Synonym(e)
Erstbeschreiber
Die erste Beschreibung gab 1883 Buchwald in Breslau unter dem Titel: Diffuse idiopathische Hautatrophie. Weitere Mitteilungen folgten 1886 von Touton, im gleichen Jahr von Pospelow, 1895 von Pick (Erythromelie)und von I.v.Neumann (Erythema neoparalyticum). Die Bezeichnung Acrodermatitis chonica atrophicans stammt von Herxheimer und Hartmann (1902).
Definition
Auch interessant
Vorkommen/Epidemiologie
Inzidenz (Europa): etwa 10/100.000 Einwohner/Jahr. Gehäuft in Borrelien-Endemiegebieten, insbes. in einigen waldreichen Gegenden Österreichs, Polens und Osteuropas.
Die Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) betrifft vorwiegend Frauen im Alter von 40-70 Jahren. In der pädiatrischen Bevölkerung ist ACA selten, und es wurden nur wenige Fälle bei Kindern gemeldet. ACA tritt in Europa häufiger aufgrund einer unbehandelten Infektion mit Borrelia afzelii auf und ist in den Vereinigten Staaten selten zu finden. Die Gesamtprävalenz von ACA bei Patienten mit Lyme-Borreliose beträgt in Europa etwa 10 %.
Ätiopathogenese
Ursächlich sind Borrelien die zur Familie der Spirochaetacea gehören. Es gibt etwa 20 verschiedene Genospezies, aber nur fünf stellen ein signifikantes pathogenes Risiko für den Menschen dar (Hubálek Z et al. 1997):
- B. afzelii
- B. garinii
- B. bavariensis
- B. burgdorferi sensu stricto
- B. spielmanii
Die Acrodermatitis chronica atrophicans entsteht überwiegend durch eine bakterielle Infektion mit B. afzelii. Sie kann jedoch auch durch europäische B. burgdorferi sensu stricto oder B. garinii verursacht werden.
Pathophysiologie
Bei ACA kommt es zu einer chronischen, T-Zell-vermittelten Immunreaktion gegen Borrelien mit der Anwesenheit von CD3+ und CD4+ Zellen im Hautinfiltrat (Kempf W et al. 2015). Borrelien binden an extrazelluläre Matrixproteine, darunter Glykosaminoglykan-bindendes Protein, Fibronektin-bindendes Protein und Decorin-Proteoglykan (Brissette CA et al. 2009). Borrelien haben eine hohe Affinität zu Kollagenfasern, was elektronenmikroskopisch nachgewiesen wurde. Sie aktivieren Metalloproteasen und verursachen hierdurch den Abbau der extrazellulären Matrix. Die Schädigung des Bindegewebes mit der Zerstörung von Kollagen führt zu Fibrose und Hautatrophie (Müller KE 2012).
Manifestation
Die Acrodermatitis chronica atrophicans ist die häufigste, späte und chronische Manifestation der Lyme Borreliose. Etwa 20 % der Patienten mit ACA haben in der Vorgeschichte ein spontan abgeheiltes Erythema chronicum migrans, in der Regel an einer Extremität, an der sich die Zeichen der Acrodermatis chronica atrophicans (ACA) 6 Monate bis 8 Jahre später entwickelt hatben- Stadium 3 der Lyme-Borreliose.(Moniuszko-Malinowska A et al. 2018). Die Acrodermatitis chronica atrophicans ist in erster Linie auf eine Infektion mit B. afzelii zurückzuführen, kann aber auch durch B. garinii oder europäische B. burgdorferi-Infektionen verursacht werden. Das Auftreten ist in jedem Lebensalter möglich, v.a. im 5.-6. Lebensjahrzehnt; Frauen sind bevorzugt betroffen (Strle F et al. 2013).
Lokalisation
Distale Extremitäten (Strle F et al. 2013) und Akren, seltener Rumpf. Gesicht ist fast stets ausgespart. Fingerendglieder und Zehen bleiben ebenfalls frei. Häufig asymmetrischer Beginn. Bei jahrelangem Befall sind häufiger entweder beide Arme oder beide Beine betroffen.
Klinisches Bild
Infiltratives(ödematöses) Stadium: Monate bis Jahre nach dem Primärstadium bilden sich umschriebene, eher diskrete, bei Erstdiagnose (wenn sie als Borrelieninfektion erkannt werden) handtellergroße , wenig scharf begrenzte, nicht symptomatische, bäunlich-rote, sukkulente, nicht schuppende Erytheme und Plaques. Diese werden an der unteren Extremität häufig als "chronische Veneninsuffizienz" fehlgedeutet. Unbehandelt breiten sich die Läsionen allmählich zu großflächigen, häufig einen ganzen Körperteil erfassende, ödematöse, unscharf begrenzte, kaum Beschwerden verursachende, lividrote Plaques mit einer glänzenden Oberfläche aus.
Atrophisches Stadium: nach monatelangem Bestand kaum merklicher Übergang in ein, eigenartig glänzendes, ausgedünntes, haarloses (Follikel werden zerstört), atrophisches Hautstadium. Auffällig (und namensgebend) ist eine knittrige Fältelung der braun-rot verfärbten Haut, mit deutlich durchscheinenden Gefäßen. Die oberflächlichen Venen ziehen unter dieser atropischen Haut, als seltsam aufgesetzte gewundene Stränge wie man sie ansonsten nur in der welken Haut sehr alter Menschen vorfindet. Bei einigen Patienten mit jahrelangem Verlauf finden sich auch kleinherdige, zirkumskripte, "Anetodermie-artige" Atrophien. Dabei ist die Haut hyper- oder depigmentiert. Besondere Beachtung verdienen strangartige kutan-subkutan gelegene, vielfach gut verschiebliche, strangartige, gut verschiebliche, auch adhärente bandförmige, rötliche Plaques. Sie werden an der Ulna als Ulnarstreifen (bei rund 25% bei fortgeschrittenen Fällen) an der Tibia als Tibiastreifen (sehr selten <5% der Fälle) bezeichnet.
Proliferatives Stadium (nur bei langzeitig bestehender A.chr.a./sehr selten noch zu beobachten):
- Fibroide Knoten: Bei rund 25% in diesem Langzeitklientel sind die sog. fibroiden Knoten, von rötlicher oder livider Farbe, in Gelenksnähe (Ellenbogen, Finger, Knie). Es gehört zu unerklärlichen Besonderheiten dieser Erkrankung, dass sie neben der das klinische Bild prägenden, flächenhaften Atrophie von Haut und Subkutis (in unbehandeltem Zustand) fokale bindegewebige Wucherungen, sog. fibroide juxtaartikuläre Knoten, ausbilden. Hierbei handelt es sich um bis walnussgroße, evtl. verkalkende Knoten, v.a. über den Ellbogen (s.Abb.).
- Plattenartige dermatosklerotische Plaques: Zu beobachten an Fußrücken, Knöchelpartien, distalen Unterschenkeln. Letztere werden als panzerartig verdickt, straff, auch sklerotisch glänzend beschrieben. Die Gefahr der Ulzeration ist hierbei gegeben.
- Morphea-artige Acrodermatitis chronica atrophicans: bei dieser besonderen und seltenen Variante kommtes nicht zu dem charakteristischen Atrophiezsutand der Acrodermatitis atrophicans, sondern zu einer reaktiven "Morphea-artigen" Sklerosierung der Haut. Deratige Veränderungen können am Rumpf, aber auch an den distalen Extermitäten auftreten (Unterschenkel und Fußrücken). Insbesondere am Rumpf sind dieser Herde schwierig von dem Plaque-Typ der zirkumskripten Sklerodermie (Morphea) zu unterscheiden (Histologie mit plasmazelliger Dominanz, positive Borrelien-Serologie).
Fakultative Begleiterscheinungen:
Sekundäre Hautveränderungen:
- Verlust von Haarfollikeln, Talg- und Schweißdrüsen, trockene Haut.
- Neigung zu Exsikkationsekzem.
- Torpide Ulzerationen durch Bagatelltraumen der läsionalen Haut.
- Gehäuft Pseudolymphome der Haut (Borrelien-Lymphozytom), Lipom, Fibrom, Karzinom, Übergang in malignes kutanes B-Zell-Lymphom möglich.
Neurologische Komplikationen:
- Bei etwa der Hälfte der Patienten kann eine, meist läsional begrenzte, axonale periphere Neuropathie auftreten, die mit Taubheitsgefühlen, Kribbeln oder Allodynie, einer übersteigerten brennenden Schmerzreaktion auf banale Reizeinwirkungen einhergeht.
- Seltener ist eine disseminierte Neuropathie.
Labor
Starke Erhöhung der gamma-Globuline und BSG durch Stimulation des B-Lymphozyten-Systems mit Ausreifung von Plasmazellen. Hohe Antikörpertiter gegen Borrelienantigene (IgG).
Bei Knochenmarksbiopsie: plamazellige und lymphoide Inflitrate, auch Eosinophilie.
Histologie
Entzündlich-ödematöses Stadium: Epithel wenig verbreitert, Orthokeratose. Ödem der Dermis mit Gefäßerweiterungen. Charakteristisch sind interstitielle granulomatöse Infiltrate (CD68 positiv), mit eigentümlich verdickten und homogenisierten Kollagenbündeln, sowie einem bandartigen Infiltrat aus CD4 positiven T-Lymphozyten. Stellenweise vakuolige Degeneration der Basalzellschicht. Die Interface Veränderungen sind meist nicht sehr ausgeprägt. Plasmazellen sind häufig aber nicht immer nachweisbar. In einer größeren Studie (Brandt FC et al. 2017) fehlten Plasmazellen bei 9 of 22 Biospien.
Bevorzugt wird B. afzelii, Serotyp 2 nachgewiesen (s.u. Borrelien).
Atrophisches Stadium: Epidermisatrophie mit kompakter Orthokeratose; zunehmender Verlust der elastischen Fasern. Eher spärliches, diffuses entzündliches Infiltrat aus Lymphozyten und Plasmazellen.
Fibroide Knoten und dermatosklerotische Platten zeigen im wesentlichen den selben Aufbau, der durch 2 übereinaderliegende Schichten gekennzeichnet ist. In den oberen Schichten kommt es zu einer Parellisierung des Bindegewebes. Zwischen den kollagenen Bündeln sind plasmazellreiche Infiltrate erkennbar.
Diagnose
Die Diagnose von ACA basiert auf klinischen Befunden und wird durch serologische Tests (hohe Konzentration spezifischer Borrelien-IgG-Antikörper) gestützt. Bei der Mehrzahl der chronischen Borreliose-Patienten ist die Serologie positiv für Borrelien-IgG-Antikörper. IgM-Antikörper gegen Borrelien sind im Spätstadium oft falsch positiv und daher für die Diagnose der ACA nicht hilfreich. Ein negativer serologischer Test schließt die ACA aus. Wenn das klinische Bild unsicher ist, wird die weitere Diagnose durch eine Hautbiopsie und eine histologische Untersuchung gestellt. Der Nachweis von B. burgdorferi-DNA durch Kultur oder PCR unterstützt die Diagnose.
Differentialdiagnose
- Klinische Differenzialdiagnosen:
- Akrozyanose: keine Atrophie der Haut; bevorzugt akrale Lokalisation; Borrelien-Serologie neg. (gilt auch für alle weiteren DD).
- Perniones: umschriebene Plaques oder Knoten, keine Hautatrophie, wechselhafter Verlauf.
- Stauungsekzem bei chronischer venöser Insuffizienz: CVI-Zeichen, nur untere Extremität betroffen, fast ausschließlich beidseitig auftretend, brauner Farbton, evtl. Ulkusbildung.
- Erysipel: Akuter Verlauf, Fieber, Schmerzhaftigkeit, schmerzhafte Lymphadenitis, Leukozytose, CRP deutlich erhöht.
- Erythromelalgie: typische reproduzierbare Schmerzsymptomatik, positiver Kaltwassertest.
- zirkumskripte Sklerodermie Typ Atrophodermia idiopathica et progressiva: stammbetonte Lokalisation, negative Serologie und PCR.
- Histologische Differenzialdiagnosen:
- Lichen planus: markante Interface-Dermatitis mit ausgeprägter Vakuolisierung der basalen Keratinozyten; keine Plasmazellen.
- Lichenoide Arzneireaktion: meist deutliches dermales Ödem; häufig Eosinophilie, keine Plasmazellen.
- Mycosis fungoides: typische Halobildung um polymorphe Lymphozyten, kaum Plasmazellen, markante Epidermotropie mit vakoulisierten Epidermiszellen; Eosinophilie ist möglich.
- PLEVA: keine Histiozyten, keine Plasmazellen.
- Syphilitische Exantheme: Interface-Dermatitis mit großer Infiltratdichte, psoriasiforme Epidermisreaktion, zahlreiche Plasmazellen.
- Atrophodermia idiopathica et progressiva: eher schütteres, lympho-histiozytäres Infiltrat, verplumpte Kollagenfaserbündel in der tiefen Dermis; atrophisches, hyperpigmentiertes Oberflächenepithel.
Komplikation(en)
Bakteriellen Superinfektionen;
Die ACA gilt als Risikofaktor für bösartige Erkrankungen, einschließlich B-Zell-Lymphomen, Basalzellkarzinomen und Plattenepithelkarzinomen.
Interne Therapie
Therapie der 1. Wahl ist Ceftriaxon (z.B. Rocephin) auch bei begleitenden extrakutanen Manifestationen wie Arthritiden oder ZNS-Beteiligung (s. Tab. 1). Die antibiotischen Zyklen sollten je nach Klinik in 3-monatigen Abständen wiederholt werden und aufgrund der Generationszeiten 21 -28 Tage dauern.
Erwachsene erhalten Ceftriaxon 1mal/Tag 2 g i.v., bei schweren, therapierefraktären Fällen bis zu 4 g/Tag über 3 Wochen. Kinder erhalten 1mal/Tag 50 mg/kg KG bis zur Höchstdosis von 2 g/Tag über 21Tage. Bei Früh- und Neugeborenen bis zu 2 Wochen Dosen von 50 mg/Tag/kg KG nicht überschreiten.
Die Therapiedauer richtet sich nach dem klinischen Befund, ggf. müssen die Zyklen wiederholt werden.
Antikörpertiterkontrollen sind für den Verlauf des Heilungsprozesses nur bedingt aussagefähig. Allerdings ist unter einer suffizienten Therapie ein Titerabfall zu verzeichnen. Atrophien sind nicht reversibel.
Alternativ: Orales Amoxicillin 500 bis 1000 mg dreimal täglich für 14 bis 28 Tage
Alternativ: Doxycyclin oral 100 mg zweimal täglich oder 200 mg einmal täglich für 14 bis 28 Tage
Alternativ: Cefotaxim intravenös 2000 mg alle 8 Stunden über 14 bis 28 Tage
Altertnativ: Penicillin G intravenös 3 bis 4 MU alle 4 Stunden über 14 bis 28 Tage
Kinder/Schwangerschaft (Gefahr der diaplazentaren Übertragung!)
- Amoxicillin 50 mg/kg KG/Tag p.o. (2-3mal/Tag 500 mg/Tag p.o.)
- Alternativ: Cefuroxim Saft 20-30 mg/kg KG/Tag über 21Tage
- Alternativ: Erythromycin 3-4mal/Tag 500 mg p.o. oder i.v. über 21 Tage
Verlauf/Prognose
Die klinische Prognose ist günstig, wenn das akute Entzündungsstadium angemessen behandelt wird. Für die chronische atrophische Phase ist der klinische Ausgang schwer vorherzusagen, da die Veränderungen nur teilweise reversibel sind. Eine Studie zeigte, dass eine 28-tägige Therapie mit Cephalosporinen der dritten Generation zu einer teilweisen bis vollständigen Rückbildung der Hautläsionen führte. Bleibt die ACA unbehandelt, so bildet sie sich in der Regel nicht spontan zurück. Die Folge sind Fibrose und zunehmende Atrophie. I.A. kann eine Antibiotikatherapie bereits bestehende polyneuropathische Symptome nicht rückgängig machen!
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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