Gicht M10.0

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles, Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 10.11.2024

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Synonym(e)

Arthritis urica; Gichtarthritis; goat(e); Purinstoffwechselstörungen

Definition

Klinische Manifestation einer primären oder sekundären Hyperurikämie in Form akuter und chronischer Arthritiden und Ablagerung von Harnsäuresalzen aus übersättigter Synovialflüssigkeit in den Gelenken  (s.a. Harnsäure, s.a. Gichttophi).  Der Harnsäurespiegel wird entscheidend von Alter, Geschlecht und Ernährung beeinflusst. Die Löslichkeitsgrenze von Natriumurat im Plasma liegt bei ca. 6,8 mg/dl (400 µmol/l); die obere Grenze für den Referenzbereich der Harnsäure liegt bei 7,0 mg/dl (416 µmol/l) für Männer und 6,0 mg/dl (357 µmol/l) für Frauen.

Vorkommen/Epidemiologie

In den Industrieländern haben etwa  20 % der Männer eine Hyperurikämie > 7 mg/dl (> 416 µmol/l). Bei Frauen steigt die Harnsäure meist erst nach der Menopause an (Versiegen der Östrogene mit urikosurischer Wirkung); vor der Menopause sind Hyperurikämien selten und dann sekundärer Genese.

Die Prävalenz der Arthritis urica beträgt in den Industrieländern ca. 2 % der Erwachsenen (m : w bis 9 : 1) und nimmt im Alter zu.

Das Risiko eines Gichtanfalls steigt mit zunehmender Höhe der Hyperurikämie: Inzidenzrate bei Werten > 9 mg/dl (> 535 µmol/l): Ca. 5 % pro Jahr.

Das Risiko einer Nephrolithiasis liegt bei asymptomatischer Hyperurikämie bei 0,2 % pro Jahr und bei Gichtkranken bei 0,8 % pro Jahr.

Ätiopathogenese

Primäre Gicht (90% der Fälle):

  • Autosomal-dominant erbliche Purinstoffwechselstörung. Störung der tubulären Harnsäuresekretion in der Niere. Verminderte Harnsäureclearance: Manifestiert sich bei purinreicher Kost und Übergewicht. Familiäre Belastungen sind häufig.  
  • Überproduktion von Harnsäure (etwa 1% der Fälle):
    • Mangel an dem Enzym Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosytranferase (HG-PRT)
    • Lesch-Nyhan-Syndrom (X-chromosomal rezessiv vererbte Erkrankung, Hyperurikämie, Tendenz zur Selbstverstümmelung)
    • Kelley-Seegmiller-Syndrom (Aktivität von HG-PRT vermidert (auf 1-20%) Hyperurikämie, Nierensteine, neurologische Symptome jedoch keine Selbstverstümmelungen. 

Sekundäre Gicht (10% der Fälle):

  • Vermehrte Harnsäurebildung bei hämolytischen Anämien, Leukämien, zytostatischer oder Strahlentherapie von Tumoren. 
  • Verminderte renale Harnsäureausscheidung bei Nierenerkrankungen, Ketoazidosen (Fasten,Diabetes mellitus) Einnahme von Pharmaka (Saluretika, Schleifendiuretika, Thiazide). 

Manifestation

Primäre Gicht: Hauptsächlich bei Männern im mittleren und höheren Lebensalter auftretend, bei Frauen praktisch nie vor der Menopause. Häufig vergesellschaftet mit Adipositas, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen.

Komorbiditäten sind: Hypertonie (69%), Hyperlipidämie (43%), Diabetes mellitus (32%), eingeschränkte Nierenfunktion/eGFR<60ml/min (16,45, Schilddfrüsenfunktionsstörungen (7,3%), Depressionen (7%).

Klinisches Bild

I. Akuter Gichtanfall: Auftreten häufig nach opulentem Mahl oder reichlichem Alkoholgenuss, aber auch völlig spontan ohne erkennbare Ursache. Plötzlich einsetzende, hochschmerzhafte Monarthritis (meist des Großzehengrundgelenks, sog. Podagra), seltener des Sprunggelenke und der Fußwurzel (ca.15%), des Kniegeldnks (Gonagra:10%) oder Daumengrundgelenks (sog. Chiragra) mit starken, kontinuierlichen, sponanten oder auf Druck einsetzenden Schmerzen verbunden mit  Rötung und Schwellung. Bei besonders starker Ausprägung auch Fieber, Schüttelfrost und allgemeine Entzündungszeichen. Eine Hyperurikämie ist im akuten Gichtanfall nicht obligat (Kontrolle des Harnsäurespiegels 2-3 Wochen später). 

II. Chronisches Stadium: Chronische, progrediente, mutilierende Arthritis der peripheren Gelenke. An der Haut Auftreten von Gichttophi. Selten wird das Auftreten einer Gichtpannikulitis beobachtet (Gaviria JL et al. 2015).

Diagnose

Folgende Kriterien (ARA-Kriterien) gelten zur Klassifikation der akuten Gichtarthritis (modfiziert n.Wallace 1997):

A) Uratkristalle in Synovialflüssigkeit

B) Uratkristalle in Tophus

C) Verschiedene

  1. Rezidivierende akute Arthritis
  2. Entzündungsmaximum innerhalb von 24 Stunden
  3. Monartikulärer Befall
  4. Rötung des Großzehengrundgelenks
  5. Schmerz, Schwellung des Großzehengrundgelenks
  6. Einseitiger Befall von Zehengrundgelenken
  7. Einseitiger Befall der Fußwurzel 
  8. Tophus
  9. Hyperurikämie - Harnsäure i.S. erhöht ( > 6,4 mg/dl)
  10. Asymmetrische Schwellung im Röntgenbild
  11. Subkortikale Zyste ohne Erosion
  12. Abakterieller Gelenkerguss

Eine Arthrtitis kann als Arthritis urica klassifizeirt werde, wenn mindestens eines der Kriterien A,B,C erfüllt ist, wobei C als erfüllt gilt, wenn 6 der unter 1-12 aufgeführten Merkmale zutreffen.   

Komplikation(en)

Interstitielle Nephritis, Nephrolithiasis.

Therapie allgemein

Purinarme Kost, weitgehende Meidung von Alkohol, Normalisierung des Körpergewichts.

Interne Therapie

Akuter Gichtanfall: Indometacin (z.B. Amuno) 3mal 50 mg/Tag oder Acemetacin 120-180 mg/Tag (z.B. Rantudil forte 2-3 Kps./Tag). Alternativ Naproxen 500-1250 mg/Tag, verteilt auf 2-3 ED p.o. oder Colchicin (Colchicum Dispert Drg.) 1 mg stündlich über 4 Std., danach 0,5-1 mg alle 2 Std. bis zum Nachlassen der Beschwerden. Maximale Tagesdosis 8 mg. Nebenwirkung: Diarrhoe häufig (Therapie nicht absetzen, Behandlung mit Imodium). Besserung der Arthritis unter Colchicin i.d.R. prompt. Wiederholung der Therapie am nächsten Tag mit der halben Dosis. Am 3. Tag 1,5 mg Colchicin/Tag. Behandlungsdauer: 5 Tage. Bei Niereninsuffizienz geringer dosieren.

Alternativ: Ibuprofen (2x 600mg), ggfl. kombiniert mit Prednisolon oral (50mg); absteigende Dosierung innerhalb 1 Woche auf 0  reduzieren. 

Chronisches Stadium: Allopurinol (z.B. Zyloric) 300-600 mg/Tag, evtl. Urikosurika wie Probenecid.

Naturheilkunde

Ernährungstherapie: Wenig Wurst und Fleisch, v.a. keine Geflügelhaut! und Innrereien; kein Alkohol.

s.a. unter Trinkkur.

s.a. unter Wickel nach Kneipp

Cave: bestimmte Gemüse wie z.B. Spargel, Spinat, Rosenkohl, Hülsenfrüchte, Sojaprodukte, Mohn, Trockenfrüchte, Schalen und Krustentiere, Weißmehlprodukte, süße Müslis und Gebäck, Schmelzkäse, Steinpilze, Schwarzwurzeln, grüne Erbsen, Hefe!

Neben Akupunktur kommen v.a. ausleitende Verfahren zum Einsatz.

akuter Gichtanfall: Blutegel, kleine Aderlässe

Im akuten Gichtanfall werden auch Therapien mit Eigenblut als Mischinjektion beschrieben: 2 ml Eigenblut  mit 2 Ampullen Traumeel® und 1 Ampulle Restructa pro injectione an Tag 1, 2 und 4, danach 2 x / Woche

Eigenblut mit Hämaktivator: Eigenblut mit 1 Ampulle Traumeel und 1 Ampulle Restructa pro injectione an Tag 1, 2 und 5, sowie 2 x / Woche.

Bei chronischen Beschwerden: Eigenblut mit Hämaktivator (wie akuter Gichtanfall) und Harpagophytum D3 DHU oder mit Injektionslösung Ledum Pflüger und Harpagophytum D2 Injektionslösung Pflüger.

Gichttophi an den Großzehen: Cantharidenpflaster, s. dort: Autoren stehen dieser Therapie zurückhaltend gegebüber!

Physikalische Therapie

akuter Gichtanfall: Hydrotherapie mit kalten Kompressen oder Güssen: kaltes Wasser fließend über das schmerzende Gelenk bis zu Schmerzreduktion/freiheit, ggf. Eiskompressen- cave Erfrierungsgefahr!

chronische Beschwerden:  

Empfohlen wird eine purinarme Ernährung, erlaubt sind bspw. Milchprodukte wie Milch, Joghurt und Quark, Eier, Hartkäse, viel Gemüse (mit Ausnahme der purinreichen Sorten wie Kohl, grüne Bohnen, Brokkoli, Spinat, Spargel).

Getreideprodukte- und -flocken, Kartoffeln, Eiernudeln, Weißbrot und Reis können als purinarme Lebensmittel ebenso verwendet werden.

Wichtig ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr von mind. zwei bis drei Liter Wasser/ Tag. Auch ungesüßte Kräuter- und Früchtetees oder Kaffee sind erlaubt.

Tabellen

Purintabelle: Nahrungsmittel, die bei Gicht gegessen werden dürfen (Werte berechnet als Harnsäure/100g)

  • Milch 0 mg/100g
  • Joghurt 0 mg/100g
  • Quark 0 mg/100g
  • Tee 0 mg/100g
  • Kaffee 0 mg/100g
  • Ei 5 mg/100g
  • Salatgurke 7 mg/100g
  • Tomaten 10 mg/100g
  • Paprika 10 mg/100g
  • Kartoffeln 15 mg/100g
  • Äpfel 15 mg/100g
  • Birne 15 mg/100g
  • Honigmelone 18 mg/100g
  • Wassermelone 20 mg/100g
  • Käse 20 mg/100g
  • Zucchini 22 mg/100g
  • Weizenmehl 38 mg/100g

Purintabelle: Nahrungsmittel, die bei Gicht gemieden werden sollten (Werte berechnet als Harnsäure/100g) 

  • Sprotten 802 mg/100g
  • Schweinemilz 600 mg/100g
  • Ölsardinen 480 mg/100g
  • Forelle 345 mg/100g
  • Kalbsleber 288 mg/100g
  • Gänsefleisch 254 mg/100g
  • Schweineschnitzel 211 mg/100g
  • Thunfisch in Öl 204 mg/100g
  • Erbsen 180 mg/100g
  • Rosenkohl 170 mg/100g
  • Linsen 160 mg/100g
  • Blumenkohl 45 mg/100g
  • Spargel 25 mg/100g
  • Rinderfilet 153 mg/100g
  • Bier, hell mit Alkohol 15 mg/100g

Literatur
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  1. Gaviria JL et al. (2015) Unusual Dermatological Manifestations of Gout: Review of Literature and a Case Report. Plast Reconstr Surg Glob Open 3:e445
  2. Richette P et al.(2016) 2016 updated EULAR evidence-based recommendations for the management of gout. Ann Rheum Dis. 2016 Jul 25. doi: 10.1136/annrheumdis-2016-209707.
  3. Scherer M et al. (2016) Association between multimorbidity patterns and chronic pain in elderly primary care patients: a cross-sectional observational study. BMC Fam Pract 17:68.
  4. Tzeng HE et al.(2016) Gout increases risk of fracture: A nationwide population-based cohort study. Medicine (Baltimore) 95:e4669.
  5. Wallace SL et al. (1977) Preliminary criteria for the classification of the acute arthritis of primary gout. Arthritis Rheum 20: 895-900.
  6. Augustin M et al (1999) Praxisleitfaden Naturheilkunde. S 569-571
  7. https://www.helios-gesundheit.de/magazin/ernaehrung/news/ernaehrung-bei-gicht/

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