Gestationsdiabetes O24.4

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.08.2024

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Synonym(e)

Glukoseintoleranz während der Gravidität; Prä- Typ- 2 Diabetes mellitus

Erstbeschreiber

Erstmals beschrieb 1824 der deutsche Arzt H. Bennewitz im Rahmen einer Dissertation einen Diabetes mellitus in der Schwangerschaft (Sweeting 2022).

Im Jahre 1873 erkannte J. M. Duncan, dass durch einen Diabetes mellitus die Schwangerschaft erschwert werde (Lende 2020)

Williams veröffentlichte 1909 erste diagnostische Kriterien für einen GDM in den Vereinigten Staaten (Sweeting 2022).

Im Jahre 1910 wurde vorgeschlagen, Schwangere mit Glukosurie in zwei Gruppen einzuteilen:

- Schwangere mit echter (anhaltender) Glukosurie

- Schwangere mit Glukosurie, die nur nach dem Verzehr großer Mengen an Zucker und Stärke auftrat (Lende 2020).

Der erste Glukosebelastungstest mit 50 g Glukose wurde 1932 beschrieben. Aber erst im Jahre 1946 wurden von Hurwitz et al. die nachteiligen Auswirkungen einer Schwangerschaft auf den Kohlenhydratstoffwechsel dokumentiert.

O’ Sullivan war der Erste, der im Jahre 1961 regelmäßig schwangere Patienten mit einer oralen 50 g- Glukoselösung untersuchte (Lende 2020).

Die pathophysiologischen Veränderungen des Pankreas während einer Schwangerschaft und der Stillzeit wurden 1963 erstmals von Claus Hellerström beschrieben (Lende 2020).

 

Die WHO empfahl im Jahre 1965 erstmals einen 50 - oder 100 g- Glukose- Screeningtest bei Schwangeren. Die Schwellenwerte entsprachen denen nichtschwangerer Diabetiker (Sweeting 2022).

 

Seit 2009 empfiehlt die WHO während der 24. - 28. SSW den 75 g- Glukosebelastungstest bei allen Schwangeren durchzuführen (Metzger 2010).

Definition

Die erste Definition des Gestationsdiabetes (GDM) stammt von der WHO aus dem Jahre 1965 und wurde als eine „Hyperglykämie diabetischer Werte während der Schwangerschaft“ bezeichnet (Sweeting 2022).

Heutzutage versteht man unter einem GDM eine schwerwiegende Glukosetoleranzstörung, die erstmals während einer Schwangerschaft auftritt (Herold 2022).

 

Einteilung

Die Hyperglykämie bei Schwangeren wird heutzutage von der IADPSG (International Association of the Diabetes and Pregnancy Study Groups) in zwei verschiedene Kategorien unterteilt:

- offener Diabetes (Diabetes mellitus in der Schwangerschaft)

- GDM (Sweeting 2022)

 

Vorkommen/Epidemiologie

Der GDM ist eine relativ häufig auftretende Schwangerschaftskomplikation (Plows 2018), Sweeting (2022) bezeichnet sie sogar als eine der häufigsten Komplikationen während einer Schwangerschaft.

Bei ca. 10 % aller Schwangeren tritt ein GDM auf mit steigender Prävalenz (Herold 2022).

Ein geringes Risiko haben Schwangere:

- die < 25 Jahre alt sind

- mit einem BMI < 25 kg / m²

- ohne Hinweise auf

- eine Makrosomie

- einen mütterlichen GDM

- einen Diabetes mellitus bei Verwandten 1. Grades

- eine ethnische Gruppe von z. B. Afroamerikanern, Hispanoamerikanern, amerikanischen Ureinwohnern (Kasper 2015) und Kaukasierinnen, die das niedrigste Risiko haben (Schäfer- Graf 2018)

 

Ein hohes Risiko, an einem GDM zu erkranken haben insbesondere Schwangere,

- die bereits an einem GDM erkrankt waren

- mit zunehmendem Alter der Schwangeren

- niedrigem Bildungsgrad (3 x so häufig)

- Schwangerschaft männlicher Feten (4 % höheres Risiko)

(Schäfer- Graf 2018)

- PCO- Syndrom (polyzystisches Ovarialsyndrom)

- medikamentöse Therapie mit Glukokortikoiden bzw. Antipsychotika (Sweeting 2022)

Ätiopathogenese

Beim GDM liegt teilweise eine genetische Prädisposition sowohl für die Insulinresistenz als auch für die Insulinsekretionsstörung, die durch eine gestörte Beta- Zellfunktion besteht, vor. Diese wird durch Umweltfaktoren und Lebensstil (insbesondere Übergewicht) wesentlich beeinflusst (Schäfer- Graf 2018).

Pathophysiologie

Die Pathophysiologie des GDM entspricht weitgehend der des Diabetes mellitus Typ 2 und ist – wie bei diesem – nicht vollständig geklärt (Schäfer- Graf 2018).

Kausal liegt beim GDM wahrscheinlich eine chronische, bereits präkonzeptionell bestehende Herabsetzung der Insulinsensitivität vor (Schäfer- Graf 2018), die durch eine Beta- Zell- Dysfunktion ausgelöst wird (Plows 2018). Durch die physiologische Insulinresistenz ab der 20. SSW wird diese noch verstärkt und kann dann nur noch unzureichend kompensiert werden (Schäfer- Graf 2018).

Manifestation

Ein GDM manifestiert sich i. d. R. nach der 20 SSW (Herold 2022). Der 75 g- Glukose- Test sollte deshalb zwischen der 24 + 0 SSW und der 27 + 6 SSW erfolgen (Schäfer- Graf 2018).

 

Klinisches Bild

Der GDM ist i. d. R. symptomlos (Stalla 2007). Ansonsten können Symptome bestehen, die sich auch bei anderen Formen des Diabetes mellitus zeigen wie z. B.:

- Müdigkeit

- Leistungsminderung

- Polyurie

- Polydipsie etc. (Herold 2022)

Diagnostik

Die Diagnose kann bereits nach einem einzigen pathologischen 75 g oralen Glukosetoleranztest gestellt werden (Herold 2022).

Sonstige Untersuchungsmethoden

Oraler Glukosetoleranztest (oGTT)

Gemäß GBA- Beschluss muss dem 75 g- Test ein 50 g- Glukose- Screening- Test vorgeschaltet werden. Da der 50 g- Test jedoch lediglich eine fragliche Validität zeigt, wird dieser Test ausdrücklich nicht von den Fachgesellschaften empfohlen (Schäfer- Graf 2018).

Beim 75 g Glukosetoleranztest wird aus venösem Plasma unter standardisierten Bedingungen und qualitätsgesicherter Glukosemessung der BZ bestimmt. Als positiv wird der Test bewertet, wenn der BZ folgende Werte zeigt:

- nüchtern ≥ 92 mg / dl (5,1 mmol / l)

- nach 1 h ≥ 180 mg / dl (10,0 mmol / l)

- nach 2 h ≥ 153 mg / dl (8,5 mmol / l)

(Schäfer- Graf 2018)

Es reicht bereits ein einziger pathologischer Wert, um die Diagnose eines GDM zu stellen (Herold 2022).

 

Labor

- HbA1c- Test

Die Konzentration von HbA1c sinkt von Beginn der Konzeption an mit einem Nadir im 2. Trimenon.

Obwohl der Hb1Ac- Test eine deutlich geringere Sensitivität aufweist als der 75g- Test, zeigt er jedoch einen hohen Nutzen bei der Entdeckung eines vorbestehenden und bis dahin nicht diagnostizierten Diabetes mellitus und sollte von daher ebenfalls bei Schwangeren durchgeführt werden. Ab einem Wert von 5,9 – 6,5 % (40 – 48 mmol / mol) empfiehlt sich die zusätzliche Durchführung eines oGTT (Schäfer- Graf 2018).

Differentialdiagnose

- MODY- DM (Maturity- onset- Diabetes of the Young)

(Herold 2022)

Komplikation(en)

Komplikationen für die Mutter können sein:

- Harnwegsinfektion

- erhöhtes Risiko, ein Präeklampsie zu entwickeln

- Hydramnion

- Frühgeburt

- Notwendigkeit einer Sectio (Herold 2022)

- Periodontitis

- Candida- Infektionen

- schwangerschaftsinduzierte Hypertonie

- Depressionen während der Schwangerschaft (Schäfer- Graf 2018)

Postpartal besteht ein höheres Risiko für:

- kardiovaskuläre Erkrankungen in jüngerem Alter (Schäfer- Graf 2018)

 

Komplikationen für das Kind können sein:

- erhöhte pränatale Mortalität

- erhöhte perinatale Morbidität (Herold 2022)

- Polyzythämie (Kasper 2015)

- Makrosomie mit asymmetrisch vergrößerten Körperteilen bzw. Organen

- Embryofetopathia diabetica mit einem Geburtsgewicht von > 4.500 g

- das Risiko für folgende Erkrankungen beim Neugeborenen sind erhöht:

- Atemnotsyndrom

- Hyperbilirubinämie

- Polyglobulie

- Schulterdystokie

- postpartale Hypoglykämie

- Hypokalzämie

- Hypomagnesiämie etc. (Herold 2022)

Langzeitfolgen für das Kind können sein:

- Risiko für Adipositas erhöht (Schäfer- Graf 2018)

 

Therapie allgemein

Die betroffenen Patientinnen sollten zunächst ausführlich geschult werden (Herold 2022). Durch Veränderungen des Lebensstils, das Management der mütterlichen Gewichtszunahme und eine angemessene körperliche Aktivität lassen sich bis zu 70 – 85 % der Patientinnen mit GDM behandeln (Lende 2020).

Sofern Diät und Bewegung nicht ausreichen, um den BZ entsprechend einzustellen, empfiehlt sich eine Insulintherapie bzw. Insulinpumpe. Orale Antidiabetika sind bei Schwangeren – laut Zulassungsstudien - kontraindiziert (Herold 2022), da mögliche Langzeiteffekte bei Neugeborenen bislang nicht ausreichend untersucht wurden (Lende 2020).

 

Insulintherapie:

Da Schwangere eine Veränderung der Insulinempfindlichkeit während der Schwangerschaft zeigen, sollte bei der Insulintherapie Folgendes beachtet werden:

- während der 8. - 12. Woche besteht eine zunehmende Insulinempfindlichkeit und damit steigt die Gefahr einer Hypoglykämie

- in der 2. Schwangerschaftshälfte bis ca. zur 36. SSW nimmt die Insulinempfindlichkeit ab

- unmittelbar nach der Entbindung steigt die Insulinempfindlichkeit und die Dosis sollte deutlich reduziert werden

- Stillphase:

       - bei stillenden Müttern sinkt der Insulinbedarf um ca. 5 I. E.

       - durch das Stillen werden das Diabetesrisiko für Mutter und Kind gesenkt (Herold 2022)

 

Das Behandlungsziel liegt bei

- Nüchtern- BZ: 65 – 95 mg / dl

- 1- h- postprandial: < 140 mg / dl

- 2- h- postprandial: < 120 mg / dl

- vor dem Schlafengehen: 90 – 120 mg / dl

- zwischen 2 – 4 Uhr nachts: > 60 mg / dl

- normaler HbA1c (Herold 2022)

 

Verlauf/Prognose

Bei der Mehrzahl der Betroffenen verschwindet der GDM nach Beendigung der Schwangerschaft. Es besteht aber bei einer erneuten Schwangerschaft ein 50 % iges Risiko, ebenfalls an einem GDM zu erkranken (Herold 2022).

Das Risiko, einen permanenten Diabetes mellitus Typ 2 zu entwickeln, liegt in Deutschland bei > 10 % innerhalb der nächsten 10 Jahre (Herold 2022). In den USA liegt das Risiko laut Kasper (2015) sogar bei 40 %.

Falls die werdende Mutter optimal eingestellt ist, liegt die Kindersterblichkeit bei < 1 % und entspricht damit der von gesunden werdenden Müttern (Herold 2022).

Hinweis(e)

Um einen postnatalen Diabetes mellitus bei der Mutter frühzeitig erkennen zu können, empfiehlt sich mindestens alle 3 Jahre einen oGTT durchzuführen (Herold 2022).

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Duncan J M (1837) Case of Pregnancy and Labour Complicated with Diabetes Mellitus. Edinb Med J. 18 (8) 696 - 698
  2. Herold G et al. (2022) Innere Medizin. Herold Verlag 724, 742
  3. Hurwitz D, Jensen D (1946) Carbohydrate metabolism in normal pregnancy. N. Engl. J. Med. (234) 327 – 329
  4. Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 48, 2400 – 2401
  5. Lende M, Rijhsinghani A (2020) Gestational Diabetes: Overview with Emphasis on Medical Management. Int J Environ Res Public Health 17 (24) 9573 doi: 10.3390/ijerph17249573
  6. Metzger B E, Gabbe S G, Persson B, Buchanan T A, Catalano P A, Damm P, Dyer A R, de Leiva A, Hod M, Kitzmiler J L, Lowe L P, McIntyre H D, Hafer J J N, Omori Y, Schmidt M I (2010) International association of diabetes and pregnancy study groups recommendations on the diagnosis and classification of hyperglycemia in pregnancy. 33 (3) 676 - 682
  7. Plows J F, Stanley J L, Baker P N, Vickers M H (2018) The Pathophysiology of Gestational Diabetes Mellitus. Int J Mol Sci. 19 (11) 3342 https://doi.org/10.3390/ijms19113342
  8. Schäfer- Graf U, Laubner K, Hummel S, Gembruch U et al. (2018) S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge. 2. Auflage. Leitlinienreport AWMF-Registernummer: 057–008
  9. Stalla G K (2007) Therapielexikon Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten. Springer Medizin Verlag Heidelberg 355
  10. Sweeting A, Wong J, Murphy H R, Ross G P (2022) A Clinical Update on Gestational Diabetes Mellitus. 43 (5) 763 - 793

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