Synonym(e)
Definition
Auf den Schleimhautbereich verhornender und nicht verhornender Plattenepithelien begrenzter (Darmschleimhäute und Schleimhäute des Urogenitaltraktes sind nicht betroffen!) oder im Rahmen eines integumentalen Lichen planus auftretender, polyätiologischer, vielgestaltiger, fleck- oder plaqueartiger (auch netzig streifig) weißlich-keratotischer oder auch seltener flächig erosiver oder vesikulös/bullöser Lichen ruber (v.a. Mund- und/oder der Genitalschleimhaut).
Ätiopathogenese
Unbekannt, s.u. Lichen planus.
Eine pathogenetische Rolle von Hepatitis C-Infektionen wird diskutiert.
Eine autoimmunologische Genese ist anzunehmen. Bei etwa 30% der Patienten mit einem "vulvovagino-gingivalen Syndrom" werden autoimmunologische "Begleiterkrankungen" wie Diabetes mellitus, Hashimoto-Thyreoiditis (15%), Vitiligo (5%), Alopecia areata (4%), Zöliakie, perniziöse Anämie, Sjögren-Syndrom, idiopathische thrombozytopenische Purpura gefunden.
Diskutiert, und in Einzelfällen bewiesen, werden beim oralen Lichen planus allergische Reaktionen auf Amalgam oder auf andere in der Dentalmedizin benutzte Materialien (z.B. Eugenol).
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Manifestation
w:m = 2:1
Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei der Erstdiagnose zwischen 40-60 Jahren (11-94 Jahre). In einer größeren Studien lag der Median bei 59,2 Jahre.
Sowohl der monotopische orale wie auch der vulvovaginale LP neigt zur Chronizität mit kontinuierlichen oder diskontinuierlichen rezidivierenden klinischen Verläufen über 3-10 Jahre.
Für das vulvovagino-gingivale Syndrom wird eine mittlere Erkrankungsdauer von > 10 Jahren (3-31 Jahre) mitgeteilt.
Rauchen scheint weder bei der Unterhaltung noch bei der Auslösung des oralen Lichen planus eine Rolle zu spielen.
Lokalisation
Mundschleimhaut (meist beidseitiger Wangenbefall), Zunge (v.a. seitliche Zungenpartien), Zahnfleisch.
Etwa 75% der Lichen ruber-Patienten zeigen eine diskrete oder auch distinkte, orale und/oder vulvo-vaginale Mitbeteiligung.
Die Gingiva ist bei etwa 10% der Pat. befallen.
Klinisches Bild
S.a. Lichen planus.
Mundschleimhaut (Oraler Lichen ruber/planus):
- Typ I (weißer Papel- oder Plaque-Typ): Meist streifige, punktierte, anuläre, netzförmige auch flächige weißliche Papeln oder Plaques, die insbes. retroangulär und im Bereich der gesamten Zahnschlussleiste (Köbner-Phänomen) zu großflächigen opalen Plaques konfluieren können. Seltener ist ein klein-papulöser Schleimhauttyp (s. Abb.). Nicht immer sind unterliegende Erytheme (der Lichen-planus-Inflammation) sichtbar (Abdeckphänomen der überlagernden orthokeratotischen Schleimhautverhornung) gefunden. Die Veränderungen sind meist nicht schmerzhaft. Das Lippenrot kann mitbetroffen, aber auch isoliert befallen sein. Gelegentlich entstehen bräunliche Hyperpigmentierungen. Die Zunge kann sowohl durch flächenhafte opale Plaques betroffen sein, die erst bei seitlicher Sicht besser erkennbar sind. Parallel dazu kann eine Vergröberung des Oberflächenreliefs beobachtet werden (als Ausdruck der diffusen lichenoiden Entzündung). Einige Patienten (etwa 1%) geben Geschmacksstörungen an.
- Typ II (roter oder erosiver Typ ): zweithäufigste Manifestationsform des Lichen ruber mucosae (s.u. Lichen ruber erosivus mucosae). Hierbei imponieren schmerzhafte (v.a. bei Aufnahme von säurehaltigen Speisen oder Getränken) flächige Erytheme, Erosionen oder flächige Ulzera. Das klinische Leitsymptom bei dem erosiven Typ ist der "Schmerz", der sich prompt v.a. bei säurehaltigen Speisen oder Getränken einstellt. Der erosive Lichen ruber hat mit 0,5-2,0% ein deutliches Risiko zur malignen Transformation.
- Typ I/Typ II in unterschiedlichen Mischformen.
- Als "orale lichenoide Reaktion" wird der Lichen ruber mucosae beschrieben, der in unmittelbarer Nachbarschaft zu Amalgamfüllungen an der bukkalen Wangenschleimhaut, der Zunge oder Gingiva auftritt. Einige Autoren postulieren eine eigenständige Entität (s.u. Hinweise).
- Gingiva: Bei Befall der Gingiva imponiert eine chronisch desquamative Gingivitis. Der "leukoplakische" Aspekt fehlt häufig vollständig. Es imponieren flächige Erytheme oder flächige, sehr schmerzhafte Erosionen, die sich während des akuten Schubes vergrößern und v.a. bei Genuss von säurehaltigen Speisen (z.B. Orangensaft) symptomatisch werden.
Genitalschleimhaut:
- Die Genitalschleimhaut ist seltener als die Mundschleimhaut betroffen. Die klinische Symptomatik ist der der Mundschleimhaut analog. Meist führen Probleme beim Geschlechtsverkehr oder brennende Beschwerden beim Urinieren zum Arzt. Eine schwer verlaufende, chronifizierte und vernarbende Variante wird als "vulvovagino-gingivales Syndrom" bezeichnet.
Histologie
Differentialdiagnose
Aphthen: Rasch entstehende, solitäre oder multiple, schmerzhafte, 0,2-0,5 cm große, entzündliche, gering elevierte Schleimhautinfiltrate mit zentraler fibrinbedeckter Erosion (seltener Ulzeration) und erythematösem Randsaum.
Leukoplakie: Männder>Frauen; ubiquitär in der Mundhöhle; bevorzugt retroangulär, Mundboden, Zungenränder, Vestibulum oris, zahnloser Alveolarkamm. Meist umschriebene oder großflächige, grau- bis sattweiße Herde mit glatter oder höckriger Oberfläche; histologische Sicherung.
Pemphigus vulgaris: Typisch ist ein chronisch schleichende Beginn, schwankend zwischen Besserungen und Rezidive. Merke: Blasen werden in diesem lokalisierten Stadium häufig nicht gesehen; somit wird die Erkrankung klinisch meist nicht als blasenbildend bewertet. Häufig (> 50%!) erste klinische Erscheinungen in der Mundhöhle (erosive, schmerzhafte Stomatitis, Fötor ex ore).
Schleimhautpemphigoid: Rezidivierende, erosive, schmerzhafte Stomatitis mit rasch platzenden, narbig abheilenden Blasen (Blasen häufig nicht nachweisbar) an Gaumen, Wangen und Gingiva. Meist gleichzeitige Beteiligung der Konjunktiven (fehlt stets beim Lichen ruber mucosae)
Chronische ulzerative Stomatitis: Seltene, erosive Erkrankung der Mundschleimhaut. V.a. Frauen sind betroffen. Charakteristisch ist ein Fluoreszenzmuster mit IgG-Antikörpern und nukleärem Muster der basalen und suprabasalen Keratinoyzten.
Therapie
Abhängig von Aktivität und Ausdehnung der Läsionen. Befriedigende Ergebnisse werden bei ausgedehnter Symptomatik nur durch eine Systemtherapie erzielt.
Externe Therapie
Kleinere nicht erosive Herde: Bei nicht erosiven, klinisch wenig belästigenden Herden ist lediglich eine blande Lokaltherapie mit milden, adstringierenden Stomatologika (z.B. Tormentill Adstringens R255 ) oder Dexpanthenol-Lösung (z.B. Bepanthen Lsg., R066 ) notwendig, ggf. kann auch hierauf verzichtet werden. Bei isoliertem oligo- oder asymptomatischem Schleimhautbefall wäre ebenfalls ein derartiges Vorgehen zu bevorzugen.
Lokalisierter nicht erosiver Befall der Lippen: Da hierbei meist nur eine geringe Beschweresymptomatik auftritt, empfiehlt sich regelmäßiges Anwenden eines Fettstiftes. Angenehm ist auch eine Lanolin-haltige Lippensalbe. Lichtschutz im Sommer!
Lokalisierter Befall der Lippen mit klinischer Symptomatik (Brennen, Schmerzen): Als Grundpfelge Lanolin-haltige Lippencreme, mehrfach täglich. Additiv Ciclosporin-haltiges Externum. Hier kann ein Fertigpräparat empfohlen werden (Ikervis Augentropfen), das anfänglich täglich aufgetragen werden sollte. Auch hierbei ist Lichtschutz erforderlich!
Großflächige nichterosive Herde: Bei großflächigem, isoliertem Schleimhautbefall kann eine konsequente Lokaltherapie mit Vitamin A-Säure-Lösung oder Gel R258 erfolgen (Gel oder Lösung auf die Schleimhaut mittels einer Zahnbürste auftragen und wenige Minuten dort einwirken lassen). Ggf. im Wechsel (oder in Kombination) mit einem 0,1% Betamethason Mundgel (Betamethasonvalerat-Haftpaste 0,1% NRF 7.11.) oder Prednisolonacetat Paste (Dontisolon D Mundheilpaste) anwenden. Bewährt hat sich auch Celestamine liquidum® das 2-3 Minuten im Mund belassen und dann ausgespült wird.
Entzündliche, erosive Herde (Die Patienten sind durch diese häufig chronischen, schmerzenden Mundschleimhautveränderungen in ihrer Lebensqualität erheblich beeinträchtigt).
- Als "Erstschritt-Therapie" ist eine Lokaltherapie mit topischen Glukokortikoiden, z.B. mit 0,1% Betamethason Mundgel (Betamethasonvalerat-Haftpaste 0,1% NRF 7.11.) , möglich.
- Gute Erfahrungen bestehen auch mit Clobetasol-Creme (z.B. Dermoxin Creme auf einen Mull-umwickelten Mundspatel auftragen und lokal applizieren).
- Alternativ sind wässrige Prednisolon- oder /Hydrocortison-Lösungen zu empfehlen (z.B. Rp.: Nystatin 100KUI/Lidocain 0,1/Prednisolon 0,1/ aqua purificata ad 100,0/ S: Milde gut verträgliche Prednisolon-haltige Lösung 1-2x täglich anwenden; oder ein Kombinationspräparat von Hydrocortisonacetat und Tetracainhydrochlorid - Rp.: Hydrocortisonacetat 1,0/ Propylenglycol 37,3/ Tetracainhydrochlorid 2,0/ Guaj-Azulen 25% wasserl. 0,05/ Cremophor RH40 0,4/Pfefferminzöl 0,3/Panthenollösung 5% 40,0/ dest. Wasser ad 285,0/S: Milde gut verträgliche Hydrocortison-haltige Lösung 1-4 x täglich anwenden). Bewährt hat ich das mehrfach täglich Einsprühen der Läsionen mit einem Momethason-haltigen Nasenspray (Nasonex®-Supension)
- Gute Erfolge wurden mit einer Ciclosporin A-haltigen Paste (Ciclosporin A-Haftpaste 2,5) und einer 0,03% Tacrolimus Suspension beschrieben (Evidenzlevel: B) (alternativ: 1% Pimecrolimus Creme, die im Schleimhautbereich besser verträglich ist). Hierfür diese Externa mit einer weichen Zahnbürste oder auf einem mit Mull umwickelten Spatel auf die Läsion auftragen und möglichst lange einwirken lassen. Behandlung 2-3mal täglich durchführen.
- Vitamin A-Säure-haltige topische Präparate sind bei dieser Form weniger geeignet (sie wirken zu stark irritativ!).
Merke! Bei ausgeprägter klinischer Symptomatik und Chronizität ist die zuvor beschriebene (symptomatische) Lokalbehandlung nicht ausreichend!
Interne Therapie
Therapie der 1. Wahl ist die Kombination von Acitretin und Glukokortikoiden. Acitretin (z.B. Neotigason) initial 0,5 mg/kg KG/Tag und Prednisolon (z.B. Decortin H) initial 1 mg/kg KG/Tag p.o. Erhaltungsdosis nach Klinik. Die Therapie muss entsprechend der klinischen Symptomatik über Wochen bis Monate durchgeführt werden.
Alternativ: falls nicht ausreichend, ist eine Kombinationstherapie mit Azathioprin und systemischen Glukokortikoiden erforderlich: Azathioprin (z.B. Imurek) initial 1,0-1,5 mg/kg KG/Tag und Prednisolon (z.B. Decortin H) initial 1,0-1,5 mg/kg KG/Tag. Reduktion der Dosis nach Klinik.
Alternativ bei Therapieresistenz: Monotherapie mit Ciclosporin A (3,0-5,0 mg/kg KG/Tag p.o.) oder Mycophenolatmofetil (z.B. CellCept 2,0 g/Tag p.o.).
Alternativ: Methotrexat 10-15 mg/Woche p.o. Wie auch bei anderen Systemtherapeutika muss eine monate/jahrelange Therapie veranschlagt werden. Positive Effekte sind nach 12-wöchiger Therapie zu erwarten.
Alternativ: Anwendung von Biologika (TNF-alpha-Blocker). 4-wöchige Laborkontrollen sind notwendig.
Beim vulvo-vagino-gingivalem Syndrom empfiehlt sich bereits initial der gewichtsadaptierte Einsatz von Azathioprin (z.B. Imurek) 1,5-2,0 mg/kg KG/Tag p.o., ggf. in Kombination mit einem Glukokortikoid in anfänglich mittlerer Dosierung (z.B. Prednisolon 0,5 mg/kg KG/Tag p.o.). Anschließend klinikadaptierte geringere Dosierung (5,0-7,5 mg/Tag p.o.).
Merke! Alle hier vorgestellten Therapien sind "Off-Label-Use" Anwendungen. Der wissenschaftliche Nachweis der Überlegenheit einer systemischen Therapie vor der Lokaltherapie wurde bisher bei oralem (oder vulvo-vaginalem) LP nicht erbracht.
Verlauf/Prognose
Es besteht ein erhöhtes Risiko (1-3%) beim oralen LP für die Entwicklung eines oralen Plattenepithelkarzinoms. Die WHO ordnet den oralen Lichen planus als "premalignant condition" ein (van der Meij EH et al. 2003).
Ein erhöhte Plattenepithelkarzinom-Risiko wurde auch für den vulvären Lichen planus festgestellt. Die Rate der inguinalen Metastasierung und der Rezidive ist hoch, ebenso die krankheitsbezogene Sterberate.
Naturheilkunde
Kamillenextrakte: Naturheilkundlich kommen mehrfach täglich angwendete Kamillespülungen (Matricariae flos) in Frage.
Alternativ: Aloe vera: In kleineren klinsichen Studien wurden (mehrfach) gute Effekte werden sowohl beim oralen als auch beim genitalen Lichen planus mit lokal applizierbaren Aloe-vera-Präparaten (z.B. 0,5% Aloe-vera-Gel) beschrieben (Rajar DU et al. (2008)
Alternativ: Lokale Therapie mit einem Gemisch aus Eukalyptusöl, Fenchelöl, Levomenthol, Nelkenöl, Pfefferminzöl, Salbeiöl, Sternanisöl, Thymol, Zimtöl wie dies in Salviathymol® N angeboten wird.
Alternativ: Nelkenöl: Pinselungen mit Nelkenöl (Caryophylli floris aetheroleum)
Diät/Lebensgewohnheiten
Diätetische Maßnahmen: Bei erosivem Lichen planus mucosae empfiehlt sich das Vermeiden von scharfen Gewürzen, Fruchtsäuren (Essig, Zitrusfrüchte, Wein und sonstige Spirituosen) von stark gesalzenen Nahrungsmitteln, da diese ein Brennen der Mundschleimhaut verursachen. Auf ausreichende Ernährung achten (Vitamine, Mineralien)!
Bei der Zähnereinigung empfiehlt sich die Verwendung einer weichen Zahnbürste und eine milde Zahpasta.
Hinweis(e)
Für den leukoplakischen Aspekt des mukosalen Lichen ruber ist die Ausbildung einer kompakten Hyperkeratose verantwortlich. Die wasserspeichernde Hornschicht quillt auf, wodurch der opaliszierende Milchglaseffekt entsteht. Die Oberfläche wird intransparent weiß.
Einige Autoren grenzen die orale lichenoide Reaktion (OLR) als einer dem Lichen planus mucosae klinisch und histologisch "ähnliche" immunologische Hypersensitivitätsreaktion ab, der ein spezifischer Auslöser zuzuordnen ist. Hierzu gehören Medikamente (NSAR, Antihypertensiva, retrovirale Medikamente), Kontaktallergene (Dentalmaterialien, Amalgam, Kupfer, Gold, Eugenol), die definitionsgemäß bis zu 1,0 cm von der OLR entfernt zu finden sind.
Das syndromale Auftreten von oralem Lichen ruber, arterieller Hypertension und Diabetes mellitus wird als "Grinspan Syndrom" bezeichnet. Über das Auftreten von Plattenepithelkarzinomen in läsionaler Mundschleimhaut wurde berichtet (Kökten N et al. 2018).
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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