Synonym(e)
Erstbeschreiber
Rayer (1793 – 1867) wies bereits 1844 darauf hin, dass selbst zuvor gesunde Nieren bei Vorliegen bedeutsamer Herzerkrankungen eine Insuffizienz entwickeln können (Rayer 1844).
Die Bezeichnung „Kardiorenales Syndrom“ wurde 2004 auf einer Konsensuskonferenz erstmals definiert (Dovjak 2024).
Definition
Unter einem kardiorenalen System (CRS / KRS) versteht man eine Funktionsstörung des Herzens, die die Nierenfunktion ungünstig beeinflusst und umgekehrt ebenfalls (Herold 2023). Kasper (2017) bezeichnet das kardiorenales Syndrom als eine Komplikation des ADHF (acute decompensated heart failure).
Die Nationale Versorgungsleitlinie „Chronische Herzinsuffizienz“ verwendet den Begriff eines kardiorenalen Syndrom bewusst nicht, da ihrer Meinung nach der Begriff teilweise noch umstritten und unscharf umgrenzt ist (Bundesärztekammer 2023).
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Einteilung
Die Einteilung nach Ronco (2008) differenziert auf Grund des zeitlichen Verlaufes und der pathogenetischen Gesichtspunkte (Scurt 2019) zwischen:
- Typ 1 Akutes kardiorenales Syndrom:
Das akute kardiorenale Syndrom wird durch eine akute Herzinsuffizienz ausgelöst. Es kommt dadurch zu einer akuten Nierenschädigung (AKI) mit folgenden Symptomen:
- Akut dekompensierter chronischer Herzinsuffizienz
- Hypertensivem Lungenödem
- Akutem Rechtsherzversagen
Diagnostisch sollte ein Monitoring des Volumenstatus erfolgen durch z. B. Sonographie der V. cava (venöse Kongestion).
Therapeutisch steht eine Therapie mit Diuretika im Vordergrund (Herold 2023).
- Typ 2 Chronisches kardiorenales Syndrom:
Hierbei findet sich eine chronisch eingeschränkte Herzinsuffizienz, die zu einer chronischen Nierenerkrankung führt. Es können folgende Symptome auftreten:
- Periphere Minderperfusion, sog. “low output- Ischämie”
- Makrovaskulopathie
- Mikrovaskulopathie
Therapeutisch ist es beim Typ 2 schwierig, für einen ausgeglichenen Flüssigkeitshaushalt zu sorgen, da einerseits eine zu forcierte Behandlung mit Diuretika zu einer weiteren Verschlechterung der Nierenfunktion führen kann und andererseits eine Volumenüberladung durch den erhöhten venösen Rückstau bis in das Nierenvenensystem die Nierenfunktion negativ beeinflussen kann (Herold 2023).
- Typ 3 Akutes renokardiales Syndrom:
Hierbei kann ein akutes Nierenversagen (AKI) eine kardiale Dysfunktion verursachen mit folgenden Symptomen:
- Entgleisungen der Elektrolyte, insbesondere eine Hyperkaliämie mit Arrhythmien und Herzstillstand
- Überwässerung mit nachfolgendem Lungenödem
- Urämie mit Perikarditis, die die myokardiale Kontraktilität herabsetzt
Nur sehr selten kann eine CRS Typ 3 durch eine beidseitige Nierenarterienstenose verursacht werden bzw. durch eine Nierenarterienstenose bei Einzelniere (Herold 2023).
- Typ 4 Chronisches renokardiales Syndrom:
Bei Typ 4 verschlechtert eine CKD die kardiale Funktion. Es kommt zu folgenden klinischen Symptomen:
- Akzelerierte Atherosklerose
- linksventrikuläre Hypertrophie und Dysfunktion
- kardiovaskuläre Ereignisse (Herold 2023)
- Typ 5 Sekundäres kardiorenales Syndrom:
In diesem Fall führen Systemerkrankungen zu Schädigungen sowohl des Herzens als auch der Nieren wie z.B.:
- Autoimmunerkrankungen
- Sepsis
- Septischer Schock (Herold 2023)
- Typ 6 des chronisch sekundären kardiorenalen Syndroms:
Typ 6 wurde erstmals 2021 von Zhang et al. beschrieben. Typische Ursachen sind eine Kombination aus:
- Diabetes mellitus (Schwenger 2023)
Vorkommen
Bei nahezu 50 % der ca. 4 Millionen Patienten mit Herzinsuffizienz (CHF) in Deutschland liegt gleichzeitig eine chronische Nierenerkrankung (CKD) vor. Und bei den ca. 9 Millionen Patienten mit einer chronischen Nierenerkrankung besteht bei mindestens 15 % ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko (Schwenger 2022).
Pathophysiologie
Beim CRS findet sich als zentraler pathophysiologischer Mechanismus eine neurohumorale Aktivierung mit gesteigertem Sympathikotonus und systemweiter Aktivierung gewebsständiger Renin- Angiotensin- Aldosteron- Systeme, die sog. RAAS. Dies bewirkt eine Aktivierung des innaten Immunsystems mit systemischer Inflammation und Auslösung einer Insulinresistenz. Dadurch bedingt kommt es zu Umbauprozessen in Lunge, Herz und Nieren, die letztlich durch Fibrosierung eine Funktionseinschränkung der Organe herbeiführen (Schwenger 2023).
Hämodynamisch lässt sich differenzieren zwischen:
- Funktionellem Vorwärtsversagen (low cardiatic output)
Hierbei kommt es zu einer renalen Hypoperfusion durch eine prärenale Nierenschädigung bei bestehendem HFrEF (heart failure with reduced ejection fraction).
- Funktionellem Rückwärtsversagen
Beim funktionellen Rückwärtsversagen findet sich ein erhöhter zentralvenöser Füllungsdruck (renalvenöse Kongestion bei heart failure with preserved ejection fraction) mit begleitender pulmonaler Hypertonie (Schwenger 2023).
Klinisches Bild
Patienten mit einem kardiorenalen Syndrom sind gekennzeichnet durch:
- Rezidivierende hydropische Dekompensation (Schwenger 2023)
- Pulmonale Hypertonie (Schwenger 2023)
Die Erkrankung stellt eine der häufigsten Ursachen für eine Krankenhauseinweisung dar (Schwenger 2023).
Diagnostik
Initial steht die ätiologische Abklärung der Herz- und Niereninsuffizienz im Vordergrund (Herold 2023).
Der Grad der Nierenschädigung wird durch Verlaufsbeobachtungen des Serumkreatinins und der Urinausscheidung in sog. RIFLE- Stadien (Risk Injury Failure Loss) eingeteilt, ein erstes, in 5 Stufen eingeteiltes Klassifikationssystem (Schwenger 2024).
Echokardiographie
Echokardiographisch ist die Beurteilung der Ejektionsfraktion als prognostischer Marker inzwischen nur noch bedingt geeignet. Sie werden immer häufiger durch innovative Echo- und MRT- Marker wie z. B. dem globalen longitudinalen Strain (GLS) ersetzt (Schwenger 2023).
Rechts- und Linksherzkatheter
Diese invasive Diagnostik ist indiziert, um sowohl eine KHK als auch eine pulmonale Hypertonie auszuschließen bzw. bei Bestehen einer pulmonalen Hypertonie diese weiter phänotypisieren zu können (Schwenger 2023).
Labor
Kardiale Biomarker
Die kardialen Biomarker wie z. B. Troponin und NT- proBNP stellen einen wichtigen individuellen Verlaufsparameter dar, sind aber durch die veränderte Serumhalbwertszeit im Einzelfall schwierig zu interpretieren (Schwenger 2023).
Blutgasanalysen
Blutgasanalysen sollten in regelmäßigen Abständen erfolgen, insbesondere hinsichtlich eventueller:
- Renaler Azidose mit Bikarbonatwerten < 22mmol / l
- Hyperkapnie mit Bikarbonatwerten > 32 mmol / l (Schwenger 2023)
Differentialdiagnose
- Eigenständige Nierenerkrankung
- Hämato- onkologische Erkrankungen wie z. B. Amyloidose oder Multiples Myelom
- Autoimmunerkrankungen wie z. B. Sarkoidose, systemischer Lupus erythematodes, Vaskulitiden (Schwenger 2023)
Therapie allgemein
Die therapeutischen Maßnahmen eines CRS bestehen in Behandlung der Herzinsuffizienz und der Hypervolämie mit Pleuraergüssen, Aszites, Lungenödem (Herold 2023).
Im Vordergrund stehen dabei die Vermeidung einer Hypervolämie und einer lebensbedrohlichen Hyperkaliämie (Schwenger 2023).
Zur Vermeidung gehäufter hydropischer Dekompensationen sollten regelmäßige Gewichtskontrollen, Bestimmung der Trinkmenge und eine diätetische Kochsalzzufuhr erfolgen (Schwenger 2023).
Als Ultima Ratio können eine Ultrafiltrationstherapie (Herold 2023) oder eine Dialysetherapie eingesetzt werden (Schwenger 2023).
Therapieoptionen in Abhängigkeit vom Typ:
- Typ I: Empfehlenswert sind Ultrafiltration, kontinuierliche venovenöse Hämofiltration. Die Hämodialyse ist nur eingeschränkt empfehlenswert.
- Typ II: Empfehlenswert sind Ultrafiltration, Hämodialyse, Peritonealdialyse. Eingeschränkt empfehlenswert ist die kontinuierliche venovenöse Hämofiltration.
- Typ III: Empfehlenswert sind kontinuierliche venovenöse Hämofiltration und die Hämodialyse.
- Typ IV: Empfehlenswert sind ausschließlich Hämodialyse und Peritonealdialyse.
- Typ V: Empfehlenswert sind Hämodialyse und Peritonealdialyse. Eingeschränkt empfehlenswert sind die kontinuierliche venovenöse Hämofiltration und die Ultrafiltration.
Interne Therapie
Folgende Medikamentös können eingesetzt werden:
Der therapeutische Pfad bei der Diuretikagabe ist schmal. Durch eine zu hohe Dosierung kann sich die Nierenfunktion weiter verschlechtern und es kann zu einem Anstieg von Harnstoff / Kreatinin- Ratio, Harnsäure, pH- Wert und Bikarbonat kommen (Schwenger 2022). Es kann ohnehin durch eine zusätzliche Gabe von Diuretika keine Steigerung der Diurese erreicht werden, da das arteriell intravasale Füllungsvolumen erniedrigt ist (Schwenger 2023).
- Inhibitoren des Renin- Angiotensin- Aldosteron- Systems
Diese sind beim kardiorenalen Syndrom von erheblicher therapeutischer Bedeutung, da diese zur Reduktion von Inflammation und Fibrosierung sowohl bei Herz- als auch bei Niereninsuffizienz wirksam sind (Schwenger 2023).
- Mineralkortikoidrezeptor- Antagonisten (MRA)
Als MRA stehen z. B. Spironolacton und Finerenon zur Verfügung. Dosierungsempfehlung: 25 mg Spironolacton, 10 mg Finerenon. Es sollten - wegen der Gefahr einer Hyperkaliämie - regelmäßige Kontrollen der Kaliumwerte erfolgen (Schwenger 2023).
- Angiotensin- Rezeptor- Neprilysin- Inhibitor (ARNI)
ARNI wie z. B. Sacubitril / Valsartan werden seit 2016 zur Therapie einer HFrEF empfohlen (Schwenger 2023).
Die innovativen SGLT- 2- Inhibitoren sind inzwischen integraler Bestandteil der Behandlung einer Herzinsuffizienz und zunehmend auch bei der Niereninsuffizienz, insbesondere bei Vorliegen einer Albuminurie (Schwenger 2023).
Prognose
Jede Hospitalisierung auf Grund einer kardiorenalen Dekompensation ist mit einer Verschlechterung der Prognose assoziiert. Sowohl Hospitalisierungsrate als auch Mortalität der Patienten sind hoch und liegen im ersten Jahr zwischen 40 – 50 % (Schwenger 2023).
Hinweis(e)
In der 2011 publizierten Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie wird empfohlen, dass alle Patienten mit Linksherzinsuffizienz (HFrEF) nach Diagnosestellung innerhalb von 30 Tagen initial erhalten sollen:
- ACE- Inhibitor oder Angiotensin- Rezeptor- Neprilysin- Inhibitor
- Betablocker
- Mineralkortikoidrezeptor- Antagonisten
- SGLT2- Inhibitor (Schwenger 2022)
Zusätzlich sollte die Nierenfunktion kontrolliert werden, eine Kontrolle des Volumenhaushaltes durch Beschränkung der Trinkmenge mit täglicher Gewichtskontrolle erfolgen sowie eine diätetische Kochsalzreduktion unter 6 g / d (Schwenger 2022).
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir
Kopernio
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