Raynaud-Syndrom I73.0

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Digitus mortuus; Extremitätengangrän symmetrische; Leichenfinger; Morbus Raynaud; Primäres Raynaud-Syndrom; Raynaud-Phänomen; Raynaud phenomenon; Raynaud's phenomenon; Raynaud-Symptomenkompex; Raynaud Symptomenkomplex; Raynaud-Syndrom; Reilscher Finger; RS; Sekundäres Raynaud-Syndrom; Totenfinger; Weißfingerkrankheit

Erstbeschreiber

Raynaud, 1862

Definition

Anfallsartig auftretende, mit Taubheit (45% d. Pat.), Kribbelparästhesien (20% d. Pat.) und Schmerzen (60% d. Pat.) einhergehende, meist symmetrische, aber auch asymmetrische oder isolierte, funktionelle, digitale Gefäßspasmen, die primär idiopathisch oder sekundär bedingt sein können und sich durch Wärmeeinfluss oder Medikamente wieder lösen können.

Der  Begriff "Raynaud-Phänomen" ist gleichzusetzen mit Raynaud-Syndrom und bedarf keiner eigenen Bewertung. 

Einteilung

Primäres Raynaud-Syndrom (>50%) - begrifflich gleichzusetzen mit Morbus Raynaud. Durch Kälte und emotionalem Stress ausgelöste Vasospasmen der Finger bis max. 30 Min. Dauer.

Sekundäres Raynaud-Syndrom (Raynaud-Phänomen): gleichartige Symptomatik bei symmetrischem/asymmetrischem Befall meist verbunden mit Erkrankungen aus dem Formenkreis der sog. Kollagenosen.  

Auch das paraneoplastische Raynaud-Syndrom gehört zu dieser Gruppe. Es ist assoziiert mit Lungenkarzinomen Karzinomen der  Ovarien und des Uterus (Lai TS et al. 2020; Lokineni S et al. 2021).  

 

Vorkommen/Epidemiologie

Die Prävalenz in der dt. Bevölkerung beträgt ca. 8-10%; in Schweden ca. 20%, in der Schweiz ca. 20-30%.

Ätiopathogenese

Vasospasmen ausgelöst durch Kälte, emotionalen Stress, lokale Kompressionsphänomene.

Manifestation

Zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr (durchschnittlich 36 Jahre) auftretend. Selten sind Erstmanifestationen bereits im Kindesalter oder nach dem 65. Lebensjahr. Frauen sind 5mal häufiger als Männer betroffen.

Lokalisation

V.a. sind die Digiti II-V der Hand betroffen, seltener auch die Zehen. Die Daumen sind meist ausgespart, ebenso Handrücken und Handflächen.

Klinisches Bild

Meist bilaterale Anfallssymptomatik mit initaler Zyanose gefolgt von anfallsartiger Weißfärbung, die in eine überschießende Rötung übergeht. Bei 1/3 der Patienten kommt es aber nur zu einer anfallsartigen Zyanose oder nur zu einer Weißverfärbung der Finger.

Differentialdiagnose

Abzugrenzen sind dauerhafte akrale Ischämien ohne Anfallscharakter.

Embolie (Ischämiedauer > 30 Min.)

PAVK (DD und eine der Ursachen des Sekundären Raynaud-Syndroms)

Isolierte Akrozyanose (schmerzlose, nit attackenartig auftretende zyanotische Verfärbung der Finger)

Systemische Sklerose vom Typ der Akrosklerodermie (neben Vasospasmen der Finger flächige digitale Schwellungen und Inudurationen, sklerotische Nagelfalze, sonstige Zeichen der PSS mit Antikörpernachweis/Centromer-Ak; SCL70-Ak

Therapie allgemein

  • Abklärung und ggf. Behandlung einer Grunderkrankung. Ansonsten symptom- und phasenorientierte prophylaktische Maßnahmen: Schutz vor Kälteeinwirkung, Tragen warmer Kleidung, ggf. auch Taschenwärmer oder beheizbare Handschuhe.
  • Rauchverbot (vasokonstriktorische Wirkung des Nikotins).
  • Keine Verordnung von clonidin-, ergotamin- bzw. epinephrinhaltigen Pharmaka.
  • Physiotherapie: Roborierende Maßnahmen wie wechselwarme Handbäder mit abwechselnd Zimmertemperatur (nicht zu kalt!) und 37 °C. Alternativ Fingerübungen, z.B. Fangokneten oder Kneten von angewärmter Hirse (ganze Körner!) mit einigen Tropfen Olivenöl.
  • Bei manchen Patienten ist Erhöhung der Fingertemperatur auch durch Bio-Feedback Übungen oder Autogenes Training möglich.

Merke! Physikalische Therapien wie wechselwarme Handbäder, Fangokneten, Kneten warmer Hirse sind bei Raynaud-Symptomatik hilfreich!

Externe Therapie

Isosorbiddinitrat-Salbe früher Isoket Salbe, diese ist aus dem Handel genommen, deshalb ggf. Rectogesic entsprechend der chronischen Analfissur, s. dort.  oder als Ausweichpräparat magistrale Rezeptur mit Diltiazem 2 % als Creme (NRF 5.7) oder Gel (NRF 5.6). Die gefäßerweiternden Cremes können auch zzur Blutdrucksenkung, Kopfschmerz führen, allerdings weniger ausgeprägt wie bei systemischer gefäßmodulierender Therapie. Anwendung als Monotherapeutikum oder zusätzlich zur internen Therapie.

 

Bei Bagatellverletzungen frühzeitig desinfizierende Maßnahmen wie Polyvidon-Jod (z.B. Braunovidon Salbe).

Als angenehm empfunden sind warme Paraffin-Bäder  der Hände (Bemerkung: hierzu genügt ein einfaches und preiswertes Paraffin-haltiges Körperöl; Badezeit 5-8Min.). 

Interne Therapie

  • Einsatz von vasoaktiven Substanzen.
    • Calciumantagonisten (gelten als Goldstandard): Therapie der 1. Wahl ist Nifedipin (z.B. Adalat 5) 10-20 mg je 3x /Tag p.o. als Monotherapie oder in Kombination mit Pentoxifyllin (z.B. Trental) 600 mg/Tag p.o.; Steigerung der Nifedipin-Dosis auf bis zu 3-4mal/Tag 10 mg p.o. Cave! Orthostatische Dysregulationen bei Nifedipin! Langfristige Gabe von Pentoxifyllin begünstigt Hautblutungen!
    • Alternativ Diltiazem (z.B. Dilzem Tbl.) 60-120 mg/Tag p.o. oder Verapamil (z.B. Isoptin 80) 240-320 mg/Tag p.o.
  • Weitere mögliche Therapieschemata:
    • ACE-Hemmer und Angiotensin 1-Rezeptorantagonisten: Mehrere Studien mit den ACE-Hemmern Captopril (25 mg/Tag) und Enalapril (20 mg/Tag) zeigten teils gute, teils widersprüchliche Resultate. Losartan (Angiotensin 1-Rezeptorantagonist) besaß in einer randomisierten Studie einen vergleichbaren Effekt wie 40 mg Nifedipin/Tag.
    • Alpha 1-Rezeptorenblocker: Prazosin (z.B. Minipress) initial einschleichend 1 mg p.o. nachts, ggf. zusätzlich morgens, langsame Steigerung auf Erhaltungsdosis von 4 mg/Tag.
    • Prostacycline (Evidenzlevel A): z.B. Iloprost (Ilomedin) 0,5-2,0 ng/kg KG/Min. Die täglich empfohlene Infusiondauer beträgt 6-8 Std. Therapiedauer: 3-5 Tage. Therapiezyklen werden nach 3 Monaten wiederholt.
    • Prostavasin (Datenlage unklar): Bei manifester oder drohender Gangrän! Effektives aber aufwändiges Verfahren zur Besserung der akralen Durchblutung. Dosierung: Prostaglandin E1 (z.B. Prostavasin) 20 μg/Std. i.v. über 3 Std.
    • Östrogene: Bei Verschlechterung der Symptomatik während der Menses und in der Menopause perorale Gabe von Östrogenen (z.B. Trisequens) durch Gynäkologen.
    • Endothelin-Antagonisten ( Bosentan): Hoffnungsvoller Ansatz, derzeit in Multizenter-Studie. Dosierung: Tracleer 2mal/Tag 125 mg p.o.
    • PDE-5-Hemmer: In schweren Fällen von therapierefraktären akralen Ulzerationen kommt eine Therapie mit dem oral zu verabreichenden Sildenafil (Viagra) in einer Dosierung von 20-80 mg/Tag in Betracht. In Einzelfällen kann kann Iloprost mit Sildenafil kombiniert werden.

Operative Therapie

Partielle Sympathektomie (früher Therapie der Wahl) wird nicht mehr angewendet, günstiger Effekt in 25% der Fälle.

Tabellen

Mitauslösende Ursachen des Sekundären Raynaud-Syndroms:

  • Bindegewebserkrankungen
    • Progressive systemische Sklerodermie, Rheumatoide Arthritis, Systemischer Lupus erythematodes, Sjögren-Syndrom, Dermatomyositis/Polymyositis
  • Arterielle Verschlusskrankheiten
    • Arteriosklerose, Endangiitis obliterans, Polyarteriitis nodosa, Embolien, Thrombosen
  • Schultergürtel-Arm-Syndrome
    • Halsrippensyndrom, Syndrom der 1. Rippe, Skalenussyndrom, Kostoklavikularsyndrom, Hyperabduktionssyndrom, Pectoralis-minor-Syndrom, Malpositionssyndrom, Syndrom der engen oberen Thoraxapertur, Klippel-Feil-Syndrom, Kombinationsformen
  • Hämatogene Erkrankungen
    • Kälteagglutinine, Kältehämolysine, Kryoglobulinämie, Makroglobulinämie (Waldenström), Paroxysmale Hämoglobulinurie, Hyperviskositätssyndrom, Thrombozytose, Polyzythämie, Thrombotische Mikroangiopathie
  • Neurologische Erkrankungen
    • Neuritis, Poliomyelitis, multiple Sklerose, Syringomyelie, Nucleus-pulposus-Prolaps, spinale Tumoren, Karpaltunnelsyndrom, Hemiplegie
  • Intoxikationen
    • Mutterkornalkaloide (Ergotismus), Pilzgifte (Faltentintling), Vinylchloridderivate (Vinylchloridkrankheit), Trichlorethylen
  • Chronische Beschäftigungstraumen
    • Vibrationssyndrome bei Arbeiten mit Presslufthämmern, Motorsägen, Gehen auf Krücken etc.
  • Traumata
    • Lokale Gefäßverletzungen, posttraumatisch, Kälteschaden
  • Medikamentös
    • Clonidin, Sympathikomimetika, ACE-Hemmer, hormonelle Antikonzeptiva, Betarezeptorenblocker, Sekalealkaloide (Ergotismus), Bleomycin, Vincristin, Ciclosporin
  • Sonstige
    • Operationen, Sudecksche Atrophie, Dialyse

 

Tabellen

Vasoaktive Medikamente zur Therapie des M. Raynaud (modifiziert nach Braun-Falco et al.)

Medikament

Wirkmechanismus

Anfangsdosis/Tag

Captopril

ACE-Hemmer

75 mg

Phenoxybenzamin

Blockiert alpha 1-Rezeptoren

20 mg

Prazosin

Blockiert alpha-Rezeptoren

3 mg

Propranolol

Blockiert beta-Rezeptoren

160 mg

Nifedipin

Blockiert Kalziumkanäle der Zellmembran

10 mg

Diltiazem

Blockiert Kalziumkanäle der Zellmembran

180 mg

Verapamil

Blockiert Kalziumkanäle der Zellmembran

240 mg

Prostaglandin E1

Vasodilatation

20 μg

 

Phytotherapie extern

Naturheilkundlich wird ofiizinelles Rosmarinöl empfohlen, das als Externum mehrfach täglich auf die betroffenen Hände aufgetragen wird (von Schoen-Angerer T et al. 2018).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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  2. Bowling JC et al. (2003) Raynaud's disease. Lancet 361: 2078-2080
  3. Caccavo D et al. (2003) Raynaud's phenomenon and antiphospholipid antibodies in systemic lupus erythematosus: is there an association? Ann Rheum Dis 62: 1003-1005
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  8. Lai TS et al. (2020) Paraneoplastic Raynaud phenomenon associated with metastatic ovarian cancer: A case report and review of the literature. Gynecol Oncol Rep 33:100575

  9. Lokineni S et al. (2021) Paraneoplastic Raynaud's Phenomenon as an Initial Manifestation of Lung Cancer? Eur J Case Rep Intern Med 8:002690

  10. Mayser P et al. (2003) Persistent skin reaction and Raynaud phenomenon after a sting by Echiichthys draco (great weever fish). Hautarzt 54: 633-637
  11. Raynaud AGM (1862) De l?asphyxie locale et de la gangrène symétrique des extrémités. Doctoral thesis, Rignoux, Paris
  12. Raynaud M (1888) On asphyxia and symmetrical gangrene of the extremities 1862 and new researches on the nature and treatment of local asphyxia of the extremities 1874. Translated by T. Barlow In: Selected Monographs, New Sydenham Society, London, S. 1-199
  13. Riemekasten G (2005) Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie zur Therapie des Raynaud-Syndroms und akraler Ulzerationen. Z Rheumatol 64: 90-102
  14. Sunderkötter C et al. (2006) Raynaud-Phänomen in der Dermatologie. Hautarzt 57: 927-942
  15. Suter LG et al. (2005) The incidence and natural history of Raynaud's phenomenon in the community. Arthritis Rheum 52: 1259-1263
  16. von Schoen-Angerer T et al. (2018) Effect of topical rosemary essential oil on Raynaud phenomenon in systemic sclerosis.Complement Ther Med 40:191-194.

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