Synonym(e)
Definition
Anfallsartig auftretende, mit Taubheit (45% d. Pat.), Kribbelparästhesien (20% d. Pat.) und Schmerzen (60% d. Pat.) einhergehende, meist symmetrische, aber auch asymmetrische oder isolierte, funktionelle, digitale Gefäßspasmen, die primär idiopathisch oder sekundär bedingt sein können und sich durch Wärmeeinfluss oder Medikamente wieder lösen können.
Der Begriff "Raynaud-Phänomen" ist gleichzusetzen mit Raynaud-Syndrom und bedarf keiner eigenen Bewertung.
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Einteilung
Primäres Raynaud-Syndrom (>50%) - begrifflich gleichzusetzen mit Morbus Raynaud. Durch Kälte und emotionalem Stress ausgelöste Vasospasmen der Finger bis max. 30 Min. Dauer.
Sekundäres Raynaud-Syndrom (Raynaud-Phänomen): gleichartige Symptomatik bei symmetrischem/asymmetrischem Befall meist verbunden mit Erkrankungen aus dem Formenkreis der sog. Kollagenosen.
Auch das paraneoplastische Raynaud-Syndrom gehört zu dieser Gruppe. Es ist assoziiert mit Lungenkarzinomen Karzinomen der Ovarien und des Uterus (Lai TS et al. 2020; Lokineni S et al. 2021).
Vorkommen/Epidemiologie
Die Prävalenz in der dt. Bevölkerung beträgt ca. 8-10%; in Schweden ca. 20%, in der Schweiz ca. 20-30%.
Manifestation
Lokalisation
V.a. sind die Digiti II-V der Hand betroffen, seltener auch die Zehen. Die Daumen sind meist ausgespart, ebenso Handrücken und Handflächen.
Klinisches Bild
Meist bilaterale Anfallssymptomatik mit initaler Zyanose gefolgt von anfallsartiger Weißfärbung, die in eine überschießende Rötung übergeht. Bei 1/3 der Patienten kommt es aber nur zu einer anfallsartigen Zyanose oder nur zu einer Weißverfärbung der Finger.
Differentialdiagnose
Abzugrenzen sind dauerhafte akrale Ischämien ohne Anfallscharakter.
Embolie (Ischämiedauer > 30 Min.)
PAVK (DD und eine der Ursachen des Sekundären Raynaud-Syndroms)
Isolierte Akrozyanose (schmerzlose, nit attackenartig auftretende zyanotische Verfärbung der Finger)
Systemische Sklerose vom Typ der Akrosklerodermie (neben Vasospasmen der Finger flächige digitale Schwellungen und Inudurationen, sklerotische Nagelfalze, sonstige Zeichen der PSS mit Antikörpernachweis/Centromer-Ak; SCL70-Ak)
Therapie allgemein
- Abklärung und ggf. Behandlung einer Grunderkrankung. Ansonsten symptom- und phasenorientierte prophylaktische Maßnahmen: Schutz vor Kälteeinwirkung, Tragen warmer Kleidung, ggf. auch Taschenwärmer oder beheizbare Handschuhe.
- Rauchverbot (vasokonstriktorische Wirkung des Nikotins).
- Keine Verordnung von clonidin-, ergotamin- bzw. epinephrinhaltigen Pharmaka.
- Physiotherapie: Roborierende Maßnahmen wie wechselwarme Handbäder mit abwechselnd Zimmertemperatur (nicht zu kalt!) und 37 °C. Alternativ Fingerübungen, z.B. Fangokneten oder Kneten von angewärmter Hirse (ganze Körner!) mit einigen Tropfen Olivenöl.
- Bei manchen Patienten ist Erhöhung der Fingertemperatur auch durch Bio-Feedback Übungen oder Autogenes Training möglich.
Merke! Physikalische Therapien wie wechselwarme Handbäder, Fangokneten, Kneten warmer Hirse sind bei Raynaud-Symptomatik hilfreich!
Externe Therapie
Isosorbiddinitrat-Salbe früher Isoket Salbe, diese ist aus dem Handel genommen, deshalb ggf. Rectogesic entsprechend der chronischen Analfissur, s. dort. oder als Ausweichpräparat magistrale Rezeptur mit Diltiazem 2 % als Creme (NRF 5.7) oder Gel (NRF 5.6). Die gefäßerweiternden Cremes können auch zzur Blutdrucksenkung, Kopfschmerz führen, allerdings weniger ausgeprägt wie bei systemischer gefäßmodulierender Therapie. Anwendung als Monotherapeutikum oder zusätzlich zur internen Therapie.
Bei Bagatellverletzungen frühzeitig desinfizierende Maßnahmen wie Polyvidon-Jod (z.B. Braunovidon Salbe).
Als angenehm empfunden sind warme Paraffin-Bäder der Hände (Bemerkung: hierzu genügt ein einfaches und preiswertes Paraffin-haltiges Körperöl; Badezeit 5-8Min.).
Interne Therapie
- Einsatz von vasoaktiven Substanzen.
- Calciumantagonisten (gelten als Goldstandard): Therapie der 1. Wahl ist Nifedipin (z.B. Adalat 5) 10-20 mg je 3x /Tag p.o. als Monotherapie oder in Kombination mit Pentoxifyllin (z.B. Trental) 600 mg/Tag p.o.; Steigerung der Nifedipin-Dosis auf bis zu 3-4mal/Tag 10 mg p.o. Cave! Orthostatische Dysregulationen bei Nifedipin! Langfristige Gabe von Pentoxifyllin begünstigt Hautblutungen!
- Alternativ Diltiazem (z.B. Dilzem Tbl.) 60-120 mg/Tag p.o. oder Verapamil (z.B. Isoptin 80) 240-320 mg/Tag p.o.
- Weitere mögliche Therapieschemata:
- ACE-Hemmer und Angiotensin 1-Rezeptorantagonisten: Mehrere Studien mit den ACE-Hemmern Captopril (25 mg/Tag) und Enalapril (20 mg/Tag) zeigten teils gute, teils widersprüchliche Resultate. Losartan (Angiotensin 1-Rezeptorantagonist) besaß in einer randomisierten Studie einen vergleichbaren Effekt wie 40 mg Nifedipin/Tag.
- Alpha 1-Rezeptorenblocker: Prazosin (z.B. Minipress) initial einschleichend 1 mg p.o. nachts, ggf. zusätzlich morgens, langsame Steigerung auf Erhaltungsdosis von 4 mg/Tag.
- Prostacycline (Evidenzlevel A): z.B. Iloprost (Ilomedin) 0,5-2,0 ng/kg KG/Min. Die täglich empfohlene Infusiondauer beträgt 6-8 Std. Therapiedauer: 3-5 Tage. Therapiezyklen werden nach 3 Monaten wiederholt.
- Prostavasin (Datenlage unklar): Bei manifester oder drohender Gangrän! Effektives aber aufwändiges Verfahren zur Besserung der akralen Durchblutung. Dosierung: Prostaglandin E1 (z.B. Prostavasin) 20 μg/Std. i.v. über 3 Std.
- Östrogene: Bei Verschlechterung der Symptomatik während der Menses und in der Menopause perorale Gabe von Östrogenen (z.B. Trisequens) durch Gynäkologen.
- Endothelin-Antagonisten ( Bosentan): Hoffnungsvoller Ansatz, derzeit in Multizenter-Studie. Dosierung: Tracleer 2mal/Tag 125 mg p.o.
- PDE-5-Hemmer: In schweren Fällen von therapierefraktären akralen Ulzerationen kommt eine Therapie mit dem oral zu verabreichenden Sildenafil (Viagra) in einer Dosierung von 20-80 mg/Tag in Betracht. In Einzelfällen kann kann Iloprost mit Sildenafil kombiniert werden.
Operative Therapie
Tabellen
Mitauslösende Ursachen des Sekundären Raynaud-Syndroms:
- Bindegewebserkrankungen
- Progressive systemische Sklerodermie, Rheumatoide Arthritis, Systemischer Lupus erythematodes, Sjögren-Syndrom, Dermatomyositis/Polymyositis
- Arterielle Verschlusskrankheiten
- Arteriosklerose, Endangiitis obliterans, Polyarteriitis nodosa, Embolien, Thrombosen
- Schultergürtel-Arm-Syndrome
- Halsrippensyndrom, Syndrom der 1. Rippe, Skalenussyndrom, Kostoklavikularsyndrom, Hyperabduktionssyndrom, Pectoralis-minor-Syndrom, Malpositionssyndrom, Syndrom der engen oberen Thoraxapertur, Klippel-Feil-Syndrom, Kombinationsformen
- Hämatogene Erkrankungen
- Kälteagglutinine, Kältehämolysine, Kryoglobulinämie, Makroglobulinämie (Waldenström), Paroxysmale Hämoglobulinurie, Hyperviskositätssyndrom, Thrombozytose, Polyzythämie, Thrombotische Mikroangiopathie
- Neurologische Erkrankungen
- Neuritis, Poliomyelitis, multiple Sklerose, Syringomyelie, Nucleus-pulposus-Prolaps, spinale Tumoren, Karpaltunnelsyndrom, Hemiplegie
- Intoxikationen
- Mutterkornalkaloide (Ergotismus), Pilzgifte (Faltentintling), Vinylchloridderivate (Vinylchloridkrankheit), Trichlorethylen
- Chronische Beschäftigungstraumen
- Vibrationssyndrome bei Arbeiten mit Presslufthämmern, Motorsägen, Gehen auf Krücken etc.
- Traumata
- Lokale Gefäßverletzungen, posttraumatisch, Kälteschaden
- Medikamentös
- Clonidin, Sympathikomimetika, ACE-Hemmer, hormonelle Antikonzeptiva, Betarezeptorenblocker, Sekalealkaloide (Ergotismus), Bleomycin, Vincristin, Ciclosporin
- Sonstige
- Operationen, Sudecksche Atrophie, Dialyse
Tabellen
Vasoaktive Medikamente zur Therapie des M. Raynaud (modifiziert nach Braun-Falco et al.)
Medikament |
Wirkmechanismus |
Anfangsdosis/Tag |
Captopril |
ACE-Hemmer |
75 mg |
Phenoxybenzamin |
Blockiert alpha 1-Rezeptoren |
20 mg |
Prazosin |
Blockiert alpha-Rezeptoren |
3 mg |
Propranolol |
Blockiert beta-Rezeptoren |
160 mg |
Nifedipin |
Blockiert Kalziumkanäle der Zellmembran |
10 mg |
Diltiazem |
Blockiert Kalziumkanäle der Zellmembran |
180 mg |
Verapamil |
Blockiert Kalziumkanäle der Zellmembran |
240 mg |
Prostaglandin E1 |
Vasodilatation |
20 μg |
Phytotherapie extern
Naturheilkundlich wird ofiizinelles Rosmarinöl empfohlen, das als Externum mehrfach täglich auf die betroffenen Hände aufgetragen wird (von Schoen-Angerer T et al. 2018).
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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