Morbus Morbihan L71.8

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Gesichtsödem solides bei Rosazea; Morbihan's disease; Morbus Morbihan, Rosaceous lymphedema; Oedème érythémateux faciale chronique; Persistierende Gesichtsschwellung bei Rosazea; Rosacea lymphedema; Rosacea ödematosa; Rosacea related edema; Solides Gesichtsödem bei Rosazea; Solid facial lymphedema; Solid persistent facial oedema

Erstbeschreiber

Robert Degos, 1957

Definition

Chronisch persistierende, homogene, rote bis sattrote, von einem leichten bis mäßigen Spannungsgefühl begleitete, symmetrische (bilaterale) Schwellungen des Gesichts. Die Ätiologie ist ungeklärt. Seltener ist ein asymmetrisches Verteilungsmuster vorhanden.

Initial sind die Schwellungszustände reversibel. Im Laufe von Monaten/Jahren verfestigen sich die Schwellung zunehmend. Einschränkungen des Allgemeinbefindens bestehen im Allgemeinen nicht. Systemische Enzündungszeichen fehlen. Assoziationen mit anderen Erkrankungen (z.B zu chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sind nicht gesichert). Einige Autoren ordnen den Morbus Morbihan als seltene, "ödematöse Variante" der Rosazea ein.    

Vorkommen/Epidemiologie

Die Erkrankung ist selten. Die Prävalenz ist unbekannt. In einem großen Rosazea-Kollektiv (n=204) fanden sich in rund 1,5% der Fälle Patienten die einem Morbus Morbihan zugeordnet wurden (Ghanadan A et al. 2023). Bei einer Meta-Analyse die 96 Studien und 166 Patienten umfasst war das Verhältnis m:w=3:1 (van der Linden MM et al. 2023).  

Ätiopathogenese

Wie bei Rosazea unbekannt. Assoziationen wurden sowohl zur Akne als auch zur Rosazea beschrieben. Bie einem Teil der Fälle indes fehlen derartige Assoziationen gänzlich.   

Manifestation

Betroffen sind v.a. weiße Männern und Frauen mittleren Alters  (das Durchscnittsalter betrug in einem etwas größeren Kollektiv 58,8 Jahre). Die Krankheit tritt auch bei Menschen mit anderer Hautfarbe sowie bei jüngeren und älteren Menschen auf..

Lokalisation

Bevorzugt betroffen sind: Wange, Nase, Augenlider, Stirn. Extrafazialer Befall ist (im Gegensatz zur Rosazea) nicht  bekannt. 

Klinisches Bild

Großflächige, zunächst inkonstante, später persistierende, diffuse und unscharf begrenzte, polsterartige Schwellung und Rötung des Gesichts verbunden mit einem unangenehmem Spannungsgefühl der Haut; Juckreiz fehlt im Allgemeinen, ebenso Schmerzen. Die Schwellung ist typischerweise symmetrisch und bilateral verteilt, seltener ist sie asymmetrisch.

Die Schwellungen sind initial sukkulent weich, später zunehmend fest, auch derb und nicht eindrückbar.

Gleichzeitig kann eine Rosazea bestehen, wobei diese Aussage auf kasuistischen Einzelberichten beruht. Die Schwellungszustände korrelieren aber nicht mit dem Schweregrad der Rosazea.

Nicht selten führen die Gesichtsschwellungen zu persistierenden Lidschwellungen, die häufig von den Patienten als das eigentliche Problem betrachtet werden.  

Diagnostik

Die Diagnose basiert in der Regel auf dem charakteristischen klinischen Bild, wobei andere Krankheiten mit ähnlichem Erscheinungsbild ausgeschlossen werden müssen (s.u. Differenzialdiagnose; s.u. Abbildungen). Hierzu ist eine gründliche klinische Anamnese erforderlich, die auch Fragen zu Anzeichen und Symptomen einer Rosazea bzw. einer Akne sowie zu systemischen Beschwerden (Fieber, Myopathie, Akute-Phase-Proteine, ANA) umfassen sollte. Eine vollständige körperliche Untersuchung ist ebenfalls unerlässlich, wobei ein besonderer Augenmerk auf die Inspektion der Lippen und der Zunge (Lingua plicata-DD: Melkersson-Rosenthal-Syndrom) gelegt werden sollte. Darüber hinaus werden eine histopathologische Untersuchung der betroffenen Haut mit spezifischen Färbungen (einschließlich Immunhistologie) und Labortests empfohlen. 

Histologie

Das histologische Bild ist nicht spezifisch. Es finden sich in der oberen und mittleren Dermis perivaskuläre und periadnexielle lymphozytäre, histiozytäre, neutrophile auch epitheloidzellige Infiltrate (Schnittserien notwendig) sowie zahlreiche Mastzellen. Charakteristisch ist ein dermales Ödem, erweiterte Lymphgefäße und das Vorhandensein von Mastzellanhäufungen.

Demodex, Talgdrüsenhyperplasie, leichte perifollikuläre Fibrose, Elastose, Mastzellenansammlungen, perilymphatische oder intralymphatische epitheloide Granulome können ebenfalls gefunden werden. Das Vorhandensein von epitheloidzelligen Granulomen, die eine mögliche Ursache für eine lymphatische Obstruktion und eine Schädigung der Gefäßwände sein könnten, gelten ebenfalls als Hinweis auf die Diagnose. Eine  erhöhte Anzahl von Mastzellen scheint insbesondere mit einer länger persistierenden Erkrankung zu korrelieren.

Diagnose

Die Diagnose des Morbus Morbihan basiert auf den charakteristischen klinischen Merkmalen und dem Ausschluss von inflammatorischen Krankheiten mit ähnlichem Erscheinungsbild (van der Linden MM et al. 2023).

Differentialdiagnose

Bei akuter Symptomatik:

  • Systemischer Lupus erythematodes: die serologischen Systemerscheinungen des SLE fehlen,  Histologie, Immunhistologie,  antinukleäre Antikörper (ANA) positiv.
  • Erworbenes Angioödem: Anamnese, die Akuität bei diesen Schwellungen spricht gegen den M. Morbihan.  Angiotensin-konvertierendes Enzym (ACE), C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH), Komplementkomponente 1q (C1q) und C4.
  • Akutes Erysipel: Erstmalige Schwellung mit Schmerzhaftigkeit und Fieber 

Bei chronisch persistierender Schwellung:

  • Melkersson-Rosenthal-Syndrom (bei der klassischen Symptomentrias: Cheilitis granulomatosa, Fazialisparese, Lingua plicata fällt die Abgrenzung nicht schwer. Schwieriger auszuschließen sind die unterschiedlich ausgeprägten Minusvarianten (s.a. Orofaziale Granulomatose, primär periokuläre) mit rezidivierenden uni- oder bilaterale, orofaziale Schwellungen (Lidschwellungen sprechen eher für die Rosazeavariante).
  • Kutane Sarkoidose: Klinik und Histologie ist diagnostisch. 
  • Dermatomyositis: Anamnese, körperliche Untersuchung der Haut, Kreatinkinase (CK).
  • Plaqueartige Form der kutanen Mucinosis: Hierbei finden sich 2,0 bis 10,0 cm große oder auch größere, ein- oder mehrzählige, rote, meist symptomlose, mäßg indurierte, nicht schuppige Plaques, die eine gepunzte, follikelbetonte Oberfläche (peau d`orange) aufweisen. Erkrankung spricht wie das REM-Syndrom auf Chloroquin an. 
  • Erworbene Hypothyreose im Erwachsenenalter: Sonographie, Untergang von Schilddrüsengewebe, z.B. nach atrophischer Thyreoiditis.  Weiterhin exogene Faktoren: iatrogen (Behandlung mit Thyreostatika, Zytokinen, Lithium, Z.n. Schilddrüsen-OP, Z.n. Radiojodtherapie), Gesundheitsverhalten (extremer Jod- und Selenmangel); evtl. Auftreten von periokulären muzinösen Ödeme
  • Blepharochalasis-Syndrom: Rezidivierende Schwellungszustände der Lider. Die akute Phase dauert Stunden bis Tage (durchschnittlich 2 Tage). In dieser Phase kommt es zu einem schmerzlosen Ödem meist kombiniert mit einem Erythem. Der Patient kann auch über ein „rotes Auge“ und Tränenfluss klagen. 
  • Chronische Kontaktdermatitis: Anamnese, körperliche Untersuchung der Haut, Histologie, Epikutantestung (Duft- und Konservierungsstoffe in Kosmetika).
  • Chronische aktinische Dermatitis: Anamnese mit Hinweis auf Licchtempfindlichkeit; juckendes lichtbetontes Ekzembild; Histologie.
  • Dermatochalasis: Bei diesem "Alterszustand" fehlt i.A. die Entzündungsymptomatik und Wechselhaftigkeit. Es besteht ein Hautüberschuss ohne ödematöse Komponente.

Therapie

Ausgesprochene Therapieresistenz. Grundsätzlich muss man bei pharmakologischen Behandlungen eine längere Behandlungsdauer von mindestens 6 bis 12 Monaten einzuplanen um klinische Effekte beurteilen zu können!

Mäßig gute Erfolge werden beschrieben unter einer Monotherapie mit Isotretinoin (z.B. Isotretinoin-ratiopharm; Aknenormin) 0,2-0,5 mg/kg KG/Tag als Monotherapie (Heibel HD et al. 2020)

Alternativ: Kombination von Isotretinoin mit dem Mastzellblocker Ketotifen (z.B. Zaditen 1-2 mg/Tag).

Alternativ: Kombination von Isotretinoin mit dem Mastzellblocker Ketotifen (z.B. Zaditen 1-2 mg/Tag) und mittleren Dosen von Kortikosteroiden (20-25mg Prednisolon-Äquivalente). 

Alternativ: Tetrazykline (meist Doxycyclin oder Minozyklin) ggfl. in Kombination mit Kortikosteroiden. Die zusätzliche Gabe von systemischen oder intraläsionalen Kortikosteroiden zu früheren Behandlungen kann von Vorteil sein.
Alternativ: Clofazimin (z.B. Lampren) 4mal/Woche 100 mg p.o.

Alternativ: Thalidomid 100 mg/Tag.

Alternativ: Diuretika - Furosemid: 60 mg/Tag oder Spironolactone: 75 mg 2x/Tag (Messikh R et al. 2012).

Alternativ: Omalizumab in üblicher Dosierung (Kafi P et al. 2019; Mazurek-Durlak Z et al. 2024) 

Alternativ: Tofacitinib in üblicher Dosierung (Li ZY et al. 2023)

Hinweis: Eine additive manuelle Lymphdrainage wird vielfach empfohlen (Melnik B et al. 2018; van der Linden MM et al. 2023).

Externe Therapie

Der Einsatz von Brimonidin kann empfohlen werden.

In  klinischen Studien hatte Brimonidin-Gel signifikant größere Verbesserungen der Gesichtsrötung bei Rosacea erythematosa erzielt als Placebo. Eigene Erfahrungen sind günstig verlaufen!  Das  Gel wird täglich in etwa erbsengroßer Menge auf die befallenen Areale aufgetragen. Die Wirkung wird innerhalb einer 30 Minutenfrist erwartet (Präp. Mirvaso®).

Operative Therapie

Bei kosmetisch entstellenden persistierenden Lidschwellungen bleibt letztlich nur eine korrektive, operative Blepharoplastik übrig. Bei dieser Indikation sollte mit dem verhältnismäßig kleinen operativen Eingriff nicht gezögert werden.

Hinweis(e)

Namensgebend für die Erkrankung als "Morbus Morbihan"  ist die Region Morbihan in der Bretagne. Morbihan steht im Bretonischen für kleines Meer und bezeichnet die Meeresbucht Golf von Morbihan. In Morbihan wurde diese Erkrankung primär beschrieben (Degos et al. 1957). 

Fallbericht(e)

Kasustik  (Cabral F et al. 2017): Ein 61-jähriger kaukasischer Mann berichtete über eine seit 20 Jahren bestehende Rosazea, die sich in den letzten zwei Jahren zu einer erythematösen Erkrankung mit schmerzlosen und anhaltenden Ödemen im Gesicht entwickelt hatte (s. Abb.). Er klagte über ein Hitzegefühl im Gesicht und war mit dem kosmetischen Aspekt unzufrieden. Er gab keine visuellen Beschwerden an. Zuvor war er sechs Monate lang mit oralem Isotretinoin behandelt worden, wobei er während der Einnahme teilweise ansprach und nach dem Absetzen des Medikaments einen Rückfall erlitt. Die Labortests waren normal. Die histopathologische Untersuchung ergab einen unspezifischen  Befund. Der Patient begann mit der Behandlung mit Isotretinoin (20mg - 0,3mg/kg) und Deflazacort (30mg), die nach einem Monat ein ausgezeichnetes therapeutisches Ansprechen zeigte. Isotretinoin wurde beibehalten, und das Kortikosteroid wurde nach einem Monat abgesetzt, wobei innerhalb weniger Tage ein Rezidiv auftrat. Daraufhin wurden topisches und später orales Metronidazol verabreicht. Darunter keine Besserung. Die Dosis von Isotretinoin wurde auf 40 mg (0,5 mg/kg) erhöht. Auch dies brachte keine Besserung. Schließlich wurde das systemische Kortikosteroid (Deflazacort 30mg/Tag) wieder angesetzt, Isotretinoin wurde mit einer Dosierung von 20mg/Tag beibehalten, was zu einer deutlichen Verbesserung des Erythems und des Lymphödems im Gesicht führte. Empfehlung: Medikamente langsam und schrittweise wieder absetzen.

Morbus Morbihan ohne Rosazea/Akne in der Anamnese:

Bei einer 30-Jährigen bestand seit 18 Monaten ein persistierendes, asymptomatisches erythematöses, symmetrisches Gesichtsödem. Keine Flushphänomene. Sie war zuvor wegen einer angeblichen „Rosazea“ mit Doxycyclin (100 mg/Tag über vier Monate) behandelt worden, jedoch ohne Erfolg. Die dermatologische Untersuchung ergab erythematöse, oberflächenglatte, solide flache erythematöse Schwellungen in Stirnmitte, der Lider, der Nase und den Wangen. Ansonsten war die Patientin völlig gesund und nahm keine Medikamente ein. Die Laboruntersuchungen mit immunologischen Tests und Quantiferon-Test sowie MRT der Augenhöhlen, Röntgenaufnahmen des Brustkorbs, hochauflösende Computertomographie des Brustkorbs, Röntgenaufnahmen des Schädels und Ultraschalluntersuchungen des Abdomens lagen alle im Normbereich. Die Histopathologie ergab ein dermales Ödem mit perivaskulären, periadnexiellen, lympho-histiozytären Infiltraten mit einzelnen Eosinophilen. Reichlich Mastzellen wurden beschrieben. Kein Hinweis auf Talgdrüsenhyperplasie, kein Nachweis von Demodex folliculorum. Die Patientin wurde mit oralem Isotretinoin (20 mg/Tag für acht Monate) behandelt, ohne dass sich die massiven Ödeme und Erytheme im Gesicht zurückbildeten. Sie erhielt daraufhin orale Kortikosteroide (Prednisolon, 20 mg/Tag für zwei Monate, gefolgt von einer Dosisreduzierung über drei Monate), was initial zu einer deutlichen Besserung, jedoch zu einem raschen Rückfall nach Absetzen des Steroids führte. Die Patientin wurde auf eine niedrigdosierte Dauertherapie mit Isotretinoin (10mg/Tag) in Kombination, Ketotifen und Prednisolon (10mg/Tag) eingestellt. Darunter besserte sich der klinische Gesamtbefund bis auf die entstellenden Lidschwellungen deutlich. Zwischenzeitlich wurde auf Drängen der Patientin eine Blepharoplastik mit zufriedenstellendem Ergebnis durchgeführt.  

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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  2. Degos R et al. (1957) Nouveau cas d´oedème érythémateux faciale chronique. Bull Soc Franc Derm Syph 80: 257  
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