Synonym(e)
Definition
Eminent chronische, regelmäßig rezidivierende, thrombo-embolische Verschlusskrankheit des kutanen Gefäßplexus (s.u. Vaskulopathie), die klinisch zu einem kennzeichnenden "Livedobild" und infolge der thrombotischen Vaskulopathie kleiner und mittlerer Hautgefäße zu blitzfigurenartigen, gezackten, hochschmerzhaften Erosionen oder flachen Ulzera führt. Abheilung unter Hinterlassung flacher, depigmentierter Narben (Atrophie blanche).
Kurzgefasste klinische Trias (LAU): Livedo racemosa, Atrophie blanche, Ulzera rezidivierende
Auch interessant
Vorkommen/Epidemiologie
Inzidenz: < 1/100.000 (erfüllt die Kriterien der orphan disease).
Ätiopathogenese
Idiopathische Krankheitsverläufe sind oftmals beschrieben, genetische Disposition ist fraglich.
Beziehungen zu Lupus erythematodes, Polyarteriitis nodosa, Phospholipid-Antikörper-Syndrom, Gerinnungsstörungen bzw. Hyperkoagulabilität (Faktor V-Leiden-Mutation, Prothrombin-Gen-Mutation, Protein C- und Protein S-Mangel), Hyperhomocysteinämie; venöse Insuffizienz, chronische (CVI) sind beschrieben.
Manifestation
Überwiegend bei Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen auftretend (15.-40. LJ). Die Erkrankung betrifft vorwiegend (70-80%) das weibliche Geschlecht.
Klinisches Bild
Retikuläre, sattrote, livide, flächig indurierte Plaques und Erytheme, mit Ausbildung bizarrer, meist sehr schmerzhafter (nicht das Livedobild sondern der stechende Dauerschmerz führt zum Arzt!), therapieresistenter flacher Ulzera im Knöchelbereich, v.a. in den Sommermonaten (Sommerulzerationen), die mit 0,3-1,0 cm großen, flach eingesunkenen, spritzerartigen weißlichen Narben mit rot akzentuiertem Randsaum (Gefäßektasien) abheilen. Symmetrisches Auftreten an den unteren Extremitäten wird beschrieben ist aber nicht die Regel.
Labor
Eine Umfeld-Analyse zeigt häufig pathologische Gerinnungsparameter mit porthromboischen Eingenschaften wie: Antiphospholipid-Antikörper und einen Protein-C-Mangel.
Histologie
Merke! Die Biopsie muss frühzeitig erfolgen. Sie muss ausreichend tief und breit den läsionalen Bezirk erfassen (Übergang von gesund/krankhaft), damit die auslösende Gefäßproblematik im Schnitt sicher beurteilt werden kann. Stufenschnitte sind zwingend erforderlich!
Atrophisches Epithel. In den mittleren und tiefen Lagen der Dermis eher schütteres, perivaskuläres, lymphozytäres Infiltrat sowie erweiterte, teils mit Erythrozyten prall gefüllte oder mit unterschiedlichen alten, hyalinen Thromben ausgefüllte Gefäße (nahezu obligates Phänomen). Diese fibrinoiden Ausgüsse führen zur Hyalinisierung und Infarzierung der Gefäßwand, mit nachfolgender fokaler Nekrobiose und Nekrose.
Keine Zeichen einer leukozytoklastischen Vaskulitis!
Differentialdiagnose
Klinische Differenzialdiagnose:
- Poly- (Peri-)arteriitis nodosa: 1,0 - 5,0 cm große, zunächst derbe, meist sehr druckdolente, auch spontan schmerzhafte, rötlich bis livid gefärbte Plaques oder Knoten (Eisbergphänomen) mit Tendenz zur schmerzhaften Ulzeration. Histologisch liegt der Prozess mit einer deutlichen Entzündungssymptomatik an der Kutis-Subkutis-Grenze! Ein blitzfigurenartiges Livedobild kann Teil der klinischen Symptomatik sein.
- Sneddon-Syndrom: Hierbei ist der Hautprozess von systemischen Veränderungen (Verschluss von Hirngefäßen mit neurologischer Ausfallssymptomatik). Systemveränderungen fehlen bei der Livedovaskulopathie stets! Phospholipid-Antikörper sind bei mehr als 50% der Patienten nachweisbar!
- Embolia cutis medicamentosa: Akutes Geschehen, Minuten bis wenige Stunden nach einer i.m. Injektion auftretend (Anamnese führt zu einer Ausschlußdiagnose!), schmerzhafte, brettharte Infiltration mit blitzfigurenartiger Hautzeichnung. Sekundär: Entwicklung tiefer Ulzerationen, die mit bizarr geformten atrophischen Narben abheilen.
- Arteriosklerotische Verschlussulzera (s.u. Ulcus cruris hypertonicum): Nicht selten auf dem klinischen Bild der Livedo racemosa aufpfropfend (hier unterliegende Arteriolosklerose), plötzliche (über Nacht) Ausbildung von hämorrhagischen, zackig begrenzten, sehr schmerzhaften Ulzera. Stets Nachweis einer peripheren AVK (Ausschluß der Livedovaskulopathie).
- Calciphylaxie: Lokalisiertes, meist symmetrisches Bild der razemösen (blitzfigurenartigen) Livedo; diese wird begleitet durch lineare oder auch flächenhafte, 2,0 bis 20 cm große, eminent schmerzhafte, harte, rote oder auch hautfarbene Plaques oder Knoten. Meist auch schmerzhafte Ulzera unterschiedlicher Größe (Histologie ist diagnostisch s.u.).
- Livedo reticularis (im angloamerikanischen Sprachgebrauch mit Livedo racemosa bezeichnet!): Diese funktionelle Störung läßt sich am besten durch den Begriff "Cutis marmorata" umschreiben. Hierbei zeigt sich eine kälteinduzierte, großmaschige livide Marmorierung, je nach Form Verschwinden oder Auftreten nach Erwärmung bzw. Abkühlung. Häufig periphere Akrozyanose. Stets fehlt die zackige "blitzfigurenartige" Zeichnung der Livedo racemosa (Ausschlußphänomen). Stets fehlen Schmerzen (Ausschluß der Livedovaskulopathie).
- Cutis marmorata teleangiectatica congenita: Kongenital auftretendes Krankheitsbild (Ausschlußkriterium) mit unsymmetrisch verteilter Cutis marmorata mit Teleangiektasien und Phlebektasien; häufig auffallend dünne, durchscheinende (atrophische) Haut mit deutlicher Venenzeichnung.
- Atrophie blanche: Stets auf dem Boden einer chronischen, venösen Insuffizienz (Ausschlußkriterium). Spritzerartige, leicht eingesunkene, narbige Bezirke mit umgebender brauner Pigmentierung. Randständig meist Kapillarektasien nachweisbar. Mögliche Ausbildung meist kleiner, seltener auch die gesamte Atrophiezone erfassender oberflächlicher Erosionen oder Ulzera ( Atrophie blanche-Ulkus). Die klinische Besonderheit dieser Ulzera ist ein zu der Größe des Ulkus nicht kompatibler stechender Dauerschmerz.
Histologische Differenzialdiagnose:
- Calciphylaxie: Thrombosierte dermale und subkutane Gefäße mit ausgeprägten basophilen Kalkablagerungen im Lumen und den Wänden (Ausschlußphänomen).
- Dermatoliposklerose (Stauungsdermatose): Intralobuläre lipomembranöse (membranozytische) Fettnekrose sowie ausgeprägte septale Sklerosierung. Im fortgeschrittenen Stadium einer Dermatoliposklerose findet man breite sklerosierte Septen mit englumigen wandverdickten Kapillaren und Venolen mit PAS-positiven perivasalen Fibrinhülsen, sowie Makrophagen und Fibroblasten. In der Dermis: Perivaskuläre superfizielle und tiefe sklerosierende Dermatitis mit wandverdickten, glomerulumartig geknäulten Gefäßen.
- Leukozytoklastische Vaskulitis: Gefäßwandnekrosen mit fibrinoider Gefäßwandaufquellung, Neutrophileninfiltration und perivaskulärem Kernstaub.
- Thrombophlebitis migrans: Sklerosierende Endophlebitis (Riesenzellvaskulitis) mit komplettem oder partiellem Verschluss der Gefäßlumina durch Thromben. Häufig Nachweis von Riesenzellen..
Externe Therapie
Interne Therapie
Die derzeitigen Behandlungsparadigmen beruhen auf einer geringen Evidenzbasis, hauptsächlich auf Fallberichten und Fallserien von geringer Evidenz (Micieli R et al. 2018). In einer größeren Übersichtsarbeit (Micieli R et al. 2018) wurde folgende Reihung (nach Häufigkeit der erwähnten Therapien) aufgestellt:
Antikoagulanzien waren die am häufigsten eingesetzte Monotherapie und erzielten bei 62 von 63 Patienten (98 %) ein günstiges Ansprechen (Weishaupt C et al. 2019).
Anabolika, intravenöse Immunglobuline (IVIG) und Thrombozytenaggregationshemmer waren die am zweit-, dritt- bzw. vierthäufigsten eingesetzten Therapien. Im folgenden ist eine Prioritätenliste aufgeführt, die auf eigenen Erfahrungen (Autor dieses Artikels) beruhen!
- IVIG: Nach eigenen inzwischen bestätigten Erfahrungen können prompte und langzeitige Besserungen (v.a. bei der fast immer vorhandenen gravierenden Schmerzsymptomatik!) unter repetitiver (4 Wochen Intervalle) Immunadsorption und/oder IVIG allein (hochdosierte Immunglobulintherapie: 0,5-1,0g-2,0/kgKG aufgeteilt auf 3 aufeianderfolgende Tage i.v.) erzielt werden.
- Alternativ: Heparin 2-3mal/Tag 5000-7500 IE s.c.
- Alternativ: Enoxaparin (Clexane®) 1 mg/kg KG/Tag. Symptomadaptierte Therapiedauer, meist etwa 4 Wochen lang.
- Alternativ: Rivarobaxan (Xarelto®), initial 2 x 10mg/Tag p.o. Symptomadaptierte Therapie mit 1x10mg/Tag p.o.
- Alternativ Prednisolon/Azathioprin: Wenn es unter diesen Therapieregimen zu keiner überzeugenden Besserung der Erkrankung kommt, kann eine immunsuppressive Therapie mit Prednisolon (z.B. Decortin H) 100 mg/Tag p.o. angesetzt werden. Steroiddosis je nach Klinik reduzieren, Erhaltungsdosis von 5-10 mg/Tag. Es empfiehlt sich eine Kombinationstherapie mit Azathioprin (z.B. Imurek®) 100 mg/Tag p.o.
Wenig überzeugend und nicht empfehlenswert:
- Acetylsalicylsäure (z.B. ASS-ratiopharm) 2mal/Tag 500 mg p.o., auch in Kombination mit Dipyridamol (z.B. Curantyl 3-5mal/Tag 1 Drg. p.o.).
- Sulfasalazin (z.B. Azulfidine) einschleichend dosieren bis auf 3mal/Tag 1000 mg p.o.
Hinweis(e)
- Die Erkrankung erfüllt die Kriterien einer "Orphan Disease". Dies ist bei allen Therapiemodalitäten zu beachten. S.u. Orphan Diseases, s.u. Orphan-Arzneimittel.
- Zu fordern sind randomisierte klinische Studien , um diese Behandlungen in der klinischen Praxis besser zu etablieren.
Fallbericht(e)
- Eine 24-jährige, adipöse Patientin leidet seit ihrem 12. LJ. an periodisch, v.a. jedoch in den Sommermonaten auftretenden außerordentlich schmerzhaften "offenen Stellen" an den Knöchelregionen beider Füße. Diese würden nach einigen Wochen wiederum narbig abheilen. Die Behandlung erfolgte über die Jahre antibiotisch, immunsuppressiv (Azathioprin und Glukokortikoide in mittleren Dosierungen), ohne nachweisliche Befundbesserung. Ansonsten wurde eine symptomatische Schmerztherapie mit Metamizol und Aspirin durchgeführt. Die Vorstellung der Patientin erfolgte schmerzgetrieben.
- Befund: An sämtlichen Knöcheln finden sich bis 8x8 cm große, unregelmäßig, stellenweise bizarr begrenzte, rot-braune, nur mäßig indurierte Plaques die von kleineren (etwa 0,5-1,0 cm großen) weißlichen, bizarr konfigurierten narbigen Einsenkungen durchsetzt sind. Diese sind in ihren Randbereich akzentuiert gerötet. Stellenweise sind randlich Livedomuster nachweisbar. Weiterhin finden sich hochschmerzhafte rote, 0,2-0,6 cm große Erosionen mit und ohne Krusten.
- Histologie: In den mittleren und tiefen Lagen der Dermis schütteres, perivaskuläres, lymphozytäres Infiltrat sowie erweiterte, teils mit Erythrozyten prall gefüllte, teils mit mit hyalinen Ausgüssen (nahezu obligates Phänomen) gekennzeichnete Gefäße. Deutlich verdickte Gefäßwände. Keine Zeichen einer leukozytoklastischen Vaskulitis.
- Weitere Befunde: Keine Hinweise auf AVK oder CVI. Labor: komplett o.B.
- Therapie: Konsequente Theapie mit einem niedermolekularem Heparin (Enoxaprin = Clexane; 1mg/kgKG/Tag s.c.). Innerhalb von 10 Tagen deutliche Reduktion der Schmerzen sowie komplikationsloses Abheilen der Erosionen unter einem üblichen indifferenten Wundmangement). Zwischenzeitlich keinen neuen erosiven Herde. Die Enoxaprin-Theapie wurde nach 4 Wochen abgesetzt.
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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- Müller CSL et al. (2016) Diagnostische und histologische Besonderheiten der kutanen Vaskulitiden/Vaskulopathien. Akt Dermatol 42: 286-301
- O'Leary PA, Montgomery H, Brunsting LA (1944) Livedo reticularis: recurring ulcerations of the ankles in the summer. Arch Dermat Syph 50: 213
- Sams WM (1988) Livedo vasculitis. Therapy with pentoxifyllin. Arch Dermatol 124: 684-687
- Schanz S et al. (2003) Intravenous immunoglobulin in livedo vasculitis: a new treatment option? J Am Acad Dermatol 49: 555-556
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Weishaupt C et al.(2019) Characteristics, risk factors and treatment reality in livedoid vasculopathy - a multicentre analysis. J Eur Acad Dermatol Venereol 33:1784-1791.
Weiterführende Artikel (31)
Acetylsalicylsäure; Antiphospholipid-Antikörper; Antiphospholipid-Syndrom; Atrophie blanche; Atrophie blanche-Ulkus; Azathioprin; Calciphylaxie; Cutis marmorata teleangiectatica congenita; Dermatoliposklerose; Embolia cutis medicamentosa; ... Alle anzeigenDisclaimer
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