Schleimhautpemphigoid L12.1

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles, Christina Rohdenburg

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Benignes Schleimhautpemphigoid; Benign mucous membrane pemphigoid; Cicatricial Pemphigoid; Dermatite bulleuse mucosynéchiante; Dermatitis pemphigoides mucocutanea chronica; Desquamative Gingivitis; Ocular mucous membrane pemphigoid; Ocular pemphigus; Okuläres MMP; Okuläres Schleimhautepmphgoid; Pemphigus conjunctivae; Pemphigus oculaire; Pemphigus okulärer; Scarring pemphigoid; Schleimhautpemphigoid benignes; Schleimhautpemphigoid vernarbendes; Schleimhautpemphigus benigner; Syndrome muco-oculo-épithélial; Vernarbendes Pemphigoid; Vernarbendes Schleimhautpemphigoid

Erstbeschreiber

Lortat-Jakob, 1958; erste Erwähnung durch Wichmann, 1793

Definition

Seltene, chronische, zu Vernarbungen und Funktionsausfällen führende, blasenbildende Autoimmunerkrankung der Schleimhäute von Konjunktiven, Mund, Pharynx, Ösophagus, Genitalien und Anus. Die Erkrankung weist immunhistologisch identische Befunde mit dem bullösen Pemphigoid auf und ist wahrscheinlich eine Variante.  

Einteilung

Immunhistologisch lassen sich 4 Gruppen unterscheiden:

  • Anti-Epileprin Cicatrical Pemphigoid: Klinisch lässt sich dieser Typ nicht von den anderen Varianten unterscheiden.
  • Okuläres vernarbendes Pemphigoid: Patienten mit Autoantikörpern gegen β4-Integrin sowie α6β4-Integrin (s.u. Integrine).
  • Patienten mit Autoantikörpern gegen BP 180 (entsprechend dem bullösen Pemphigoid) sowie Schleimhaut- und Hautläsionen.
  • Anti-Laminin 332 Schleimhautpemphigoid (etwa 20-30% der Patienten), das als paraneoplastisches Pemphigoid Beachtung finden muss (35 % der Fälle gehen mit Malignomen einher).
  • Heterogene Gruppe, überwiegend mit Schleimhautbefall: Pathogenese bzgl. der Autoantikörper noch unklar.

Vorkommen/Epidemiologie

Selten. Keine ethnische Prädilektion. Inzidenz (Westeuropa): 0,08-0,2/100.000. Einwohner/Jahr.

Manifestation

Vor allem bei älteren Menschen auftretend, insbes. bei Frauen zwischen dem 60.- 80. Lebensjahr. Selten Beginn im Kindesalter.

Lokalisation

Befallshäufigkeit je nach Lokalisationen:

  • Mundschleimhaut: 85%
  • Konjunktiven: 64%
  • Pharynx: 19%
  • äußeres Genitale: 17%
  • Nasenschleimhaut: 15%
  • Larynx: 8%
  • Analregion 4%
  • Ösophagus: 4%.

Klinisches Bild

Beginn der klinischen Erscheinungen mit chronisch-rezidivierenden, schmerzhaften und therapieresistenten erosiven Entzündungen der hautnahen Schleimhäute. Ganz überwiegende Erstmanifestation ist eine therapieresistente, erosive Stomatitis (DD Pemphigus vulgaris). Sehr selten betreffen die Erstmanifestationen das Hautorgan!

  • Mundschleimhaut (100% betroffen): Rezidivierende, erosive, schmerzhafte Stomatitis mit rasch platzenden, narbig abheilenden Blasen (Blasen häufig nicht nachweisbar) an Gaumen, Wangen und Gingiva. Je nach Lokalisation: Bewegungseinschränkung der Zunge, mukosogene Kieferklemme, Zahnverlust. Nach Abheilung ggf. lichenoide Leukoplakie.
  • Augen (80% betroffen): Rezidivierende Konjunktivitis. Die Symptomatik beginnt meist einseitig, nach 1-2 Jahren besteht meist beidseitiger Befall. Es besteht eine vielgestaltige klinische Ausprägung mit dem Auftreten klarer, rasch platzender Blasen, narbiger Schrumpfung, Entropium und Trichiasis, Synechien zwischen bulbärer und palpebraler Konjunktiva, Einschränkung der Augenbewegungen, Verlegung des Tränenausführungsganges mit Xerophthalmie. Der Lidschluss ist häufig unmöglich.
  • Nasopharynx (30-40% betroffen), ggf. auch oberer Magen-Darmtrakt: Verkrustete Ulzerationen, fibröse Verklebungen bis hin zur Obstruktion der Atmung, Dysphagie, lebensbedrohliche Stenosen des Ösophagus oder der Trachea.
  • Genitoanalschleimhaut: Blasenbildung, Synechien, einengende Vernarbungen.
  • Integument (30-50% betroffen; Gesicht, Nabel, Mons pubis): pralle, in loco rezidivierende Blasen auf erythematösem Grund, Ausbildung atrophischer Narben, eventuell narbige Alopezie.
  • Sonderformen: Vernarbendes Pemphigoid Typ Brunsting-Perry sowie vernarbendes disseminiertes Pemphigoid.

Labor

HLA-DQw7

Zirkulierende Anti-Basalmembran-Antikörper sind nur selten nachweisbar.

Dagegen sind IgA-Autoantikörper, die gegen BP 180 (BP230) gerichtet sind, häufiger nachweisbar.

Ebenso sind Antikörper gegen das nur in der Wangenschleimhaut vorkommende 168 kD-Antigen zu finden, bei Patienten mit ausschließlichem Augenbefall auch Antikörper gegen das 45 kDa-Antigen.

Histologie

Subepidermale Blasenbildung mit entzündlichen Infiltraten aus neutrophilen und eosinophilen Granulozyten; in der oberen Dermis meist schwach ausgeprägte lymphozytäre Infiltrate; später dermale Fibrose.

Direkte Immunfluoreszenz

Lineare IgG- (seltener IgA- oder IgM-) und Komplementablagerungen (C3). In der Salt-Split-Technik (s.u. Salt-Split-Untersuchung) werden die Antikörper sowohl an der epidermalen als auch der dermalen Basalmembran nachgewiesen. Bei den IgG-Ablagerungen handelt es sich überwiegend um IgG4 - und IgG1-Subklassen. Bemerkung: Es konnte gezeigt werden, dass Untersuchungen nicht-läsionaler Haut bessere Resultate liefern als die Untersuchung entzündlicher bulbärer oder tarsaler Bindehaut!  

Immunelektronenmikroskopisch sind die Immunglobulinablagerungen in der unteren Lamina lucida und über der Lamina densa, aber auch an den Hemidesmosomen zu finden.

Differentialdiagnose

Bei Augenbefall: Sekundäre narbige Veränderungen nach membranöser Konjunktivitis, nach Traumata oder Epidermolysis bullosa oder IgA-linearer Dermatose. S.a.u. blasenbildende Dermatosen.

Therapie allgemein

Die Therapie gestaltet sich schwierig, da die Erkrankung äußerst chronisch verläuft. Die Behandlung bedarf eminenter Geduld von Seiten des Patienten wie auch des Arztes.

Externe Therapie

  • Die topische Therapie mit Glukokortikoiden ist bei dem lokalisierten Typ des vernarbenden Pemphigoids die Therapie der 1. Wahl.
  • Bei mildem Befall genügen lokale Glukokortikoidapplikationen wie Dexamethason- oder Hydrocortison-haltige Augensalben (z.B. Dexamethason-Augensalbe Jenapharm, Ficortril Augensalbe) ggf. im Wechsel mit kortikoidfreien indifferenten (z.B. Zinksulfat-Augentropfen R297 R022 ) oder vasokonstriktiven Ophthalmika wie 0,05% Naphazolin-Augentropfen (z.B. Proculin) in Kombination mit Augenspülungen.
  • Bei mittlerem bis starkem Befall der Konjunktiven empfiehlt sich die lokale Anwendung von 1-2% Ciclosporin A-Augentropfen. Bei Anhalt für bakterielle Superinfektion antibiotikahaltige Augentropfen.
  • Analoges Vorgehen bei stomatologischen Symptomen mit überwiegend bukkal, im Bereich der Zahnschlusslinie lokalisierten, häufig schmerzhaften, flächigen Erosionen oder Ulzerationen.
    • Therapie der 1. Wahl ist eine Lokaltherapie mit Glukokortikoiden, die als haftende Mundgele, z.B. Betamethasonvalerat-Mundhaftpaste R032 appliziert werden. Alternativ: Nichtalkoholische O/W-Emulsion (z.B. Topisolon Lotio) oder Betamethason-Lösung (z.B. Celestamine N 0,5 liquidum) anwenden.
    • In therapieresistenten Fällen eignet sich auch Ciclosporin A-haltige Haftpaste Ciclosporin A-Haftpaste 2,5%).
    • Alternativ: 0,1% Tacrolimus-Salbe (z.B. Protopic); Applikation 2mal/Tag, 15 Min. belassen, dann ausspülen.
    • Weiterhin empfiehlt sich die Applikation milder Schleimhauttherapeutika wie Dexpanthenol-Lösung R066 oder von Adstringenzien wie Tormentillae Lösung R255 .

Interne Therapie

Kombinierte Immunsuppression mit Glukokortikoiden und Azathioprin (bei okulärer Beteiligung), s.a. Pemphigoid, bullöses. Die Anfangstagesdosen sollten für Prednison (z.B. Decortin) bei 2,0 mg/kg KG p.o. und für Azathioprin (z.B. Imurek) bei 2,0 mg/kg KG p.o. liegen. Kontraindikationen beachten! Laborkontrollen!

Alternativen zu Azathioprin sind z.B. Cyclophosphamid (Endoxan), Ciclosporin A (2,5-3,5mg/kg KG p.o.) und Mycophenolatmofetil (2,0g/Tag p.o.), s.u. Pemphigoid, bullöses.

Eigene Erfahrungen mit DADPS (z.B. Dapson Fatol) sind enttäuschend und deshalb wenig empfehlenswert.

In Studien erfolgreich: Therapieversuch mit Etanercept.

In Fallberichten werden positive Ergebnisse durch eine Infusionstherapie mit dem monoklonalen Antikörper Rituximab (Dosierung: 375mg/kgKOF i.v.) berichet.

Zunehmend werden bei Therapieresistenz auch Kombinationen von DADPS + Glukokortikoiden (z.B. Prednisolon (20-10mg/Tag p.o.) + Immunsuppressiva (z.B. Mycophenolatmofetil (2,0g/Tag p.o.) eingesetzt.

Merke! Das vernarbende Schleimhautpemphigoid ist häufig therapieresistent und bedarf konsequenter, lang dauernder und hoch dosierter Immunsuppression!

Operative Therapie

Die medikamentösen Lokalmaßnahmen müssen durch sorgfältige (symptomorientierte) operative Maßnahmen ergänzt werden. Hierzu gehören insbes. an den Augen:
  • Lösen von Verwachsungssträngen zwischen bulbärer und tarsaler Konjunktiva ( Symblepharon).
  • Beseitigung narbiger Lidschrumpfungen, insbes. das Lösen von Entropien, um sekundären Verletzungen der Kornea durch Trichiasis vorzubeugen.
  • Bei besonderer Hartnäckigkeit eines entropialen Zustandes komplette Exstirpation der Zilien.
  • Dilatation oder Operation ösophagaler Strukturen.

Verlauf/Prognose

Wellenförmiger, jahrelanger Verlauf, Erblindung in 20% der Fälle. Das Malignomrisiko beim vernarbenden Pemphigoid wird kontrovers diskutiert. Laut Studienlage besteht ein erhöhtes Malignomrisiko beim Anti-Laminin-5-Pemphigoid.

Diät/Lebensgewohnheiten

Begleitend säure- und gewürzarme Diät (in akuten Phasen passierte Kost). Ausreichende und ausgewogene Ernährung (Vitamine und Mineralstoffe), ggf. Ernährungsplan.

Merke! Schmerzhaftigkeit im Mundbereich führt zu eingeschränkter Nahrungsaufnahme!

Fallbericht(e)

Bei einem 66-jährigen Pat. entzündliche Veränderungen der Mundschleimhaut seit 10 Jahren. Erstdiagnose vor 5 Jahren: Lichen planus mucosae. Interkurrierende topische (Volon A Haftsalbe) und systemische Therapie mit Glukokortikoiden. Zeitweise auch Therapien mit Chloroquin, Cyclosporin A und Acitretin.
  • Befund: An der oberen und unteren Gingiva saumartige, schmerzhafte Rötungen und flächige Erosionen. Beide buccalen Wangen flächig gerötet und umschrieben erosiv.
  • Diagnostik (Absetzen jeglicher immunsuppressiver Therapie über 14 Tage!)
  • Histologie (Wangenschleimhaut): Erodiertes teils ulzeriertes Epithel. In der Dermis teils diffus, bandartiges, teils flekcförmiges Infiltrat aus Lymphozyten, eosinophilen und neutrophilen Leukozyten.
  • DIF: Lineare Ablagerungen von IgG entlang der Basalmembran und am Blasendach.
  • Indirekte IF: Negativ; keine IgA-Autoantikörper nachweisbar.
  • Dg.: Orales vernarbendes Schleimhautpemphigoid.
  • Therapie: 2mal/Tag lokale monotherapeutische Lokaltherapie mit 1% Tacrolimus-Salbe (Protopic). 15-20 Min. belassen, dann abspülen (0,9% Kochsalzlösung). Unter dieser Therapie (ohne Systemtherapie) seit 1/2 Jahr zufriedenstellender Lokalbefund.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

 

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