Synonym(e)
Definition
Sehr seltene hereditäre, monogenische Dermatose, die durch die Kombination aus Ichthyosis linearis circumflexa, Haarschaftanomalien (Bambus-Haare = Trichorrhexis invaginata), erhöhte IgE-Spiegel und Immundefizienz mit Gedeihstörungen gekennzeichnet ist. Fakultativ assoziiert sind u.a. Störungen im Aminosäurestoffwechsel, evtl. Oligophrenie u. zerebrale Krampfanfälle.
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Vorkommen/Epidemiologie
Die Inzidenz liegt bei 1:200.000; die Prävalenz bei 1:100.000; bis heute sind etwa 150 Patienten mit Netherton-Syndrom (Comèl-Netherton-Syndrom) beschrieben worden.
Ätiopathogenese
Autosomal-rezessiver Erbgang. Nachgewiesen wurde Mutationen des SPINK5 Gens (5q31-q32), das LEKTI kodiert, ein Serin-Protease Inhibitor. LEKTI wird in Epithelien, Thymus, Tonsillen, Nebenschilddrüse und Trachea exprimiert. Weiterhin kann es im Stratum corneum und granulosum sowie in den Hautanhangsgebilden nachgewiesen werden.
Dieses Protein inhibiert eine Reihe von Serin-Proteasen, wie die epidermalen Kallikrein-verwandten Peptidasen (KLKs), so die von den Genen KLK5, KLK7 und KLK14 kodierten Peptidasen (Gouin O et al. 2020), sowie auch Plasmin, Trypsin, Subtilisin A, Cathepsin G oder Elastase.
Die durch eine LEKTI-Defizienz verusachte "Hyperaktivität" dieser proteolytischen Enyzme führt zu einer wesentlichen Störung der Funktion der epidermalen Barriere. Dies erfolgt über eine gesteigerte Degradierung von Desmoglein 1 und einem gesteigerten Abbau von Desmosomen. Die gestörte Hautbarriere erleichtert das Eindringen von Allergenen in die Haut.
Bemerkung: Die besondere Expression des SPINK5-Gens im Thymus führt zu einer fehlerhaften T-Zell-Differenzierung, einer konsekutiven unbalanzierten Th2-Antwort und einem stark erhöhten IgE (es bestehen Analogien zum Hyper-IgE-Syndrom).
Klinisches Bild
Integument: Häufig im Kindesalter mit einer kongenitalen ichthyotischen Erythrodermie beginnend, die sich im heranwachsenden Alter bei klinisch milden Fällen zu einer Ichthyosis linearis circumflexa rückentwickeln kann. Hierbei Ausbildung großflächiger, häufig zirzinär begrenzter, wandernder, girlandenartig begrenzter, braunroter oder roter, von einer doppelten Schuppenleiste gesäumten, oberflächenrauer, schuppender Plaques. Unterschielidch starker Juckreiz in der befallenen Haut. Lichenifikation der großen Gelenkbeugen. Zeitweilig Blasenbildung möglich.
Obligat sind begleitende Haarschaftanomalien (Bambus-Haare, Trichorrhexis nodosa, Pili torti), Alopezie, Rhagaden im Mundwinkelbereich sowie Papillome im Genitalbereich.
Nachweis einer erhöhten Aktivität der sauren Phosphatasen, β-Glucuronidase, Transglutaminase in Hautschuppen.
Extrakutane Manifestationen: Gefürchtet sind rezidivierende Superinfektionen mit Septikämien als Folge eines Immundefektes.
Nahezu obligat sind Typ I Sensibilisierungen auf Nahrungsmittel und Umweltallergene.
Labor
Histologie
Differentialdiagnose
Therapie
Eine kausale Therapie existiert nicht. Insofern ist je nach Aktuitätsgrad der Hauterscheinung eine symptomatische Therapie angezeigt.
Therapie allgemein
Interne Therapie (Ergänzung):
Einzelfallberichte weisen auf eine gute Wirksamkeit von Dupilumab bei NS hin (Off-Label Use). Die Dosierung entspricht dabei der zugelassen Dosierung für die atopische Dermatitis (Initial 600mg s.c., gefolgt von alle 14 Tage 300mg).
Externe Therapie
Bewährt haben sich Harnstoff/ Milchsäure/Polidocanol-haltige Salben, Cremes oder Lotionen sowie Ammoniumlaktat-haltige Externa (z.B. Kerapil, Optiderm, rp. 102 , rp. 104 , rp. 113 ).
Eine Anwendung von lokalen Retinoiden, z.B. Tazarotene, z.B. Zorac 0,05% oder 0,1% kann versucht werden. Therapielimitierend ist ihr irritierendes Potential.
Ein Versuch mit Tacrolimus (Protopic) ist lohnenswert.
Interne Therapie
Retinoide wie Acitretin (Neotigason) wirken nicht nur positiv auf die Hautveränderungen, sondern bewirken zudem eine teilweise Normalisierung der Haarschaftveränderungen. Erwachsene anfänglich 25-30 mg/Tag, niedrige Erhaltungsdosis von 5-10 mg/Tag p.o. Cave! Es kann zu dosisabhängigen schweren Hautirritationen kommen! Dosisreduktion ist in solchen Fällen teilweise ausreichend. Der Einsatz von Ciclosporin A wird unterschiedlich diskutiert. Da Dauertherapie notwendig ist, wird Zurückhaltung empfohlen.
Andere systemische Behandlungen umfassen intravenöse Immunglobuline.
Fortschritte im Verständnis der Pathophysiologie von NS haben zu gezielteren Therapien mit Biologika wie Infliximab, Ixekizumab, Secukinumab, Ustekinumab und Dupilumab geführt.
Zu weiteren Behandlungen, die derzeit untersucht werden, gehören Inhibitoren des Kallikreins 5, Cathelicidine, Medikamente, die den Transkriptionsfaktor "Nuclear Factor Erythroid-derived 2-like 2" aktivieren, und eine Gentherapie mit autologen Keratinozyten, die mit einem lentiviralen Vektor induziert werden, der für SPINK5 kodiert (Herz-Ruelas ME et al. 2021).
Hinweis: Der Nuclear Factor Erythroid 2-Related Factor 2 (NRF2), auch bekannt als Nuclear Factor Erythroid-Derived 2-Like 2, ist ein Transkriptionsfaktor, der beim Menschen durch das NFE2L2-Gen kodiert wird. NRF2 ist ein Basic Leucine Zipper (bZIP)-Protein, das vorläufigen Forschungsergebnissen zufolge die Expression von antioxidativen Proteinen regulieren kann, die vor oxidativen Schäden durch Verletzungen und Entzündungen schützen. In vitro bindet NRF2 an antioxidative Response-Elemente (AREs) in den Promotorregionen von Genen, die für zytoprotektive Proteine kodieren. NRF2 induziert in vitro die Expression von Häm-Oxygenase 1, was zu einem Anstieg der Phase-II-Enzyme führt. NRF2 hemmt auch das NLRP3-Inflammasom (Ahmed Set al. (2017).
Hinweis(e)
Die Erstbeschreibung des nach Netherton zu Unrecht benannten Krankheitsbildes geht auf den Italiener Comèl zurück, der im Jahre 1949 über das Krankheitsbild unter dem Namen " Ichthyosis linearis circumflexa" berichtete.
Ursächlich für das Netherton-Syndrom sind die Störungen im epidermalen Desquamationsprozess. Dieserwird durch das Gleichgewicht der Aktivitäten von Serinproteasen der Familie der Kallikrein-verwandten Peptidasen (KLK) und ihres kognitiven Inhibitors (LEKTI), der durch das Gen des Serinpeptidase-Inhibitors Kazal-Typ 5 (SPINK5) kodiert wird, streng reguliert. Ein Ungleichgewicht der proteolytischen Aktivität, das durch einen Mangel an LEKTI verursacht wird, führt zu einer übermäßigen Abschuppung aufgrund erhöhter Aktivitäten von KLK5, KLK7 und KLK14 mit den klinischen Folgen die das Netherton-Syndrom (NS) auszeichnen (s.Art der Schuppungen). Eine erhöhte Aktivität der KLKs kann auch bei anderen Dermatosen wie der atopischen Dermatitis (AD) pathologisch sein. Möglicherweise könnte die Behandlung mit einem bispezifischen Anti-KLK5/7-Antikörper eine vielversprechende Therapie für die klinische Entwicklung bei Netherton-Syndrom und anderen entzündlichen Dermatosen darstellen (Chavarria-Smith J et al. 2022).
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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Verweisende Artikel (23)
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