Synonym(e)
Definition
Die systemische Mastozytose ist ein seltene Krankheitsbild das durch eine pathologische Vermehrung und gesteigerte Aktivität neoplastischer Mastzellen in Knochenmark und in verschiedenen anderen Organsystemen so potenziell auch in der Haut charakterisiert ist. Eine kutane Beteiligung (makulopapulöse Mastozytose= in der älteren Nomenklatur als Urticaria pigmentosa bezeichnet) findet sich vor allem bei der Indolenten systemischen Mastozytose (ISM). Sie fehlt bei der Mastzellleukämie komplett.
Die Diagnose „systemische Mastozytose“ wird auf der Basis der Kriterien der WHO-Klassifikation 2016 gestellt. Zur Diagnosestellung der SM müssen entweder ein Hauptkriterium und mindestens eines von vier Nebenkriterien oder drei Nebenkriterien erfüllt sein.
Hauptkriterium
- Histologischer Nachweis multifokaler, kompakter infiltate aus Mastzellen (≥15) im KM oder in einem extrakutanen Organ
Nebenkriterien
- Nachweis atypischer spindelförmiger Mastzellen (≥25% aller Mastzellen): histologisch im KM oder in anderen extrakutanen Organen bzw. zytologisch im KM-Ausstrich
- Nachweis einer KIT D816 Punktmutation im peripheren Blut, KM oder anderen extrakutanen Organen
- Nachweis des Oberflächenmarkers CD2 und/oder CD25 auf Mastzellen im KM, im peripheren Blut oder in einem anderen extrakutanen Organ
- Serum-Tryptase-Spiegel persistierend ≥ 20μg/l
Einteilung
Die Klassifikation und Subtypisierung der Mastozytosen erfolgt nach der aktuellen WHO-Klassifikation aus dem Jahre 2016.
Kutane Mastozytose (CM)
- Kutanes Mastozytom (Befund bei Kleinkindern)
- Makulopapulöse kutane Mastozytose (MPCM = Urticaria pigmentosa der alten Nomenklatur), ohne nachweisabre extrakutane Manifestationen
Systemische Mastozytose (SM)
- Indolente SM (ISM) - die meisten Patienten haben einen kutanen Befall
- Smoldering SM (SSM)
- SM mit assoziierter hämatologischer Neoplasie (SM-AHN)* +
- Aggressive SM (ASM)+
- Mastzell-Leukämie (MCL)+
- Mastzell-Sarkom+
+ Im klinischen Alltag hat sich der Begriff der „advanced SM (AdvSM)“ als Oberbegriff für ASM, SM-AHN und MCL eingebürgert.
*Systemische Mastozytose mit assoziierter hämatologischer Neoplasie (SM-AHN): Die bei der seltenen SM-AHN assoziierte hämatologische Neoplasie ist in >95% der Patienten myeloischen Ursprungs (SM-MDS; SM-CMML; SM-CEL; seltener SM-AML). Sie ist Ausdruck einer multilineären Beteiligung der KIT D816V Mutation. Grundlage für die Subtypisierung ist das Ausmaß der Organbeteiligung und -dysfunktion.
Nachweisbare somatische Mutationen, z.B. SRSF2, ASXL1 und RUNX1 u.a.m. haben inzwischen eine zunehmende Bedeutung für Phänotyp, Therapieansprechen und Prognose erhalten (Valent P et al. 2017; Jawhar M et al. 2019).
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Vorkommen/Epidemiologie
Die Systemische Mastozytose ist eine seltene Erkrankung. Die epidemiologischen Zahlen zur Inzidenz und Prävalenz sind unpräzise. Bei der indolenten systemischen Mastozytose geht man von einer Inzidenz um 1/100.000/Jahr aus, bei der advanced systemic mastocytosis (AdvSM) wird die Inzidenz mit 1-2/1 Million Einwohner/Jahr angegeben.
Ätiopathogenese
Mastzellen: Mastzellen stammen von CD34 –positiven Knochenmarksvorläuferzellen ab. Diese unreifen Mastzellenvoläuferzellen gelangen über die Blutgefäße in das Bindegewebe von Haut- und Schleimhäuten ihrer Endorgane (Haut, Bronchialschleimhäute, Schleimhäute des GI-Traktes). Mastzellen exprimieren den Tyrosinkinase-Rezeptor KIT (CD117), der wiederum den Stammzellfaktor (SCF) bindet. SCF ist ein Wachstumsfaktor. Er ist esenziell für Proliferation und Differenzierung der Mastzellen. Im Gewebe ihrer Endorgane differenzieren die noch unreifen Zellen zu reifen Mastzellen. Mutationen die zu einem Defekt von SCF oder KIT führen, haben eine Mastzelldefizienz zur Folge.
Aktivierung der Mastzellen: Die Mastzellen können durch verschiedenartige Reize aktiviert werden, so durch Allergene, Nahrungsbestandteile, Infektionen, Medikamente, physikalische Stimuli, Insektengift. Diese Stimulation führt i.A. zu einer kontrollierten Freisetzung von Mastzellmediatoren. Zu diesen zählen biogene Amine wie Histamin, Heparin, Tryptase, Chymase, Zytokine wie z.B. TNF-alpha, Chemokine und Prostanoide. In seltenen Fällen kann es jedoch auch zu einer unkontrollierten Freisetzung der Mastzellmediatoren kommen mit Flushing, Urtikaria oder Angioödemen (s.a. unter Mastzelle).
Eine extreme und unkontrollierte Freisetzung von Mastzellmediatoren findet bei dem sog. Mastzellaktivierungssyndrom mit u.U. schweren lebensbedrohlichen Zustandsbildern, z.B. Hypotonie/anaphylaktischer Schock statt.
Im Gegensatz zu diesen mediatorvermittelten Symptomen kommt es bei der AdvSM oft zu einer direkten Beeinträchtigung der Organfunktion durch die Mastzell-Infiltration selbst und zum Teil auch durch die damit assoziierte Inflammation.
KIT-Mutation: Die KIT D816 Mutation (>95% KIT D816V in Exon 17) ist eine aktivierende Mutation die in 80-95% der SM-Patienten nachweisbar ist. Die Mutation führt zu einer Stammzellfaktor-unabhängigen Rezeptoraktivierung mit klonaler Expansion und Akkumulation von Gewebsmastzellen.
Bei der Mastozytose der Kinder werden in 50% der Fälle ebenfalls Mutationen gefunden. Jedoch in anderen Regionen des KIT Gens (Exone 8, 9, 11).
KIT D816V Mutation und Mutationslast: Die KIT D816V Mutation ist bei der überwiegenden Zahl der Patienten mit ISM und SSM und in vielen Patienten mit advancedSM ohne AHN in den Mastzellen nachweisbar. In der Regel korreliert die quantitative KIT D816V Mutationslast mit der Mastzelllast im KM. Genetische Untersuchungen haben gezeigt, dass die somatischen Mutationen oft ein frühes, die KIT D816V Mutation ein eher spätes Ereignis in der Krankheitsevolution von multimutierten AdvSM Patienten darstellen (Jawhar M et al. 2016).
Manifestation
Bei Erwachsenen manifestiert sich die ISM am häufigsten zwischen dem 20. und 40., die AdvSM zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr.
Klinisches Bild
Das klinische Bild unterscheidet sich signifikant zwischen der „indolenten Systemischen Mastozytose“ (ISM) und der „advanced Systemischen Mastozytose“ (AdvSM).
Bei der Indolenten systemischen Mastozytose stehen die durch die Ausschüttung der Mastzell-Mediatoren verursachte Beschwerden und Symptome klinisch im Vordergrund:
- Haut: Juckreiz, Flush, Urtikaria
- GI-Trakt: Übelkeit, Erbrechen, Ulcera, Diarrhoe, abdominelle Krämpfe, Nahrungsmittelunverträglichkeit v.a. histaminhaltiger Nahrungsmittel wie Käse, Rotwein, Schokolade, Nüsse usw.
- Bronchialsystem: Schwellung des Nasen-Rachenraumes, Schwellung des Larynx, ggf. Atemnot
- Herz/Kreislauf: Synkope, Schwindel, Palpitationen, Tachykardien, anaphylaktische Reaktionen (v.a. nach Bienen- und Wespenstichen) mit Kreislaufschock bis hin zum Herzkreislauf-Stillstand (Primäres Mastzellaktivierungssyndrom )
- Neurologie: Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Depression, Kopfschmerzen, Schlafstörungen
- Knochen: diffuse Knochenschmerzen, Arthralgien, Osteopenie, Osteoporose, osteoporotische Frakturen (v.a. der Wirbelsäule)
- Konstitutionell: allgemeine Schwäche, Fatigue
Diagnostik
Folgende Untersuchungen sind für die Diagnosestellung „systemische Mastozytose“ nach „WHO-Kriterien 2016“ Standard:
Laborparameter: Tryptase, Albumin, AP, GGT, Bilirubin, LDH, Ferritin, Vitamin D, Vitamin B12, Folsäure, CRP, ß2-Mikroglobulin, Eiweiß-Elektrophorese, Immunfixation, IgE, plasmatische Gerinnung
Blutbild: Blut- und Differentialblutbild (insbesondere Monozyten, Eosinophile), evtl. Mastzellen; Dysplasiezeichen (MDS); Leuko-/Thrombozytose (MPN)
Bildgebung: Osteodensitometrie (erst bei gesicherter Diagnose)
Abdomen- und Lymphknotensonographie
Ggf. CT/MRT (Verdacht auf Osteolysen)
Knochenmarkszytologie: Nachweis oder Ausschluss einer Mastzell-Leukämie (Mastzellen ≥20%) oder einer ASM-t (Mastzellen 5-19%) und Reifegrad der Mastzellen (metachromatische Blasten, Promastozyten, atypische Spindelformen – reifzellig oder unreifzellig), Dysplasien, Blasten
Histologie: Mastzelllast (quantitativ), Dysplasie, Proliferation, AHN (ja/nein?), Blasten, Fibrose
Immunhistochemie: Tryptase, CD117, CD2, CD14, CD15, CD25, CD30, CD34, CD61
Durchflußzytometrie: Bestimmung/Bestätigung der Mastzellzahl und des Phänotyps der KIT+/CD34- Mastzellen: CD2, CD25, CD30, CD33; bei AHN evtl. auch Typisierung der Monozyten, anderen AHN-Zellen (je nach AHN-Typ) und Blasten
Molekulargenetik: KIT D816V Mutationsanalyse (qualitativ und quantitativ) aus KM und peripherem Blut
Bei KIT D816V negativen Patienten Sequenzierung des KIT Gens (selten andere KIT Mutationen möglich)
Erweiterte Mutationsanalyse (myeloisches NGS-Panel) bei Verdacht auf SSM, AdvSM und Mastzellsarkom. Konventionelle Zytogenetik, evtl. FISH-Analyse – vor allem bei (Verdacht) AHN
Therapie
Indolente SM (ISM): Innerhalb der ISM unterscheiden sich die individuellen klinischen Verläufe erheblich. Ein Teil der Patienten leidet unter keinerlei Symptomen. Meist sind es die Komorbiditäten, welche Symptome verursachen, z.B. die IgE-abhängige Allergie. Vor allem die Hymenopterengift-Allergie ist mit einer erheblichen Morbidität und z.T. auch Mortalität verbunden. Andere typische Befunde und Symptome sind Nahrungsmittel- und Medikamentenunverträglichkeiten, Hautmanifestationen, gastrointestinale Beschwerden und Osteopenie/Osteoporose mit/ohne Sinterungsfrakturen. Die prophylaktische Antimediator-Therapie wird zunächst wie bei Patienten mit wenig belastenden Allergien durchgeführt, z.B. mit 1 Tablette/Kapsel eines HR1-Blockers pro Tag (z.B. Cetirizin, Fexofenadin, Desloratadin, Rupatadin) und eines HR2-Blockers pro Tag (z.B. Ranitidin 2 x 150 mg/Tag – z. Zt. (Stand 02/2020) leider nicht verfügbar.
Alternativ: Famotidin 2-3 x 40 mg/Tag). Die Dosis wird nach Wirksamkeit und Verträglichkeit angepasst. In schweren Fällen (z.B. Anaphylaxien) wird die Dosis (zumindest) so hoch wie bei einer schweren Allergie angesetzt (diese Patienten leiden ja auch oft primär besonders unter schweren Allergien). Teilweise lassen sich auch unterschiedliche HR1-Blocker kombinieren, so dass z.B. zentral wirksame Substanzen eher abends eingesetzt werden, um den bei ISM-Patienten oft eingeschränkten Schlaf zu unterstützen. Noch wichtiger ist, dass die HR2-Blocker abends eingenommen werden. Bei fehlender oder nachlassender Wirksamkeit kann eine Dosiserhöhung oder ein Präparatewechsel hilfreich sein.
Ein HR2-Blocker ist in den meisten Fällen mit gastrointestinalen Beschwerden ausreichend, um das Beschwerdebild zu beherrschen. Bei ausgeprägter und/oder resistenter Symptomatik kann die Dosis erhöht werden oder zusätzlich ein PPH verschrieben werden. Eine reine Umstellung auf einen PPH ist hingegen nicht zielführend. Bei komplett refraktären Fällen muss die primäre Diagnose hinterfragt und der GI-Trakt ggf. nochmals untersucht werden (nur ISM oder doch ASM – aber auch: zusätzlich aktive GI-Erkrankung?).
In der nächsten Stufe (unter Beibehaltung der HR1/HR2 + PPH Therapie) kann der Einsatz eines Mastzellstabilisators (z.B. Cromoglicinsäure) oder Budesonid in Erwägung gezogen werden.
Als unterstützende Basis aller Therapien muss das konsequente Vermeiden von potentiell auslösenden Stoffen (histaminreiche Nahrung, Allergene, Auslöser von Unverträglichkeitsreaktionen) gefordert werden. Jeder Patient sollte eine Liste mit sich führen, in welcher alle potentiell auslösenden Medikamente und Nahrungsmittel, Allergene etc. gelistet sind, daneben aber auch die Medikamente, welche bislang gut vertragen wurden (z.B. Schmerzmittel).
Eine besondere Bedeutung hat die Therapie der Osteoporose und deren primäre und sekundäre Prophylaxe hinsichtlich osteoporotischer Sinterungsfrakturen. Grundsätzlich können diese Maßnahmen analog der Empfehlungen der Leitlinie Osteoporose des Dachverbandes Osteologie e.V. (DVO) erfolgen, die Mastozytose stellt eine Hochrisiko-Situation dar.
Jeder Patient mit nachgewiesenem Vitamin-D-Mangel sollte Vitamin D erhalten. Bei ausgeprägtem Vitamin-D-Mangel und hoher Vitamin-D-Dosierung sollte auf eine zusätzliche Zufuhr von Vitamin K2 geachtet werden (Vermeidung vaskulärer Komplikationen durch Verschlechterung einer Arteriosklerose). Eine Bisphosphonat-Therapie sollte frühzeitig erwogen werden.
Eine andere Alternative für diese Patienten besteht in einer Therapie mit Interferon-alpha (Valent P et al. 2017).
Verlauf/Prognose
Die WHO-Klassifikation mit der Unterscheidung zwischen ISM, SSM und den verschiedenen Subtypen der AdvSM stellte bis vor kurzem die einzige Möglichkeit dar, zwischen verschiedenen Prognosegruppen zu unterscheiden. Patienten mit ISM zeichnen sich durch eine normale Lebenserwartung aus. Die mediane Lebenserwartung der AdvSM beträgt in der Regel Monate bis wenige Jahre.
Nachsorge
Klinische Untersuchung (Körpergröße, Gewicht, qualitativer und quantitativer Hautbefall, Leber/Milzgröße, Aszites, LK-Status)
Blut- und Differentialblutbild, Tryptase, AP, Albumin, ß2-Mikroglobulin, Vitamin D3, Fibrinogen, CRP
KIT D816V Mutationslast
Individuell: Allergiestatus (Gesamt-IgE, evtl. spezifisches IgE) [3, 9, 11, 14]
Osteodensitometrie, Sono-Abdomen, KM-Zytologie/-Histologie, evtl. CT/MRT
Ansprechparameter: C-Findings, Tryptase, Monozytose/Eosinophilie, Organomegalie/-dysfunktion, KM-Infiltration, KIT D816V Mutationslast
V.a. Resistenz/ Progression: KM-Punktion Zytologie, Histologie, evtl. Zytogenetik; Myeloisches Panel (bekannte Mutationen, neue Mutationen, z.B. K/N-RAS, TP53)
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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