Synonym(e)
Definition
Seltene, durch zunehmende Trockenheit der Schleimhäute (Sicca-Syndrom: "dry eye, dry mouth") gekennzeichnete, autoimmunologische Erkrankung, die durch eine chronische, progrediente Entzündung und Insuffizienz exokriner Drüsen gekennzeichnet ist. Das Syndrom kann wie folgt unterteilt werden:
- primäres Sjögren-Syndrom: Ursache unbekannt, ist nicht mit Kollagenosen assoziiert. Klassifikationskriterien für das primäre Sjögren Syndrom wurden 2016 von der American College of Rheumatology/European League against Rheumatism) (ACR/EULAR) festgelegt, s.unter Einteilung.
- sekundäres Sjögren Syndrom: ist mit anderen Erkrankungen assoziiert: rheumatoide Arthritis (M06.99) und andere Kollagenosen, ferner bei Hepatitis B (B16.9) und C (B17.1) und Primär biliäre Zirrhose (K74.3).
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Einteilung
Primäres Sjögren-Syndrom (beim Erwachsenen): Assoziation in 1/3 der Fälle mit extraglandulären Symptomen, wie Arthralgien (selten nicht deformierende, rezidivierende Arthritis), Vaskulitis, Polyneuropathie, selten ZNS-Symptomatik (Krampfanfälle, Psychosen), interstitieller Nephritis, renal tubulärer Azidose, Serositis, Entwicklung eines B-Zell- oder Pseudolymphoms. In der Regel Nachweis antinukleärer Antikörper, Anti-SS-A und/oder Anti-SS-B sowie HLA-DR3. Primäres Sjögren-Syndrom (bei Kindern; selten): Assoziation mit Hashimoto-Thyreoiditis, Anti-SS-A und/oder Anti-SS-B-Antikörpern, sowie rezidivierenden anulären Erythemen.
Zur Diagnosesicherung s. Klassifikationskriterien ACR/EULAR (2016):
Einschlußkriterien:
- Gefühl trockener Augen über 3 Monate; Gefühl von Sand/Gries im Auge; Gebrauch von > 3 x / Tag Tränenersatzflüssigkeit; Gefühl trockener Mund über 3 Monate; häufiges Trinken um trockene Speisen schlucken zu können
- sofern diese Punkte mind 1 x positiv beantwortet werden - Ausschlußkriterien abklären (Radiatio, Hepatitis C aktiv, AIDS, Sarkoidose, Amyloidose, Graft versus host reaction
- Sofern mind 1 Einschlußkriterium vorhanden ist und keine Ausschlußkriterien vorliegen, weiter zu Klassifikationskriterien
- Histologie der Lippenspeicheldrüse: Fokale lymphozytäre Sialadenitis und Fokus Score größer gleich 1 (3 Punkte)
- SS-A/Ro-Antikörper (3 Punkte)
- pathologischer Befund in der Lissamingrün-oder Fluorescein-Färbung mind. an einem Auge (1 Punkt)
- pathologischer Schirmer-Test kleine gleich 5 mm nach 5 Minuten an mind. einem Auge (1 Punkt)
- unstimulierte Speichelflussrate kleiner gleich 0,1 ml/Minute (1 Punkt)
- wenn hier mind. 4 Punkte erreicht werden, handelt es sich um ein primäres Sjögren-Syndrom (Sensitivität 96 %; Spezifität 95%)
Sekundäres Sjögren-Syndrom:
- Im Rahmen entzündlicher oder infektiöser Erkrankungen (rheumatoide Arthritis, Kollagenosen, Lungenfibrose, primär-biliäre Zirrhose) mit nachweisbaren Antikörpern gegen Speicheldrüsenausführungsgänge. Es finden sich gehäuft Assoziationen zu einer chronischen Hepatitis C-Infektion.
Vorkommen/Epidemiologie
Die Prävalenz des primären Sjögren-Syndroms (pSS) liegt zwischen 1:100 und 1:1000 und ist damit die häufigste Bindegewebserkrankung (Witte T 2019).
Ätiopathogenese
Vermutlich genetisch determinierte Autoimmunkrankheit. Assoziationen mit vermehrter Expression von ICAM1 und HLA-DR Antigen in konjunktivalen Epithelien sind beschrieben. Bildung von zirkulierenden Immunkomplexen führt zu Vaskulitiden. Weiterhin kann in größeren Kollektiven eine Assoziation mit einer chronischen Hepatitis C-Infektion (13,4% der Patienten) nachgewiesen werden. In dieser Konstellation kann gleichzeitig gehäuft eine gemischte Kryoglobulinämie nachgewiesen werden.
Klinisches Bild
Schleichender Beginn. Rezidivierende druckdolente Speicheldrüsenschwellung. Xerostomie verbunden mit Dysphagie. Trockene, zur Verhornung neigende Schleimhäute im Genital- und Analtrakt. Austrocknung des Auges (Xerophthalmie) mit Keratokonjunktivitis sicca ( Schirmer-Test). Trockene Nasenschleimhaut, ggf. mit Epistaxis, rezidivierende Parotisschwellung, Sebostase (Sicca-Syndrom), Keratitis filiformis sicca.
Systemisch: Pankreatitis, primär biliäre Leberzirrhose, interstitielle Nephropathie, (Poly)Myositis, chronische Bronchitis können assoziiert sein. Weiterhin: Raynaud-Syndrom (40%), Arthritis (70%), Lymphadenopathie (20%), Ösophagitis, Neigung zu Allergien und glutensensitiver Sprue (10x häufiger).
Dermatologische Assoziationen:
- Hypohidrose, gerötete, schuppende Haut,
- Anuläre, noduläre, Erythema exsudativum multiforme-artige Exantehem
- Pernio-artige Läsionen
- Sprödes, schütteres Haar und Nagelwachstumsstörungen
- Pellagroide Veränderungen
- Vitiligo
- Raynaud-Phänomen
- Knotige kutane Amyloidose.
Koinzidenz mit primär chronischer Polyarthritis (rheumatoide Arthritis), progressiver systemischer Sklerodermie, systemischem Lupus erythematodes oder Polyarteriitis nodosa (ca. 50% der Fälle) können vorhanden sein.
Als Sonderform muss das primäre Sjögren-Syndrom bei Kindern aufgefasst werden. Hier imponieren rezidivierende anuläre Erytheme im Gesicht und am Stamm begleitet von intermittierendem Fieber und einer Hashimoto-Thyreoiditis. Das Sicca-Syndrom fehlt initial.
Labor
BSG und CRP deutlich erhöht
IgG-, IgM-Erhöhung
ANA positiv (80% der Fälle)
RO-Antikörper (SS-A) und LA-Antikörper (SS-B) positiv (85% bzw. 35%)
U1-RNP- Antikörper positiv (30%)
Rheumafaktoren positiv
Fakultativ nachweisbar: Antikörper gegen Epithelzellen der Schleimdrüsen; weiterhin: Muskarin-Antikörper (Anti-M3), Antikörper gegen zytoplasmatische Antigene; Anti-alpha-Fodrin-Antikörper.
Ggf. Kryoglobulinämie; positiver Rheumafaktor. Seltener Nachweis von Schilddrüsenantikörpern
Histologie
Chronische lymphozytäre Sialadenitis mit Fibrose und konsekutiver Verödung des Drüsenparenchyms. Objektivierung der Sialadenitis durch den sog. Fokus Score: Anzahl lymphozytärer Foci (definiert als Infiltratherd mit >50 Lymphozyten) werden in 4 mm² Drüsengewebe ausgezählt. Der Schwellenwert für einen positiven Focus = 1). Atrophie der Drüsenacini; es verbleiben Reste von dilatierten Ausfürhungsgängen.
Diagnose
Schirmer-Test (verminderte Tränensekretion), Rose-Bengal-Test (verminderte Anfärbung), Sialographie, Lippenbiopsie.
Fragenkatalog nach Vitali/Klassifikationskriterien s. Tabellen 1 und 2.
Für das primäre Sjögren-Syndrom besteht eine > 90%ige diagnostische Sensitivität und Spezifität, wenn 4 der 6 Kriterien zutreffen, wobei der Autoantikörper-Nachweis auf Anti-SS-A und -B beschränkt wird.
Für das sekundäre Sjögren-Syndrom besteht eine > 90%ige diagnostische Spezifität im Vergleich zu einer Kollagenose-Gruppe ohne Sicca-Syndrom, wenn das 1. oder 2. Kriterium plus 2 der Kriterien 3, 4 und 5 zutreffen (Kriterium 6 ist obligat positiv).
Ausschluss-Kriterien: Vorbestehendes Lymphom, AIDS, Sarkoidose, Graft-versus-Host-Disease.
Differentialdiagnose
Mikulicz-Syndrom (kein Nachweis von SS-A- bzw. SS-B-Antikörpern
Erythema anulare centrifugum: es fehlen die systemischen Symptome des Sjögren-Syndroms (Sicca-Syndrom: "dry eye, dry mouth).
Anuläre Urtikaria: es fehlen die systemischen Symptome des Sjögren-Syndroms (Sicca-Syndrom: "dry eye, dry mouth).
Andere figurierte Exantheme (Erythema anulare rheumaticum, Erythema papulatum cemtrifugum)
Komplikation(en)
Entwicklung eines neonatalen Lupus erythematodes bei Neugeborenen von Mütter mit SSA/Ro- und SSB/La-Antikörpern; Vaskulitiden (in 10% der Fälle), maligene Lymphome (MALT-NHL in etwa 5% der Fälle auch Marginalzonen-Lymphome).
Externe Therapie
Symptomatische Therapie der einzelnen Erscheinungen.
- Keratokonjunktivitis sicca oder Keratitis superficialis punctata: Substitution der Tränenflüssigkeit durch Augentropfen oder -gele, s. Tabelle 3. Ggf. Anwendung von Verbandslinsen (Okklusionslinsen) oder Tränenkanalstöpseln (Punctum Plugs).
Merke! Regelmäßige augenärztliche Mitbetreuung, um Komplikationen wie Hornhautulzera, Bulbusperforation, Infektionen und Schrumpfung der Konjunktiven zu verhindern!
- Xerostomie: Künstliche Speichelpräparate, z.B. Glandosane aromatisiert und neutral oder R236 , Citronensäure-Glycerol 0,5/1 oder 2% (NRF 7.4.), R066 bei Bedarf mehrmals tgl. auf Mund- und Rachenschleimhaut auftragen oder aufsprühen. Weiterhin sind Mundspülungen mit Glycerinwasser und Kaugummikauen empfehlenswert.
- Lubricatio deficiens: Die im Rahmen des Sjögren-Syndroms auftretende Trockenheit der Genitalschleimhäute kann insbesonders beim Geschlechtsverkehr Probleme bereiten. Zur Lokaltherapie stehen z.B. Gleitgele, Emulsionen oder das unter NRF 25.3. geführte Vaginalgel pH 5 zur Verfügung, die vor dem Geschlechtsverkehr dünn auf den Scheideneingang aufgetragen werden. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die Sicherheit von Kondomen beeinträchtigt werden kann.
- Trockene Nasenschleimhäute: Zur symptomatischen Therapie der Rhinitis sicca stehen verschiedene Tropfen und Salben (z.B. R181 , Nisita Nasensalbe, Bepanthen), Emulsionen sowie Öle (z.B. Coldastop) zur Verfügung, die mehrmals tgl. in den Naseneingang eingebracht werden können.
Verlauf/Prognose
Das primäre Sjögren-Syndrom ist durch einen chronischen, meist gutartigen Verlauf gekeennzeichnet.
Eine erhöhte Mortalität resultiert aus einer erhöhten Lymphominzidenz (5%) und einer Organbeteiligug (4x erhöhtes Mortalitätsrisiko bei Lungenbeteiligung. Die Prognose des sekundären Sjögren-Syndroms wird von der Prognose der zugrundliegendeen Erkrankung definiert.
Tabellen
Fragenkatalog zur Erfassung von Augen- und Mundtrockenheit beim Sjögren-Syndrom (nach Vitali)
American-European-Consensus-Group (AECG)-Kriterien
Ein sicheres primäres Sjögren-Syndrom wird angenommen., wenn mindestens 4 Kriterien, davon mindestens 1 der Kriterien 4 und 6 positiv sind. Das sichere sekundäre Sjögren-Syndrom erfordert den Nachweis von Kriterium 1 oder 2 sowie zusätzlich 2 weitere positive Kriterien (nur Kriterium 3,4,5) |
Übersicht der wichtigsten, zur Substitution von Tränenflüssigkeit geeigneten Fertigarzneimittel
Substanz |
Konzentration |
Applikationsform |
Dosierung |
Präparat |
Hydroxyethylcellulose |
2% |
Tropfen |
3-4mal 1 Trp./Tag |
Lacrigel Augentropfen |
|
||||
Hypromellose |
0,3% |
Tropfen |
3-6mal 1 Trp./Tag |
Sicca-Stulln Augentropfen |
Artelac Augentropfen |
||||
Sic-ophthal sine Augentropfen |
||||
|
||||
Polyvinylalkohol |
1,4% |
Tropfen |
3-6mal 1 Trp./Tag
|
Lacrimal OK Augentropfen |
Liquifilm N Augentropfen |
||||
|
||||
Carbomer / Mannitol |
0,3% / 5% |
Gel |
4-6mal 1 Trp./Tag |
Thilo-Tears Gel |
|
||||
Polyacrylsäure / Sorbitol / Cetrimid |
0,2% / 4% / 0,01% |
Gel |
4-8mal 1 Trp./Tag |
Vidisic Gel |
|
||||
Hypromellose / Glyzerin / Polyvidon |
0,2% / 1% / 2% |
Tropfen |
3-6mal 1 Trp./Tag |
Lacrisic Augentropfen |
|
||||
Hypromellose / Dextran |
0,3% / 0,1% |
Tropfen |
3-6mal 1 Trp./Tag |
Isopto Naturale Augentropfen |
|
||||
Polyvinylalkohol / Dexpanthenol |
1,4% / 3% |
Tropfen
|
3-6mal 1 Trp./Tag |
Siccaprotect Augentropfen |
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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