Erysipel A46

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles, Dr. med. Maximilian Deußing

Co-Autoren: Dr. Nessr Abu Rached , Dr. med. Jeton Luzha, Hadrian Tran

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Cellulitis; Erysipelas; Erysipel gangränöses; Erysipel phlegmonöses; Gesichtsrose; Rose; Rotlauf; Schleimhauterysipel; Streptodermia cutanea lymphatica; Wundrose

Definition

Häufige, akute, seltener chronisch rezidivierende, fieberhafte, evtl. mit Schüttelfrost einhergehende, nicht-eitrige, gewöhnlich asymmetrische (Ausnahme Gesichtserysipele, s. Abb.), bakterielle Infektion der Haut, die sich rasch lymphogen ausbreiten kann.  

Erreger

Beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A, daneben auch Vertreter der Gruppen B,C und G. Neuere Arbeiten weisen daraufhin, dass beim bullösen Erysipel sowie bei den nekrotisierenden Formen auch Staphylokokken (Staphylococcus aureus), sehr selten auch Pneumokokken (v.a. bei Immunsupprimierten) eine pathogenetische Rolle spielen können (Bachmeyer C et al. 2012) s.a. MRSA).

Auch gramnegative Erreger (z.B. E. coli, Pseudomonas aeruginosa) können in seltenen Fällen, insbesondere bei immunsupprimierten Patienten, eine pathogenetische Bedeutung haben.

Vorkommen/Epidemiologie

Zu den Inzidenzen gibt es widersprüchliche Angaben: 

Inzidenz: 100/100.000 Personen/Jahr.

Nach einer amerikanischen Studie (Ren Z et al. 2021) beträgt die Inzidenz:

  • für Erwachsene:  2.42 bis 3.55/1.000.000 
  • und für Kinder:  1.14 to 2.09/1.000.000

Ätiopathogenese

Eindringen von Streptokokken durch Barriere-gestörten Hautpartien in die kutanen Lymphwege (häufig nach Tinea pedum oder kleinen mechanischen Traumata;"Wundrose"). Persistierende Lymphödeme, auch Erosionen durch fokale Austrocknung der Haut, sind Wegebereiter für die Infektion (z.B. Ödeme nach langstreckiger Saphenektomie bei Bypass-Operationen).

Pathophysiologie

Pathophysiologisch liegt eine geöffnete Eintrittspforte vor. Häufige Eintrittspforten sind Fußpilz, Rhagaden, Ulzera, Einstichstellen oder Erosionen. Durch die Eintritt über die Pforte gelangen die Bakterien in die Lymphgefäße, von hier aus können sich die Bakterien verbreiten und eine Entzündung der Haut auslösen.

 

 

Manifestation

Bevorzugt Erwachsene zwischen dem 20. und 70 . Lj. In größeren Studien ergibt sich ein Durchschnittsalter von etwa 50 Jahren. Seltener sind Kinder und Jugendliche betroffen. 

Lokalisation

Die möglichen Eintrittspforten bedingen die Prädilektionsstellen (v.A. Gesicht und Unterschenkel), wobei i.d.R. eine gewisse Distanz zwischen Erysipel und der Einrittspforte vorhanden ist.

Bemerkung: eine wesentliche Quelle als Keimreservoir stellt der Nasopharynx der Betroffenen selbst dar (Keimträger von Str. pyogenes sind 20-30% der jungen Ewachsenen - Nayak N et al. 2016)

Klinisches Bild

Meist asymmetrische, akute schmerzende, sich rasch ausbreitende, ödematöse Dermatitis mit scharf begrenzter, flächenhafter, randlich auch fingerförmig konfigurierter, intensiver, oberflächenglatter Rötung. Das betroffene Areal ist deutlich überwärmt und beim Betasten deutlich schmerzempfindlich. Unbehandelt erfolgt eine rasche lymphogene Ausbreitung der dermalen Inflammation.

Die akute Infektion ist von Schüttelfrost, Fieber (bis 40 °C), schmerzhafter Lymphangitis und Lymphadenitis begleitet. Nicht selten kann es komplikativ zu Bläschen- und hämorrhagischer Blasenbildung kommen (Erysipelas vesiculosum et bullosum).

Labor

Leukozytose mit Neutrophilie, BSG- und CRP-Erhöhung. ASL und Anti-Streptodornase-B(ABD)-Titer erhöht.

Histologie

Variables Bild das von der Akuität der Infektion abhängig ist. Initial perivaskuläres Infiltrat aus Lymphozyten, Neutrophilen und vereinzelten Eosinophilen. Markantes Ödem der oberen Dermis mit weitstehenden Lymphgefäßen und prall erythrozytengefüllten Blutgefäßen. Zunehmend wird das Infiltrat durch eine neutrophile Komponente dominiert. Vereinzelt beobachtet man bei unkomplizierter Infektion Erythrozytenextravasate. Die hämorrhagische Komponente kann beim hämorrhagischen Erysipel dominieren. Ein Erregernachweis gelingt nicht!

Diagnose

Klinisches Bild mit der typischen Trias (E = Erythem; F = Fieber; L = Lymphadenitis).

Differentialdiagnose

Klinisch:

  • Akute Dermatitis (kein Fieber, keine Lymphadenitis, Juckreiz)
  • initialer Zoster (wichtig in Abgrenzung zu einem Gesichtserysipel; Schmerzen häufig dominierend, kein Fieber, keine schmerzhafte Lymphadenitis, später wegweisende segmentale Ausbreitung mit Bläschen-oder Blasenbildung)
  • oberflächliche Thrombophlebitis (strangartige Induration, Fieber fehlt meist)
  • Lymphangitis acuta (charakteristische lineare Rötung entlang einer Lymphbahn)
  • Erysipelas carcinomatosum (meist brettharte Infiltration, Akuität fehlt)
  • Erysipeloid (Infektion verläuft blande, Lokalisation - Hände)
  • Angioödem (kein Fieber, keine Lymphadenitis)
  • Gesichtserysipel
    • Rosacea erythematosa (chronischer Zustand, kein Fieber, wechelhafte Rötung und Schwellung)
    • Dermatomyositis/SLE (schweres chronisches Krankheitsbild mit Adynamie und Zeichen einer autoimmunologischen Erkrankung)
    • Akute Dermatitis (Kontaktgeschehen nachweisbar, Akuität innerhalb von wenigen Stunden; vesikulöse Dermatitis)
    • Angioödem (akute Schwellung, kein Fieber, keine Lymphangitis, keine Schmerzen)
    • Phlegmone
    • Thrombophlebitis
    • Erythema nodosum (hochschmerzhafte Plaques und Knoten, meist keine flächenhaften Rötungen)
    • Stauungsdermatitis (hier fehlen im Gegensatz zum Erysipel Fieber und Schmerzen)
    • Kontaktdermatitis (juckende Erytheme oder Plaques , im Gegensatz zum Erysipel stets ohne Fieber)
    • Erysipel-artige kutane Leishmaniasis (Urlaubsreise; langsamer Beginn, kein Fieber, keine Lymphadenitis, monatelanger Bestand, Antibiotika-Resistenz)  

Histologisch:

Komplikation(en)

Eine hämorrhagische Komponente kann als Verschlechterung der Infektion angesehen werden.

Blasenbildung bei sehr exsudativer Entzündungsreaktion: S.u. Erysipel bullöses

Phlegmone: s.u. Erysipel phlegmonöses (unscharfe Eiteransammlungen entlang der anatomischen Leitschienen)

Gangränöses Erysipel (Erysipelas gangraenosum): gefürchtete nekrotiisierende Verlaufsform. 

Nekrotisierende Fasziitis als schwere, rasch fortschreitende, lebensbedrohliche  Weichteilinfektionfektion.

Septisches Erysipel: Sepsis mit Endokarditis und ggfs. Glomerulonephritis (<5%) ausgehend von dem Erysipel der Haut.

Gesichtserysipel: besonders gefürchtete Erysipelvariante v.a. wenn das Erysiepl über dem Nasensattel beginnt. Hierbei Ausbreitung auf die Orbita möglich.    

Erysipelrezidiv (s.u. Erysipel, rezidivierendes): Rezidive werden innerhalb von 6 Monaten bei 10% der Fälle beobachtet (30% innerhalb von 3 Jahren).

Chronisch rezidivierendes Erysipel: Rezidivierende Erysipele werden bevorzugt bei Patienten mit Co-Morbiditäten einschließlich Hypertension, Übergewicht, CVI, und Diabetes beobachtet (Li A et al. 2021). Beim rezidivierenden Erysipel besteht die Gefahr eines sekundären Lymphödems mit allen hierdurch entstehenden möglichen Folgezuständen (Papillomatosis cutis lymphostatica, Makrocheilie). 

Streptokokkenallergische systemische Folgeerkrankungen: akute Streptokokken-Glomerulonephritis 

Therapie

Systemische Antibiose s. Tabelle 1.

Heparinisierung während der Bettruhe. Fiebersenkende und ggf. schmerzstillende Maßnahmen mit Paracetamol (z.B. Ben-u-ron Tbl.) 3mal/Tag 500-1000 mg p.o.

Bei anhaltendem Schwellungszustand ab 3.-5. Tag nach Antibiose manuelle und ggf. zusätzlich apparative, intermittierende Lymphdrainage.

Merke! Keine Lymphdrainage im akuten Entzündungszustand! Keimverschleppung!

Bei rezidivierendem Erysipel Behandlung der akuten Symptomatik, anschließend über 1 Jahr regelmäßige Penicillinzyklen und Lymphödembehandlung.

S.u. Erysipel, rezidivierendes.

Therapie allgemein

Bettruhe, Kühlen und Hochlagerung des betroffenen Körperteils. Nach Abklingen der Akuten Entzündungsreaktion kann eine Lymphdrainage supportiv sein. Bei Gesichtserysipel besteht Sprechverbot und die Indikation für passierte Kost.

Externe Therapie

Feuchte Umschläge mit antiseptischen Zusätzen wie Polihexanid (Serasept, Prontoderm), Chinolinol-Lösung (z.B. Chinosol 1:1000), R042 oder Kaliumpermanganat-Lösung (hellrosa). Alle 2 Std. erneuern! Dauerhafte und konsequente Sanierung der Eintrittspforte (z.B. Tinea pedis).

Verlauf/Prognose

Unter suffizienter antibiotischer Therapie günstig. Bei Prädisposition (unbehandelte Tinea, Lymphödeme, chronisch venöse Insuffizienz) besteht die Gefahr des Rezidivs, meist in gleicher Lokalisation. Entsprechend ist eine vorliegende Grunderkrankung mitzubehandeln.

Eine weitere mögliche Ursache für Rezidive ist eine intrazelluläre Aufnahme und Persistenz von Streptokokken. Da β-Lactam-Antibiotika nur im Extrazellularraum bakterizide Konzentrationen erreichen, erfordert es möglicherweise den zusätzlichen Einsatz intrazellulär wirksamer Antibiotika, wie Clindamycin, Macrolide und Rifampicin. Die Kombination aus Clindamycin oder Rifampicin zusammen mit Penicillin erweist sich aktuell als wirksamste Kombination zur Behandlung von Infektionen mit Gruppe A Streptokokken (siehe auch Erysipel, rezidivierendes).

Tabellen

Systemtherapie beim Erysipel

 

Arzneistoff und Beispielpräparat

Dosis

Therapiedauer

Unkomplizierter Verlauf

Penicillin V (z.B. Megacillin)

1,5-3 Mio. IE/Tag p.o. in 3-4 ED

10 Tage

Komplizierter Verlauf oder chronische Rezidivierung

Penicillin G (z.B. Penicillin Grünenthal)


ggfs. in Kombination mit Clindamycin

15-30 Mio. IE/Tag i.v. in 3-4 ED (max. 30 Mega/Tag)


3mal/Tag

600 mg i.v.

bis zur Abheilung

Komplizierter Verlauf/Penicillinallergie

Vancomycin

40-60 mg/kg/Tag in 2-3 ED

bis zur Abheilung

Mischinfektionen

Oxacillin (z.B. Infectostaph)

4mal/Tag 1 g (max. 8 g) i.v. oder i.m.

10 Tage

Cephalosporine wie Cefotaxim (z.B. Claforan)

2-3mal/Tag 2 g i.v.

Bis zur Abheilung

Kombination aus Cefuroxim (z.B. Cefuroxim Hexal) + Gentamicin (z.B. Refobacin)

2mal/Tag 1,5 g i.v. + 240 mg/Tag i.v.

Bis zur Abheilung

Penicillinallergie

Erythromycin (z.B. Erythrocin)

4mal/Tag 0,5-1 g p.o.

10 Tage

 

 

 


7-10 Tage

Clarithromycin (z.B. Klacid)


Clindamycin

2mal/Tag 250-500 mg p.o.


3mal/Tag

600 mg p.o./i.v.

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Bachmeyer C et al. (2012) Érysipèle à Streptococcus pneumoniae révélateur d'une infection par le virus de l'immunodéficience humaine. Presse Med 41:883-884.
  2. Brennecke S, Hartmann M, Schofer H, Rasokat H, Tschachler E, Brockmeyer NH (2005) Treatment of erysipelas in Germany and Austria--results of a survey in German and Austrian dermatological clinics. J Dtsch Dermatol Ges 3: 263-270
  3. Hadzovic-Cengic M et al.(2012) Cellulitis--epidemiological and clinical characteristics. Med Arch 66(3 Suppl 1):51-53
  4. Krasagakis K et al. (2006) Bullous erysipelas: clinical presentation, staphylococcal involvement and methicillin resistance. Dermatology 212: 31-35
  5. Li A et al. (2021) Risk factors of recurrent erysipelas in adult Chinese patients: a prospective cohort study. BMC Infect Dis 21:26.
  6. Nayak N et al. (2016) Clinical implications of microbial biofilms in chronic rhinosinusitis and orbital cellulitis.BMC Ophthalmol 16:165.
  7. Parajuli N et al. (2020) Case Report: Erysipeloid Cutaneous Leishmaniasis Treated with Oral Miltefosine. Am J Trop Med Hyg 104:643-645

  8. Ren Z et al. (2021) Burden, risk factors, and infectious complications of cellulitis and erysipelas in US adults and children in the emergency department setting. J Am Acad Dermatol 84:1496-1503.
  9. Schwartz MN (2004) Cellulitis. N Eng J Med 350: 904-912
  10. Segnitz A et al. (2010) Afebriles Erysipel unter Etanercept. Akt Dermatol 35: 444-446
  11. Sunderkotter C, Herrmann M, Jappe U (2006) Antimicrobial therapy in dermatology. J Dtsch Dermatol Ges 4: 10-27

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