Synonym(e)
Definition
(Diffuses) Ergrauen bzw. Weißwerden der Haare infolge des Verlustes der Melaninproduktion der Melanozyten einzelner oder aller Haarbulbi. Je nach Ursache unterscheidet man:
- medikamentöses Ergrauen
- physiologische Ergrauen
- Canities praecox
- Canities symptomatica
- Canities subita (plötzliches Ergrauen - "über Nacht")
Ätiopathogenese
Letztlich ist bis heute die Ätiopathogenese des Ergrauens nicht vollständig geklärt. Ein vorzeitiges Ergrauen kann als autosomal dominante Primärerkrankung auftreten. Ergrauen kann auch bei vorzeitigen Alterungsstörungen wie der Progeria adultorum auftreten. Über ein Zusammenhang mit atopischer Diathese und verschiedenen Autoimmunkrankheiten wurde ebenfalls berichtet (Daulatabad D et al. 2016). Die Rolle reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) beim Ergrauen der Haare dürfte am besten untersucht sein. Während der aktiven Wachstumsphase, d. h. der Anagenphase, findet im Haarfollikel eine aktive Melanogenese statt, der Haarschaft wird mit Melanin beladen. Die Melanproduktion beinhaltet die Hydroxylierung von Tyrosin und die Oxidation von Dihydroxyphenylalanin zu Melanin, was einen enormen kumulativen oxidativen Stress verursacht. Oxidativer Stress kann z.B. durch ultraviolette Strahlen (UV), Umweltverschmutzung, durch emotionale Faktoren oder durch inflammatorische Prozesse verursacht werden. Oxidativer Stress kann zu einem verstärkten Ergrauen der Haarfollikel führen (Arck PC et al. 2006).
Progerie-Syndrome sind mit fehlerhaften DNA-Reparaturmechnaismen verbunden. Insofern sind DNA-Prozesse ebi diesen Syndromen anfälliger für oxidativen Stres. Dies kann mit vorzeitigem Ergrauen der Haare verbuuden sein.
Auch ein Vitamin-B12-Mangel kann über einen unbekannten Mechanismus ein vorzeitiges Ergrauen der Haare verursachen. Etwa 55 % der Patienten mit perniziöser Anämie ergrauten vor dem 50. Lebensjahr im Vergleich zu 30 % in der Kontrollgruppe (Dawber RP (1970).
Weiterhin scheint psychischer Stress ebenfalls eine erhöhte oxidative Belastung zu induzieren. Dies könnte als Erklärung dienen, dass auch emotionalen Faktoren beim vorzeitigen Ergrauen, auch bei Canities subita, eine Rolle zugebilligt wird (Epel ES et al. 2004).
Ein Mangel an Schilddrüsenhormonen verursacht vorzeitiges Ergrauen, Alopezie und Veränderungen der Haarmorphologie. Die Schilddrüsenhormone T3 und T4 wirken direkt auf die Haarfollikel und steigern die Melanogenese (van Beek N et al. 2008).
Weiterhin können bestimmte Chemotherapeutika und Antimalariamittel ein vorzeitiges Ergrauen verursachen. Dies trifft für Medikamente zu die die Rezeptor-Tyrosinkinase c-KIT hemmen, die in Melanozyten vorkommt. Chloroquin reduziert über einen unbekannten Mechanismus bevorzugt die Phäomelaninproduktion (Hartmann JT et al. 2008;Sideras K et al. 2010); Di Giacomo TB et al. 2009).
Offenbar ist auch das Zigarettenrauchen ein ätiologischer Faktor bei vorzeitigem Ergrauen. Eine mögliche Erklärung hierfür ist die prooxidative Wirkung des Rauchens auf den Körper, die zu einer verstärkten ROS-Schädigung der Melanozyten der Haarfollikel führt ( Jo SJ et al. 2012). In einem größeren Kollektiv 10.000 Befragte) war der Anteil der ergrauten Raucher mit 15,3% gegenüber dem Anteil der Nichtraucher mit 12,8% erhöht (Sabharwal R et al. 2014; Shin H et al. 2015).
Reversible Hypopigmentierung des Haares kann bei Ernährungsmängeln, Protein-Energie-Mangelernährung und Krankheiten mit chronischem Proteinverlust auftreten.
Auch Kupfer- und Eisenmangel können ein Ergrauen der Haare verursachen. Vereinzelt wurde über Zinkmangel und vorzeitigem Ergrauen berichtet(Vinay K et al. 2014). Es wird angenommen, dass Kupfer, Eisen, Kalzium und Zink die Melanogenese und damit die Haarpigmentierung beeinflussen.
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Klinisches Bild
Das Weiß der Haare ist auf eine optische Täuschung zurückzuführen, denn das blassgelbe Keratin erscheint aufgrund der Reflexion oder Brechung des einfallenden Lichts weiß. Graues Haar ist durch nur noch durch wenige, spärlich verteilte Melanosomen restgefärbt. Das völlig weiß erscheinende Haar ist frei von Melanosomen.
Eine Faustregel besagt, dass bis zum Alter von 50 Jahren bei etwa 50 % der Bevölkerung die Hälfte der Haare ergraut sind. Bei Männern tritt das Ergrauen zunächst an den Schläfen und Koteletten auf. Das Grauwerden breitet sich auf den Scheitel und den Rest der Kopfhaut aus, wobei der Hinterkopf als letztes betroffen ist. Bei Frauen macht sich die Ergrauung zuerst an den Rändern der Kopfhaut bemerkbar.
Das Fortschreiten der Ergrauung wird durch verschiedene Faktoren bestimmt, die jedoch hauptsächlich genetisch bedingt sind. Außerdem kann die Geschwindigkeit des Ergrauens in verschiedenen Bereichen der Kopfhaut variieren. Eine Studie an der koreanischen Bevölkerung ergab dass bei Männern die temporalen und okzipitalen Bereiche stärker betroffen waren als bei Frauen. Außerdem begann die Ergrauung bei Frauen im Frontalbereich, bei Männern dagegen im Schläfenbereich. Bei denjenigen, bei denen das Ergrauen vor dem 40. Lebensjahr einsetzte, waren die parietalen und temporalen Bereiche stärker betroffen. Bei denjenigen, bei denen die Ergrauung nach dem 40. Lebensjahr einsetzte, war der Frontalbereich stärker ergraut. Interessanterweise korreliert das frühe Einsetzen der Ergrauung nicht mit einem schnellen Fortschreiten. Unabhängig vom Alter bei Beginn der Ergrauung kam es in dieser koreanischen Population im fünften Lebensjahrzehnt zu einem raschen Fortschreiten der Ergrauung (Jo SJ et al. (2012)
Graues Haar ist gröber, steifer und schwieriger zu bändigen als dunkles Haar (Hollfelder B et al. 1995). Weiterhin ist die Wachstumsgeschwindigkeit und die Dicke von nicht pigmentiertem Haar deutlich höher als bei dunklem Haar (Choi HI et al. 2011; Nagl W 1995; Van Neste D 2004). So kann graues Barthaar bis zu viermal schneller wachsen als pigmentiertes Haar (Nagl W 1995). Graues Haar ist auch schwieriger zu kämmen.
Histologie
Differentialdiagnose
Therapie
Hinweis(e)
Adipositas: Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen Adipositas und einem vorzeitigen Ergrauen der Haare.
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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Verweisende Artikel (8)
Achromotrichie; Canities, medikamentöse; Canities praecox; Canities symptomatica; Down-Syndrom; Ergrauen der Haare; Prolidase-Mangel; Weißwerden der Haare;Weiterführende Artikel (18)
ACVR2A-Gen; BMPR2-Gen; Canities, medikamentöse; Canities, physiologische; Canities praecox; Canities subita; Canities symptomatica; Chloroquin; KIT-Gen; Melanogenese; ... Alle anzeigenDisclaimer
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