Erythema multiforme L51.0

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles, Dr. med. Fabian Müller

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Zuletzt aktualisiert am: 09.12.2024

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Synonym(e)

Baader Dermatostomatitis; Dermatostomatitis Baader; EEM; Erythema exsudativum multiforme; Erythema multiforme minor; Erythema multiforme postherpetisches; Erythema multiforme von Herbra; Fuchs-Syndrom; Hidroa vesiculosa; Kokardenerythem; Postherpetisches Erythema exsudativum multiforme; Scheibenrose

Erstbeschreiber

Ferdinand v. Hebra 1866

Definition

Relativ häufiges, polyätiologisches, mukokutanes Reaktionsmuster, das sich durch ein akutes bis subakutes, selbstlimitiertes zu Rezdiven neigendes Exanthem mit charakteristischen, schießscheibenförmig strukturierten (Scheibe-in-Scheibe -Struktur) Flecken, Plaques und Blasen sowie einem möglichem Schleimhautbefall auszeichnet. Strenggenommen handelt es sich nicht um eine Entität sondern um eine Gruppe polyätiologischer Erkrankungen mit den beschriebenen klinischen Leitsymptomen, die sich pathogenetisch durch eine gemeinsame zytotoxische gegen Keratinozyten gerichtete Immunreaktion mit epidermalen "Satelittenzellnekrosen" kennzeichnet.  

Vorkommen/Epidemiologie

Vorwiegend bei jungen Erwachsenen vorkommend, selten bei Kindern. m>w; keine ethnischen Prävalenzen bekannt. 

Ätiopathogenese

Genetik: Es gibt Hinweise auf eine genetische Prädisposition des EEM mit folgenden HLA-Assoziationen: HLA-DQw3, DRw53, AW33.

Infekte: Bei der Mehrzahl der Jugendlichen und Erwachsenen gehen Herpes simplex Typ 1 (HSV-1) Infektionen dem Exanthem voraus oder treten nach Ausbruch des Exanthems klinisch in Erscheinung. Durch molekularbiologische Methoden konnte HSV-DNA in läsionaler Haut nachgewiesen werden. Über Assoziationen mit anderen Infektionskrankheiten wie HSV Typ II (HSV-2), Varizellen, Parapoxviren (Orf-Virus), Parvovirus-B19, Hepatitis C, SARS-CoV-2 (Thielmann CM et al. 2022), Histoplasma capsulatum, EBV-Infektionen, Streptokokken oder Mykoplasmen (Mykopasmen-Infektionen treten gehäuft bei Kindern auf) wurde berichtet. Seltener sind schwere mykotische oder Gardnerella-vaginalis-Infektionen auslösend. In einer Querschnittsanalyse (n= 43.547 Patienten mit einer COVID-19-Infektion in der Vorgeschichte) war das EM-Risiko 6,68-mal höher als bei Patienten ohne COVID-19 (Saleh W et al. 2024).

Impfungen: Nicht ganz selten gehen Impfungen (Masen-Mumps-Röteln-Impfungen, Hepatitis-B-Impfungen, Vakzinierungen mit dem polyvalenten HPV-Impfstoff) einem Erythema multiforme voraus. Das Risiko, nach einer COVID-19-Impfung ein EM zu entwickeln, ist mit 2,7 deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung. Die Prävalenz von EM nach einer COVID-19-Infektion oder -Impfung unterscheidet sich signifikant von der der Allgemeinbevölkerung (Saleh W et al. 2024).Medikamente: Häufig wird das EM nach Medikamenteneinnahme (z.B.  5-Fluorouracil and Actinomycin D ) gfls. auch in Kombination mit viralen oder bakteriellen Infektionen beobachtet (Wang S et al. (2022) .

Multiforme "Streureaktionen" können auch bei allergischen Kontaktekzemen (z.B. Paraphenylendiamin in Tattoos) auftreten. 

Manifestation

Auftreten v.a. bei jungen Erwachsenen, geringe Androtropie. Häufigkeitsgipfel: 20.-40. LJ. Selten bei Kleinkindern.

Lokalisation

Handrücken, Handflächen und Fußsohlen, Nacken, Gesicht und Hals, Streckseiten der oberen Extremität; gruppiert im Bereich des Ellenbogens, seltener des Knies. Auch der Rumpf kann betroffen sein (s.Abbn.). Bei etwa 50% der Fälle milder (meist oraler) Schleimhautbefall (Lippen, Wangenschleimhaut und Zunge).

Klinisches Bild

Plötzlicher Beginn ohne wesentliche Prodromi. Innerhalb von 48-72 Std. Ausbildung eines disseminierten, im Bereich von Ellenbogen oder Knie auch gruppiert auftretenden, symptomlosen oder leicht brennenden bis juckenden, meist symmetischen Exanthems. Das Exanthem entwickelt sich schnell und schubartig innerhalb einiger Tage mit wenigen bis zu hunderten Läsionen. Eine lineare Anordnung der Läsionen ist möglich.  

Initial finden sich 0,1-0,3 cm große rötliche Papeln, die sich innerhalb von 24 Std. bis  zu einigen Zentimetern großen Plaques ausdehnen. Ihre Farbe ist rötlich-livid, auch hämorrhagisch. Das Zentrum kann einsinken, Rückbildungstendenz zeigen, aber auch eine gegenteilige Entwicklung zeigen, intensivieren mit Purpurakomponente oder Blasenbildung. Durch Aktivitätsschübe die vom Zentrum ausgehen entwickeln sich konzentrische Ringe (Schießscheibenphänomen -Assoziation mit Kokarden). Die Läsionen des EM bilden keine Nekrosen aus und heilen narbenlos innerhalb weniger Tage bis Wochen aus. 

Histologie

Das histologische Bild entspricht dem der klassischen akuten zytotoxischen Interface-Dermatitis.

Zu unterscheiden sind:

  • Frühes Stadium: Korbgeflechtartiges orthokeratotisches Stratum corneum, Ödem des Papillarkörpers mit schütterem lymphozytärem Infiltrat, vereinzelt eosinophile Granulozyten, deutliche Exozytose mit Verdichtung der Lymphozyten in den unteren Epithelschichten. Wenige dyskeratotische Keratinozyten (amorphes eosinophiles Zytoplasma bei pyknotisch kondensierten Kernen). Deutliche hydropische Degeneration der unteren Epithelzelllagen.
  • Späteres Stadium: Korbgeflechtartiges orthokeratotisches Stratum corneum, ausgeprägtes intra- und subepidermales Ödem bis hin zur subepithelialen Blasenbildung; vakuoläre Degeneration der Epidermis. Kräftiges lymphozytäres Infiltrat mit unterschiedlicher Beimengung von eosinophilen Granulozyten. Zahlreiche dyskeratotische Keratinozyten, die auch zu Nestern aggregiert sein können.

Differentialdiagnose

  • Klinisch:
    • Akute febrile neutrophile Dermatose (Sweet-Syndrom): In der Frühphase der Erkrankung klinisch-morphologisch ähnlich. Jedoch fehlen beim Sweet-Syndrom die Erythema exsudativum multiforme-Kokarden. Stets Fieber, schweres Krankheitsgefühl und neutrophile Leukozytose.
    • Polymorphe Lichtdermatose: Nach UV-Exposition auftretend (Sonnenmuster!); heftiger Juckreiz, nie Beteilung der Schleimhäute.
    • Akute Urtikaria: Klinische Bestimmung der Quaddel (Flüchtigkeit durch Markierung belegen). Keine Erythema exsudativum multiforme-Kokarden.
    • Urtikariavaskulitis: Ausgesprochen schubweise Chronizität. Durch Fieberschübe begleitetes, kleinfleckiges, makulo-papulöses, juckendes oder schmerzendes Exanthem. Neutrophile Leukozytose ist möglich. Häufig Arthralgien und Arthritiden; keine Erythema exsudativum multiforme-Kokarden. Lymphknotenschwellungen. Evtl. positive ANA und Zeichen des systemischen Lupus erythematodes. Histologisch sind Zeichen der Vaskulitis diagnostisch.
    • Subakut-kutaner Lupus erythematodes: Insbesondere bei hochakutem Verlauf mit disseminierten Plaques kann ein dem Erythema exsudativum multiforme ähnliches Bild entstehen. Histologie und Immunhistologie sind diagnostisch.
    • Arzneimittelexanthem (makulo-papulös): Keine reale DD, da Erythema exsudativum multiforme durch Arzneimittel ausgelöst werden kann. Ein makulo-papulöses Arzneimittelexanthem kann dann diagnostiziert werden, wenn ein Zusammenhang mit geänderter oder interkurrenter Arzneimittelgabe hergestellt werden kann.
    • Bullöses Pemphigoid: In einigen Fällen, inbes. in der Initialphase des bullösen Pemphigoid können die wegweisenden Blasen fehlen. Damit entfällt das klinische Leitsymptom "pralle (feste) Blase" und die klare klinische Zuordnung zu den blasenbildenden Erkrankungen. Histologie und IF sind beweisend.
    • Stevens-Johnson-Syndrom: Initial fieberhafte, katarrhalische Prodromalerscheinungen, generalisierte Lymphadenopathie, Leber- und Milzbeteiligung. Stets Schleimhauterscheinungen. Hauterscheinungen mit unterschiedlichem Ausmaß: von wenigen atypischen Kokarden mit maximal zwei Zonen bis hin zu einem großflächigen, scarlatiniformen Exanthem. Das Stevens-Johnson-Syndrom zeigt im Gegensatz zum EEM  keine(!) schießscheibenartigen Effloreszenzen, sondern atypische Kokarden mit maximal zwei Zonen. Zudem kann es im Gegensatz zum Erythema multiforme in eine toxische epidermale Nekrolyse (TEN) übergehen.
  • Histologisch:

    Merke! Es bestehen fließende Übergänge zwischen Erythema exsudativum multiforme, Stevens-Johnson-Syndrom und Toxischer epidermaler Nekrolyse. Histologisch müssen alle Krankheiten mit (gelegentlicher) subepidermaler Blasenbildung beachtet werden ( Dermatitis solaris, Graft-versus-Host-Disease, Iktus, Lichen planus bullosus, Lichen sclerosus et atrophícus, Polymorphe Lichtdermatose, systemische Amyloidose, Porphyria cutanea tarda).

    • Toxische epidermale Nekrolyse (TEN): Subepidermale Blase, breite Nekrose der gesamten Epidermis, ausgeprägtes dermales Ödem. Nur geringe, diffuse Lymphozyteninfiltration; Erythrozytenextravasate.
    • Staphylococcal Scalded Skin Syndrome (SSSS): Wie zuvor bei TEN; Blasenbildung jedoch subkorneal.
    • Arzneimittelreaktion, fixe: Interface-Dermatitis mit zahlreichen apoptotischen Keratinozyten, lichenoide und perivaskuläre Entzündungsreaktion der oberen und mittleren (meist auch der tiefen) Dermis; meist ausgeprägte Pigmentinkontinenz.
    • Graft-versus-Host-Disease, akute: Apoptotische Keratinozyten, evtl. subepitheliale Blasenbildung, lichenoides Infiltrat, eosinophile Granulozyten.
    • Urtikaria: Nur geringes Infiltrat; keine apoptotische Keratinozyten.
    • Pityriasis lichenoides et varioliformis acuta: Interface-Dermatitis mit unregelmäßiger Akanthose, zweischichtigem Aufbau des Str. corneums mit korbgeflechtartiger Orthokeratose über durchgehender Parakeratosezone. In der Dermis eher keilförmiges, perivaskuläres oder auch interstitielles Infiltrat aus Lymphozyten.
    • Erythema elevatum diutinum: Seltene Erkrankung! Im frühen Stadium immer Zeichen der leukozytoklastischen Vaskulitis mit Leukozytoklasie und Kernstaub sowie Fibrin in den Gefäßwänden. Epidermis und Hautanhangsgebilde bleiben unbeteiligt.

Therapie

Es handelt sich um eine akute, selbstlimierte Erkrankung. Insofern ist eine symptomatische Therapie i.A. ausreichend.

Externe Therapie

Meist genügt eine Lokalbehandlung mit Lotio alba. Bei stärkerem Juckreiz und ausgeprägtem Hautbefall sind mittelstarke Glukokortikoid-haltige Externa wie 0,1% Triamcinolon-Creme (z.B. Triamgalen, Delphicort,Triamcinolonacetonid-Creme hydrophile 0,025/0,05/0,1% (NRF 11.38.), oder 0.05-1% Betamethason-Emulsion (z.B. Betagalen®, Betnesol, Betamethasonvalerat-Emulsion hydrophile 0,025/0,05 oder 0,1% (NRF 11.47.) angezeigt. Bei Befall der Mundschleimhaut Mundspülungen mit antiphlogistischen Präparaten (z.B. Kamillenextrakten).

Interne Therapie

Bei ausgeprägter Symptomatik systemische Glukokortikoide wie Prednison (z.B. Decortin Tbl.) 50-75 mg/Tag. Zusätzlich bei Juckreiz Antihistaminika, z.B. Desloratadin (Aerius), Levocetirizin (Xyzall), Cetirizin (Zyrtec) p.o. Bei häufigen (postherpetischen) Rezidiven ist eine orale Prophylaxe mit Aciclovir über 1 Jahr angezeigt (10 mg/kg KG/Tag) (Evidenzlevel: IB).

Verlauf/Prognose

Günstig. Selbstlimitierender Verlauf mit kompletter Abheilung nach 10 bis 14 Tagen.

Rezidivierender Verlauf ist möglich, wobei unregelmäßiges Auftreten von meist 1-2 Rezidiven/Jahr, seltener häufiger (bis zu 10 Rezidive/Jahr) beobachtet wird.

Häufigere Episoden werden bei Immunsupprimierten beobachtet.

Einige Patienten rezidivieren 1 mal/Jahr im Frühjahr.

Hinweis(e)

Je nach Expressivität, Schwere und Lokalisation der Haut- und Schleimhautveränderungen wurden in der Vergangenheit unterschiedliche Begriffe verwendet, deren Eigenständigkeit heute bezweifelt wird:

  • Erythema multiforme major
  • Dermatostomatitis Baader
  • Stevens-Johnson-Fuchs-Syndrom (Syndroma muco-cutaneo-oculare Fuchs)
  • Fiessinger-Rendu-Syndrom (Ectodermose érosive pluriorificielle).

Diese Varianten werden heute zusammen mit dem Stevens-Johnson-Syndrom und der toxischen epidermalen Nekrolyse (TEN) als ein eigenes Krankheitsspektrum mit unterschiedlichen Schweregraden aufgefasst.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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Zuletzt aktualisiert am: 09.12.2024