Synonym(e)
Definition
Pathogenetisch heterogene Dermatitis mit akuter, subakuter oder (häufig) chronischer Entzündung der Augenlider, die wesentlich durch die besonderen anatomischen Verhältnisse (feuchte Kontaktsituation der aufeinander liegenden Lidfalten mit Reservoircharakter für toxische oder allergen wirksame Substanzen) und Funktionalität des Lidorgans geprägt ist.
Einteilung
Je nach Ätiologie des Ekzems lassen sich unterteilen:
- Liddermatitis, atopische (10-20% der Liddermatitis)
- Liddermatitis, kontaktallergische (etwa 50% der Liddermatitis)
- Airborne Contact Dermatitis (etwa 2% der Liddermatitis)
- Liddermatitis, toxisch-irritative (15-20% der Liddermatis)
- Liddermatitis, seborrhoische (3-6% der Liddermatitis)
- Seltene Formen:
- Photoallergische Lidermatitis (s.u. Lichtdermatosen)
- Isolierte periokuläre Dermatitis (s.u. Dermatitis perioralis).
Auch interessant
Vorkommen/Epidemiologie
Da die Ätiologie der Liddermatitis unterschiedlich ist kann eine pauschale Zahl nicht angegeben werden. Bekannt ist, dass etwa 12% der Überempfindlichkeiten auf Kosmetika zu einer Liddermatitis führen (bedingt durch unwillkürliche Übertragung).
Ätiopathogenese
Ätiologisch spielen Kontaktallergene (häufigste Ursache: in 54.2% der Fälle Augentropfen, gefolgt von Cremes und Lotionen (24.6%) und diversen Kosmetika (13.1%), eine seborrhoische oder atopische Diathese eine wichtige Rolle. Mögliche Auslöser s.a. Tabelle 1.
Manifestation
Die atopische Liddermatitis kann bereits im frühen Kindesalter auftreten (zusammen mit anderen atopischen Stigmata).
Die kontaktallergische Liddermatitis manifestiert sich deutlich später, im frühen oder mittleren Erwachsenenalter. In einer größeren Studie die 61 Patienten umfasste (Chisholm SAM et al. 2017) war das Durchschnittsalter 66 Jahre (33-94). 74% der Patienten waren Frauen.
Klinisches Bild
Meist chronisch dynamisches, permanentes oder rezidivierendes Krankheitsbild, bei dem ein unscharf begrenztes Erythem, Lidschwellungen und Juckreiz das Bild prägen. Weiterhin je nach Persistenz der Entzündung: Schuppung, Lichenifikation mit deutlicher Verdickung der Lider, Pruritus seltener Nässen mit Krustenbildung sowie Störungen der Lidfunktionen (Gefahr des En- oder Ektropiums mit konsekutiven Folgen für das Auge).
In einer größeren Studie die 61 Patienten umfasste (Chisholm SAM et al. 2017) waren für den Arztbesuch bei 1/3 der Patienten Tränenträufeln (Epiphora), Ektropium (24.6%), Blepharitis (18.0%), Ptose der Lider (14.8%) ursächlich.
In seltenen Fällen kann Pruritus fehlen, weshalb die Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern, insbes. zu Schilddrüsenerkrankungen, Angioödem, Kollagenosen, Nephropathien, Lymphom der Haut schwierig sein kann.
Diagnose
- Die Diagnostik der Dermatitis der Lider besteht in erster Linie im Ausschluss einer kontaktallergischen Dermatitis. Die Dunkelziffer unerkannter Kontaktallergene ist hoch.
- Die Anamneseerhebung spielt eine große Rolle:
- Perenniale Liddermatitis: Keine Verursachung durch Pollen; Lidekzem auch bei längerem Aufenthalt außerhalb der eigenen Wohnung. Ausschluss von Indoor-Allergenen ist erforderlich.
- Saisonale Liddermatitis: Kosmetikallergie unwahrscheinlich.
- Neben Allergenen, die unmittelbar mit der Lidregion in Kontakt kommen (Wimperntusche, Augen-Make-up, Ophthalmika, Kontaktlinsenreiniger), lösen häufig indirekt (über Finger) mit der Lidregion in Kontakt kommende Substanzen (Allergenverschleppung) isolierte Liddermatitiden aus. Durchschnittlich reibt sich ein Mensch 50-100mal/Tag, häufig unbewusst, die Lider. Prinzipiell kann jede Substanz in der Umwelt als Auslöser infrage kommen.
- Substanzen, auf andere Körperstellen aufgetragen, können isolierte Kontaktekzeme im Lidbereich auslösen ohne Reaktionen an der eigentlichen Auftragungsstelle zu verursachen (geringer Sensibilisierungsgrad oder geringe Allergenkonzentration, aber geringe Hautdicke und Okklusionseffekt im Lidbereich).
- Ein negativer Epikutantest schließt eine kontaktallergische Liddermatitis durch Kosmetika nicht aus.
- Schwache Reaktionen im Epikutantest auf Kosmetika können echte Sensibilisierungen darstellen. Ggf. Wiederholung des Testvorganges in einem " Repeated open application test (ROAT)". Hierbei wird die verdächtige Substanz über 1 Woche 2mal/Tag an der Oberarminnenseite aufgetragen. Eine weitere Möglichkeit der Abklärung einer klinischen Relevanz ist die offene Epikutantestung in loco.
- Allergene in Nagellack (Nickel, Toluolsulfenamid-Formaldehydharz) lösen Lid- und Gesichtsekzeme aus, Finger bleiben hauterscheinungsfrei.
- Allergene können auch durch den Partner "übertragen" werden (Aftershave des Partners bei Duftstoffsensibilisierung).
- Im Lidbereich sind auch Kontaktekzeme durch volatile Allergene wie Typ IV-Allergene (Formaldehyd, Primin) oder Typ I-Allergene (Pollen, Hausstaubmilben) möglich, s.a.u. Airborne Contact Dermatitis.
- Brillengestelle aus "Metall" dürfen laut Verordnung kein Nickel an der Oberfläche freisetzen. Der Brillenkern besteht jedoch weiterhin häufig aus Nickel, bei Alterung und Abnutzung ist daher Freisetzung von Nickel möglich.
Differentialdiagnose
In absteigender Häufigkeit können dem klinischen Erscheinungsbild "Lidekzem" die nachfolgenden Erkrankungen zugeordnet werden:
- Kontaktallergie
- Atopisches Ekzem (möglicherweise als monotopische Minusvariante)
- Seborrhoisches Ekzem (meist im Zusammenhang mit weiteren Merkmalen)
- Rosazea (mit Lidbeteiligung)
- Lichen simplex chronicus
- Herpes simplex recidivans
- Pedikulose (Befall durch Filzläuse)
- Impetigo contagiosa
- Psoriasis vulgaris (als seltene monotopische Minusvariante oder Mitbeteiligung des Lidbereichs)
- Fixe Arzneimittelreaktion
- Tinea faciei (ggf. isoliert im Lidbereich)
- Dermatomyositis.
Komplikation(en)
Therapie
Die Aufdeckung von zugrunde liegenden Sensibilisierungen und nachfolgender Expositionskarenz steht im Vordergrund jeglicher Therapieansätze!
- Bei kontaktallergischer Dermatitis: Ausschalten des Allergens. Bei atopischer Genese besteht Neigung zur Chronizität und Therapieresistenz.
- Akutes Ekzem: Hydrocortison: 0,5% in möglichst indifferenter Grundlage (Vaselinum alb.) oder Glukokortikoid-haltige Augenpräparate (z.B. Ficortril Augensalbe).
- Nach Abklingen der akuten Phase: Ausschleichen des Glukokortikoids, lokal Calcineurininhibitor-Therapie, z.B. Ikervis® 1 mg/ml 0,3 ml, s.a. Ciclosporin A-Lösung 1–2% (nach Altmeyer); Ölige Ciclosporin-Augentropfen 1 oder 2 % ig NRF 15.21; pflegende Therapie mit Augenlicremes ohne Duft- und Farbstoffen, PEG-Emulgatoren, Wollwachse, Mineralölen, Silikonen, z.B. Benevi neutral® Augenlidcreme, Dexpanthenol-haltigen Salben (z.B. Bepanthen Augensalbe Cave! Wollwachsallergie!) bzw. Augenvaseline.
Merke! Höherpotente Glukokortikoide sind für den Lidbereich zu meiden, Gefahr der Steroidatrophie!
- Bei akut exazerbierter atopischer Dermatitis kurzfristige Therapie mit einem externen Glukokortikoid in indifferenter Grundlage (s.u.). Bei heftiger Symptomatik interne Glukokortikoidgabe (Prednisolon 1 mg/kg KG), ggf. in Kombination mit einem oralen Antihistaminikum wie Desloratadin (Aerius) 1mal/Tag 5 mg p.o.
- Bei chronischer atopischer Dermatitis: Problematisch ist, dass im Bereich des Auges die Anwendung vieler antiekzematös wirksamer Wirkstoffe nicht möglich ist. Kurzfristig Hydrocortison 0,5-1% in möglichst indifferenter Grundlage (z.B. Vaselinum album: Hydrocortison-Salbe 1%). Zusätzlich Umschläge mit kaltem schwarzem Tee, Tannolact Lösung oder physiologischer Kochsalzlösung (auch kühles Leitungswasser). Anwendung: Salbe auf Lider auftragen, 20-minütige Ruhepause, getränkte Kompressen auflegen.
- Alternativ zu Glukokortikoiden: Gute Erfolge (nach derzeitigem Wissensstand aber wegen der unklaren Langzeitwirkungen keine Langzeittherapie möglich) erzielt man mit intermittierender Anwendung von topischen Immunmodulatoren (z.B. Tacrolimus, Pimecrolimus). Wegen der nicht bekannten Langzeitwirkungen von Calcineurininhibitoren und der im Tierversuch nachgewiesenen Kanzerogenität von Pimecrolimus ist die Indikation für die Therapie mit Calcineurininhibitoren aber äußerst streng zu stellen!
- Alternativ: Magistrale Verordnung einer 1,0-2,0% Ciclosporin-haltigen Lösung ( R047 ), Fertigpräparat Ikervis® 1 mg/ml 0,3 ml; oder Ölige Ciclosporin-Augentropfen 1 % / 2 % NRF 15.21
Therapie allgemein
- Wichtig ist Geduld von Therapeut und Patient. Dem Patienten sind die ätiologischen Mechanismen des vorliegenden Lidekzems zu erklären. Der Vermeidung des Allergens ist höchste Priorität zu geben.
- Reinigung der Lider mit reinem Olivenöl (mit Watteträger auftragen und Lider zart abtupfen). Insbesondere bei aerogener Kontaktallergie sind die Reinigungsvorgänge wichtig (Allergenentfernung v.a. abends!).
- Lidrandpflege: Wichtig ist eine besondere Pflege der möglicherweise verkrusteten Lidränder. Auflegen von feuchten Kompressen (s.o.); anschließend vorsichtige Reinigung der Lidränder mit einem Wattestäbchen.
- Langzeittherapie: Pflegende Maßnahmen mit indifferenten Externa wie einfacher Augensalbe DAC (z.B. R021 ) oder emulgierender Augensalbe (z.B. R022 , R023 ).
Verlauf/Prognose
Die durchschnittliche Dauer der Symptome lag in einer größeren Studie bei 16.5 Monaten.
Naturheilkunde
Tabellen
Mögliche Auslöser einer allergischen Liddermatitis (und Gesichtsdermatitis)
Reinigungsmittel |
Seife, Waschlotionen, Gesichtsmilch, Badezusätze |
Kosmetika |
Make-up, Schminke und deren Entfernungsmittel, Gesichtsmaske, Gesichtscremes, Rasierschaum oder -wasser, Parfums, Sonnenschutzmittel, künstliche Bräunungsmittel, Erfrischungstücher |
Haarpflege |
Shampoo, Trockenshampoo, Spray, Festiger, Haarwasser, Tönungs- oder Färbemittel, Cremespülungen, Frisiercreme, Dauerwellenwasser, Kaltwelle, Perücke, Pflegemittel der Perücke (häufig Lidekzem kombiniert mit Gesichts- und Kopfekzem) |
Lippenpflege |
Lippenstift, Lippensalbe |
Wimpernkosmetika |
Lid- und Wimperntusche, Lidschatten, Augenbrauenstift |
Nagelkosmetik |
Nagellacke (Nickel in metallischem Nagellack), künstliche Fingernägel, Nagellackentferner |
Körperpflegemittel |
Körperlotionen, Handcremes, Körperspray, Körperpuder |
Therapeutika, Ophthalmika |
Antiseptika (Polyvidon), Nichtsteroidale Antiphlogistika (Diclofenac), Anästhetika, Glukokortikoide, Antibiotika (Gentamicin, Chloramphenicol), Mydriatica, Konservierungsstoffe (Benzalkoniumchlorid, Thiomersal), Herpestherapeutika, Carboanhydrasehmmer z.B. Dorzolamid (zur Glaukomtherapie) |
Kontaktlinsen |
allgemeine Unverträglichkeit mit erhöhtem Tränenfluss und konsekutiver Lidirritation (meist streifenförmig im Bereich der lateralen Augenwinkel), Kontaktallergene in Reinigungs- und Aufbewahrungsflüssigkeiten |
Waschmittel |
u.a. Duftstoffe (Perubalsam!) |
Berufsallergene, Hobby |
laut Anamnese |
Haushalt |
Metall-, Boden-, Auto-, Möbelpolitur, Bohnerwachs, Schuhcreme, Fleckenentferner |
Indoor-Allergene |
Pflanzen (Primeln), Raumspray, Teppichreiniger; Hausstaubmilben, Tierepithelien (Typ I-Sensibilisierungen) |
Hinweis(e)
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
- Adams RM et al.(1985) A five-year study of cormetic reactions.J Am Acad Dermatol 13:1062-1065
- Beltrani VS (2001) Eylid dermatitis. Current Allergy and Asthma Reports 1: 380-388
- Chisholm SAM et al. (2017) Etiology and Management of Allergic Eyelid Dermatitis. Ophthalmic Plast Reconstr Surg 33:248-250.
- Guin JD (2004) Eyelid dermatitis: a report of 215 patients. Contact Dermatitis 50: 87-90
- Wollenberg A et al. (2004) Diagnosis and treatment of eyelid eczema. An interdisciplinary challenge. Hautarzt 55: 677-687
- Zirwas MJ (2019) Contact Dermatitis to Cosmetics. Clin Rev Allergy Immunol 56:119-128.
Verweisende Artikel (19)
Atopie; Atopie; Augensalbe einfache (DAC); Augensalbe emulgierende (NRF 15.20.); Augensalbe emulgierende (Pharm. Helv. VII); Blepharitis; Ciclosporin A-Lösung 1–2% (nach Altmeyer); Cocamidopropylbetain; Dorzolamid; Ekzem, Lidekzem; ... Alle anzeigenWeiterführende Artikel (44)
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