Longitudinale Melanonychie
- Komplette Atrophie und Vernarbung des Nagelorgans mit:
Histologie
Das histologische Bild des (klassischen) Lichen planus (Lichen ruber planus) ist nahezu pathognomisch und entspricht dem Musterfall einer gemischten, epidermodermalen Papel. Bereits bei der Übersichtsvergrößerung erkennt man das uniforme Muster einer klassischen Interface-Dermatitis mit irregulärer, häufig sägezahnartiger Akanthose, kompakter Orthohyperkeratose mit prominenter Hypergranulose (umschriebene Verdickung der keratohyalinhaltigen Zelllagen des Stratum granulosum bedingt das klinische Bild der Wickhamschen Zeichnung). Meist auffällig ein markantes, dichtes, bandförmiges, lymphoidzelliges, epidermotropes Infiltrat. Das entzündliche Infiltrat besteht überwiegend aus oligoklonalen, CD8-positiven, zytotoxischen T-Zellen. Fokale Pigmentinkontinenz ist charakteristisch. Die vakuolige Degeneration der basalen Epithelzelllagen kann Spaltbildungen (Max-Joseph`sche Räume) bis hin zur subepithelialen Blasenbildung (Lichen planus bullosus) verursachen. Nachweis zahlreicher zytoider Körperchen (Civatte-Körperchen oder cytoid bodies (Kolloid-Körperchen) s.u. Apoptose). Epidermale Langerhans-Zellen sind in aktiven Läsionen vermehrt.
Eine zentrale Biopsie aus einem ulzerierten Bereich zeigt oft eine Entzündungsreaktion mit Plasmazellen und Lymphozyten und das Fehlen typischer Merkmale. Die Melaninkontinenz mit Melanophagen ist in der Regel variabel, tritt jedoch nur bei hyperpigmentierten klinischen Varianten deutlich hervor. Eosinophile können in medikamenteninduzierten Läsionen auftreten. Bei follikulären Varianten betrifft die lichenoide Reaktion die Basalschicht des Follikelepithels; es können unterschiedliche Grade perifollikulärer Fibrose auftreten.
Direkte Immunfluoreszenz
In läsionaler Haut finden sich beim Lichen planus etnlang der dermoepidermalen Junktion zytoide Körperchen, die einzeln und in Gruppen aggregiert liegen können. Außerdem finden sich granuläre Ablagerungen von Fibrin, IgM und C3. In gleicher Lokalisation kann man mitunter IgA- und IgG-Ablagerungen finden. Die Zytoidkörperchen entsprechen apoptotischem Material basaler Keratinozyten. Diese sind jedoch nicht pathognomisch für den Lichen planus sondern finden sich auch bei anderen lichenoiden Erkrankungen.
Differentialdiagnose
Bei der Differentialdiagnose des Lichen planus sind abhängig vom Typ des Lichen planus und der Lokalisation zahlreicher Erkrankungen zu berücksichtigen:
- Lichen nitidus: exanthematisch, nicht juckend, klein papulös, grau-bräunlich
- Lichen sclerosus: weißliche genitale Plaques
- Lichen spinulosus: erworbene, meist unscharf begrenzte, nicht juckende, 5,0-6,0 cm große leicht schuppende, trockene Areale, die durch multiple, disseminierte, 0,1-0,2 cm große, hautfarbene, follikuläre Papeln gekennzeichnet sind
- Akute Graft-versus-Host-Disease: Anamnese, lichenoides Exanthem
- Lichen striatus (bei striärer Anordnung): von einem LP nicht zu unterscheiden
- ILVEN (linearer epidermaler Naevus): von einem LP nicht zu unterscheiden
- Nummuläre Dermatitis: initial kleine, rötlich-bräunliche, juckende, rote schuppende oder krustige Papeln, Papulo-Vesikel oder Plaques. Allmähliches Größenwachstum zu scharf oder unscharf begrenzten roten münzartigen ("nummuläres Ekzem") Plaques. Klinisches Bild ist diagnostisch.
- Lichen simplex chronicus: Leditsymptom ist der Juckreiz, nummuläre Plques typischerweise mit einem Dreizonenaufbau, Histologie ist diagnostisch
- Chronische Prurigo: exanthematdissemiierte zerkratzte, stark juckende Knötchen und Knoten
- Pityriasis rosea (exanthematisch mit ekzematoider Schuppung, Primärmedaillon)
- Psoriasis guttata (exanthematisch mit charakterstischer Schuppung, häufig infektbegleitend)
- Ekzematid-like Purpura (überwiegend untere Extremität, stets punktförmige Einblutungen)
- Lichenoide Arzneimittelexantheme (vom exangthematischen LP nicht zu unterscheiden)
- Frühsyphilis (Anamnese, evtl. Primäraffekt noch nachweisbar, exanthematisch, Lymphadenopathie)
- Gianotti-Crosti-Syndrom (papulöse Acrodermatitis im Kindesalter) (Infektanamnese, Lymphadenopathie, akrale Lokalisation, auch Bläschern, kein Juckreiz)
- Granuloma anulare (kein Juckreiz, auffällige Chronizitiät, kein Rotton sondern Braunton)
- Lichen amyloidosus (sehr harte, nahezu reibeisenartige, hautfarbene bis braune, meist gruppiert stehende, warzig-raue, oder auch lichenoid glänzende Papeln, häufig zerkratzt)
- Pityriasis lichenoides (buntes Bild, wie bei der "Heubner'schen Sternkarte"; nur mäßig juckendes evtl. brennendes, häufig (bei 50% der Patienten) jedoch auch völlig asymptomatisches Exanthem.
DD bei bestimmtem Sitz:
Nägel: Psoriasis, Onychomykose, Alopecia areata, atopische Dermatitis
Genitalbereich Lichen sclerosus, Schleimhautpemphigoid, vulväre intraepitheliale Neoplasie, Graft-versus-Host-Reaktion, Psoriasis, seborrhoische Dermatitis, Intertrigo
Handflächen und Fußsohlen: Sekundäre Syphilis, Psoriasis vulgaris, Warzen, Schwielen, Porokeratose, hyperkeratotisches Ekzem, Pityriasis rubra pilaris, Tinea, Arzneimittelreaktion
Capillitium: Lichen planopilaris, Narbige Alopezie, Lupus erythematodes, entzündliche Follikulitis, Alopecia areata, Schleimhautpemphigoid, frontale fibrosierende Alopezie
Schleimhaut: Paraneoplastischer Pemphigus, Candidiasis, Lupus erythematodes, sekundäre Syphilis (Plaques muqueuses), Leukokeratose, traumatische Flecken, narbiges Pemphigoid
Verlauf/Prognose
Die klassische kutane Lichen planus ist selbstlimitierend und heilt in der Regel innerhalb von 6 (>50 %) bis 18 Monaten (85 %) ab. Einen chronischen Verlauf wird eher bei hypertrophen kutanen Läsionen, orogenitalem Lichen planus und bei Beteiligung von Nägeln oder Kopfhaut zu erwarten sein. Hyperpigmentierungen werden v.a. bei Personen mit dunklerer Haut. Sie können erheblich kosmetisch störend wirken.
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