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Venöse Insuffizienz, chronischeI87.2
Synonym(e)
Definition
Chronische Rückflussstörung des venösen Blutes mit venöser Hypertonie im Stehen sowie konsekutiver Ödembildung im Knöchelbereich. Die Folgen sind chronische, mit zunehmender Persistenz irreversible Veränderungen der Venen, der Haut, des subkutanen Fettgewebes und der Muskelfaszien (Dermatoliposklerose - bzw. Dermatolipofasziosklerose).
Zu der CVI gehören die verschiedenen Formen der primären Varikose und des postthrombotischen Syndroms sowie deren Folgeerscheinungen.
Einteilung
Einteilung des klinischen Schweregrades nach der CEAP-Klassifikation:
- C = Klinische Zeichen ("clinical signs")
- E = Ätiologische ("Etiology") Klassifikation (kongenital, primär, sekundär)
- A = Anatomische Verteilung (oberflächlich, tief, Perforansvene, allein oder Kombination)
- P = Pathophysiologische Dysfunktion (Reflux oder Obstruktion, allein oder Kombination).
Die klinischen Symptome (s.o. CEAP Klassifikation, "C" = "clinical signs") werden wie folgt klassifiziert:
- C0 = Keine sichtbaren oder palpablen Zeichen einer venösen Erkrankung
- C1 = Besenreiser und/oder retikuläre Varizen, keine sichtbaren oder palpablen Zeichen einer CVI
- C2 = Variköse Venen
- C3 = Varikose mit Ödem
- C4 = Varikose mit trophischen Hautveränderungen (Hyperpigmentierung, Ekzem, Lipodermatosklerose, Atrophie blanche)
- C5 = Varikose mit abgeheiltem Ulkus
- C6 = Varikose mit floridem Ulkus
Klassifikation der Chronischen venösen Insuffizienz (n. Widmer)
- Stadium I: reversible Ödeme, Corona phlebectatica, perimalleoläre Kölbchenvenen
- Stadium II: persistierende Ödeme, Hämosiderose, Dermatosklerose, Lipodermatosklerose, Atrophie blanche, Stauungsekzem
- Stadium III: Ulcus cruris (floride oder abeheilt)
Vorkommen/Epidemiologie
Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung liegt zwischen 3 und 11%. Im Rahmen einer Reihenuntersuchung an 4530 Personen (Tübinger Studie) die zwischen 20 und 70 Jahren alt waren, wurde eine CVI im Stadium I bei 73% der Personen nachgewiesen. Die Häufigkeit der Stadien II und III der CVI betrug 13 und 15%. Das Verhältnis von Männer/ Frauen wird mit 1:1,5 angegeben. Risikofaktoren (tragen zur Schwächung des Bindegewebes und/oder Erhöhung des venösen Drucks bei):
- Familiäre Vorbelastung
- Genetische Faktoren
- Tätigkeiten mit langanhaltendem Stehen/Sitzen
- Übergewicht
- Lebensalter
- Schwangerschaften
Ätiopathogenese
Entweder mechanische Behinderung des venösen Rückstroms z.B. durch eine tiefe Venenthrombose oder durch Klappeninsuffizienzen des tiefen Venensystems, der Vv. perforantes oder des oberflächlichen Venensystems sowie die Insuffizienz der zusätzlichen Pumpmechanismen (Hautpumpe, Gelenkpumpen, Muskelpumpen, abdomino-thorakale Zweiphasenpumpe).
S.u. intrafasziale Veneninsuffizienz und extrafasziale Veneninsuffizienz, transfasziale Venen, primäre Varikose und sekundäre Varikose.
Manifestation
Durchschnittsalter bei Entwicklung des klinischen Vollbildes: 40 bis 50 Jahre.
Klinisches Bild
Subjektiv Schwere- oder Spannungsgefühl, sowie ziehende oder dumpfe Schmerzen in den Beinen mit Knöchel- und Unterschenkelödemen, besonders beim Stehen oder langem Gehen; durch Liegen gemildert. Lokale Druckempfindlichkeit trophisch gestörter Partien. Nächtliche Wadenkrämpfe.
Diagnose
Anamnese, Inspektion, Palpation, venöses Standarduntersuchungsprogramm ( Perthes-Versuch, Trendelenburg-Versuch, Mahorner-Ochsner-Versuch, Valsalva-Test).
Funktionsteste: Ultraschall-Doppler-Untersuchung, Lichtreflexions-Rheographie, plethysmographische Verfahren ( Venenverschlussplethysmographie), Phlebographie, Phlebodynamometrie.
Therapie
Stadium (CEAP C2 bis C6): Im Mittelpunkt steht die konsequente Kompressionstherapie mit elastischen Kurzzugbinden (Pütter-Technik) bis zur Entstauung und zur Erhaltung. Hier sind Kompressionsstrümpfe der Klasse II indiziert, bei Stadium C3 bis C6 der CVI auch Kompressionsstrümpfe der Klasse III.
Ausschluss einer tiefen Beinvenenthrombose (Ultraschall-Doppler-Untersuchung, Phlebographie). Beim postthrombotischen Syndrom ist eine lebenslange Kompression notwendig. Bei Klappeninsuffizienzen und nachgewiesenen Veneninsuffizienzen Einleitung einer Venenverödung oder Venenoperation entsprechend dem Ausmaß und der Lokalisation. Gezielte krankengymnastische Übungstherapie verbessert häufig die bei der CVI begleitend bestehende Immobilität. Neuere Untersuchungen zeigen vielversprechende Ergebnisse mit konservativer Verbesserung der venösen Funktion.
Stadium (CEAP C4): Beim Auftreten von Hautveränderungen symptomatisch pflegende, rückfettende, abschuppende Therapie, zusätzlich antiekzematöse externe Therapie, s.u. Ekzem.
Stadium (CEAP C5 u. C6): Die Kompressionstherapie kann u.U. im Zentrum des Ulcus durch angepasste Schaumstoffauflagen verstärkt werden. Nach durchgeführter Diagnostik ggf. periulzeröse Sklerosierung. Darüber hinaus ergibt sich insbes. bei chronischen Stauungszuständen und therapieresistenten Ulzera die Indikation zur Ulkusausschneidung ( Shave-Exzision) und Anschleifen der Dellung. Des Weiteren phasengerechte Ulkustherapie, s.a. Wundbehandlung.
- Reinigung: Abtragen von Salbenresten mit Ölen (z.B. Oleum olivarum) nach desinfizierenden Fußbädern mit z.B. Kaliumpermanganat (hellrosa). Krusten und Nekrosen werden chirurgisch entfernt. Möglich ist zudem die Abdeckung der Ulkusumgebung mit z.B. Zinkpasten oder Zinksalben (z.B. R001) zum Schutz vor dem Aufweichen.
- Antiseptische Lokaltherapie: Umschläge mit Octenidin (z.B. Octenisept) oder Polihexanid (Serasept, Prontoderm) verhindern eine sekundäre Keimbesiedlung. Lokale Antibiotika machen aufgrund der Keimselektion und der hohen Sensibilisierungsgefahr wenig Sinn. Eine interne antibiotische Therapie sollte bei fortgeleiteten Infektionen entsprechend dem Antibiogramm durchgeführt werden. Farbstoffhaltige Lösungen zur Trockenpinselung sollten nicht angewandt werden.
- Epithelialisierung: Hydrokolloidverbände dienen u.a. auch dem Schutz des neu gebildeten Epithels. Alternativ: Einfache Fettgazeverbände (z.B. Jelonet, Oleo-Tuell).
- Bei fehlender Epithelialisierung kommen Spalthauttransplantate oder Meshgraft-Transplantate zum Einsatz. Keratinozyten-Transplantationen haben sich in der routinemäßigen Ulkustherapie noch zu bewähren.
Überschießendes Granulationsgewebe kann die Epithelialisierung behindern: Daher vorsichtiges chirurgisches Abtragen, Schaumstoff-Kompression und Ätzungen mit Silbernitrat.
Naturheilkunde
Ordnungstherapie: Meiden von langem Stehen und Sitzen - besser Gehen und Liegen! Meiden von Hitze. Gewichtsreduktion, Reduktion der Salzzufuhr, ggf. Fastentage (Reis- und Obsttage), Bewegungstherapie - Zehen- und Beinmuskelübungen zur Aktivierung der Muskelpumpe; Gehtraining über 20-30 Minuten. Mind-Body-Medizin, Yoga (Schulterstand, Kopfstand), Atemtherapie, Lymphdrainagen, Kinesiotaping
Hydro-Balneo-Thermo-Therapie: Kompressionstherapie, Hydrotherapie: Wassertreten, Knie- und Schenkel-Güsse, Unterschenkelbäder, Leibwickel, Sitzbäder.
Ausleitende Verfahren, hier insbesondere die Behandlung mit Blutegeln, Hirudo medicinalis
Blutegel werden an die gestaute Extremität über der entsprechenden Varize angesetzt, der Saugakt dauert 20 Minuten bis 2 Stunden, dabei saugt der Blutegel 3-6 ml Blut. Der Speichel des Blutegels enthält u.a. Hirudin, Calin, Hyaluronidase, Eglin, Bdellin, Apyrase, Kollagenase, Destabilase, Hämentin und Orgelase. Diese bewirken, dass die Wunde noch circa 12 Stunden nachblutet und somit nochmals 20 – 30 ml Blut auslaufen. Deshalb entsprechende Vlies- oder Saugkompressen unterlegen.
Die Phytotherapie bietet einige in Studien belegte Präparate an, die zu einer Reduktion der Ödeme und Entzündung, zur Erhöhung des venösen Gefäßtonus und des lymphatischen Abflusses bei zeitgleicher Abdichtung der Kapillaren führen. Diese Phytotherapeutika können bspw. bei Kontraindikation für Kompressionstherapie indiziert sein.
Rotes Weinlaub: (Handelspräparat bspw. Antistax® extra). Für chronisch-venöse Insuffizienz Grad I und II konnte bei einer Tagesdosis von 360 resp. 720 mg eine Reduktion der Unterschenkelödeme in gleichem Umfang wie durch Kompressionsstrümpfe nachgewiesen werden.
Hippocastani semen: Bekannt sind Rosskastanienextrakte (Aesculus hippocastanum) als Venentherapeutika. Hochkonzentrierte Extrakte aus Hippocastani semen (dem Rosskastaniensamen), mit dem wirksamkeitsbestimmendem Aescin, sind durch die Kommission E für die chronische venöse Insuffizienz positiv bewertet worden. Die Rosskastanie wirkt antiexsudativ durch die gefäßabdichtende, adstringierende Wirkung, zeitgleich venentonisierend und entzündungshemmend. Die Gabe erfolgt systemisch in einer Dosierung von 2 x 50 mg Trockenextrakt pro Tag. Präparate z.B. Venostasin retard®, Venoplant retard®, Aescorin forte®, Noricaven®.
Mäusedornwurzel: Des weiteren steht die Mäusedornwurzel, Butcher's Broom, Ruscus aculeatus, zur Behandlung der chronischen venösen Insuffizienz zur Verfügung. Die Mäusedornwurzel enthält u.a. Steroidsaponine so die wirksamkeitsmitbestimmenden Substanzen Ruscin, Ruscosid. Diese stimulieren alpha-adrenerge Rezeptoren der glatten Muskelzellen in der Gefässwand. Tierexperimentelle Studien zeigen folgende Effekte: Erhöhung des Venentonus, kapillarabdichtend, antiphlogistisch, diuretisch. Die Wirkung ist durch wissenschaftliche Studien belegt. (Bemerkung: Die Kommission E hat die Mäusedornwurzel zur Behandlung von Hämorrhoiden positiv bewertet). Präparate: Phlebodril Venenkapseln®, Cefadyn Filmtabletten®. Cave: Die Beeren des stechenden Mäusedorns selbst sind giftig, sie verursachen Magen-Darm Beschwerden und Somnolenz.
Meliloti herba (Steinkleekraut) (durch wissenschaftliche Studien belegt; Positivmonographie durch die Kommission E und ESCOP. Meliloti herba enthält Cumarin, Flavonoide und Saponine (Handelpräparate: Meli Rephastasan®).
Homöopathisch wird die Droge in verschiedenen Verdünnungen, z.B. als Veno-loges® N Injektionslösung amgewendet.
Pinienrindenextrakte (keine vorliegende Monographie durch die Kommission E). Pinienrindenextrakte (meist gewonnen aus der französischen Seekiefer, Pinus paster), werden u.a. auch zur Behandlung der CVI eingesetzt. Die Droge enthält den wirksamkeitsbestimmenden Catechin-Wirkstoff Pyknogenol (Leucocianidol) . Die Verabreichung von 50 mg/Tag des standardisierten Pinienrindenextraktes führte in einer 8 wöchigen, randomisierten, plazebokontrollierten Studie mit 21 Patienten mit CVI zu einer merklichen Ödemminderung. Im einem Vergleich von 360 mg Pycnogenol mit 600 mg Rosskastanienextrakt war in bezug auf die Unterschenkelödeme das Pycnogenol überlegen (Handelspräparat: Pycnogenol®)
Buchweizenkraut (Fagopyri herba) Studienlage bis dato unklar.
Japanischer Schnurbaum (Sophorae japonicae flos) Studienlage unklar.
s.a. Asparagi rhizoma
Tabellen
CEAP Klassifikation |
Schweregrad nach Widmer* |
Klinisches Bild |
C2 u. C3 |
I |
Corona phlebectatica, evtl. Beinödem |
C4 |
II |
Auftreten von Hautveränderungen wie Stauungsekzemen (Ekzem, Stauungsekzem), Siderosklerose, Pachydermie, Hypodermitis, Hyperkeratose, Dermatosklerose, Atrophie blanche, Hyperpigmentierungen, Purpura jaune d'ocre. |
C5 u. C6 |
III |
Ulcus cruris venosum |