Alopecia androgenetica bei der Frau L64.-

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles, Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

Co-Autoren: Priv.-Doz. Dr. med. Morteza Jafari, Dr. med. Katja König

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Alopecia oleosa; Alopecia seborrhoica; Alopezie androgenetische; Androgenetische Alopezie bei der Frau; Androgenetisches Effluvium; Calvities hippocratica; Effluvium androgenetisches; Female pattern alopecia; Glatzenbildung weibliche; Weibliche Glatzenbildung

Definition

Durch Androgene realisiertes Hervortreten des genetisch determinierten charakteristischen Ausprägungsmusters des Haarkleides bei der Frau. Häufig begleitende Seborrhoe (Alopecia oleosa, Alopecia seborrhoica). Im Gegensatz zu der Alopecia androgenetica beim Mann ist die Alopecia androgenetica bei der Frau als pathologisch zu werten.

Vorkommen/Epidemiologie

Prävalenz bei europäischen Frauen (alle Altersgruppen): ca. 42%.

Inzidenz bei europäischen Frauen nach dem 65. LJ: Bis zu 75%.

Ätiopathogenese

Was wir sehen ist eine sichtbare Haarausdünnung als Folge der follikulären Miniaturisierung und der Abnahme des Anagen-Telogen-Verhältnisses. Die Ätiologie ist wenig bekannt, aber höchstwahrscheinlich multifaktoriell und polygenetisch. 

Ursachen sind u.a. vermehrte Androgenproduktion (s.u. Adrenogenitales Syndrom, kongenitales; PCOS), Einnahme von Androgenen oder Anabolika sowie erhöhte Empfindlichkeit der Testosteronrezeptoren am Haarfollikel. Weiterhin werden Hyperprolaktinämie, Verschiebung des Testosteron-Östrogen-Quotienten zugunsten des Testosterons (s.a.u. Alopecia androgenetica beim Mann) diskutiert.

Patientinnen mit Brustkrebs, die Aromatasehemmer (Letrozol, Anastrozol, Exemestan) einnehmen müssen, haben ein gewisses Risiko, Haarausfall vom männlichen Typ (meist prominenter Rückgang im frontotemporalen Bereich) zu entwickeln. Dieser Haarausfall geht auf eine Hemmung der endokrinen Rezeptoren zurück. Die Folge ist ein Anstieg des Dihydrotestosteronspiegels, der zur androgenetischen Alopezie führen kann (Freites-Martinez A et al. 2018).      

Klinisches Bild

Unterschieden werden ein weibliches und ein männliches Alopeziemuster:

  • Weibliches (androgenetisches) Alopeziemuster: Diffuse Haarlichtung, beginnend zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, v.a. in der Scheitelregion in unterschiedlicher Ausprägung mit persistierendem frontalem Haaransatz. Keine wesentliche Schuppenbildungen; kein oder nur unwesentlicher Juckreiz. Entsprechend der androgenetischen Alopezie des Mannes unterscheidet man hier 4 Stadien:
    • Stadium 0: Normaler Haarwuchs.
    • Stadium I: Beginnende Haarlichtung in der Scheitelregion; nur erkennbar beim Scheiteln der Haare; frontaler Haarsaum von 1-3 cm Breite bereits erkennbar. Haarzupftest positiv.
    • Stadium II: Markante, sichtbare Haarlichtung im Scheitelbereich. Frontaler Haarsaum von 1-3 cm Breite deutlich abgezeichnet.
    • Stadium III (selten): Ausgeprägte Glatzenbildung im frontoparietalen Bereich, der frontale Haarsaum bleibt bestehen.
  • Männliches Alopeziemuster (bei Frauen eher selten): Glatzenbildung entsprechend der Alopecia androgenetica beim Mann mit Zurücktreten der Stirn-Haar-Grenze; insbes. bei Frauen in oder unmittelbar nach der Menopause. Bei zusätzlichen Virilisierungszeichen ist eine subtile Hormonanalyse durchzuführen. Stadieneinteilung s.u. Alopecia androgenetica beim Mann.

Histologie

Regressive Transformation terminaler Haarfollikel zu Miniaturfollikeln.

Diagnose

  • Klinik mit typischem Alopeziemuster, Anamnese (gesteigertes Effluvium). Aktivitätsbestimmung des Effluviums mit klinischem Epilationstest.
  •  Trichogramm: Nachweis des telogene Effluviums.
  • Endokrinologische Abklärung:
    • Ausschluss Hyperandrogenämie (mit Hirsutismus, Seborrhoe, Akne). Hormonanalyse: Am 2.-5. Zyklustag: Testosteron, DHEAS, Östrogen, Prolaktin, LH, FSH).
    • Ausschluss einer Hyperprolaktinämie (s.u. Prolaktin) die auch medikamentös induziert sein kann (u.a. Neuroleptika, Psychopharmaka).
  • Haarkalender: Wöchentlich exaktes Zählen der bei der Haarwäsche ausgefallenen Haare; bis 100 sind akzeptabel.
  • Zusätzlich: Ggf. Histologie, Blutbild, Blutzucker, Antinukleäre Antikörper; Schilddrüsenantikörper, Zink und Eisen im Serum, Ferritin.

Differentialdiagnose

  • Medikamentöse Alopezie ( Alopecia medicamentosa): (diffuses, akut einsetzendes anagenes Effluvium; der Zusammenhang mit der verusachenden Therapie ist meist nachweisbar).
  • Pityriasis amiantacea: (Fettige den Haarboden bedeckende Schuppenbildung; Haare lassen sich büschelweise ausziehen).
  • Psoriasis capitis: (hierbei ist weniger die plaqueförmige Psoriasis capitis sondern die diffuse sog. seborrhoide Psoriasis capitis verantwortlich. Meist deutlicher Juckreiz, feine silbrige Schuppenbildung des Haarbodens).
  • Alopezie, postmenopausale, frontale, fibrosierende (Kossard): (frontale lineare Alopezie; an den Grenzhaaren perifollikuläres Erythem; meist Nachweis einer Keratosis follicularis).
  • Alopecia specifica diffusa: (diffuse, kleinfleckige Alopezie; kein Juckreiz; Alopezie wird meist zufällig nachgewiesen; serologische Abklärung ist erforderlich).
  • Effluvium bei Systemerkrankungen (Infektionskrankheiten, Kollagenosen, Lymphome, Tumoren unterschiedlicher Genese): der Zusammenhang mit der jeweiligen Grunderkrankung ist nachweisbar.
  • Anagenes (dystrophisches) Effluvium (Anageneffluvium): bei Perioden körperlicher Belastung, Fieberperioden.
  • Alopecia areata diffusa: (diffuses anagenes Effluvium; keine lokale Bevorzugung; Haarzupftest ist positiv).
Effluvium, chronisch telogenes: Über Jahre bestehender, sich phasenhaft verschlechternder, permanenter, diffuser Haarausfall mit Verlust von 100-200 Haaren/Tag. Kein Nachweis endogener oder exogener Ursachen (Ausschlussdiagnose). Führt nicht zur sichtbaren Glatzenbildung. Telogenabschaltung, vorzeitige (immediate telogengen release, sog. "Shedding" z.B. bei Minoxidil-Therapie). Deutlicher und plötzlicher Haarausfall im Zusammenhang mit der Therapie.
  • Akutes Telogeneffluvium: (fieberhafte Erkrankungen, Verletzungen, schwere operative Eingriffe, Crash-Diäten, emotionale Belastungen)
  • Chronisches Telogeneffluvium bei endogenen Störungen: (Eisenmangel, Zinkmangel, nutritive Strörungen, Schilddrüsenerkrankungen; Hyperprolaktinämie).

Therapie allgemein

 

Merke! Die Behandlung sollte möglichst frühzeitig erfolgen, um irreversible Follikelregressionen aufzuhalten!

Leitliniengerecht  wird bei Frauen die Anwendung von 2%iger Minoxidil Lösung 2x/Tag oder 5%igem Minoxididl als Schaum 1x/Tag empfohlen. Auch die Haartransplantation wird bei ausgeprägtem Haarverlust empfohlen, sofern genügend eigenes Spenderhaar vorhanden ist.

Aktuell werden Erfolge mit Low Level Laser Therapie und die Injektionen von Platelet-rich Plasma aus Eigenblut (PRP) beschrieben. Für die letztgenannten beiden Verfahren fehlen noch kontrollierte klinische Studien.

 

Lokal durchblutungsfördernde Maßnahmen, z.B. Kopfhautmassage und externe Therapie.

Externe Therapie

  • Lokale Anwendung von Minoxidil in einer 2% Lösung (Regaine Frauen 2% Lösung, 2x/Tag ). Ggf. Regaine 5% (1x/Tag). Hinnweis: Minoxidil 5%ig steht inzwischen auch in einer Schaumformulierung zur Verfügung.
  • Patientinnen mit Brustkrebs, die Aromatasehemmer einnehmen müssen profitieren bei einer eintretenden Alopezie vom männlichen Typ von einer 5%igen Minoxidil-Lokalbehandlung (Freites-Martinez A et al. 2018). 
  • Östrogen-haltige Tinkturen für die Kopfhaut, wie 17-alpha Estradiol (z.B. R087), Alfatradiol (z.B. Ell-Cranell alpha). Ggf. kurzfristig Estradiol u. Glukokortikoide, topische (z.B. Crinohermal fem), Salicylsäure (z.B. Alpicort F) u. antiphlogistische bzw. hyperämisierende Zusätze. Die Wirksamkeit ist umstritten. Subjektive Besserungen wurden durch externe Anwendungen von Organextrakten (z.B. Thymuskin Haarkur/Haarshampoo) berichtet
  • Unterstützend: Behandlung begleitender Kopfschuppen und Seborrhoe mit entfettenden Shampoos (z.B. Stieproxal, Stieprox, Preval Shampoo, Ket Schuppenshampoo). Auch die Anwendungen von Teer-haltigen Shampoos sind empfehlenswert (z.B. Tarmed® Shampoo). 
  • Experimentell: Als experimentell ist derzeit der lokaltherapeutische Ansatz mit einer 0,1% Melatonin-Lösung zu bewerten.
  • Experimentell: Thymuskin soll in kleinen Studienkohorten einen günstigen Einfluss auf das Haarwachstum gezeigt haben.

Interne Therapie

  • Antiandrogene in Zusammenarbeit mit dem Gynäkologen. Die Kontraindikationen einer solchen Therapie sind hier besonders zu beachten, insbes.: Gravidität, Lebertumoren, vorausgegangene thromboembolische Prozesse, Raucherinnen > 35 J., Herz-Kreislauferkrankungen, Fettstoffwechselerkrankungen, schwere Leberstoffwechselstörungen, schwere Adipositas.
  • Leichte bis mittelschwere Alopezie: Prämenopausal: Kombinationspräparat mit Ethinylestradiol und Cyproteronacetat (z.B. Diane 35, an Tag 1-21, 7 Tage Pause) oder Ethinylestradiol und Chlormadinonacetat (z.B. Neo-Eunomin 1 Tbl. Tag 1-22, 6 Tage Pause). Zusätzlich ggf. Cyproteronacetat (z.B. Androcur 10) 5-10 mg/Tag an Tag 1-15.
  • Schwere Alopezie: Prämenopausal: Ethinylestradiol und Cyproteronacetat (z.B. Diane 35) in Kombination mit Cyproteronacetat (z.B. Androcur) 50 mg/Tag an Tag 1-10. Bei Therapieversagen Diane 35 und zusätzlich Cyproteronacetat-Depot (z.B. Androcur) 300 mg i.m. 1mal/Monat am 4. bis 7. Zyklustag. Alternativpräparate zum Cyproteronacetat in Diane 35 sind Dienogest (Valette) oder Drospirenon (Yasmin).
  • Perimenopausal (bei Z.n. Hysterektomie) sowie 4 Jahre nach Menopause: Cyproteronacetat (z.B. Androcur) 25-100 mg/Tag kontinuierlich.
  • Unterstützende Therapie: Biotin (Vitamin H), z.B. Bio-H-Tin verbessert die Haar- und Nagelqualität und verringert das Effluvium, 1mal/Tag 1 Tbl. p.o. über mindestens 6-8 Wochen. Ggf. auch Mischpräparate wie Pantovigar 3mal/Tag 1 Kps. über 3-6 Monate. Die Wirksamkeit dieser Präparate wird kontrovers diskutiert.
  • Bei zusätzlicher Eisen- oder Zinkdefizienz entspr. Subsitution: z.B. Zinkorotat 20 mg 1mal/Tag; Ferro sanol duodenal 1mal/Tag 100 mg p.o.
  • In experimentellen Anwendungen werden derzeit noch Ansätze mit Finasterid ( Off-Label-Use!) überprüft.

Naturheilkunde

  • Durchblutungsfördernde Maßnahmen wie z.B. Kopfhautmassage oder Einsatz des Pflaumenblütenhämmerchens haben in Einzelfällen das Effluvium reduziert.
  • In kleineren Studien wirksam: Cimicifuga racemosa (CiMi Haartonikum) lokal für 6-12 Monate.
  • Sabalis serrulatae fructus  Extrakte der Sägepalmenfrüchte (Serenoa repens) sind alternative Therapieverfahren die bei der postmenopausalen androgenetischen Alopezie eingesetzt werden können. 
  • Derzeit sind weitere Studien bei der androgenetischen Alopezie (des Mannes) mit Extrakten von Grünem Tee (Epigallocatechin-3-gallat), Extrakten aus Früchten der Sägepalme (Serenoa repens) sowie von Citrullus colocynthis und Cuscuta reflexa zu erwarten  (Rondanelli M et al. 2016).
  • Die Kombination aus Ginkgo biloba, Schneeballrinde,Trauben-Procyanidine wird als Stimulus angeboten. PHYTOCYANE, nicht als Arzneimittel anerkannt.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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  6. Freites-Martinez A et al. (2018) Endocrine Therapy-Induced Alopecia in Patients With Breast Cancer.
    JAMA Dermatol 154:670-675.
  7. Olsen EA (2001) Female pattern hair loss. J Am Acad Dermatol 45: S70-80Rondanelli M et al. (2016)  A bibliometric study of scientific literature in Scopus on botanicals for treatment of androgenetic alopecia. J Cosmet Dermatol 15:120-130. 
  8. Thai KE, Sinclaur RD (2002) Finasteride for female androgenetic alopecia. Br J Dermatol 147: 812-813
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  11. Gentile P et al. ( 2020) Review of Platelet-Rich Plasma Use in Androgenetic Alopecia Compared with Minoxidil®, Finasteride®, and Adult Stem Cell-Based Therapy. Int J Mol Sci.  13;21:2702
  12. Sharma A et al. (2021)  Platelet-Rich Plasma in Androgenetic Alopecia. Indian Dermatol Online J.  12 (Suppl1): 31-40
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  14. Finner AM (2022) Haartransplantation- nachhaltige ärztliche Planung und Durchführung. Hautarzt 73:358-368

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