Folliculitis decalvans L66.2

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles, Pia Nagel

Co-Autoren: Dr. med. Maximilian Deußing, Dr. med. Nima Nasserani

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Acne decalvans; Acne décalvante; Folliculitis depilans; Folliculitis sycosiformis atrophicans; Follikulitis decalvans; Haarbalgentzündung; Haarwurzelentzündung; Quinquaudsche Krankheit

Erstbeschreiber

Charles Quinquaud 1888.

Darier bezeichnet die Folliculitis décalvans als eine Abart der Pseudopelade Brocq, womit er der Pseudopelade eine eigentständige ätiopathogenetische Bedeutung einräumt, was diese nach der heutigen allgemeinen Defintion nicht mehr hat. Die Pseudopelade ist nach heutigem Verständnis keine nosologische Entität, sondern bezeichnet den Endzustand ätiopathogenetisch unterschiedlicher, pathologischer Prozesse.   

Definition

Seltene, eminent chronisch verlaufende, follikuläre (neutrophile) Inflammation des Kapillitiums, mit entzündlichen, follikulären Papeln und Pusteln, die zur kompletten Zerstörung der Haarfollikel und konsekutiver Vernarbung führt und die sich selbst perpetuiert. Der Folgezustand ist eine spiegelnde, narbige Alopezie mit einzelnen Büschelhaaren (=tufted hairs; s.a. Folliculitis sycosiformis atrophicans). Charakteristisch ist der Nachweis von Staphylococcus aureus aus Pustelinhalten und das Auftreten von Büschelhaaren in den Narbenarealen.

Ätiopathogenese

Ungeklärt, evtl. persistierende Infektion mit Staphylococcus aureus (aus Pusteln und Haarwurzeln sind fast stets S. aureus nachweisbar) möglicherweise auf der Basis eines lokal begrenzten Immundefekts.

Familiäre Häufungen werden vereinzelt beobachtet, sind jedoch die absolute Ausnahme.

In seltenen Fällen ist eine Assoziation mit einer Hidradenitis suppurativa nachweisbar (s. Fallbeispiel).  

Mehrfach beschrieben wurde die Folliculitis decalvans auch in Kombination mit einer Pityriasis amiantacea als paradoxe UAW  bei der Behandlung mit TNF-alpha-Antagonisten (Zamperetti M et al. 2017).

Manifestation

Bevorzugt im Erwachsenenalter (20-40 Jahre) auftretend.

Männer sind wesentlich häufiger betroffen als Frauen (Verhältnis etwa 5:1).  

Lokalisation

Kapillitium:

  • Scheitelbereich (weitaus häufigste Region) 
  • Schläfenregion

Gesichtsbereich: Gleichartige Hautveränderungen können auch im Gesichtsbereich auftreten (Folliculitis decalvans faciei). 

Klinisches Bild

Eminent chronische entzündliche, pyogene Follikulitis des Capillitiums. 

Häufig jahrelanger (manchmal jahrzehntelanger) kontinuierlicher oder schubweiser Verlauf der Erkrankung, der erst nach lokaler Vernarbung die mit Haarlosigkeit einhergeht, sistiert.

Zunächst disseminierte, kleine, follikuläre, mäßig schmerzhafte, diskrete rote Papeln. Im Laufe der Krankheitsprogression zunehmende Entzündungssymptomatik mit follikulären Pusteln, beginnender fleckförmiger, später auch großflächiger, spiegelnder Hautatrophie mit Haarlosigkeit. Charakeristisch sind am Rande der Läsionen keratotische haarbodennahe Einscheidungen der Haarschäfte. Es bilden sich reisfeldartige Konglomeratfollikel (Büschelhaarbildung). 

Nach Ausbildung einer zentralen, plattenartigen, spiegelnden, haar- und follikelfreien Vernarbung (Glanzhaut), finden sich Follikulitiden nur noch in der Randzone der Herde. Diese sind die Zeichen der Progression der Erkrankung. 

Befund: Es resultieren in typischer Ausprägung wenige oder zahlreiche, unregelmäßig geformte, atrophische, 2,0-5,0 cm große, haarlose, plattenartige, eingesunkene Narbenherde mit eigentümlicher atrophischer Glanzhaut, die insbes. bei seitlicher Beleuchtung und Betrachtung spiegelnd auffällig ist. 

Ausbildung von sog. Büschelhaaren, die von großlumig erweiterten Poren aus, 5-15 eng gefasste Haarbündel umfassen.

Die Ränder der Läsionen erscheinen ausgefranst mit aktivem papulo-pustulösem Entzündungssaum.  

Histologie

Frische Läsion: Perifollikuläre Abszesse aus poly- und mononukleären Zellen, konsekutive Destruktion der Haarfollikel. Ältere Herde zeigen ein aus Lymphozyten, Fibroblasten und Plasmazellen bestehendes perifollikuläres Granulationsgewebe, häufig mit Fremdkörperriesenzellen.

In ausgebrannten Herden sieht man lediglich eine Fibrose mit schütteren lymphozytären Infiltraten.

Differentialdiagnose

Vernarbende Alopezien anderer Ätiologie (z.B. Lichen planus follicularis)  

Tinea capitis (mikroskopischer oder kultureller Pilznachweis). 

Folliculitis-decalvans-artige Veränderungen bei schwerer Acne conglobata.   

Externe Therapie

Desinfizierende Externa: mit antimikrobiell wirkenden Zusätzen wie verdünnte Kaliumpermanganat-Lösung (hellrosa), Hydroxychinolin z.B. Chinolinol (z.B. Chinosol 1:1000), R042 , Clioquinol-Creme R049 

Alternativ Antibiotika:  Erythromycin-haltige Lösungen (z.B. R086 , Aknemycin Lösung).

Alternativ Glukokortikoide: topische Glukokortikoide als Cremes oder Lösungen, z.B. Betamethason 0,05% Lotio oder Salbe (Betamethasonvalerat-Emulsion hydrophile), evtl. unter Okklusivbedingungen. Auch wechselweise mit topischen Antibiotika.

Hier hat sich in Fallberichten die topische Anwendung von BPO/Clindamycin (=Duac Acne Gel®)  und Halometason 0,05 %/Triclosan 1 % (=Infectocortisept®) im täglichen Wechsel bewährt.

Calcineurininhibitoren: Einzelergebnisse liegen für Tacrolimus vor.  

PDT: Ebenfalls werden in der Literatur über Erfolge durch die Therapie mit PDT mit Metvix® und LED Rotlicht, 37 J/cm², 4x im Abstand von 4 Wochen berichtet. 

 

Interne Therapie

Tetracycline (z.B. Tetracyclin-Wolff) initial 1 g/Tag p.o., später Reduktion auf 500 mg/Tag. Therapieversuch mit Isotretinoin (z.B. Isotretinoin-ratiopharm; Aknenormin) 0,5 mg/kg KG/Tag.

Alternativ Clindamycin/Rifampicin: In einigen Fällen werden gute Therapieeffekte mit der Kombination von Clindamycin und Rifampicin beschrieben (Bunagan MJ et al. 2015): Clindamycin/Rifampicin 300mg 2x/Tag über 10 Wochen  (Vañó-Galván S et al. 2015).  

Alternativ Orale Fusidinsäure (3x500mg/Tag) über eine Zeit von 3-4 Monaten  (Pimenta R 2019).Einzelfallberichte zeigten positive Erfolge mit einer Kombinationstherapie von Dapson (100 mg/Tag) und Isotretinoin (1 mg/kgKG/Tag) sowie von Adalimumab (Shireen F et al. 2018).

Alternativ Isotretinoin: Bei der seltenen Kombination mit einer Acne vulgaris  ist eine Therapie mit Isotretinoin empfehlenswert. 

Bei stärkerer Entzündung kurzfristig Glukokortikoide in mittlerer Dosierung 60-80 mg/Tag (z.B. Decortin H) in abfallender Dosierung.

Experimentell Apremilast (Orales Thalidomid-Analogon): Eine Kasuistik berichtet über die erfolgreiche Therapie mit Apremilast (Fässler M et al. 2020).

Nachsorge

Es empfiehlt sich die Büschelhaare operativ zu entfernen, da sie Eintrittspforte für Bakterien darstellen. Zur Rezidivprophylaxe ist ein desinfizierendes Shampoo zu wählen. Die Kopfhaut sollte nach der Kopfwäsche trocken geföhnt werden.

Fallbericht(e)

Ein 41-jähriger Mann von den Kapverden leidet seit zwei Monaten an einer schmerzhaften, eitrigen, stellenweise nässenden Follikulitis am Scheitel der Kopfhaut. Bei dem Patienten wurde 5 Jahre zuvor eine Infektion mit dem Humanen Immundefizienzvirus Typ 1 (HIV-1) diagnostiziert. Er nahm eine Therapiekombination aus Efavirenz, Tenofovir und Emtricitabin. Die Viruslast war inzwischen nicht mehr nachweisbar.

Die dermatologische Untersuchung ergab eine inflammatorische Plaque mit narbiger Alopezie mit Krusten und follikulären Pusteln. Die direkte mikroskopische Untersuchung und die mykologische Kultur ergaben keine Pilzelemente. Es wurde eine Follikulitis decalvans diagnostiziert.

Systemtherapie: Der Patient erhielt dreimal täglich 500 mg orale Fusidinsäure.

Lokaltherapie: Betamethasondipropionat 0,05 % und Salicylsäure 3 % als Lotion sowie Azelainsäure 5 % Lotion einmal täglich.

Verlauf:  Nach zweimonatiger Behandlung zeigte der Patient eine klinische Besserung mit geringerer Rötung. Rückbildung der eitrigen Follikulitis. Das Nachwachsen der Haare konnte festgestellt werden, hauptsächlich im Randbereich der Läsion. Nach 3 Monaten wurde die antibiotischen Therapie abgesetzt. Die Lokaltherapie wurde über 6 Monate fortgeführt. 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Bolz S et al. (2008) Erfolgreiche kombinierte Isotretinoin- und Dapson -Therapie bei Perifolliculitis capitis abscedens et suffodiens. JDDG 6: 44-47
  2. Bunagan MJ et al. (2015) Retrospective Review of Folliculitis Decalvans in 23 Patients with Course and
    Treatment Analysis of Long-standing Cases.J Cutan Med Surg 19:45-49.
  3. Chandrawansa PH et al. (2003) Folliculitis decalvans--a retrospective study in a tertiary referred centre, over five years. Singapore Med J 44: 84-87
  4. Vañó-Galván S et al. (2015) Folliculitis decalvans: a multicentre review of 82 patients. J Eur Acad Dermatol Venereol 29:1750-1757.
  5. Karakuzu A et al. (2001) A case of folliculitis decalvans involving the beard, face and nape. J Dermatol 28: 329-331
  6. Kaur S, Kanwar AJ (2002) Folliculitis decalvans: successful treatment with a combination of rifampicin and topical mupirocin. J Dermatol 29: 180-181
  7. Pimenta R (2019) Successful Treatment with Fusidic Acid in a Patient with Folliculitis Decalvans. Acta Dermatovenerol Croat 27: 49-50. 
  8. Powell JJ et al. (1999) Folliculitis decalvans including tufted folliculitis: clinical, histological and therapeutic findings. Br J Dermatol 140: 328-333
  9. Quinquaud CE (1888) Folliculite épilate décalvante. Réunions clin Hôpital St. Louis, Comptes rendus (Paris) 9: 17
  10. Shireen F et al.(2018) A Case of Isotretinoin Therapy-Refractory Folliculitis Decalvans Treated
    Successfully with Biosimilar Adalimumab (Exemptia).Int J Trichology 10:240-241.
  11. Vañó-Galván S et al. (2015) Folliculitis decalvans: a multicentre review of 82 patients. J Eur Acad Dermatol Venereol 29: 1750-1759.
  12. Fässler M et al. (2020)  Successful treatment of refractory folliculitis decalvans with apremilast. JAAD Case Rep. 20;6:1079-1081
  13. Zamperetti M et al. (2017) Pityriasis amiantacea und Folliculitis decalvans Eine ungewöhnliche Erscheinung, assoziiert mit Anti-Tumor-Nekrose-Faktor-α-Therapie [Pityriasis amiantacea and folliculitis decalvans : An unusual manifestation associated with antitumor necrosis factor-α therapy]. Hautarzt 68:1007-1010.

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