Livedovaskulopathie L95.0

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Atrophie blanche idiopathische; Atrophie blanche-Vaskulitis; Feldacker-Hines-Kierland-Syndrom; Hautinfarkt; Idiopathische Atrophie blanche; livedoid vasculopathy; Livedo reticularis mit Sommerulzerationen; Livedovaskulitis; O'Leary-Montgomery-Brunsting-Syndrom; painful purpuric ulcers with reticulate pattering of lower extremities; PURPLE; recurrent summer ulcerations; segmentale hyalinisierende Vaskulitis; Vaskulitis segmentale hyalinisierende

Erstbeschreiber

O' Leary, 1944; Feldaker, 1955; Bard und Winkelmann, 1967

Definition

Eminent chronische, regelmäßig rezidivierende, thrombo-embolische Verschlusskrankheit des kutanen Gefäßplexus (s.u. Vaskulopathie), die klinisch zu einem kennzeichnenden "Livedobild" und infolge der thrombotischen Vaskulopathie kleiner und mittlerer Hautgefäße zu blitzfigurenartigen, gezackten, hochschmerzhaften Plaques, Erosionen oder flachen Ulzera führt. Abheilung unter Hinterlassung bizarr konfigurierter, flacher, depigmentierter Narben (Atrophie blanche).

Kurzgefasste klinische Trias (LAU): Livedo racemosa, Atrophie blanche, Ulzera rezidivierende

Vorkommen/Epidemiologie

Inzidenz: < 1/100.000 (erfüllt die Kriterien der orphan disease).

Ätiopathogenese

Idiopathische Krankheitsverläufe sind oftmals beschrieben, genetische Disposition ist fraglich.

Beziehungen zu Lupus erythematodesPolyarteriitis nodosaPhospholipid-Antikörper-Syndrom, Gerinnungsstörungen bzw. Hyperkoagulabilität (Faktor V-Leiden-Mutation, Prothrombin-Gen-Mutation, Protein C- und Protein S-Mangel), Hyperhomocysteinämie; venöse Insuffizienz, chronische (CVI) sind beschrieben.

Sato-Matsumura et al. (2000) berichteten über zwei Personen mit Faktor-XII-Mangel, die eine Livedovaskulopathie und schmerzhafte Ulcera curis aufwiesen, die sich nach einer Antikoagulanzientherapie dramatisch verbesserten. Sie postulierten, dass der Faktor XII-Mangel bei einigen Personen zu einem hyperkoagulativen Zustand führen kann, der sie (bei bisher noch ungeklärten Sekundärrreizen) für schmerzhafte Geschwüre und ein schmerzhaftes Livedosyndrom prädisponiert.

Manifestation

Überwiegend bei Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen auftretend (15.-40. LJ). Die Erkrankung betrifft vorwiegend (> 75%) das weibliche Geschlecht.

Klinisches Bild

Retikuläre, sattrote, livide, flächig indurierte Plaques und Erytheme, mit Ausbildung bizarrer, meist sehr schmerzhafter (nicht das Livedobild sondern der stechende Dauerschmerz führt zum Arzt!), therapieresistenter flacher Ulzera im Knöchelbereich, v.a. in den Sommermonaten (Sommerulzerationen), die mit 0,3-1,0 cm großen, flach eingesunkenen, spritzerartigen weißlichen Narben mit rot akzentuiertem Randsaum (Gefäßektasien) abheilen. Symmetrisches Auftreten an den unteren Extremitäten wird beschrieben ist aber nicht die Regel.

Labor

Eine Umfeld-Analyse zeigt häufig pathologische Gerinnungsparameter mit prothrombotischen Eingenschaften wie: Antiphospholipid-Antikörper und einen Protein-C-Mangel.

Histologie

 Merke! Die Biopsie muss frühzeitig erfolgen. Sie muss ausreichend tief und breit den läsionalen Bezirk erfassen (Übergang von gesund/krankhaft), damit die auslösende Gefäßproblematik im Schnitt sicher beurteilt werden kann. Stufenschnitte sind zwingend erforderlich!

Atrophisches Epithel. In den mittleren und tiefen Lagen der Dermis eher schütteres, perivaskuläres, lymphozytäres Infiltrat sowie erweiterte, teils mit Erythrozyten prall gefüllte oder mit unterschiedlichen alten, hyalinen Thromben ausgefüllte Gefäße (nahezu obligates Phänomen). Diese fibrinoiden Ausgüsse führen zur Hyalinisierung und Infarzierung der Gefäßwand, mit nachfolgender fokaler Nekrobiose und Nekrose. 

Keine Zeichen einer leukozytoklastischen Vaskulitis!

Direkte Immunfluoreszenz

Ablagerungen von IgG, IgA, C3 und Fibrin in den Gefäßwänden.

Differentialdiagnose

Klinische Differenzialdiagnose:

  •  Poly- (Peri-)arteriitis nodosa: 1,0 - 5,0 cm große, zunächst derbe, meist sehr druckdolente, auch spontan schmerzhafte, rötlich bis livid gefärbte Plaques oder Knoten (Eisbergphänomen) mit Tendenz  zur schmerzhaften Ulzeration. Histologisch liegt der Prozess mit einer deutlichen Entzündungssymptomatik an der Kutis-Subkutis-Grenze! Ein blitzfigurenartiges Livedobild kann Teil der klinischen Symptomatik sein.
  • Sneddon-Syndrom: Hierbei ist der Hautprozess von systemischen Veränderungen (Verschluss von Hirngefäßen mit neurologischer Ausfallssymptomatik). Systemveränderungen fehlen bei der Livedovaskulopathie stets! Phospholipid-Antikörper sind bei mehr als 50% der Patienten nachweisbar!
  •  Embolia cutis medicamentosa: Akutes Geschehen, Minuten bis wenige Stunden nach einer i.m. Injektion auftretend (Anamnese führt zu einer Ausschlußdiagnose!), schmerzhafte, brettharte Infiltration mit  blitzfigurenartiger Hautzeichnung. Sekundär: Entwicklung tiefer Ulzerationen, die mit bizarr geformten atrophischen Narben abheilen. 
  • Arteriosklerotische Verschlussulzera (s.u. Ulcus cruris hypertonicum): Nicht selten auf dem klinischen Bild der Livedo racemosa aufpfropfend (hier unterliegende Arteriolosklerose), plötzliche (über Nacht) Ausbildung von hämorrhagischen, zackig begrenzten, sehr schmerzhaften Ulzera. Stets Nachweis einer peripheren AVK (Ausschluß der Livedovaskulopathie).
  • Calciphylaxie: Lokalisiertes, meist symmetrisches Bild der razemösen (blitzfigurenartigen) Livedo; diese wird begleitet durch lineare oder auch flächenhafte, 2,0 bis 20 cm große, eminent schmerzhafte, harte, rote oder auch hautfarbene Plaques oder Knoten. Meist auch schmerzhafte Ulzera unterschiedlicher Größe (Histologie ist diagnostisch s.u.).
  •  Livedo reticularis (im angloamerikanischen Sprachgebrauch mit Livedo racemosa bezeichnet!): Diese funktionelle Störung läßt sich am besten durch den Begriff "Cutis marmorata" umschreiben. Hierbei zeigt sich eine kälteinduzierte, großmaschige livide Marmorierung, je nach Form Verschwinden oder Auftreten nach Erwärmung bzw. Abkühlung. Häufig periphere Akrozyanose. Stets fehlt die zackige "blitzfigurenartige" Zeichnung der Livedo racemosa (Ausschlußphänomen). Stets fehlen Schmerzen (Ausschluß der Livedovaskulopathie).   
  •  Cutis marmorata teleangiectatica congenita: Kongenital auftretendes Krankheitsbild (Ausschlußkriterium) mit unsymmetrisch verteilter Cutis marmorata mit Teleangiektasien und Phlebektasien; häufig auffallend dünne, durchscheinende (atrophische) Haut mit deutlicher Venenzeichnung.
  •  Atrophie blanche: Stets auf dem Boden einer chronischen, venösen Insuffizienz (Ausschlußkriterium). Spritzerartige, leicht eingesunkene, narbige Bezirke mit umgebender brauner Pigmentierung. Randständig meist Kapillarektasien nachweisbar. Mögliche Ausbildung meist kleiner, seltener auch die gesamte Atrophiezone erfassender oberflächlicher Erosionen oder Ulzera ( Atrophie blanche-Ulkus). Die klinische Besonderheit dieser Ulzera ist ein zu der Größe des Ulkus nicht kompatibler stechender Dauerschmerz.   

Histologische Differenzialdiagnose:

  • Calciphylaxie: Thrombosierte dermale und subkutane Gefäße mit ausgeprägten basophilen Kalkablagerungen im Lumen und den Wänden (Ausschlußphänomen).   
  •  Dermatoliposklerose (Stauungsdermatose): Intralobuläre lipomembranöse (membranozytische) Fettnekrose sowie ausgeprägte septale Sklerosierung. Im fortgeschrittenen Stadium einer Dermatoliposklerose findet man breite sklerosierte Septen mit englumigen wandverdickten Kapillaren und Venolen mit PAS-positiven perivasalen Fibrinhülsen, sowie Makrophagen und Fibroblasten. In der Dermis: Perivaskuläre superfizielle und tiefe sklerosierende Dermatitis mit wandverdickten, glomerulumartig geknäulten Gefäßen.
  • Leukozytoklastische Vaskulitis: Gefäßwandnekrosen mit fibrinoider Gefäßwandaufquellung, Neutrophileninfiltration und  perivaskulärem Kernstaub.
  •  Thrombophlebitis migrans: Sklerosierende Endophlebitis (Riesenzellvaskulitis) mit komplettem oder partiellem Verschluss der Gefäßlumina durch Thromben. Häufig Nachweis von Riesenzellen..

Therapie

Abklärung einer zugrunde liegenden Systemerkrankung.

Therapie allgemein

Bettruhe, striktes Rauchverbot, Absetzen oraler Kontrazeptiva ratsam.

Externe Therapie

Heparin-haltige (z.B. Heparin-ratiopharm Gel/Salbe) und antiphlogistische (z.B. Voltaren Emulgel) Salbenverbände im Bereich der Erytheme, im Bereich des Ulkus phasengerechte Ulkustherapie. S.a.u. Wundbehandlung.

Interne Therapie

Erfolge wurden bei folgenden Therapiemodalitäten beschrieben:

  • Nach eigenen inzwischen bestätigten Erfahrungen können prompte und langzeitige Besserungen (v.a. bei der fast immer vorhandenen gravierenden Schmerzsymptomatik!) unter repetitiver (4 Wochen Intervalle) Immunadsorption und/oder IVIG allein (hochdosierte Immunglobulintherapie: 0,5-1,0g-2,0/kgKG aufgeteilt auf 3 aufeianderfolgende Tage i.v.) erzielt werden. Die Langzeittherapie sollte mit Faktor Xa-Inhibitoren erfolgen, die alternativ auch als Primärtherapie eingesetzt werden können.
  • Alternativ: Faktor Xa-Inhibitoren. Hierzu liegen zahlreiche Untersuchungsberichte vor (Rivaroxaban, Apixaban
  • Alternativ: Heparin 2-3mal/Tag 5000-7500 IE s.c.
  • Alternativ: Enoxaprin (Clexane) 1 mg/kg KG/Tag. Symptomadaptierte Therapiedauer, meist etwa 4 Wochen lang.
  • Alternativ: Wenn es unter diesen Therapieregimen zu keiner überzeugenden Besserung der Erkrankung kommt, kann eine immunsuppressive Therapie mit Prednisolon (z.B. Decortin H) 100 mg/Tag p.o. angesetzt werden. Steroiddosis je nach Klinik reduzieren, Erhaltungsdosis von 5-10 mg/Tag. Es empfiehlt sich eine Kombinationstherapie mit Azathioprin (z.B. Imurek) 100 mg/Tag p.o.
  • Wenig überzeugend: Acetylsalicylsäure (z.B. ASS-ratiopharm) 2mal/Tag 500 mg p.o., auch in Kombination mit Dipyridamol (z.B. Curantyl 3-5mal/Tag 1 Drg. p.o.).
  • Wenig überzeugend: Sulfasalazin (z.B. Azulfidine) einschleichend dosieren bis auf 3mal/Tag 1000 mg p.o.

Hinweis(e)

Die Erkrankung erfüllt die Kriterien einer "Orphan Disease". Dies ist bei allen bisher bekannten Therapiemodalitäten zu beachten. S.u. Orphan Diseases, s.u. Orphan-Arzneimittel.

Fallbericht(e)

  • Eine 24-jährige, adipöse Patientin leidet seit ihrem 12. LJ. an periodisch, v.a. jedoch in den Sommermonaten auftretenden außerordentlich schmerzhaften "offenen Stellen" an den Knöchelregionen beider Füße. Diese würden nach einigen Wochen wiederum narbig abheilen. Die Behandlung erfolgte über die Jahre antibiotisch, immunsuppressiv (Azathioprin und Glukokortikoide in mittleren Dosierungen), ohne nachweisliche Befundbesserung. Ansonsten wurde eine symptomatische Schmerztherapie mit Metamisol und Aspirin durchgeführt. Die Vorstellung der Patientin erfolgte schmerzgetrieben.
  • Befund: An sämtlichen Knöcheln finden sich bis 8x8 cm große, unregelmäßig, stellenweise bizarr begrenzte, rot-braune, nur mäßig indurierte Plaques die von kleineren (etwa 0,5-1,0 cm großen) weißlichen, bizarr konfigurierten narbigen Einsenkungen durchsetzt sind. Diese sind in ihren Randbereich akzentuiert gerötet. Stellenweise sind randlich Livedomuster nachweisbar. Weiterhin finden sich hochschmerzhafte rote, 0,2-0,6 cm große Erosionen mit und ohne Krusten.
  • Histologie: In den mittleren und tiefen Lagen der Dermis schütteres, perivaskuläres, lymphozytäres Infiltrat sowie erweiterte, teils mit Erythrozyten prall gefüllte, teils mit mit hyalinen Ausgüssen (nahezu obligates Phänomen) gekennzeichnete Gefäße. Deutlich verdickte Gefäßwände. Keine Zeichen einer leukozytoklastischen Vaskulitis.
  • Weitere Befunde: Keine Hinweise auf AVK oder CVI. Labor: komplett o.B.
  • Therapie: Konsequente Theapie mit einem niedermolekularem Heparin (Enoxaprin = Clexane; 1mg/kgKG/Tag s.c.). Innerhalb von 10 Tagen deutliche Reduktion der Schmerzen sowie komplikationsloses Abheilen der Erosionen unter einem üblichen indifferenten Wundmangement). Zwischenzeitlich keinen neuen erosiven Herde. Die Enoaprin-Theapie wurde nach 4 Wochen abgesetzt.

Literatur
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  1. Braun-Falco O et al. (1972) Zur Azathioprintherapie der Livedo racemosa mit Ulzerationen. Hautarzt 23: 136-138
  2. Calamia KT et al. (2002) Livedo (livedoid) vasculitis and the factor V Leiden mutation: additional evidence for abnormal coagulation. J Am Acad Dermatol 46:133-137
  3. Feldacker M, Hines EA, Kierland RR (1955) Livedo reticularis with summer ulcerations. Arch Derm Syph 72: 31-37
  4. Fritsch P et al. (1995) Livedo Vasculititis. Hautarzt 46: 215-224
  5. Goerge T (2010) Niedermolekulare Heparin-Therapie zur Behandlung der Livedovaskulopathie. Akt DErmatol 36: 484-487
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  9. Monshi B et al. (2014) Efficacy of intravenous immunoglobulins in livedoid vasculopathy: long-term follow-up of 11 patients. J Am Acad Dermatol 71:738-744
  10. Müller CSL et al. (2016) Diagnostische und histologische Besonderheiten der kutanen Vaskulitiden/Vaskulopathien. Akt Dermatol 42: 286-301
  11. O'Leary PA, Montgomery H, Brunsting LA (1944) Livedo reticularis: recurring ulcerations of the ankles in the summer. Arch Dermat Syph 50: 213
  12. Sams WM (1988) Livedo vasculitis. Therapy with pentoxifyllin. Arch Dermatol 124: 684-687
  13. Schanz S et al. (2003) Intravenous immunoglobulin in livedo vasculitis: a new treatment option? J Am Acad Dermatol 49: 555-556

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