Reaktive Arthritis (Reiter-Syndrom)M02.99

Autoren:Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.10.2024

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Synonym(e)

Fiessinger-Leroy-Reiter-Krankheit; Fiessinger-Leroy-Syndrom; Morbus Reiter; Postdysenterisches Syndrom; Reactive arthritis; Reaktive Arthritis; Reiter-Krankheit; Reitersche Erkrankung; Reiter-Syndrom; Urethro-okulo-synoviales Syndrom

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Erstbeschreiber

Fiessinger u. Leroy, 1916; Reiter, 1916

Definition

Postinfektiöse, chronisch-entzündliche  Systemerkankung die als Zweiterkrankung nach gastrointroestinalen oder urogenitalen Infektionen mit der klassischen Symptom-Trias (Reiter Triade) in Erscheinung tritt aus:

  • Urethritis (posturethritische ReA  nach Gonorrhö oder nichtgonorrhoischer Urethritis z.B. durch Chlamydien oder Mykoplasmen) oder Enteritis (postenteritische ReA  nach Infektionen durch Yersinein, Salmonlelln, Shigellen, Camphylobacter jejuni)
  • Konjunktivitis
  • Reaktiver Arthritis.

Bei Hinzutreten einer Reiter-Pustulose wird von einer Reiter-Tetrade gesprochen! 

Oligosymptomatische Verläufe sind nicht selten. Die Beziehung zur (pustulösen)Psoriasis ist umstritten.

Vorkommen/Epidemiologie

Inzidenz: 3-5/100.000 Einwohner/Jahr. Die Inzidenz nach unspezifischer Urethritis oder Shigellenenteritis beträgt etwa 1%, bei Trägern des HLA-Antigens-B27 (HLA-B27)liegt sie jedoch bei >20%.

Ätiopathogenese

Ungeklärt. Diskutiert werden genetische Faktoren (familiäre Häufung) sowie Assoziation zu HLA-B27 (positiv bei 70-80% der Pat.). Möglicherweise infektallergische Reaktion nach urethritischen oder enteritischen (etwa 25%) Infekten mit z.B. Mykoplasmen, Yersinien, Chlamydien, Neisseria gonorrhoeae, Viren. Eine ätiologische Besonderheit betrifft die Post-COVID-Reaktive-Arthritis. 

Manifestation

Zu 90-98% bei jungen Männern auftretend.

Klinisches Bild

Auftreten gewöhnlich 10-30 Tage nach enteritischer oder urethritischer Infektion.

Klassische Symptomentrias ("can`t see, cant´t pee, can´t climb a tree"):

  • Urethritis: Meist Beginn mit akutem, unspezifischem, eitrigem bis blutig-eitrigem Ausfluss, Schmerzen beim Wasserlassen. Bei dysenterischer Form erst sekundäre Urethritis.
  • Konjunktivitis: Meist bilateral in unterschiedlicher Ausprägung auftretend.
  • Arthritis: Oligoarthritis v.a. der unteren Extremitäten, z.B. der Knie- und Fußgelenke. Häufig symmetrischer, wechselnder Befall mit geschwollenen, warmen, bewegungsschmerzhaften Gelenken. Seltener sind auch die Kostosternalgelenke betroffen. Die Arthritis der Reiter-Erkrankung heilt nur recht zögerlich ab.

Außerdem:

Eine klinische Variante stellt die "Post-COVID-19-Reaktive Arthritis (Post-COVID-19 ReA )" dar. Sie kann in jedem Alter auftreten, betrifft offenbar beide Geschlechter gleichermaßen. Einige Post-COVID-10-ReA weisen eine Arthritis der kleinen Gelenke auf, andere einen Spondyloarthritis -Phänotyp – entweder mit peripherer oder axialer Beteiligung, während einige nur eine Tenosynovitis oder Daktylitis haben. Das Auftreten einer entzündlichen Arthritis nach einer COVID-19-Impfung deutet auf eine analoge Pathophysiologie hin. Bei den meisten Patienten traten keine assoziierten extraartikulären Manifestationen auf. Wenige Patienten berichteten über assoziierte Psoriasis , bilaterale Konjunktivitis, Myalgie, Balanitis und symmetrische Vaskulitien. Zusätzliche Symptome wie Fieber, Husten, Übelkeit, Durchfall und Geschmacksstörung traten unregelmäßig auf (Bekaryssova D et al. 2022).

Labor

BSG-Beschleunigung, Leukozytose; alpha 1- und alpha 2-Globulinvermehrung in der Serum-Elektrophorese; Leukozyturie; kultureller oder serologischer Nachweis von Chlamydien, Mykoplasmen (postvenerisch) bzw. Shigellen, Salmonellen, Yersinien oder Campylobacter (postdysenterisch). Rheumafaktoren und ANA sind stets negativ!

Differentialdiagnose

Therapie allgemein

Während akuter Schübe und bei gestörtem Allgemeinbefinden Bettruhe, Analgetika, Paracetamol (z.B. Ben-u-ron Tbl.) 0,5–1 g/Tag und sorgfältige Lagerung zur Erhaltung der Gelenkbeweglichkeit.

Externe Therapie

Balanitis: Therapie der Balanitis parakeratotica circinata mit austrocknenden Maßnahmen wie Lotio alba und Auflage von Mullkompressen. Zudem Applikation von Glukokortikoid-haltigen Cremes/Lotionen wie 0,25% Prednicarbat-Creme (z.B. Dermatop Creme), 0,1% Methylprednisolon Creme (z.B. Advantan) oder 0,5% Hydrocortison Creme.

Keratoderma blenorrhagicum oder/und psoriasiforme Hautveränderungen: Mittelstarke Glukokortikoide wie 0,1% Triamcinolon Creme Triamcinolonacetonid-Creme hydrophile 0,025/0,05/0,1% (NRF 11.38.) oder 0,1% Mometasonfuroat (z.B. Ecural Fettcreme/Salbe®), in Kombination mit Calcipotriol-haltigen Externa (z.B. Psorcutan Salbe®) 2mal/Tag.

Bestrahlungstherapie

Bei therapieresistentem Keratoderma blenorrhagicum selektive PUVA-Bad-Therapie von Palmae und/oder Plantae: 8-MOP-Konzentration im Badewasser 0,5-1,0 mg/l, Wassertemperatur 37 °C, Dauer des Medikamentenbades 20 Min., unmittelbar im Anschluss an das Bad UVA-Bestrahlung mit initial z.B. 0,2 J/cm2 UVA, Steigerung der UVA Dosis bei jeder 3. Behandlung um etwa 0,2 J/cm2.

Interne Therapie

Darm- bzw. Urethrainfektion: Bei noch nachweisbarer Infektion von Urethra oder Darm antibiotische Therapie mit Doxycyclin (z.B. Doxy Wolff) 2mal 100 mg/Tag über 7 Tage.

Arthritiden: Nichtsteroidale Antiphlogistika wie Acetylsalicylsäure 2-4 g/Tag (z.B. Aspirin Tbl.), insbes. auch Indometacin (z.B. Ammuno) 75-150 mg/Tag, Diclofenac (z.B. Voltaren) 75-150 mg/Tag, Ibuprofen (z.B. Ibuprofen-ratiopharm) 600-1200 mg/Tag.

Ggf. auch systemische Glukokortikoide anwenden, z.B. Prednisolon (z.B. Decortin H Tbl.) initial 100 mg/Tag, Reduktion auf niedrigste mögliche Erhaltungsdosis. Ggf. auch Kombinationstherapie mit Azathioprin (z.B. Imurek 50), Beginn mit 100 mg/Tag. Reduktion in Abhängigkeit von Akuität und Verlauf der Erkrankung.

Merke! Ausschluss einer HIV-Infektion vor Anwendung von Zytostatika oder Immunsuppressiva, da der M. Reiter Ausdruck eines späten Stadiums einer HIV-Infektion (0,5-11% der Pat.) sein kann!

Nach Ausschöpfung dieser Möglichkeiten bei schwerem Krankheitsbild Methotrexat (z.B. Methotrexat Lederle) 1mal/Woche 7,5-15 mg p.o. (ist der langfristigen peroralen Gabe von Glukokortikoiden vorzuziehen). Ein Therapieversuch ist auch möglich mit Retinoiden wie Acitretin (Neotigason) 30-50 mg/Tag (bei Frauen nur unter strikter Antikonzeption)!

Bei schwersten Haut- und Schleimhautveränderungen ist auch Ciclosporin A (Sandimmun) indiziert. S.a.u. Psoriasis vulgaris, Psoriasis pustulosa generalisata oder Psoriasis arthropathica. 

Gute Therapieerfolge werden mit demEinsatz von TNF-alpha-Antagonisten erzielt. Sie gelten inzwischen als Therapeutika der 1.Wahl. 

Verlauf/Prognose

Bei der Mehrzahl der Patienten verläuft die Erkrankung „selbstlimitierend“ (2-6 Monate). Einige Patienten entwicklen jededoch einen chronischen Verlauf und bedürfen einer immunmodulierenden Therapie (Jubber A et al. 2021). Selten persistieren bleibende Defekte. Spontane oder durch Infektionen ausgelöste Rezidive sind häufig.

Bei 80% der Patienten werden nach 5 Jahren noch krankheitsspezifische Symptome nachgewiesen.

Literatur

  1. Bekaryssova D et al. (2022) Reactive arthritis before and after the onset of the COVID-19 pandemic. Clin Rheumatol 41:1641-1652.
  2. Catteral RD (1983) Clinical aspects of Reiter's disease. Br J Rheumatol 22: 151
  3. Edirisinghe DN et al. (2002) Reiter's syndrome and keratoderma blennorrhagica on glans penis--is this unusual? Int J STD AIDS 13: 133-134
  4. Fiessinger N, Leroy E (1916) Contribution à l'étude d'une épidemie de dysenterie dans la somme. Bull Soc méd Hòp (Paris) 40: 2030
  5. Fox R, Calin A, Gerber R, Gibson D (1979) The chronicity of symptoms and disability in Reiter's syndrome: an analysis of 131 consecutive patients. Ann Intern Med 91: 190
  6. García-Kutzbach A et al. (2018) Reactive arthritis: update 2018. Clin Rheumatol 37:869-874.
  7. Gaylis N (2003) Infliximab in the treatment of an HIV positive patient with Reiter's syndrome. J Rheumatol 30: 407-411
  8. Jubber A et al. (2021) Reactive arthritis: a clinical review. J R Coll Physicians Edinb 51:288-297.
  9. Kiss S, Letko E et al. (2003) Long-term progression, prognosis, and treatment of patients with recurrent ocular manifestations of Reiter's syndrome. Ophthalmology 110: 1764-1769
  10. Lotery HE et al. (2003) Ulcerative vulvitis in atypical Reiter's syndrome. J Am Acad Dermatol 48: 613-616
  11. Reiter H (1916) Über eine bisher unerkannte Spirochäteninfektion (Spirochaetosis arthritica). Dtsch med Wschr 42: 1535
  12. Schneider JM et al. (2003) Reiter's syndrome. Cutis 71: 198-200
  13. Wollina U et al. (1999) Nail changes in rheumatic disease. Hautarzt 50: 549-555
  14. Wu IB et al. (2008) Reiter`s syndrome: the classic triad and more. J Am Acad Dermatol 59: 113-121
  15. Zeidler H et al. (2022) Quo vadis reactive arthritis? Curr Opin Rheumatol 34:218-224.

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