Pruritus aquagener L29.8

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 16.12.2024

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Synonym(e)

Aquagener Juckreiz; Aquagener Pruritus; Aquagenic pruritus; Bath-time itch

Erstbeschreiber

Shelley, 1970

Definition

Intensiver, lokalisierter oder auch generalisierter Juckreiz (manchmal wird auch Brennen, Stechen oder Schmerzen = Aquadynie angegeben), der unmittelbar (etwa bei 1/3 der Pat.) oder nach einer Latenzzeit von 2-15 min.(etwa 2/3 der Pat.) nach Wasserkontakt eintritt, und nach ca. einer Stunde wieder abklingt. Die Entität wird teilweise als Sonderform der aquagenen Urtikaria angesehen.

Vorkommen/Epidemiologie

Prävalenz und Inzidenz sind unbekannt. Familiäre Häufung kommt vor.

Ätiopathogenese

Unbekannt; postuliert wird eine "Wasser-induzierte" Aktivierung von Mastzellen. Das Symptom wird häufig als begleitendes oder prämonitorisches Symptom bei myeloproliferativen Systemerkrankungen beschrieben (Zeidler C et al. 2020).

Die häufigste Assoziation liegt bei einer Polycythämia vera, die mit 40-50% angegeben wird. In diesen Fällen tritt hochassoziiert eine Mutation in dem Enzym Januskinase 2 (JAK2) auf. Die Mutation führt zu einer Vermehrung von CD63+ eosinophilen und basophilen Granulozyten, die konstitutiv aktiviert werden und in der Haut die Degranulation von Mastzellen induzieren. Ein prämonitorisches Auftreten von aquagenen Pruritus (im Mittel 6,6-8,6 Jahre) vor Diagnosestellung einer Polycythämie wurde bei der Mehrheit der Patienten beobachtet (Zeidler C et al. 2020).  

Neben hämatologischen Erkrankungen können auch intestinale Erkrankungen wie eine Laktoseintoleranz , Nebenwirkungen von Medikamenten wie Chloroquin oder Hydroxychloroquin wie auch eine Hepatitis C ursächlich sein (Zeidler C et al. 2020). 

Familiäre Häufungen wurden vereinzelt beobachtet (Heitkemper T et al. 2010).

 

Manifestation

Mittleres bis jugendliches Alter zwischen 30 und 50 Jahren. Die Dauer der Erkrankung liegt zwischen wenigen Monaten und 20 Jahren.

Lokalisation

Bevorzugt an Gesäß und Oberschenkeln (genau beschränkt auf die Kontaktstellen mit Wasser); Kopf, Hände und Füße sind ausgenommen.

Klinisches Bild

Starke, teils als brennender oder stechender Juckreiz beschriebene Symptomatik ohne sichtbare Hautveränderungen, unabhängig von der Temperatur des Wassers nach Wasserkontakt regelmäßig auftretend. Bei etwa 30% der Patienten können myeloproliferative Erkrankungen nachgewiesen werden. Nicht selten findet sich zusätzlich noch eine Lactose-Intoleranz. Weitere assoziierte Erkrankungen sind: essentielle Thrombozythämie, Hämochromatose, infektiöse Erkrankungen wie Hepatits C; Neoplasien wie z.B. Uteruskarzinom, akute lymphatische Leukämie, T-Zell-Lymphome, Hypereosinophiles Syndrom, Medikamente (Antimalariamittel, Bupropion).

Therapie

  • Möglich ist ein Versuch zur Toleranzentwicklung durch regelmäßige, sich steigernde Kontaktzeiten mit Wasser.
  • Die besten Erfolge werden durch eine PUVA-Bad-Therapie erzielt. Alternativ: UVB-Bestrahlungen, auch 311 nm-Schmalspektrum-UV-Therapie.
  • Lokale Applikation einer 5% Polidocanol-Creme (1-2mal/Tag) oder von Capsaicin 0,01-1% als Creme, Schüttelmixtur oder Gel.
S.u. Urtikaria, aquagene.

Interne Therapie

Etwa 30% der Patienten reagiert positiv auf nicht sedierende Antihistaminika wie Desloratadin (Aerius) 1-2x2 Tbl.l/Tag p.o. oder Levocetirizin (Xusal) 1-2x2 Tbl.l/Tag p.o. Gute und belastbar positive Effekte lassen sich mit einer UV-Therapie erzielen (UVB und PUVA). Weitere Therapieoptionen sind Antikonvulsiva (z.B. Pregabalin, Naltrexon, Paroxetin).

Die besten Effekte lassen sich nach Versagen der Antihistaminika -Therapie mit Pregabalin® 50-100 mg) erzielen.

Bei Aquadynie ist Ibuprofen 30 min. vor Wasserkontakt zu empfehlen. 

In Fallberichten bei Pat. mit Polycythämia vera erwies sich kürzlich der Einsatz von Ruxolitinib (Januskinaseinhibitor), als potentes Mittel gegen die Grunderkrankung und gegen den Juckreiz.      

Hinweis(e)

Aquagener Pruritus > 30 min. hauptsächlich am Rumpf sowie auch bei Verwendung von Hautpflege (Cremes) spricht für eine neoproliferative Neoplasie.  

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Cao T et al. (2015) Idiopathic aquagenic pruritus: pathogenesis and effective treatment with atenolol. Dermatol Ther 28:118-121
  2.  Goodkin R et al. (2002) Repeated PUVA treatment of aquagenic pruritus. Clin Exp Dermatol 27: 164-165
  3. Heitkämper T et al. (2010) Aquagener Pruritus: Assoziierte Grunderkrankungen und klinische Prurituscharakteristika. JDDG 10: 797-805
  4. Holme SA et al. (2001) Aquagenic pruritus responding to intermittent photochemotherapy. Clin Exp Dermatol 26: 40-41
  5. Lubach D (1984) Aquagener Pruritus sine materia. Hautarzt 34: 600-601
  6. McGrath JA et al. (1990) Aquagenic pruritus and the myelodysplastic syndrome. Br J Dermatol 123: 414-415
  7. Newron JA et al. (1990) Aquagenic pruritus associated with the idiopathic hypereosinophilic syndrome. Br J Dermatol 122: 103-106
  8. Nosbaum A et al. (2011) Treatment with propranolol of 6 patients with idiopathic aquagenic pruritus. J Allergy Clin Immunol 128:1113
  9. Shelley W (1970) Post-wetness (aquagenic) pruritus. JAMA 212: 1385
  10. Siegel FP et al. (2013) Aquagenic pruritus in polycythemia vera: characteristics and influence on quality of life in 441 patients. Am J Hematol 88:665-669
  11. Treudler R et al. (2002) Familial aquagenic urticaria associated with familial lactose intolerance. J Am Acad Dermatol 47:611-613
  12. Zeidler C et al. (2020) Klinische Shortcuts in der Differenzialdiagnostik von Pruritus. Hautarzt 71: 493-499

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