Diabetes mellitus, Typ 2 E11.90

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

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Erstbeschreiber

Synonyme

Zuckererkrankung; Zuckerkrankheit; Diabetes; Harnruhr; Zuckerharnruhr; Honigharnruhr;

 

 

Erstbeschreiber

Bereits aus dem Jahre 1.500 v. u. Z. fanden sich in Ägypten Schriften, die „eine zu starke Entleerung des Urins“ beschreiben. Indische Ärzte bezeichneten später den Urin als honigsüß, da dieser Ameisen anlockte.

Der indische Chirurg Sushruta differenzierte um 400 – 500 n. u. Z. zwei verschiedene Typen der Erkrankung, die später als Typ 1 und Typ 2 bezeichnet wurden.

Das Wort „Diabetes“ (griechisch „Siphon“) wurde durch Aretaeus 100 n. u. Z. geprägt.

Der Begriff „mellitus“ (lateinisch: süß wie Honig) wurde 1798 vom britischen Generalarzt John Rollo geprägt, um die Zuckerkrankheit vom Diabetes insipidus zu unterscheiden.

1869 identifizierte Paul Langerhans Zellen, die später nach ihm als „Langerhanssche Inseln“ bzw. „Langerhans Zellen“ benannt wurden.

Mering und Minkowski entdeckten 1889, dass die Entfernung der Bauchspeicheldrüse bei Hunden zu Diabetes führte.

De Mayer und Schaefer prägten 1909 bzw. 1910 den Namen „Insulin“ für die Sekrete der Langerhansschen Inseln (insula) im Pankreas.

Im Jahre 1921 ligierten Banting, Best und Collip im Labor den Bauchspeicheldrüsengang, wodurch die exokrine Bauchspeicheldrüse zerstört wurde, die Inselzellen aber intakt blieben.

Die Befürwortung von Diät und Bewegung bei Typ 2 DM wurde im 19. Jahrhundert von Joslin und Fitz eingeführt.

Erst 1922 gelang Leonhard Thompson mit einem Rinderinsulin- Extrakt der entscheidende Durchbruch hinsichtlich der Behandlung eines DM. 

Die ersten oralen Antidiabetika wurden in den 1950er Jahren entwickelt. Die nadelfreie Verabreichung von Insulin gelang Derata im Jahre 1979. Ein Jahr später, 1980 konnte von Graham Bell das erste Humaninsulin hergestellt werden. 

(Lakhtakia 2013)

 

 

Definition

Unter einem Typ 2 Diabetes mellitus (DM) versteht man eine Stoffwechselstörung, die den Phänotyp einer Hyperglykämie aufweisen (Kasper 2015).

Einteilung

Der DM wird auf der Grundlage des pathogenen Prozesses, der zu der Hyperglykämie führt, unterteilt in 2 große Gruppen: 

Daneben noch in seltener vorkommende Gruppen:

  • Schwangerschafts- Diabetes
  • genetische Defekte der Beta- Zellentwicklung bzw. der -funktion
  • genetische Defekte der Insulinwirkung wie z. B. Leprechaunismus, Lipodystrophie- Syndrome etc.
  • andere genetische Syndrome 
  • Erkrankungen des exogenen Pankreas wie z. B. Pankreatitis, Karzinom, Hämochromatose etc.
  • Endokrinopathien wie z. B. Cushing- Syndrom, Akromegalie, Hyperthyreose, Phäochromozytom etc.
  • bestimmte Medikamente wie z. B. Glukokortikoide, Thiazide, Antipsychotika, Hydantoine etc. 
  • Infektionen wie z. B. angeborene Röteln, Coxsackievirus, Zytomegalie etc. 
  • ungewöhnliche Formen des immunvermittelten Diabetes wie z. B. Anti- Insulinrezeptor- Antikörper, Stiff- Person- Syndrom etc.

(Kasper 2015)

 

 

 

Vorkommen/Epidemiologie

Typ 2 DM kommt weltweit vor (Herold 2020). Insgesamt leiden ca. 422 Mio. an DM (Diederich 2020). Die Dunkelziffer liegt zwischen 35 % - 40 % (Herold 2020).

Die Prävalenz ist zunehmend und abhängig vom Lebensalter. So erkranken mit < 50 Jahren lediglich 2% - 3 %, mit > 60 Jahren ca. 15 % und mit > 70 Jahren bis zu 22 % der Bevölkerung. 

Bis zum 70. Lebensjahr sind mehr Männer als Frauen betroffen (die Prävalenz liegt bei Männer bei 8,4 % und bei Frauen bei 6,4 % [Diederich 2020]). Der Bildungsstatus scheint ebenfalls eine Rolle zu spielen (Herold 2020).

Ätiopathogenese

Die genetische Komponente spielt beim Typ 2 DM eine große Rolle. Die Konkordanz bei eineiigen Zwillingen z. B. liegt zwischen 70 % - 90 %, bei Vorliegen eines Typ 2 DM beider Elternteile liegt das Risiko ebenfalls zu erkranken bei 40 % (Kasper 2015).

Ätiologisch spielen beim Typ 2 DM vier Faktoren in unterschiedlichen Ausprägungsgraden eine zentrale Rolle:

Sie ist durch einen Defekt der Beta- und Alphazellen gestört (Hyperglukagonismus)

  • 3. fortschreitende Apoptose der Betazellen
  • 4. verminderte Sekretion und Wirkung von Inkretin

(Herold 2020)

In den meisten Studien ist man der Meinung, dass eine Insulinresistenz dem Defekt der Insulinsekretion vorausgeht. Ein DM entwickelt sich aber erst dann, wenn die Insulinsekretion nicht mehr ausreichend ist (Kasper 2015). In einer schwedischen Arbeitsgruppe an einer Kohorte von 8.980 Patienten lag der Anteil der reduzierten Insulinsekretion bei der Erstdiagnose bei ca. 17,5 % (Bahrmann 2018).

 

Zu den Risikofaktoren einer Typ 2 DM - Erkrankung zählen:

  • DM in der Familie bei Eltern oder Geschwistern
  • bereits diagnostizierter erhöhter Nüchternblutzucker (impaired fasting glucose = IFG)
  • gestörte Glukosetoleranz (impaired glucose tolerance = IGT)
  • Hämoglobin A1c von 5,7 – 6,4 % 
  • Adipositas (BMI ≥ 25 kg / m²; ca. 80 % sind zumindest übergewichtig [Herold 2020])
  • anamnestisch Gestationsdiabetes
  • Geburt eines Kindes von > 4 kg
  • polyzystisches Ovarialsyndrom (PCO bzw. PCOS)
  • Acanthosis nigricans
  • körperliche Inaktivität
  • arterielle Hypertonie mit Werten ≥ 140 / 90 mmHg
  • HDL- Cholesterin < 35 mg / dl
  • Triglyzeride > 250 mg / dl
  • ethnische Zugehörigkeit (z. B. Latino, Pazifik- Bewohner, Afro- Amerikaner, asiatische Amerikaner)

(Kasper 2015)

  • Steatosis hepatis
  • syndromale Erkrankungen wie z. B.:
    • Trisomie 21
    • Turner- Syndrom

(Diederich 2020)

 

 

Pathophysiologie

Bei Typ 2 DM fehlt infolge des Defektes der Betazellen die beim Gesunden auftretende erste Insulinausschüttung, die ca. 5 – 10 min nach einer Mahlzeit erfolgt. Es kommt deshalb zu erhöhten postprandialen Glukosewerten und in Folge zu einer verstärkten Insulinausschüttung, der sog. postprandialen Hyperinsulinämie. Durch diese wird die endogene Insulinresistenz weiter erhöht und es tritt ein Circulus vitiosus auf mit Funktionsversagen der Betazellen (Schatz 2006).

 

Die Pathophysiologie ist abhängig von der ethischen Gruppe. 

Bei Afrikanern, Asiaten und Lateinamerikanern sind die pathophysiologischen Vorgänge bislang nicht gänzlich geklärt. Sicher ist bislang eine erhöhte Insulinresistenz bei Lateinamerikanern, eine größere Dysfunktion der Betazellen bei Asiaten, die außerdem im jüngeren Alter und mit einem niedrigeren BMI erkranken (Kasper 2015).

Bei Europäern finden sich:

  • eine gestörte Insulinsekretion:

Die frühe Phase der normalerweise zweigipfeligen postprandialen Sekretion von Insulin ist gestört und bewirkt eine postprandiale Hyperglykämie [Herold 2020])

Ursache ist eine Störung der Signaltransduktion durch einen Prä- Rezeptordefekt, einen Rezeptordefekt mit Down- Regulation (d. h. Sensibilität und Dichte der Insulinrezeptoren sind vermindert) und einen Post- Rezeptordefekt (Herold 2020).

  • eine übermäßige hepatische Glukoseproduktion (verstärkt zusätzlich die Hyperglykämie [Herold 2020])
  • eine Apoptose der Inselzellen:

Es kommt erst dann zu einer Hyperglykämie, wenn > 50 % der Inselzellen apoptisch sind (Herold 2020)

  • die Inkretin- Sekretion und - Wirkung sind vermindert (Herold 2020)
  • es findet sich ein abnormer Fettstoffwechsel:

Der Typ 2 DM entwickelt sich in der Mehrzahl der Fälle aus einem metabolischen Syndrom

(Herold 2020).

Zu Beginn der Typ 2- Erkrankung bleibt die Glukosetoleranz trotz bereits bestehender Insulinresistenz nahezu normal, da die pankreatischen Betazellen in der Lage sind, dies durch eine erhöhte Insulinausschüttung zu kompensieren. 

In späteren Stadien kann der hyperinsulinämische Zustand nicht mehr aufrecht erhalten werden und es entwickelt sich eine durch die Erhöhung der postprandialen Glukose gekennzeichnete IGT. Durch Rückgang der Insulinsekretion und durch Anstieg der hepatischen Glukoseproduktion kommt es zum Auftreten eines erhöhten Nüchternblutzuckers und letztlich zum Versagen der Betazellen (Kasper 2015).

 

 

Manifestation

Das überwiegende Manifestationsalter für den Typ 2 DM liegt i. d. R. bei > 40 Jahre (Herold 2020).

Asiaten erkranken in einem jüngeren Alter und mit einem niedrigeren BMI als Europäer (Kasper 2015).

Klinisches Bild

Der Typ 2 DM manifestiert sich schleichend und wird vom Patienten selbst oftmals gar nicht bemerkt (Herold 2020).

Die Symptome sind eher unspezifisch wie z. B.:

  • Müdigkeit
  • Leistungsminderung
  • durch die Hyperglykämie bedingte Symptome wie z. B.:
    • Polyurie
    • Polydipsie
    • nächtliche Wadenkrämpfe durch Störungen im Elektrolythaushalt
    • Sehstörungen durch einen wechselnden Turgor der Augenlinse
    • Gewichtsabnahme (meistens nicht so ausgeprägt wie beim Typ 1 DM [Diederich 2020])
  • Hautveränderungen:
  • Necrobiosis lipoidica
  • Potenzstörungen
  • Amenorrhoe

(Herold 2020)

  • Infektanfälligkeit
  • Heißhungerattacken

(Diederich 2020)

 

 

Diagnostik

Die Kriterien der Diagnostik eines DM sind laut WHO:

  • Nüchtern- Plasma- Blutzucker ≥ 126 mg / dl (7,0 mmol / l)
  • Zufalls- Plasma- Glukose ≥ 200 mg / dl (11,1 mmol / l)
  • HbA1c ≥ 6,5 % (48 mmol / mol)

(Bahrmann 2018)

Die Erstdiagnose eines Typ 2 DM umfasst neben einer ausführlichen Anamnese inklusive Familienanamnese in erster Linie laborchemische Untersuchungen (s. „Labor“).

Zusätzlich sollte immer ein Screening auf weitere Risikofaktoren erfolgen (Herold 2020).

Mit Diabetes Typ 2 assoziierte Erkrankungen sind:

Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen sind:

  • biologisches Alter
  • männliches Geschlecht > weibliches Geschlecht
  • Ernährung
  • Bewegungsmangel
  • Lebensstil
  • Raucherstatus
  • familiäre Disposition
  • genetische Disposition
  • Dauer der Diabeteserkrankung
  • Adipositas
  • Dyslipidämie
  • arterielle Hypertonie
  • subklinische Arteriosklerose
  • linksventrikuläre Hypertrophie
  • subklinische kardiovaskuläre Erkrankung 
  • Niereninsuffizienz
  • Albuminurie
  • schwere Hypoglykämien
  • starke Stoffwechselinstabilität

(Bahrmann 2018)

Bildgebung

Abdomensonographie

Hierbei finden sich oftmals eine Steatosis hepatis und eine Hepatomegalie (Diederich 2020).

Die Nieren können sich verkleinert mit verschmälertem Parenchymsaum darstellen. Die Gefäße zeigen u. U. arteriosklerotische Veränderungen (Herold 2020).

 

Gefäßsonographie

Hierbei sollten die Halsgefäße, Bauchaorta, Iliakalgefäße und ggf. auch die Beinarterien untersucht werden. Ein Malignom, insbesondere ein Pankreas- Ca als mögliche Ursache für einen plötzlich aufgetretenen Typ 2 DM sollte bei der Untersuchung in Betracht gezogen werden (Diederich 2020).

 

 

Labor

  • Blutzuckerbestimmung nach der Hexokinase- Zwischenfermentmethode. Die Kriterien der American Diabetes Association und der Deutschen Diabetes- Gesellschaft sind:
    • venöse Nüchtern- Plasma- Glukose ≥ 126 mg / dl bzw. ≥ 7,0 mmol / l
    • Gelegenheitsblutzucker ≥ 200 mg / dl bzw. ≥ 11,1 mmol / l plus typischer Diabetes- Symptome 
    • oraler Glukose- Belastungstest ≥ 200 mg / dl bzw. ≥ 11,1 mmol / l 
  • Glukosebestimmung im Urin:

Diese Untersuchung hat an Bedeutung verloren durch die Einfachheit der Blutzuckermessung. Ab ca. 180 mg / dl Glukose im Blut wird die Nierenschwelle für Glukose überschritten und es kommt zu einer Glukosurie. In der Schwangerschaft liegt diese Schwelle allerdings mit < 150 mg / dl niedriger. Der Normwert für eine physiologische Glukosurie liegt bei bis zu 15 mg / dl. Teststreifen zeigen eine Glukosurie erst ab ca. 30 mg / dl an (Herold 2020).

  • Bestimmung der Ketonkörper:

Die Neigung zur Ketose ist beim Typ 2 DM nur gering (Paumgartner 2013).

  • HbA1c- Bestimmung:

Der HbA1c gilt als Surrogat für die Stoffwechseleinstellung (Bahrmann 2018) und ermöglicht eine Aussage zu den BZ- Werten der letzten 6 – 8 Wochen (Herold 2020). 

Referenzbereich:

< 5,7 % bei Nicht- Diabetikern

> 6,5 % bei Diabetikern 

Bei Werten > 7 % ist das Risiko, einen Myokardinfarkt zu erleiden, um 40 % erhöht und bei Werten > 8 % um 80 %. Das Risiko, diabetische Komplikationen zu erleiden, vermindert sich jeweils um 20 % pro 1 % Punkt- Senkung (Herold 2020).

  • Falsch hohe Konzentrationen können gemessen werden bei:
  • Falsch niedrige Konzentrationen können gemessen werden bei:
    • nach Transfusionen
    • in der ersten Schwangerschaftshälfte
    • bei verkürzter Erythrozyten- Lebenszeit wie z. B. bei 
      • Hämoglobinopathien
      • hämolytischer Anämie

(Herold 2020)

  • Test auf eine Mikroalbuminurie:

1 x jährlich mindestens bei Diabetikern (Herold 2020)

  • Bestimmung der Lipide:

Zu Beginn der Erkrankung sind erhöht:

  • Plasmainsulin
  • C- Peptid 

(Herold 2020)

 

 

Differentialdiagnose

  • Typ 1 DM: Hierbei bestehen im Gegensatz zum Typ 2 DM:
    • Ketonurie 
    • Auto- Antikörper GAD- Ak, IA2- Ak nachweisbar
    • C- Peptid deutlich erniedrigt
    • initial bestehende Neuropathie nicht vorhanden
    • Adipositas selten
    • metabolisches Syndrom selten (Herrmann 2008)
    • absoluter Insulinmangel 
    • Ketoazidose (beim Typ 2 nur selten auftretend, da diese durch Hemmung der Lipolyse im Fettgewebe verhindert wird (im Gegensatz zum Typ 1 DM), s. a. „Komplikationen“.
  • mitochondrial bedingter DM in Kombination mit Schwerhörigkeit oder Taubheit (Diederich 2020)

 

Passagere Hyperglykämien können auftreten im Rahmen:

  • eines Myokardinfarktes
  • eines Apoplexes
  • nach Behandlung mit Thiazid- Saluretika 
  • bei akuten Vergiftungen (z. B. mit CO)
  • erhöhtem intrakraniellen Druck
  • Entzündungen

(Herold 2020)

Komplikation(en)

  • Hyperglykämie:

Von einer schweren Hyperglykämie spricht man ab Blutzuckerwerten von > 300 mg / dl (> 16,7 mmol / l). Die Patienten sind nicht selten bei einer Hyperglykämie asymptomatisch. 

Die Gefahren einer Hyperglykämie sind:

- diabetische Ketoazidose (DK)

Diese findet sich normalerweise ausschließlich beim Typ 1 DM. Sie kann aber auch bei Typ 2 Diabetikern hispanischer oder afroamerikanischer Abstammung auftreten.

- hyperosmolarer hyperglykämischer Zustand (HHS)

Dieser tritt i. d. R. bei nur Patienten mit Typ 2 DM auf

(Kasper 2015)

Diese kann reaktiv postprandial nach 2 – 5 h auftreten und auch im Rahmen einer insulinotropen Medikamentenbehandlung wie z. B. bei der Behandlung mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin (Diederich 2020).

Dieses kann bei sehr hohen Blutzuckerwerten von z. T. > 1.000 mg / dl auftreten und geht mit schwerer Elektrolytverschiebung sowie Dehydratation einher (Diederich 2020).

Zu den chronischen Komplikationen zählen:

(Herold 2020)

 

 

Therapie

Ein Meilenstein in der Behandlung des Typ 2 DM war die 1998 auf dem Europäischen Diabetes Kongress in Barcelonaerstmals publizierte „UK Prospective Diabetes Study“ (UKPDS), die einen Zeitraum von über 20 Jahren bei mehr als5.000 Patienten umfasste (Kellerer 2013).

Das primäre Therapieziel ist eine dauerhafte Absenkung des HbA1c auf Werte zwischen 6,5 – 7,5 %. Ein Wert von < 6,5 % sollte nur im Ausnahmefall angestrebt werden, sofern keine gravierenden Nebenwirkungen auftreten, insbesondere keine Hypoglykämien und keine massive Gewichtsabnahme (Diederich 2020).

Beim Typ 2 DM spielt aber – im Gegensatz zum Typ 1 DM – nicht nur die glykämische Kontrolle eine Rolle bei der Behandlung, sondern ebenso die Behandlung der Begleiterkrankungen wie z. B. arterielle Hypertonie, Adipositas, kardiovaskuläre Erkrankungen (CVD), Dyslipidämie.

(Kasper 2015)

 

 

Therapie allgemein

Allgemeinmaßnahmen in Form einer Basistherapie:

  • Umstellung der Ernährung:
    • 45 % - 60 % Kohlenhydrate mit hohem Ballaststoffanteil
    • 15 % - 20 % Proteinanteil (bei bereits bestehender diabetischer Nephropathie sollte der Eiweißanteil hingegen auf 0,8 EW / kg KG / d reduziert werden [Herold 2020])
    • 25 % - 30 % Fettanteil
    • Reduktion der tierischen gesättigten Fettsäuren
    • Zunahme der ungesättigten pflanzlichen Fette 
  • Ernährungsberatung (diese sollte laut Vorgaben der Deutschen Diabetes Gesellschaft individuell angepasst werden)

(Diederich 2020)

  • mehrere kleine Mahlzeiten (meistens 5 / d) 
  • 2 – 3 x pro Woche Seefisch
  • zu den (in kleinen Mengen) erlaubten Süßstoffen zählen Aspartam, Cyclamat, Saccharin und Stevia 
  • schnell resorbierbare Monosaccharide und Disaccharide sollten vermieden werden
  • Alkohol nur gelegentlich (Frauen max. 10 g / d, Männer max. 20 g / d), da Alkohol sowohl die Glukoneogenese in der Leber hemmt als auch die frühmorgendliche Ausschüttung von Wachstumshormonen wie z. B. STH [wirkt kontrainsulinär]. Damit steigt die Gefahr einer Hypoglykämie.
  • spezielle Diätprodukte sind bei DM nicht erforderlich

(Herold 2020)

  • Umstellung der Bewegungsgewohnheiten (besonders wichtig zur Steigerung der insulinunabhängigen Glukoseaufnahme und der Sensitivität der Muskeln auf Insulin)
  • ggf. Physiotherapie bzw. Sportkurse

(Diederich 2020)

  • ein BMI < 25 sollte angestrebt werden 
  • Prophylaxe bzw. Therapie eventuell bestehender Komplikationen 
  • bei vorzeitiger Arteriosklerose Ausschaltung eventueller Risikofaktoren bzw. entsprechende therapeutische Maßnahmen (Herold 2020)

 

 

Interne Therapie

Falls mit den o. g. Allgemeinmaßnahmen (s. „Therapie allgemein“) der Zielwert des HbA1c von 6,5 % - 7,5 % nicht erreicht werden kann, sollten zusätzlich orale Antidiabetika eingesetzt werden (Diederich 2020).

Bei der medikamentösen Behandlung des Typ 2 DM gibt es einen phasengerechten Stufenplan, den Algorithmus:

  • 1. Stufe: Bei übergewichtigen Patienten ist Metformin das Mittel der Wahl.
  • 2. Stufe: Metformin plus GLP1- Rezeptorantagonist (GLP1- AG) oder hypoglykämiearmes orales Antidiabetikum (OAD) plus – sofern erforderlich – ein drittes hypoglykämiearmes OAD / GLPA1- AG (s. u.)
  • 3. Stufe: OAD / Insulinkombination:
    • 3. a. OAD oder GLPA1- AG plus Basalinsulin (bei progredienter Insulinresistenz oder relativer Erschöpfung der endogenen Insulinproduktion)
    • 3. b. OAD plus Basalinsulin plus Bolusinsulin (bei weiterer Erschöpfung der Insulinproduktion)

(Herold 2020)

 

OAD:

Zu den oralen Antidiabetika zählen insulinotrope und nicht- insulinotrope Medikamente.

(Herold 2020)

(Herold 2020)

(Herold 2020)

  • Erhöhung der Insulinsekretion möglich mit z. B. Sulfonylharnstoffen, DPP4- Hemmern
  • Erhöhung der Insulinsensitivität kann erreicht werden bei z. B. Glitazone, Thiazolidinderivate (Paumgartner 2013)
  • Hemmung der Rückresorption von Glukose durch Verstärkung der Ausscheidung im Urin durch z. B. Gliflozine (SGLT2- Hemmer [Jelinek 2021])
  • Hemmung der hepatischen Glukoneogenese wie z. B. durch Biguanide

(Kasper 2015)

 

Falls der HbA1c- Wert bei der Kontrolle < 6,5 % liegt, sollte man wegen der Gefahr von Hypoglykämien bei der Behandlung auf insulinotrope Substanzen bzw. auf Insulin verzichten (Diederich 2020).

Neuere Medikamente wie z. B. Glukosuria (SGLT 2- Inhibitoren) und inkretinbasierte Medikamente (GLP- 1- Analoga) senken die Rate an kardiovaskulären Erkrankungen und damit auch die Mortalität.

Eine Adipositas lässt sich adjuvant durch GLP- 1- Analogon (wie z. B. Liraglutid) behandeln (Diederich 2020). 

Operative Therapie

Die Transplantation des gesamten Pankreas ist ausschließlich eine Therapieoption bei Typ 1 DM (Kasper 2015).

Beim Typ 2 DM haben sich bariatrische Eingriffe als vielversprechend herausgestellt. Nach der Operation kam es in vielen Fällen zu einem dramatischen Rückgang des DM. In mehreren großen, nicht verblindeten Studien hat sich eine weitaus größere Wirksamkeit der Operation - im Vergleich zur medikamentösen Behandlung - gezeigt (Kasper 2015).

Der Magenbypass stellt die effektivste OP- Methode zur dauerhaften Remission eines Typ 2 DM dar. Die Dauer der DM- Erkrankung bestimmt dabei die Remissionsraten (Diederich 2020).

Verlauf/Prognose

Typ 2 DM ist laut WHO die siebthäufigste Todesursache. Im Jahre 2015 z. B. verstarben ca. 1,6 Mio. Menschen an Typ 2 DM (Diederich 2020).

Die Haupttodesursache stellen beim Diabetes Typ 2 kardiovaskuläre Erkrankungen dar (Kasper 2015). An einem Myokardinfarkt versterben ca. 55 % der Diabetiker (Herold 2020).

Die Letalität des hyperosmolaren Komas ist ca. 15 % höher als die Letalität des ketoazidotischen Komas (Diederich 2020).

Ein Typ 2 DM ist – laut Studie im Lancet 12 / 2017 – bei manifesten jungen Diabetikern durch eine sehr strenge Diät und regelmäßige körperliche Bewegung voll remissionsfähig und somit nicht unheilbar (Herold 2020). 

Unter konservativer Therapie und pharmakologischer Behandlung sind die Remissionsraten bislang gering. Gute Erfolge zeigen hingegen bariatrische Operationen, so dass man davon ausgehen kann, dass diese in naher Zukunft vermutlich eine größere Rolle bei der Behandlung einnehmen werden (Diederich 2020).

Hinweis(e)

Prophylaxe

Seit 2012 wird von allen gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland eine Screening- Untersuchung, der sog. orale Glukosetoleranz- Test = oGTT bezahlt (Herold 2020).

Bei Personen > 45 Jahre mit Risikofaktoren sollte alle 3 Jahre der Nüchtern- BZ gemessen werden. Zu dieser Gruppezählen Personen mit:

  • arterielle Hypertonie, Dyslipoproteinämie und Übergewicht
  • Familienanamnese oder Find- Risk- Test positiv 
  • Personen ethnischer Gruppen mit hohem Risiko einer DM- Erkrankung wie z. B. Pima- Indianer
  • anamnestische Gestationsdiabetes
  • Geburt eines Kindes von > 4.500 g
  • anamnestisch gestörte Glukose- Homöostase oder pathologische Glukosetoleranz 

(Herold 2020)

Eine Besteuerung gesundheitsschädlicher Nahrungsmittel wird derzeit politisch diskutiert (Diederich 2020).

 

Nachsorge

Die Nachsorge betrifft die Patienten mit Z. n. bariatrischer OP. Hier sind im Verlauf häufig Anpassungen der Therapie des Typ 2 DM erforderlich (Diederich 2020).

Bei Patienten mit langjährigem Typ 2 DM sind auch nach einer Remission regelmäßige Kontrollen erforderlich, da Sekundärkomplikationen trotz aktuell guter Glukosewerte voranschreiten können. Hier sollten insbesondere folgende Untersuchungen erfolgen:

  • Augenhintergrund
  • Nierenfunktion 
  • Gefäßintegrität
  • Nervenfunktion

(Diederich 2020)

 

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Bahrmann A et al. (2018) S2k- Leitlinie Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter. 2. Auflage AWMF-Registernummer: 057-017
  2. Diederich S et al. (2020) Referenz Endokrinologie und Diabetologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart 472 – 478, 484 – 493
  3. Herrmann F et al. (2008) Endokrinologie für die Praxis: Diagnostik und Therapie von A – Z. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York 35 – 45
  4. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 722 – 744
  5. Jelinek A et al. (2021) Weiße Reihe: Arzneimittellehre. Elsevier Urban und Fischer Verlag 190
  6. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 11, 2399 – 2435 (2413 – 2424 Typ 2)
  7. Kellerer M (2013) 15 Jahre nach der UKPD- Studie: Eine gute Einstellung des Diabetes lohnt sich (doch). Dtsch Arztebl 110 (46) 4 - 6
  8. Lakhtakia R (2013) The History of Diabetes Mellitus. Sultan Qaboos univ Med J 13 (3) 368 – 370
  9. Paumgartner G et al. (2013) Therapie innerer Krankheiten. Springer Verlag 733
  10. Schatz H et al. (2006) Diabetologie kompakt – Grundlagen und Praxis.Thieme Verlag 148 – 156

Verweisende Artikel (1)

Gestationsdiabetes;

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