BK 3102

Zuletzt aktualisiert am: 21.10.2024

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Synonym(e)

Berufskrankheit nach BK 3102

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Definition

Unter der Berufskrankheit nach BK 3102 (BK-Nr. 3102) werden diejenigen Infektionen und deren Krankheitsbilder erfasst, die von Tieren auf Menschen übertragen werden. Nach Angaben der WHO sind > 200  Zoonosen bekannt von denen einige auch in Deutschland vorkommen. Ein Infektionsrisiko liegt insbesondere bei den Personen vor, die beruflich mit Tierhaltung und -pflege beschäftigt sind oder sonstigen beruflichen Umgang mit Tieren, tierischen Erzeugnissen oder Ausscheidungen haben. Hierbei eingeschlossen ist der Umgang mit Materialien, die mit infizierten Tieren sowie mit deren Teilen oder Ausscheidungen in Kontakt gekommen sind. Ein berufsgruppentypisches Infektionsrisiko für Zoonosen kann demnach bei folgenden Berufsgruppen vorkommen:

  • landwirtschaftlichem und veterinärmedizinischem Personal
  • Schlachthofpersonal
  • Beschäftigten in Tierlabors
  • Beschäftigten in der Jagd- und Forstwirtschaft
  • Beschäftigten in Tierkörperverwertungsanstalten
  • Beschäftigten in  zoologischen Gärten, Wildgehegen und Zoohandlungen
  • Personen, die beruflichen Umgang mit Fleisch, Fisch, Milch, Eiern, Häuten, Fellen, Pelzen, Tierborsten, -haaren, Federn und Knochen haben
  • Personen mit Kontakt zu infektiösem Material in der Abwasserbeseitigung.

Die meisten Zoonosen kommen in anderen Ländern vor und sind ggf. nach Auslandsaufenthalt von Geschäftsreisenden, Entwicklungshelfern, Monteuren, Reiseleitern etc. mit in Betracht zu ziehen.

Leitsatz: Für die Einwirkung im Sinn der Berufskrankheit "Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten" (Nummer 3102) genügt eine besonders erhöhte Infektionsgefahr.

Einteilung

Geordnet nach Erregergruppen können in Deutschland hauptsächlich folgende Krankheiten vorkommen:

  • A00-A09 Infektiöse Darmkrankheiten
  • A15-A19 Tuberkulose
  • A20-A28 Bestimmte bakterielle Zoonosen
  • A30-A49 Sonstige bakterielle Krankheiten
  • A65-A69 Sonstige Spirochätenkrankheitenwerden
  • A70-A74 Sonstige Krankheiten durch Chlamydien
  • A75-A79 Rickettsiosen
  • A80-A89 Virusinfektionen des Zentralnervensystems
  • A92-A99 Durch Arthropoden übertragene Viruskrankheiten und virale hämorrhagische Fieber
  • B00-B09 Virusinfektionen, die durch Haut- und Schleimhautläsionen gekennzeichnet sind
  • B15-B19 Virushepatitis
  • B25-B34 Sonstige Viruskrankheiten 
  • B35-B49 Mykosen
  • B50-B64 Protozoenkrankheiten
  • B65-B83 Helminthosen
  • B95-B98 Bakterien, Viren und sonstige Infektionserreger als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind
  • J09-J18 Grippe und Pneumonie

Diagnosen und Krankheitsbilder im Einzelnen

Ätiopathogenese

Zoonosen werden hervorgerufen durch Bakterien (incl. Chlamydien und Rickettsien), Viren, Pilze, Parasiten (Protozoen, Helminthen oder Arthropoden). Diskutiert wird gegenwärtig, ob sie auch durch Prionen (Abkürzung von engl. Proteinaceous infectious particles - infektiöses Protein) verursacht werden können. Nach Umgang mit infizierten Tieren, tierischem Material o. ä. können Krankheitserreger über die Haut oder Schleimhäute in den menschlichen Körper eindringen; dies ist auch möglich durch Einatmen von mit Krankheitserregern verunreinigter Luft oder über den Verdauungsweg z.B. über kontaminierte Hände (Schmutz- oder Schmierinfektion). Als Erregerreservoir kommen vor allem Säugetiere - Pferd, Rind, Schaf, Ziege, Schwein, Hund, Katze, Fledermaus, Hamster, Maus, Ratte, Igel - und Vögel sowie Fische in Betracht. Auch latent infizierte Tiere können als Reservoir zur Erhaltung von Erregern beitragen. Die Weitergabe der Krankheitserreger ist häufig an Arthropoden (Insekten, Zecken oder Spinnentiere) und Nager gebunden. Insbesondere Nagetiere, Fliegen, Schaben oder Pharaoameisen können krankheitsauslösende Keime auf mechanischem Wege auf empfängliche Wirte (Mensch oder Tier) sowie Medien übertragen. Bekannt als Vektoren (Verschlepper von Krankheits- oder Lebensmittelverderbniserregern) und Reservoir (Zwischenwirte von Parasiten) sind Schild- und Lederzecken, Fliegen, Stechfliegen, Schaben, Bremsen, Flöhe, Läuse, Ratten und Mäuse. Neben lebenden Vektoren gibt es auch unbelebte wie Wasser, Staub, Luft, tierische Abfälle, Pflegegegenstände usw. Nach einer für jede Infektion typischen Inkubationszeit, in der die Vermehrung der Erreger erfolgt, beginnen im Allgemeinen (plötzlich) die Krankheitssymptome. Dabei variiert die Inkubationszeit in Abhängigkeit von Anzahl und Übertragungsweg der Erreger und der individuellen Disposition der infizierten Person.

Hinweis(e)

Bei vollständigem Verlust der Erwerbsfähigkeit (100 %) wird eine Vollrente gezahlt. Diese beträgt zwei Drittel des vor dem Arbeitsunfall oder der Berufskrankheit erzielten Jahresarbeitsverdienstes (JAV).

Bei teilweiser Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wird der Teil der Vollrente gezahlt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht - Teilrente. Ein Anspruch auf Teilrente besteht ab einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 Prozent.

Beispiel: Die Rente eines Versicherten mit einem JAV von 36.000 Euro und einer MdE von a) 100 % und b) 20 % errechnet sich so:

Vollrente = 2/3 von 36.000 = 24.000 Euro, davon 100 % MdE = 24.000 EUR Rente / Jahr = 2.000 EUR Rente / Monat

Teilrente = 2/3 von 36.000 = 24.000, davon 20 % MdE = 4.800 EUR Rente / Jahr = 400 EUR Rente / Monat.

Praxistipps

Für den begründeten Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit ist das Vorkommen des jeweiligen Erregers am Arbeitsplatz ebenso eine Voraussetzung wie eine zeitliche Verbindung zur Exposition. Die Erkrankung muss sich innerhalb einer Zeit entwickeln, die im Rahmen der Inkubationszeit liegt.

Bei inapparent verlaufenden Erkrankungen sollte die Entwicklung des betreffenden Stadiums und der eventuelle Folgezustand der Infektionserkrankung bedacht werden; auch Oberträgungsweg und Infektiosität des Erregers sind mit zu berücksichtigen. Komplikationen und Dauerschäden können besonders bei Brucellose, enterohämorrhagischen E. coli-Infektionen, FSME, Leptospirose, Lyme-Borreliose, Q-Fieber Tuberkulose und enteralen Yersiniosen auftreten.

Sofern Krankheiten nicht vom Tier auf den Menschen sondern von Mensch zu Mensch übertragen worden sind, trifft gegebenenfalls die BK Nr. 3101 zu.

Bezüglich der Schädigung einer Leibesfrucht infolge beruflich bedingter Infektion der Schwangeren an einer Zoonose (z.B. bei Chlamydiose, Leptospirose, Listeriose, Lyme-Borreliose, Toxoplasmose) während der jeweiligen Schwangerschaft ist eine Entschädigung des Kindes nach § 12 SGB VII in Betracht zu ziehen.

Für die in Deutschland bei Pferden beobachtete, durch Bornaviren hervorgerufene Enzephalomyelitis ist der Zoonose-Status noch nicht zuverlässig geklärt. Die Identität der vom Pferd und vom Menschen isolierten Viren gilt bislang als nicht bewiesen.

Bisher konnten keine Humanen Spongiformen Enzephalopathien durch Übertragung von BSE (bovine spongiform encephalopathy)Erregern als Erkrankung mit den Merkmalen einer Berufskrankheit festgestellt werden. Dies gilt auch für verwandte TSE (transmissible spongiform encephalopathy)-Erreger wie das ScrapieAgens, welches nur Schafe und Ziegen befällt. Verdachtsfälle sollten trotzdem gemeldet werden.

Rechtssprechung (Bundessozialgericht Urteil vom 30.03.2023, B 2 U 2/21 R) Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkungen und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit. Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall)

Fallbericht(e)

Borreliose als BK 3102: 

Der Allgemeinarzt Dr. S. teilte der Beklagten (Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege), dass der Kläger (53-jähriger langjähriger Forstarbeiter) an den Folgen einer Borreliose leide, die er sich höchstwahrscheinlich durch einen Zeckenbiss bei Wald- und Forstarbeiten zugezogen habe. Er leide zudem an schweren Rückenschmerzen, die auf eine erhebliche Degeneration der Lendenwirbelsäule zurückzuführen seien. Neurologisch sei kein pathologischer Befund festgestellt worden. Ende Februar sei eine positive Borrelienserologie (IgM-Westernblot: negativ; IgG-Westernblot: Nachweis von mehreren Banden) diagnostiziert worden. Das Untersuchungsergebnis sei gut vereinbar mit einem späten Stadium einer Lyme-Borreliose. Zeckenbisse seien dem Kläger nicht erinnerlich. Trotz Antibiotikabehandlung sei keine Besserung eingetreten; eine weitere Behandlung habe wegen einer massiven Allergie abgebrochen werden müssen. Neurologisch konnten keine eindeutigen Hinweise für ein Lyme- Borreliose bzw. eine radikuläre Schädigung gefunden werden. Ein Gewerbearzt führte aus dass der Kläger mit Wald- und Forstarbeiten beschäftigt gewesen sei. Somit dürften die beruflichen Voraussetzungen einer BK 3102 gegeben sein. Die serologischen Befunde bestätigten eine Infektion mit Borrelia burgdorferi, erlaubten aber keine Aussage über das Erkrankungsstadium.

Epidemiologische Daten ergaben, dass in der heimatlichen Region jede fünfte Zecke (20%) mit Borrelien infiziert sei (Bemerkung: Der Durchseuchungsgrad ist für Deutschland, regionär zwar variabel, aber nicht außergewöhnlich hoch. Bezogen auf ganz Deutschland sind etwa 5-35% der Zecken mit Borrelien befallen, wobei adulte Zecken etwa zu 20%, Nymphen zu 10% und Larven zu etwa 1% infiziert sind. Nach Stich durch infizierte Zecke beträgt das Übertragungsrisiko ca. 5%, das Erkrankungsrisiko ca. 1%).

Die Anerkennung einer Berufskrankheit und die Gewährung von Entschädigungsleistungen wurden von der beklagten BG abgelehnt. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit sei möglich, aber nicht hinreichend wahrscheinlich. Das Vorliegen einer borrelienbedingten Erkrankung sei möglich, aber nicht bewiesen. Und weiterhin setze die Anerkennung auf eine Berufskrankheit nach Nr. 3102 „eine besondere, über das normale Maß hinausgehende Ansteckungsgefahr voraus. Eine solche erhöhte Gefahr sei im beruflichen Einsatzgebiet des Klägers nicht gegeben gewesen. Auch erinnere sich der Kläger selbst nicht an einen Zeckenbiss. Dies lasse einen Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung zur bloßen Vermutung werden. Gleichermaßen möglich sei ein Zeckenbiss in privater Freizeit“.

Das Urteil: Das SG hat in seinem Urteil die beklagte BG dem Grunde nach verurteilt, die Lyme-Borreliose-Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit Nr. 3102 der Anlage zur BKV anzuerkennen und die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren. Der Kläger sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an einer Lyme-Borreliose erkrankt. Es sei zumindest wahrscheinlich, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers (Einsatz beim Bau von Wald- und Forststraßen) und der Lyme-Borreliose-Erkrankung bestehe. Der Kläger sei einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen. Der Nachweis einer erhöhten Ansteckungsgefahr erlaube den Schluss, dass sich der Kläger die übertragbare Krankheit durch seine besondere berufliche Exposition zugezogen habe. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Erkrankung durch außerberufliche Einwirkungen bedingt sei, seien nicht gegeben.

Der Letzte Passus des Urteils des SG ist insofern von großer klinisch-rechtlicher Relevanz, als für die Anerkennung einer Infektionskrankheit nach Nr. 3102 der BKVO „der Nachweis einer erhöhten Ansteckungsgefahr“ durch die besondere berufliche Exposition ausreicht. Ein Nachweis über eine besondere, über das normale Maß hinausgehende Ansteckungsgefahr ist, wie zuvor ausgeführt, keine Voraussetzung. Inzwischen liegt auch ein gleichlautender Urteilsspruch des Bundesssozialgerichts (BSG) in dieser Angelegenheit vor: „Es reiche aus, dass Versicherte einer besonderen Infektionsgefahr ausgesetzt waren“, was bei der „Borrelien-Durchseuchung des Tätigkeitsumfeldes“ der Fall gewesen sei.

Damit die Berufsgenossenschaft Borreliose als Berufskrankheit anerkennen kann, muss nachgewiesen sein, dass die Zecke den Versicherten während der Ausübung seiner versicherten Tätigkeit gestochen hat. Bei Forstarbeitern, Berufsjägern, in landwirtschaftlichen Unternehmern mit Bodenbewirtschaftung, sowie bei Beschäftigten im Gartenbau kann die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft (LBG) grundsätzlich davon ausgehen, dass die Infektion während der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit eingetreten ist.

Literatur

  1. Krauss H et al. (2003) Zoonosen. Von Tier zu Mensch übertragbare Infektionskrankheiten.3. Aufl. - Köln: Dt. Ärzte-Verl. 2003
  2. Meslin F X (1997)  Global aspects of emerging and potential zoonoses: A WHO perspective. Emerg Infect Dis 3 223-228
  3. Neff J M (2000) Introduction to Poxviridae [Chapter 1201, Vaccinia Virus (Cowpox) [Chapter121] - In: Mandell, Douglas, and Bennett's principles and practice of infections diseases/ hrsg von Gerald L Mandell, John E Bennett, Raphael Dolin. - 5.Aufl., Philadelphia, Pennsylvania, Churchill Livingstone 1552-1553
  4. Palmer S R et al. (1998) Zoonoses. Biology, Clinical Practice and Public Health Control Oxford, Oxford University Press 1998

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