MilzbrandA22.1+J17.0*
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Entdecker des Erregers: Koch, 1876; die Erkrankung "Milzbrand" ist seit dem Altertum bekannt. Es wird allgemein angenommen, dass die fünfte und sechste Plage Ägyptens, die im Buch Exodus beschrieben werden, auf Milzbrand zurückzuführen sind.Sowohl Homer als auch Ovid berichteten darüber. In älteren arabischen Schriften wird Milzbrand als „persisches Feuer“ bezeichnet. Der Name Milzbrand bezieht sich auf die dunkel gefärbte und wie verbrannt aussehende Milz erkrankter Tiere.
Auf der Grundlage von Studien über Milzbrand stellte Koch 1876 seine berühmten Postulate auf. Impfstoffe gegen Milzbrand - am bekanntesten ist der von Pasteur (1881) - gehörten zu den ersten entwickelten bakteriellen Impfstoffen.
Definition
Weltweit verbreitete, beim Menschen sehr selten auftretende, meldepflichtige (Verdacht, Erkrankung und Tod) Zoonose mit Bacillus anthracis. Missbräuchlicher Einsatz als biologischer Kampfstoff.
Die Erkrankung Milzbrand manifestiert sich im Wesentlichen in 4 Formen:
Lungenmilzbrand (Inkubationszeit 4-6 Tage nach Inhalation der Keime)
Hautmilzbrand (Inkubationszeit Stunden bis wenige Tage)nach kutaner Inokulation der Keime) -häufigste Manifestationsformm des Milzbrands (95% aller Milzbrand-Fälle)
Magen-Darmmilzbrand (Inkubationszeit 1-3 Tage nach oraler Aufnahme der Keime)
Injektionsmilzbrand (Inkubationszeit 1-3 Tage nach Injektion des keimhaltigen Materials)
Erreger
Bacillus anthracis ist ein grampositives, aerobes, stäbchenförmiges Bakterium aus der Familie der Bacillaceae mit Fähigkeit zur Toxin- und Kapselbildung. Die Bakterien haben eine Länge von ca. 4 μm und eine Breite von 1 µm. Sie formen Ketten (bis zu 6 – 8 Zellen im Blut infizierter Organismen). Bacillus anthracis ist ein Sporenbildner. Die Sporen sind äußerst widerstandsfähig. Sie haben eine Größe von ca. 1 x 2 μm und keimen, sobald sie sich in einer geeigneten Umgebung, wie z.B. Blut, befinden, zu vegetativen Zellen aus. Unter wachstumslimitierenden Bedingungen (z.B. nach Freisetzung der Zellen aus einem infizierten Tier) bilden sie wiederum Sporen.
Die Virulenz beruht auf der Fähigkeit zur Exotoxin- und Kapselbildung, die auf zwei Plasmiden, pXO1 und pXO2, kodiert sind. Die vegetativen Formen produzieren 3 für die Toxinbildung wichtige Proteinkomponenten:
- Protektives Antigen (PA)
- Letalfaktor (LF) und
- Ödemfaktor (EF-Edema Factor).
Die Kombination von PA und EF führt zur Bildung des Ödemtoxins (EdTx), die Kombination von PA und LF zum Letaltoxin (LeTx). Die Toxine sind verantwortlich für die lokale Ödembildung und die nekrotische Gewebeschädigung (s.a. Hautmilzbrand).
Vorkommen/Epidemiologie
Weltweit verbreitet, insbes. in Viehzuchtgegenden (Wiederkäuer). Sehr selten in industrialisierten Ländern; bevorzugt in wärmeren Klimazonen u.a. in Südosteuropa, Südamerika, Afrika, Südost-Asien. Pflanzenfressende Nutz- und Wildtiere sind somit primär durch die Aufnahme des Zoonose-Erregers betroffen und an seiner Weiterverbreitung beteiligt. In Deutschland starben im Juli 2012 zwölf Kühe in Sachsen-Anhalt an Milzbrand. In anderen Ländern kommt Milzbrand häufiger bei Tieren vor, wie z.B. in den Balkanstaaten, Südeuropa (einschließlich der Türkei), Zentralasien und dem südlichen Afrika. In Westafrika wurden im Zusammenhang mit dem Tod von Menschenaffen hochvirulente Erreger nachgewiesen, die aufgrund der chromosomalen DNA der Bakterienart B. cereus zugeordnet werden müssen. Diese Bakterien enthalten aber Virulenzplasmide von B. anthracis. Daher wurde dieser Erreger als B. cereus biovar anthracis bezeichnet (Hoffmaster AR et al.2004).
Ätiopathogenese
Infektion durch Kontakt mit Sporen des Erregers Bacillus anthracis aus kontaminierten tierischen Materialien (Organe, Fell, Wolle, Düngung mit Knochenmehl). Keine Infektion von Mensch zu Mensch! Die Sporen sind äußerst widerstandsfähig und können jahrelang in tierischen Produkten bzw. im tierischen Umfeld (Weiden, Ställe, Futter) überleben. Nach Inokulation der Sporen (Hautverletzung, Einatmen oder Verzehr) beginnt das Wachstum des Erregers und Bildung einer Proteinkapsel die es vor Phagozytose schützt. Ferner produziert es verschiedene Exotoxine (Letaltoxin, Ödemtoxin).
Pathophysiologie
Die Virulenzfaktoren von B anthracis sind seine Kapsel und das Dreikomponententoxin, die beide auf Plasmiden kodiert sind. Bacillus cereus produziert zahlreiche Enzyme und Aggressine. Die wichtigsten Virulenzfaktoren sind ein nekrotisierendes Enterotoxin und ein starkes Hämolysin (Cereolysin). Brechreiz verursachende Lebensmittelvergiftungen entstehen wahrscheinlich durch die Freisetzung von Brechreizfaktoren aus bestimmten Lebensmitteln durch bakterielle Enzyme.
Die Gründe für ausgeprägte Unterschiede in der Anfälligkeit für Milzbrand bei verschiedenen Tierarten sind nicht bekannt. Die Schutzwirkung des Lebendsporenimpfstoffs für Tiere oder der chemischen Humanimpfstoffe beruht auf der Induktion einer humoralen und zellvermittelten Immunität gegen die schützende Antigenkomponente des Milzbrandtoxins.
Klinisches Bild
Nach Einatmen sporenhaltiger Stäube oder Aerosole kommt es innerhalb weniger Stunden bzw. weniger Tage zu einer schweren Bronchopneumonie mit hohem Fieber, Schüttelfrost, blutigem Husten, Hypoxie. Der blutige Auswurf kann infektiös sein. Der Lungenmilzbrand kann unbehandelt innerhalb von 2-3 Tagen tödlich verlaufen.
Diagnose
Erregernachweis aus Blut- und Gewebeproben. PCR. Die Untersuchungen sollten nach Möglichkeit in sogenannten Referenzzentren für Milzbrand durchgeführt werden (z.B. RKI in Berlin). Im weiteren Verlauf können auch Antikörper nachgewiesen werden.
Komplikation(en)
Milzbrandmeningitis: Als Komplikation bei allen Manifestationsformen möglich (bis zu 50% der Fälle). Foudroyanter Verlauf mit Kopfschmerzen, hohem Fieber und Bewusstseinsminderung
Interne Therapie
Bei Verdacht: 100-tätige prophylaktische Therapie aller potenziell Exponierten mit Ciprofloxacin 2x500mg p.o./Tag oder Doxycyclin 2x100mg p.o./Tag (oder Amoxicillin bei Schwangeren) in Kombination mit Clindamycin oder Rifampicin.
Prophylaxe
Das Risiko einer Übertragung von Mensch zu Mensch ist grundsätzlich sehr gering. Prinzipiell jedoch besteht die Möglichkeit der Transmission von kontaminierter Kleidung oder bei direktem Kontakt mit Körperflüssigkeiten (v.a. Wunden - Doganay M et al. 2010). Daher sind alle Maßnahmen der Standardhygiene streng umzusetzen. Eine Kontamination der Hände sollte durch Tragen von Schutzhandschuhen und die Anwendung der Non-Touch-Technik wenn immer möglich vermieden werden. Zusätzlich strenge Händehygiene.
Hände-/Flächen- und Instrumentendesinfektionsverfahren: Hierbei sollte auf Sporenwirksamkeit geachtet werden. In experimentellen Ansätzen konnten gute (z.B. Einsatz von Peressigsäure-Produkten).
Durch die Verwendung von weiterer persönlicher Schutzausrüstung (Schutzkittel, Mund-Nasen-Schutz, Augenschutz) kann das sehr geringe Risiko der Übertragung weiter reduziert werden.
Nach chirurgischen Eingriffen müssen Instrumente nach dem vom RKI empfohlenen Verfahren gegen Sporen von Milzbrand (Wirkungsbereich C) aufbereitet werden (RKI (2007). Derzeit sind keine chemischen Desinfektionsmittel, sondern nur thermische Verfahren mit dem Wirkungsbereich C gelistet.
Weitere Absonderungsmaßnahmen: Kontaktpersonen oder Ansteckungsverdächtige müssen nicht abgesondert werden. Allerdings sollte bei Ansteckungsverdächtigen neben eventuellen postexpositionellen Maßnahmen über die gesamte Inkubationszeit eine engmaschige Selbstbeobachtung – ggf. mit ärztlicher Beratung – erfolgen, um mögliche Symptome sofort zu erkennen. Patienten sollten, wenn möglich in einem Einzelzimmer untergebracht werden, um das minimale Restrisiko einer Übertragung auszuschließen.
Seit Juni 2013 steht in Deutschland ein Anthrax-Totimpfstoff (Handelsname BioThrax®) zur Verfügung (Emergent BioSolutions).
Prophylaxe
Der vegetative Organismus ist durch gängige Desinfektionsmethoden leicht abzutöten, die Sporen hingegen sind gegenüber Hitze und Desinfektionsmitteln hoch resistent. Im Erdboden können B.-anthracis-Sporen Jahrzehnte überdauern und bleiben infektiös.
Weitere Informationen über: Redaktion der Reihe "RKI-Ratgeber"- Robert Koch-Institut, Abteilung für Infektionsepidemiologie oder an die Redaktion des Epidemiologischen Bulletins (Kontaktformular).
Hinweis(e)
Der größte bekannte Ausbruch von Anthrax fand 1979 in Russland (Jekaterinburg) statt. Der Ausbruch ereignete sich nach einem Unfall in einer Biowaffen-Fabrik. Von den 79 Mitarbeiter, die die Anthrax-Sporen eingeatmet hatten, überlebten 68. Unbekannt ist auch die genaue Zahl der Länder, die mit Milzbrand arbeiten. Es ist davon auszugehen, dass mehrere Länder Anthraxsporen als Biowaffe zur Verfügung haben.
So wurden in der Vergangenheit Milzbrand-Erreger immer wieder als bioterroristische Waffe missbraucht. In den USA tauchten 2001 mehrere Briefe auf, die mit dem Erreger verseucht waren. Dabei erkrankten 22 Personen, fünf starben. Tausenden Personen, vor allem Mitarbeitern der Post, wurde empfohlen, vorbeugend Antibiotika gegen Milzbrand einzunehmen. Anthrax wird von den Gesundheitsbehörden weltweit als bedeutende Bedrohung sowohl im Rahmen normaler Infektionswege als auch durch Bioterrorismus eingestuft.
In Deutschland und anderen europäischen Ländern tritt Milzbrand tritt nur sporadisch auf.
Vereinzelte Infektionen sind in den Jahren 2009 - 2012 bekannt geworden (überwiegend Drogenkonsumenten; ursächlich war vermutlich verunreinigtes Heroin – (Ringertz SH et al. 2010; Booth MG et al.2010). Molekulare Vergleiche der Ausbruchsstämme verschiedener Injektionsmilzbrandfälle deuten darauf hin, dass es sich wahrscheinlich um den gleichen Milzbrandstamm handelte (Bernard H 2010).
Literatur
- Bernard H (2010) Drogenkonsum: Bacillus anthracis in Heroin? Dtsch Ärztebl 107:703
- Booth MG et al.(2010) Anthrax infection in drug users. Lancet 375:1345-1346
- Doganay M et al. (2010) A review of cutaneous anthrax and its outcome. J Infect Public Health 3: 98-105
- Hoffmaster AR et al. (2004) Identification of anthrax toxin genes in a Bacillus cereus associated with an illness resembling inhalation anthrax. Proc Natl Acad Sci U S A 101:8449-854
- Ringertz SH et al. (2010) Injectional anthrax in a heroin skin-popper. Lancet 356: 1574-1575
- RKI (2007) Liste der vom Robert Koch-Institut geprüften und anerkannten Desinfektionsmittel und -verfahren.
- RKI-Ratgeber - Robert Koch-Institut