Synonym(e)
Definition
Seltene, solitäre oder multiple, chronisch-progrediente, schmerzhafte, häufig die Grenzen des Hautorgans zur Tiefe überschreitende, polyzyklische, destruierende, sterile neutrophile autoinflammtorische Dermatitis/Pannikulitis ungeklärter Ätiologie und Pathogenese. Die Erkrankung ist durch eine ausgesprochene Therapieresistenz gekennzeichnet.
Auch interessant
Einteilung
Nach Klinik und Histologie werden unterschieden (var. n. Powell 1996):
- Ulzeröse Form (klassischer und häufigster Typ): rasch tiefen - oder flächenprogrediente, eitrig-seröse Ulkusbildung mit unterminierten, livid-roten Rändern. Assoziierte Arthritiden, entzündliche Darmerkrankungen, monoklonale Gammopathien.
- Pustulöse Form: 0,2-0,8 cm große Pusteln, die eine größere entzündliche Plaque zunächst siebartig durchsetzen. Durch Konfluenz fügen sich die Eiterherde zu einem schmierig eitrigen, ulzerativen Konglomerat (diese Konstellation ist weitgehend identisch mit dem Befund der als vegetierende Pyodermie beschrieben wird). Häufig assoziierte entzündliche Darmerkrankungen.
- Bullöse Form: Subepidermale Blasenbildungen mit entzündlichem Randsaum, die erodieren oder ulzerieren.
- Vegetierende oberflächlich granulomatöse Form: oberflächliches meist solitäres Ulkus ohne unterminierten Randsaum, häufig in OP-Narben.
- Peristomale Form: Ulzerierende, schmerzhafte Papeln oder Plaques in der Umgebung von Stomata. Weiterentwicklung zu der typischen ulzerösen Form mit unterminierten Rändern.
- Schleimhaut-Typ = Pyostomatitis vegetans: dieses sehr seltene, chronische ulzeröse Krankheitsbild der Mundschleimhaut wird von einigen Autoren als (Schleimhaut)-Variante des Pyoderma gangraenosum angesehen.
Vorkommen/Epidemiologie
Die Erkrankung wird weltweit beobachtet. Die Inzidenz ist nicht exakt bestimmt. Schätzungen liegen bei 0,3-1,0/100.000 Einwohnern/Jahr.
Auftreten u.a. bei Colitis ulcerosa (in ca. 5% der Fälle), Morbus Crohn (in ca. 1% der Fälle), rheumatoider Arthritis sowie im Rahmen von Verletzungen
Ätiopathogenese
Die Ätiologie ist nicht sicher bekannt. Einige Patienten geben ein Bagatelltrauma, Insektenstiche, oder operative Eingriffe als auslösende Ereignisse an.
Diskutiert wird eine Fehlfunktion der neutrophilen Granulozyten. Neuere Ergebnisse weisen auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer abnormen T-Zell-Antwort mit konsekutiver erhöhter Freisetzung von TNF-alpha hin . Der therapeutische Effekt der TNF-alpha-Inhibitoren wäre hiermit zu erklären. Assoziiert in unterschiedlicher Prävalenz sind diverse Systemerkrankungen (Jockenhöfer 2016) wie: chronische entzündliche Darmerkrankungen (8,7%), rheumatoide Arthritis (5,7%), hämatologische Erkrankungen (4,0%) wie: multiples Myelom, Lymphom, plasmozytisches, IgA-Mangel, kongenitaler, myeloproliferative Erkrankungen (myeloische Leukämie, Haarzellleukämie, Myelofibrose, Hodgkin, M., Polycythämia vera , monoklonale Gammopathien). Bei fast allen Patienten lassen sich Teilaspekte des metabolischen Syndroms nachweisen: arteriellen Hypertonus (50.3%), Diabetes mellitus (25,1%), Lipidstoffwechselstörungen (10,8%).
Die Assoziation mit Colitis ulcerosa hat im Laufe der Jahre in der Häufigkeit abgenommen (1957: 60%; 1981: 17%); die Berichte über Assoziationen mit hämatologischen Erkrankungen nehmen zu.
Seltenere Assoziationen sind: HIV-Infektion, chronisch aktive Hepatitis, primär biliäre Zirrhose, Behçet, M., SLE, Wegener-Granulomatose, Hidradenitis suppurativa.
Pyoderma gangraenosum in Assoziation mit monogenen autoinflammtatorischen Syndromen:
- PAPASH (Mutationen im PSTPIP1-Gen)(Psoriasisarthritis-Pyoderma gangraenosusm-Akne-Hidradenitis suppurativa): nachweislich sind aberrante Spleißvarianten des PSTPIP1-Transkripts mit Deletionen der Exons 9, 11 und 12 sowie der Exons 9-12. (Nesterovitch AB et al. 2011). Es wird vermutet, dass die krankheitsverursachenden Mutationen die physiologische Signalübertragung beeinträchtigen, die für die Aufrechterhaltung einer adäquaten Entzündungsreaktion erforderlich ist.
- Durch wenige kasuistische Mitteilungen bekannt ist das NFKB1-assoziiertes familiäres autoinflammatorisches Pyoderma gangraenosum (s.u. NFKB1-assoziierte sterile familiäre autoinflammatorische nekrotisierende Fasziitis), das mit einer LOF-Mutation R157X im NFKB1-Gen assoziiert ist (Bergbreiter A et al.2021).
- PASH-Syndrom: Pyoderma gangraenosum, Akne, Hidradenitis suppurativa (PSTIP1-Gen, IL1RN, NOD2, NLRP3)
- PAS-Syndrom: Pyoderma gangraenosum, Akne, Hidradenitis suppurativa, seropostive Spondylarthropathie/Gendefekt bisher unbekannt)
Zusammenfassend stellt sich das Pyoderma gangraenosum mit einem komplexen Reaktionsmuster dar, das sich durch Fehlsteuerung unterschiedlicher Stoffwechsel- und und Signalwege durch eine klinisch typische Symptomatik charakterisiert. Somit handelt es sich um eine indikatorische, ulzerative Erkrankung die zu einer subtilen internistischen Durchuntersuchung des Betroffenen Anlass geben sollte.
Manifestation
Klinisches Bild
Einzelne oder mehrere, primär aus Blasen, Pusteln, Papeln, flachen Knoten oder Plaques bestehende, bereits initial sehr schmerzhafte, hochentzündliche Hautveränderungen. Diese treten häufig nach Bagatelltraumen (Insektenstiche, kleinere Verletzungen) auf. Innerhalb weniger Tage kommt es zur Ausbildung flächenhafter, zunächst flacher, im Laufe weniger Wochen tiefreichender, das Hautorgan überschreitender (Subkutis, evtl. Muskulatur und Sehnenlager betreffend) Ulzerationen. Durch Apposition und randwärtige Progredienz erfolgt permanente Vergrößerung. Charakteristisch und damit von diagnostischer Bedeutung ist eine äußerst schmerzhafte Randzone mit wallartigem, düsterrotem oder auch grauem, unterminiertem Saum. Sonderform: Postoperative progressive Gangrän. Ein Pathergie-Phänomen ist nachweisbar nach Traumen.
Histologie
Initial zeigt sich das Bild einer oberflächlichen und tiefen neutrophilen follikulären oder perifollikulären Dermatitis. Leukozytoklasie kann vorkommen. In einem späteren Stadium zeigen sich flächenhafte dermale Neutrophilenabszesse mit Ulzeration. Im Ulkusbereich ist die Epidermis seitlich angehoben. Dichtes Infiltrat am Ulkusgrund, bestehend aus Neutrophilen, Lymphozyten, Plasmazellen, Histiozyten und Fremdkörperriesenzellen. Evtl. besteht eine hyperergische Vaskulitis.
Diagnose
Majorkriterien | Klinischer Befund | Rasch progredientes, äußerst schmerzhaftes Ulkus mit einem irregulären, unterminierten lividen Randsaum, das typischerweise einer sterilen Pustel |
Ausschluss anderer Ursachen | Wundursachen angepasst an ein klinisches Bild | |
Minorkriterien | Histologischer Befund | Neutrophileninfiltrat in der Dermis, Zeichen der lymphozytische Vaskulitis |
Ass. Grunderkrankungen | chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Arthritiden, hämatolog. Erkrankungen, Neoplasien, metabol. Syndrom | |
Pathergiephänomen | Triggerung durch Minimaltrauma | |
Therapeutisches Ansprechen auf Immunsuppression |
Die Diagnose gilt als gesichert, wenn beide Majorkriterien sowie mindestens 2 Minorkriterien erfüllt sind.
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Der 2019 von Jockenhöfer et al. beschriebene Paracelsus-Score soll die Diagnose erleichtern. Dieser Score umfasst 10 Merkmale
Zwei Hauptkriterien stellen die bei 98 % der Pyoderma gangraenosum Patienten vorkommende rasche Krankheitsprozess, sowie der rot-violette Wundrand dar. Zu den Nebenkriterien zählen bei 61-95 % der Patienten das Ansprechen auf Immunsuppressiva, extreme Schmerzhaftigkeit, unregelmäßige Ulzerationsform, Lokalisation nach Trauma, als zusätzliche Kriterien zählen die bei 61 % der Patienten histopathologisch zu beobachtende eitrige Entzündungen, unterminierte Wundränder und begleitende systemische Erkrankungen. Die Hauptkriterien werden jeweils mit 3, die Nebenkriterien mit 2 Punkten bewertet, die zusätzlichen Kriterien mit 1 Punkt. Bei einer Punktzahl ab 10 liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Pyoderma gangraenosum vor.
- Die Vermutung einer Pyoderma gangraenosum-Diagnose liegt insbesondere dann nahe, wenn sich die Geschwüre nach dem Debridement verschlechtern.
Differentialdiagnose
- Klinisch:
- Ekthyma: Unterschiedlich tiefe, meist max.1 cm durchmessende Ulzera mit scharf geschnittenem Rand und schmierig eitrigen Belägen (wie ausgestanzt). Möglicherweise Lymphangitis und -adenitis. Keine begleitenden Systemerkrankungen.
- Erysipel (nekrotisierend): Akuter Beginn mit Fieber, schmerzhafter Schwellung und Rötung sowie flächiger Ulzeration. ASL ist deutlich erhöht.
- Nekrotisierende Vaskulitis: Akuter Verlauf. Klinisches Bild der "palpablen Purpura" ist meist nachweisbar. Histologisch Bild der leukozytoklastischen Vaskulitis ist regelmäßig nachweisbar. Weiterhin Bildung von hämorrhagischen Plaques, Erosionen oder flächigen, schmerzhaften Ulzera.
- Livedovaskulopathie: Stets Livedobild mit stechendem Dauerschmerz nachweisbar (nicht das Livedobild sondern der stechende Dauerschmerz führt zum Arzt!), meist im Knöchelbereich lokalisiert.
- Ulcus cruris arteriosum: V.a. an Zehen, Fußrand, Fersen oder Streckseiten der Unterschenkel lokalisiert. Fast immer ist eine arterielle Verschlusskrankheit nachweisbar. Die Ulzera sind schmerzhaft und scharf begrenzt. Serologische Entzündungszeichen fehlen. Ulcuschmerz bei Tieflagerung der Extremität ist verbessert.
- Ulcus cruris venosum: Meist chronisches, in loco typico lokalisiertes (Kulissenbereich der Knöchel), unterschiedlich großes und tiefes Ulkus in entzündeter, häufig indurierter und hyperpigmentierter Haut als Zeichen der chronischen venösen Insuffizienz. Die Schmerzen im Ulkus können anhaltend stark sein; sie vermindern sich nach Hochlagerung.
- Necrobiosis lipoidica (nekrotisierende Form): Chronisch stationäre Erkrankung, meist jahrelanger Verlauf. Häufig Diabetes mellitus. Lokalisation: Streckseite der Unterschenkel. Meist solitäre, unregelmäßig konfigurierte, scharf begrenzte, plattenförmige, eher derbe Plaque, mit 1 oder mehreren, eingestreuten, schlecht heilenden, nicht oder nur wenig schmerzhaften Ulzera.
Histologisch:
- Sweet-Syndrom: diffuse neutrophile Dermatitis, keine Ulzeration
- Rheumatoide neutrophile Dermatitis: diffuse neutrophile Dermatitis mit variabler Leukozytoklasie, keine Ulzeration, keine Vaskulitiszeichen
- Behçet-Syndrom: diffuse neutrophile Dermatitis mit variabler Leukozytoklasie, Zeichen der leukozytoklastischen Vaskulitis
Therapie
Externe Therapie
Interne Therapie
- First-line-Therapie:
- Immunsuppressiv mit Ciclosporin A (z.B. Immunosporin) 5 mg/Tag/kg KG in Kombination mit Glukokortikoiden wie Prednison 100-150 mg/Tag. Die Wirkung tritt i.A. innerhalb weniger Tage spürbar ein (Evidenzlevel III). Bei 15-20% der Patienten kam es innerhalb von 6 Wochen zu einem kompletten Ausheilung der Läsionen, nach 6 Monaten bei 47% der Patienten (Partridge ACR et al. 2018).
- Alternativ Glukokortikoide als Pulstherapie (1 g/Tag i.v. Tag 1-5; ggf. Wiederholung nach 4 Wochen) (Evidenzlevel III).
- Experimentelle Therapieansätze (Evidenzlevel IV)
- Bei Therapieresistenz intravenöse Immunglobulingabe (IVIG). Über diesen Therapieansatz wurde in mehreren, größeren monozentrischen Studien berichtet (Evidenzlevel III-IV).
- In Einzelfallberichten erfolgreich:
- Etanercept: 25-50 mg 2mal/Woche s.c.
- Mycophenolatmofetil: 2,0-2,5 g/Tag p.o. als Monotherapie oder in Kombination mit Ciclosporin A 50 mg/Tag p.o. und/oder Prednisolon.
- In einer retrospektiven Multicenterstudie wurden 13 Probanden mit Infliximab 5 mg/Tag/kg KG i.v. behandelt. Bei allen 13 Probanden kam es zu einer vollständigen Abheilung. Die erste klinische Besserung zeigte sich nach durchschnittlich 11 Tagen. Infliximab wird v.a. bei Assoziation mit einem M. Crohn einzusetzen sein (Partridge ACR et al. 2018).
- Canakinumab: Die Datenlage entspricht der des Infliximabs (Partridge ACR et al. 2018).
- Azathioprin (z.B. Imurek) 50-150 mg/Tag ggf. in Kombination mit Prednisolon (0,3-1,0 mg/kg KG/Tag).
- Bei Superinfektion Antibiotika nach Antibiogramm.
Operative Therapie
Cave! Chirurgische Intervention im akuten Stadium ist kontraindiziert.
Verlauf/Prognose
Fallbericht(e)
Anamnese: Der 68 Jahre alte Patient bei dem anamnestisch eine nicht behandelte Hepatitis C bekannt wurde, präsentierte sich mit einem etwa 3,0 x 4,0 cm großen, purulenten, schmerzhaften und therapieresistenten Ulkus des linken Unterschenkels. Das Ulkus hatte sich 4 Wochen zuvor nach einem banalen Trauma gebildet und verschlechterte sich in der Zwischenzeit rapide.
Klin: auffällig war die zirzinäre, unscharfe, nahezu lappige Berandung mit einem etwa 1,0 cm großen randlichen lividen Erythemstreifen.
Labor: Die genotypische Virusbestimmung ergab den den Nachweis von HCV, Genotype 1A, mit einer hohen Viruslast. Weiterhin wurde eine Kryoglobulinämie festgestellt.
Nachweis eines IL26B-Rezeptorpolymorphismus; GOT: 120U/l, GPT: 90U/l, gamma GT: 160U/l
Histopathologie (Ulkusrand): unspezifische neutrophile Dermatitis, kein Hinweis für Vaskulitis.
Therapie: antivirale Kombinationstherapie mit Ledipasvir/Sofosbuvir und prednisolon
Verlauf: Innerhalb von 6 Wochen komplette (!) Abheilung des Ulkus. Die Viruslast war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nachweisbar.
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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