Viren, Klassifikation

Autor:Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

Co-Autor:Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Humanpathogene Viren; Klassifikation der Viren; Klassifikation von Viren; Virologie, Klassifikation; Virusklassifikation

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Erstbeschreiber

Im Jahre 1962 wurde von André L Woff, Robert W. Horne und Paul Tournier entsprechend der von Carl von Linné begründeten binären Klassifikation der Lebewesen eine Taxonomie der Viren eingeführt. In ihr werden, analog zur Taxonomie anderer Lebewesen, die folgenden Taxa unterteilt:

  • Genom-Gruppe
  • Ordnung (…virales) 
  • Familie (…viridae) 
  • Unterfamilie (…virinae) 
  • Gattung (…virus)
  • Art (Krankheit/..virus).

Die entscheidenden Charakteristika für diese Klassifikation waren:

  • Natur des viralen Genoms (DNA oder RNA/positivsträngig oder negativsträngig/einzelsträngig oder doppelsträngig)
  • Symmetrie des Kapsids
  • Vorhandensein einer Lipidumhüllung (umhüllte Viren/nackte Viren)
  • Größe von Virion und Kapsid (große Viren /kleine Viren). 

Die ältere Baltimore-Klassifikation gilt als überholt.  Diese Klassifikation wurde auf der Grundlage des Wissens um die Molekularbiologie der Viren vorübergehend etabliert. Sie geht auf einen Vorschlag des Nobelpreisträgers David Baltimore von 1971 zurück. Für den medizinsichen Alltag ist die Differenzierung nach humanpathogen und nicht-humanpathogen von großer praktischer Bedeutung.  

Definition

Ein Virus ist ein Partikel (15-300 nm), das mindestens aus Nukleinsäuren und Proteinen zusammengesetzt ist, das in der Lage ist, in eine (lebende) Wirtszelle einzudringen und unter Schädigung dieser Zellle die Produktion von Nachkommenviren auszulösen.  Viren, die Bakterienzellen infizieren, werden als Bakteriophagen bezeichnet. Unter der Bezeichnung Virion wird ausschließlich das extrazelluläre, physikalisch-chemisch definierte, komplette Partikel verstanden. Seine biologischen Eigenschaften bleiben unberücksichtigt (Hof H et al. 2019). 

Allgemeine Definition

Auf der Basis der gesammelten morphologischen, molekularen und biologischen Eigenschaften von Viren wurde vom „International Committee on Taxonomy of Viruses“ eine Virusklassifikation erarbeitet, wobei folgende Ordnungsbegriffe benutzt wurden: Familie, Subfamilie, Gattung, Art oder Spezies.

  • Ordnung: Eine Virus Ordnung besteht aus Gruppen von Virusfamilien, welche gemeinsame Eigenschaften teilen und sich von anderen Ordnungen und Familien unterscheiden.
  • Virusfamiliien sind Gruppen von Virus Gattungen, welche gemeinsame Eigenschaften aufweisen und sich von anderen Virus Gattungen unterscheiden. Zumeist teilen Virusfamilien eine gemeinsame Virusmorphologie, Genomstruktur und/oder Strategie der Virusreplikation.
  • Subfamilien werden innerhalb der vier Familien Pox-, Herpes-, Parvo- und Paramyxoviridae geführt, um eine komplexere Aufteilung zu erlauben.
  • Spezies: Eine Virus Spezies ist definiert als eine polythetische Klasse von Viren, welche von derselben Replikationslinie abstammt und eine bestimmte ökologische Nische besetzt.

Wichtige Kriterien dieser derzeit international anerkanntesten Virustaxonomie sind unter anderem: die Genomstruktur (DNA, RNA, einzelsträngig, doppelsträngig, Polarität, linear, zirkulär, segmentiert), die Form (Symmetrie) des Kapsids, das Vorhandensein einer Hülle, Anordnung der Gene innerhalb des Genoms, Replikationsstrategie, Virusgröße. Für die Taxonomie unberücksichtigt, aber dennoch für die Zusammenfassung unterschiedlicher Viren mit gemeinsamen medizinischen oder epidemiologischen Merkmalen wichtige Kriterien sind:

  • gemeinsame Organismen, die sie infizieren
  • gemeinsame Übertragungswege (z. B. Übertragung durch Gliederfüßer: Arboviren)
  • ähnliche Krankheitsbilder bzw. Infektion des gleichen Organs (z. B. Hepatitis-Viren)

Neu auftretende Virus werden unter Berücksichtigung ihrer biochemischen, biologischen, strukturellen und genetischen  Eigenschaften entweder bestehenden Familien oder einer neuen Familie zugeführt.  Es gibt daher bisher nur 3 Ordnungen. Viele Familien sind noch keiner Ordnung zugeordnet. Derzeit sind ca. 80 Familien und ca. 4000 Arten bekannt.

Erreger

Übersicht über die wichtigsten humanpathogenen Virusfamilien:

Positive Einzelstrang-RNA/ ss(+)RNA (wirkt direkt als mRNA).

Picornaviridae

Caliciviridae

  • Norovirus (Norwalkvirus)
  • Sapovirus (Sapporovirus)

Hepeviridae

  • Hepevirus (Hepatitis-E-Virus = HEV, dies ist die einzige humanpathogene Spezies dieser Virus-Familie)

Coronaviridae

  • SARS-CoV2 (Erreger von Covid-19)
  • SARS-assoziiertes-Coronavirus (SARS-CoV)
  • Humanes Coronavirus 229E (HCoV)
  • Humanes Coronavirus OC43 (HCoV)

Togaviridae

  • Rubivirus  (Rötelvirus = Rubellavirus)
  • Alphavirus (human- und tierpathogene Spezies; die größte Verbreitung hat die Spezies Sindbis-Virus)

Flaviviridae

Retroviridae

  • Deltaretrovirus (Humanes T-lymphotropes Virus 1 - HTLV-1, Humanes T-lymphotropes Virus 2 - HTLV-2)

  • Lentivirus (HIV 1, HIV 2)

  • Gammaretrovirus (Xenotropic murine leukemia virus-related virus)

Paramyxoviridae

  • Respiroviren (Parainfluenzavirus 1, 3)
  • Morbilliviren (Masern/Masernvirus)
  • Rubulaviren (Mumps/Mumpsvirus)
  • Parainfluenzavirus (2, 4)
  • Newcastle Disease Virus (NDV)

Negative Einzelstrang-RNA/ss(-)RNA ( SS(-) (wirkt als Matrize zur mRNA Synthese).

Pneumoviridae 

  • Gattung: Orthopneumovirus (humanpathogene Art: Humanes Respiratorisches Synzytial-Virus,  HRSV;  tritt in den zwei häufigsten Subtypen A und B sowie den selteneren Typen S2 und RSS-2)
  • Gattung: Metapneumovirus (humanpathogene Art: Humanes Metapneumovirus (HMPV, Typ A1 bis 2, B1 bis B2)

Rhabdoviridae

  • Lyssaviren (Tollwutvirus)
  • Rabiesvirus (RABV)

Filoviridae 

  • Lake Victoria Marburg-Virus
  • Ebola artige Viren (Serogruppe)
  • Ebola-Zaïre-Virus
  • Ebola-Sudan-Virus
  • Ebola-Côte d'Ivoire-Virus
  • Ebola-Reston-Virus

Arenaviridae

Bunyaviridae

  • Orthobunyavirus (>150 Arten oder Subtypen; sie werden durch Stechmücken übertragen). Für Europa bedeutend sind:
  • Tahyna-Virus
  • Inkoo-Virus
  • California-Enzephalitis-Virus
  • La-Crosse-Virus
  • Jamnestown-Canyon-Virus
  • Snowshoe-hare-Virus   
  • Phlebovirus (3 Serogrupppen, mehr als 45 Arten) Überträger sind Schmetterlingsmücken- Phlebotomus-Arten)
  • Phlebotomus-Fieber-Virus: In Europa spielt das Phlebotomus-Fieber-Virus eine Rolle (Typ Toskana). Es verursacht das Pappataci-Fieber (engl. sandfly-fever) mit Lichtscheu, Nackensteifigkeit und Arthralgien.  
  • Rift-Valley-Fieber-Virus: 1977 Epidemie in Ägypten mit 20.000 Erkrankten, komplikative Enzephalitis.   
  • Nairovirus (6 Serogruppen, 34 Arten) Überträger sind Zecken. Klinisch bedeutsam ist das
  • Krim-Kongo-hämorrhagisches-Fieber-Syndrom, das mit einer hohen Letalität behaftet sein kann.
  • Hantavirus (Infektion erfolgt nicht durch Arthropoden sondern durch Schmierinfektionen und Staubinhaltionen mit Exkrementen von Nagern , z.B. Mäusen). Von Bedeutung für Europa sind:
  • Hantaan-Virus
  • Puumula-Virus
  • Dobrava-Belgrad-Virus

Orthomyxoviridae

  • Influenzaviren A
  • Influenzavirus-A-Variante (H1N1)
  • Influenzavirus-A-Variante (H2N2)
  • Influenzavirus-A-Variante (H3N2)
  • (avieres) Influenzavirus-A-Variante (H5N1), hoch pathogenes aviäres Influenzavirus (HPAIV)
  • (avieres) Influenzavirus-A-Variante (H7N2), niedrig pathogenes aviäres Influenzavirus (LPAIV)
  • (avieres) Influenzavirus-A-Variante (H7N3), niedrig pathogenes aviäres Influenzavirus (LPAIV)
  • (avieres) Influenzavirus-A-Variante (H7N7), hoch pathogenes aviäres Influenzavirus (HPAIV)
  • (avieres) Influenzavirus-A-Variante (H9N2), niedrig pathogenes aviäres Influenzavirus (LPAIV)
  • Influenzaviren B
  • Influenzavirus B/Victoria-Linie
  • Influenzavirus B/Yamagata-Linie
  • Influenzaviren C

Doppelstrang-RNA-Genom/dsRNA

Reoviridae

  • Unterfamilie Sedoreovirinae mit der  Gattung Rotavirus und der Art Rotavirus (A bis C).
  • Unterfamilie Spinareovirane mit der Gattung Coltvirus und der  Art Colorado-Zeckenfiber-Virus (in Bergregionen über 1700 Meter in USA und Kanada endemisch).

Doppelstrang-DNA – Genom/ dsDNA (normale Genom-Form allen Lebens)

Herpesviridae (humanpathogene Arten)

Papillomaviridae

Polyomaviridae

Adenoviridae

Poxviridae

Ds/ssDNA

Hepadnaviridae

Einzelstrang-DNA/ ssDNA. Virionen enthalten DNA positiver oder negativer Polarität.

Parvoviridae

Hinweis(e)

Neue Klassifikationen werden von dem International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) erarbeitet. Dieses Kommittee ist mit der Entwicklung, Verfeinerung und Aufrechterhaltung einer universellen Virustaxonomie beauftragt. Die Aufgabe umfasst die Klassifizierung von Virusarten und höherstufigen Taxa nach den genetischen und biologischen Eigenschaften ihrer Mitglieder; Benennung von Virus taxa; Pflege einer Datenbank, in der die derzeit genehmigte Taxonomie detailliert beschrieben wird; und Bereitstellung der Datenbank, unterstützender Vorschläge und anderer virusbezogener Informationen von einer öffentlichen Website mit offenem Zugang. Die ICTV-Website (http://ictv.global) bietet Zugriff auf die aktuelle Taxonomie-Datenbank in Online- und herunterladbaren Formaten und führt eine vollständige Geschichte der Virustaxa bis zur ersten Veröffentlichung im Jahr 1971. Die Datenbank enthält eine umfassende Beschreibung aller Virustaxa, die die Virusstruktur, Genomstruktur, Biologie und Phylogenetik abdecken. Der neunte ICTV-Bericht, der 2012 veröffentlicht wurde, ist als Open-Access-Online-Publikation auf der ICTV-Website verfügbar. Der aktuelle, 10. Bericht (http://ictv.global/report/) wird online veröffentlicht und ersetzt die bisherige Hardcopy-Ausgabe durch eine vollständig offene, ständig aktualisierte Darstellung.

Literatur

  1. Simmonds P et al. (2018) Virus classification - where do you draw the line? Arch Virol 163:2037-2046.
  2. Lefkowitz EJ et al. (2018) Virus taxonomy: the database of the International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV). Nucleic Acids Res 46: D708-D717.

Tabellen

Auswahl kutaner Viruskrankheiten

Viren

Erkrankungen

Pockenviren/Parapockenviren

Pocken (ausgestorben)

Alastrim

Kuhpocken

Molluscum contagiosum

Ecthyma contagiosum

Melkerknoten (Paravakzineknoten)

Herpesviren

Zoster

Varizellen

Herpes simplex (Typ I und Typ II)

Infektiöse Mononukleose (HHV 4)

Orale Haarleukoplakie (HHV 4)

Leiomyosarkome (HHV 4)

Versch. lymphoproliferative Erkrankungen (HHV 4)

Zytomegalie (HHV 5)

Exanthema subitum (HHV 6)

Kaposi Sarkom (HHV 8)

Maul- und Klauenseuchen-Virus

Maul- und Klauenseuche

Coxsackie-Viren/Echo- oder Enteroviren

Hand-Fuß-Mund-Erkrankung

Papillomaviren

Verruca vulgaris

Verruca plantaris

Verrucosis generalisata

Condylomata acuminata

Verrucae planae juveniles

 

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