Mastozytose systemische advancedQ47.0; C96.2

Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

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Synonym(e)

AdvSM

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Definition

Die systemischen Mastozytosen sind eine seltene Krankheitsgruppe die durch eine pathologische Vermehrung und gesteigerte Aktivität neoplastischer Mastzellen im KM und in verschiedenen anderen Organsystemen charakterisiert ist. Eine kutane Beteiligung findet sich bei der „Advanced systemic mastocytosis“ (AdvSM) im Gegensatz zur Indolenten systemischen Mastozytose eher seltener. Die Diagnose wird auf der Basis der Kriterien der WHO-Klassifikation 2016 gestellt.

Einteilung

Die Klassifikation und Subtypisierung erfolgt nach der aktuellen WHO-Klassifikation aus dem Jahre 2016.

Kutane Mastozytose (CM)

Systemische Mastozytose (SM)

+ Im klinischen Alltag hat sich der Begriff der „advanced SM (AdvSM)“ als Oberbegriff für SM-AHN, ASM und MCL eingebürgert.

Vorkommen/Epidemiologie

Die SM ist eine seltene Erkrankung. Die epidemiologischen Zahlen zur Inzidenz und Prävalenz sind unpräzise. Bei der „advanced systemic mastocytosis (AdvSM)“ wird eine Inzidenz von 1-2/1 Million Einwohner/Jahr angegeben. Bei der AdvSM sind Männer häufiger betroffen als Frauen.

Ätiopathogenese

Mastzellen: Mastzellen stammen von CD34 –positiven Knochenmarksvorläuferzellen ab. Diese unreifen Mastzellenvoläuferzellen gelangen über die Blutgefäße in das Bindegewebe von Haut- und Schleimhäuten ihrer Endorgane (Haut, Bronchialschleimhäute, Schleimhäute des GI-Traktes). Mastzellen exprimieren den Tyrosinkinase-Rezeptor KIT (CD117), der wiederum den Stammzellfaktor (SCF) bindet. SCF ist ein Wachstumsfaktor. Er ist esenziell für Proliferation und Differenzierung der Mastzellen. Im Gewebe ihrer Endorgane differenzieren die noch unreifen Zellen zu reifen Mastzellen. Mutationen die zu einem Defekt von SCF oder KIT führen, haben eine Mastzelldefizienz zur Folge.  

Aktivierung der Mastzellen: Die Mastzellen können durch verschiedenartige Reize aktiviert werden, so durch Allergene, Nahrungsbestandteile, Infektionen, Medikamente, physikalische Stimuli, Insektengift. Diese Stimulation führt i.A. zu einer kontrollierten Freisetzung von Mastzellmediatoren. Zu diesen zählen biogene Amine wie Histamin, Heparin, Tryptase, Chymase, Zytokine wie z.B. TNF-alpha, Chemokine und Prostanoide. In seltenen Fällen kann es jedoch auch zu einer unkontrollierten Freisetzung der Mastzellmediatoren kommen mit Flushing, Urtikaria oder Angioödemen (s.a. unter Mastzelle).

Eine extreme und unkontrollierte Freisetzung von Mastzellmediatoren findet bei dem sog. Mastzellaktivierungssyndrom mit schweren lebensbedrohlichen Zustandsbildern, z.B. Hypotonie/anaphylaktischer Schock statt. Im Gegensatz zu diesen mediatorvermittelten Symptomen kommt es bei der AdvSM oft zu einer direkten Beeinträchtigung der Organfunktion durch die Mastzell-Infiltration selbst und zum Teil auch durch die damit assoziierte Inflammation.

KIT-Mutation: So ist eine aktivierende KIT D816 Mutation (>95% KIT D816V in Exon 17) in 80-95% der SM-Patienten nachweisbar. Die Mutation führt zu einer SCF-unabhängigen Rezeptoraktivierung mit klonaler Expansion und Akkumulation von Gewebsmastzellen. Bei der Mastozytose der Kinder werden in 50% der Fälle ebenfalls Mutationen gefunden. Jedoch in anderen Regionen des KIT Gens (Exone 8, 9, 11). 

KIT D816V Mutation und Mutationslast: Die KIT D816V Mutation ist bei der überwiegenden Zahl der Patienten mit ISM und SSM und in vielen Patienten mit AdvSM ohne AHN in den Mastzellen nachweisbar. In der Regel korreliert die quantitative KIT D816V Mutationslast mit der Mastzelllast im KM. Bei der AdvSM, insbesondere in der SM-AHN, und in der SSM ist die KIT D816V Mutation in den Mastzellen, aber auch in Nicht-Mastzell-Fraktionen (z.B. myeloische Vorläuferzellen, Monozyten, Eosinophilen u.a.) nachweisbar. In diesen Fällen ist die KIT D816V Mutation auch immer im peripheren Blut nachweisbar, wobei die KIT D816V Mutationslast im peripheren Blut Werte bis 50% und darüber erreichen kann.

Sonstige Mutationen: Bei 60-80% der Patienten mit AdvSM sind neben KIT D816V zusätzliche somatische Mutationen nachweisbar. Die am häufigsten betroffenen Gene sind TET2, SRSF2, ASXL1, RUNX1, JAK2, CBL, N/KRAS, EZH2, IDH1/2 und SF3B1. Der Nachweis von mindestens einer Mutation im SRSF2-, ASXL1-, RUNX1- Gen-Panel hat einen signifikanten Einfluss auf Phänotyp, Therapieansprechen, Progression und Prognose. Genetische Untersuchungen haben gezeigt, dass die somatischen Mutationen oft ein frühes, die KIT D816V Mutation ein eher spätes Ereignis in der Krankheitsevolution von multimutierten AdvSM Patienten darstellen (Jawhar M et al. 2016).

Manifestation

Die AdvSM manifestiert sich zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr

Klinisches Bild

Das klinische Bild der „advanced systemischen Mastozytose“ (AdvSM) unterscheidet sich deutlich von der  „indolenten systemischen Mastozytose“ (ISM) und den kutanen Formen der Mastozytose.  So stehen bei der indolenten systemischen Mastozytose die Symptome im Vordergrund die durch Ausschüttung der Mastzell-Mediatoren verursacht werden.  Weiterhin ist diese Variante durch eine hohe Hautbeteiligung gekennzeichnet.  

Bei der AdvSM)stehen die durch die Organinfiltration verursachte Organomegalie und die typischerweise auftretenden Organdysfunktionen im Vordergrund:

  • Knochenmark:  Zytopenien (Anämie, Thrombozytopenie, Neutropenie)
  • Milz/Leber: Splenomegalie mit/ohne Hypersplenismus, Hepatomegalie mit/ohne erhöhte Leberwerte (v.a. alkalische Phosphatase (AP), u.U. Bilirubin, selten ALAT und ASAT), Hypoalbuminämie und Aszites.
  • Gastrointestinal: Malabsorption mit Hypoalbuminämie, Gewichtsverlust, Ulcus ventriculi, Ulcus duodeni, Darmperforation (selten)
  • Lymphknoten: Lymphadenopathie (v.a. abdominell, retroperitoneal)
  • Knochen: häufig Osteosklerose, Osteopenie oder Osteoporose eher selten, sehr selten große Osteolysen mit pathologischen Frakturen

Diagnostik

Folgende Untersuchungen sind für die Diagnosestellung „systemische Mastozytose“  nach „WHO-Kriterien 2016“ Standard:

  • Laborparameter: Tryptase, Albumin, AP, GGT, Bilirubin, LDH, Ferritin, Vitamin D, Vitamin B12, Folsäure, CRP, ß2-Mikroglobulin, Eiweiß-Elektrophorese, Immunfixation, IgE, plasmatische Gerinnung
  • Blutbild : Blut- und Differentialblutbild (insbesondere Monozyten, Eosinophile), evtl. Mastzellen; Dysplasiezeichen (MDS); Leuko-/Thrombozytose (MPN)
  • Bildgebung: Osteodensitometrie (erst bei gesicherter Diagnose)
  • Abdomen- und Lymphknotensonographie
  • Ggf. CT/MRT (Verdacht auf Osteolysen)
  • Knochenmarkszytologie: Nachweis oder Ausschluss einer Mastzell-Leukämie (Mastzellen ≥20%) oder einer ASM-t (Mastzellen 5-19%) und Reifegrad der Mastzellen (metachromatische Blasten, Promastozyten, atypische Spindelformen – reifzellig oder unreifzellig), Dysplasien, Blasten
  • Histologie: Mastzelllast (quantitativ), Dysplasie, Proliferation, Blasten, Fibrose
  • Immunhistochemie: Tryptase, CD117, CD2, CD14, CD15, CD25, CD30, CD34, CD61
  • Durchflußzytometrie: Bestimmung/Bestätigung der Mastzellzahl und des Phänotyps der KIT+/CD34- Mastzellen: CD2, CD25, CD30, CD33; bei AHN evtl. auch Typisierung der Monozyten, anderen AHN-Zellen (je nach AHN-Typ) und Blasten
  • Molekulargenetik: KIT D816V Mutationsanalyse (qualitativ und quantitativ) aus KM und peripherem Blut
  • Bei KIT D816V negativen Patienten Sequenzierung des KIT Gens (selten andere KIT Mutationen möglich)
  • Erweiterte Mutationsanalyse (myeloisches NGS-Panel) bei Verdacht auf SSM, AdvSM und Mastzellsarkom. Konventionelle Zytogenetik, evtl. FISH-Analyse.

Interne Therapie

KIT-Inhibitoren: Midostaurin: einziges in Deutschland zugelassenes Medikament zur Therapie der AdvSM (ASM, SM-AHN und MCL). Die Wirkung ist unabhängig von Vortherapien und vom KIT-Mutationsstatus. Signifikante Reduktion von KM-Mastzellinfiltration, Serumtryptase, Splenomegalie und KIT D816V Mutationslast sowie v.a. Verbesserung von C-Findings. Die Ansprechrate liegt bei 60% und kann über mehrere Monate, mitunter Jahre anhalten. Daneben werden aber auch primäre Resistenz oder frühe Progression beobachtet. Im Langzeitverlauf scheint eine Verbesserung des Überlebens mit der Abwesenheit von pathogenetisch relevanten, somatischen Zusatzmutationen (z.B. SRSF2, ASXL1, RUNX1), dem Erreichen eines konventionellen Ansprechens und mit einer >25% Reduktion der KIT D816V Mutationslast nach 6 Monaten assoziiert zu sein.

Die initiale Dosis ist 2 x 100mg/Tag (in Kapseln à 25mg), in Abhängigkeit von z.B. Alter, Komorbidität und/oder Allgemeinzustand u.U. Beginn mit 2 x 50mg/Tag und weitere Anpassung entsprechend Wirkung und Nebenwirkungen. Viele Patienten berichten über eine z.T. erhebliche Übelkeit, die eine regelmäßige Prophylaxe mit einem 5-HT₃-Antagonisten, z.B. Ondansetron 2 x 4-8 mg/Tag erfordert. Die hämatologische Toxizität von Midostaurin ist eher gering, eine im Verlauf zunehmende Anämie und Thrombozytopenie kann von einer Progression der Erkrankung häufig nicht abgegrenzt werden.

Imatinib/Nilotinib/Dasatinib (off-label): Die KIT D816V Mutation vermittelt eine primäre Imatinib-Resistenz. Potentiell sind diese TKI bei KIT-Wildtyp (Zulassung in USA), KIT K509I, KIT F522C und KIT V560G (<2% der Patienten) wirksam. Hier gibt es auch Einzelfallberichte von kompletten Remissionen.

Konventionelle zytoreduktive Therapie.

Hydroxyurea: palliative Therapie der refraktären, nicht transplantablen AdvSM. Bei SM-AHN vor allem zur Therapie der AHN, z.B. Leukozytose, Blasten, Splenomegalie. Keine langanhaltenden Remissionen. In seltenen Fällen kommt es auch zu einem vorrübergehenden Ansprechen bei anderweitig nicht beherrschbarer Splenomegalie.

Interferon-alpha (off-label): Es gibt vereinzelt Fallberichte zum positiven Ansprechen bei ASM-AHN, wenn die AHN Komponente der Erkrankung prinzipiell auf IFN-alpha ansprechen kann, z.B. MPN, oder bei langsam fortschreitender ASM, v.a. bei überwiegendem Leber- und/oder GI-Befall. Besonders gut sprechen AdvSM-Patienten an, welche lediglich einen Aszites haben (hier wirkt vor allem die Kombination IFN-alpha + Glucocorticosteroide).

Cladribin (off-label): Indikation bei SSM mit Zeichen einer beginnenden ASM und jeder Form der AdvSM ohne rasch-progredientem Verlauf. Dosisierung 3-6 Zyklen; 0,14mg/kg s.c. oder i.v. über 5 Tage). Cave: Zusatzmedikation mit Cotrimoxazol und Aciclovir in üblicher Dosierung. Insgesamt zeigt Cladribin eine relativ gute Verträglichkeit (Kluin-Nelemans HC et al. 2003; Bohm A et al. 2010).

Intensive Polychemotherapie: bei rasch fortschreitender oder therapierefraktärer ASM, SM-AML und MCL ± AHN (z.B. rascher Anstieg der Tryptase oder rascher Anstieg der Mastzellen im Blut) ist eine Polychemotherapie indiziert, die u.U. rasch eingeleitet werden muss. Die Schemata sind an die der de novo AML Therapie angelehnt. Eine zusätzliche Therapie mit Midostaurin (wie bei FLT3-mutierter AML) ist zwar kein Standard, kann aber im Einzelfall angewendet werden. Komplette Remissionen sind sowohl für die MCL oder ASM als auch für die AHN (AML) beschrieben worden (Kluin-Nelemans HC et al. 2003).

Allogene Stammzelltransplantation: Die exakte Wertigkeit der allogenen SZT als einzige potentiell kurative Therapieform bei der AdvSM ist aufgrund fehlender prospektiver Studien bisher nicht geklärt. Bei allen jungen und fitten Patienten sollte nach einem Spender gesucht werden, und sobald ein Spender gefunden wurde, diese Therapie-Option diskutiert werden. Das 3-Jahres-Gesamtüberleben lag bei 57% für alle Patienten, 74% für SM-AHN, 43% für ASM und 17% für MCL.

Fehlende komplette Remissionen oder Frührezidive nach Remission : Erhaltungstherapie mit Midostaurin, z.B. nach 6 Monaten für weitere 12-24 Monate. Generell sollten daher alle dafür geeigneten (Alter, Komorbidität) Patienten mit AdvSM frühzeitig an einem Transplantationszentrum vorgestellt werden (Ustun C et al. 2016).

Verlauf/Prognose

Die mediane Lebenserwartung der AdvSM beträgt in der Regel Monate bis wenige Jahre. Die schlechteste Prognose weisen Patienten mit MCL ± AHN auf. Zuletzt wurden mehrere, von der WHO-Klassifikation unabhängige ungünstige Prognosefaktoren identifiziert worden. Aus molekularer Sicht kann ein aus drei (SRSF2/ASXL1/RUNX1) prognostisch essentiellen Genen bestehendes S/A/R Gen-Panel benutzt werden, bei welchem eine Mutation per se sowie die Anzahl der Mutationen mit einem aggressiven klinischen Erscheinungsbild sowie einem reduzierten Überleben assoziiert sind.

Literatur

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  6. Jawhar M et al. (2017) The clinical and molecular diversity of mast cell leukemia with or without associated hematologic neoplasm. Haematologica 102:1035-1043.
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Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024