Lipoidproteinose E78.8

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

Co-Autor: Dr. med. Conrad Hempel

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Hyalinosis cutis et mucosae; Lipoglycoproteinosis; Lipoidosis cutis et mucosae; Lipoidproteinose; Lipoid-Proteinose; Lipoidproteinose Urbach-Wiethe; Lipoid proteinosis; Lipoproteinosis; OMIM: 247100; Roessle-Urbach-Wiethe-Syndrom; Urbach-Wiethe-disease; Urbach-Wiethe-Syndrom

Erstbeschreiber

Siebenmann, 1908; Lutz 1922; Wiethe, 1924; Rössle, 1927; Urbach, 1933; 

Definition

Seltene, autosomal rezessive Genodermatose, die sich durch Ablagerung von hyalinen und lipidhaltigen Substanzen an den Basallaminae von Haut und Schleimhäuten kennzeichnet. Im Laufe der Erkrankung kann es zum Befall von Hirn- und Hautgefäßen kommen.

Vorkommen/Epidemiologie

LP kommt weltweit vor, ist aber selten; in der medizinischen Fachliteratur sind nur etwa 400 Fälle beschrieben. Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen. In der Region Namaqualand in Südafrika gibt es die meisten LP-Patienten (hier überwiegend bei deutschstämmigen Einwandern), die eine gemeinsame Mutation aufweisen, was auf einen Gründereffekt hindeutet. In Ländern, in denen Blutsverwandtschaft häufiger vorkommt, tritt LP häufiger auf.

 

Ätiopathogenese

LP wird durch eine homozygote oder compound heterozygote loss-of-function-Mutation im Gen für das extrazelluläre Matrixprotein 1 (ECM1) das auf dem Chromosom 1q21 lokalisiert ist, verursacht (LeWitt TM et al. 2023). Die meisten ECM1-Mutationen sind Frameshift- oder Nonsense-Mutationen in den Exons 6 oder 7, die zu einem verkürzten ECM1 führen. Das ECM1-Gen kodiert für Glykoproteine, die für die Integrität der Basalmembran und der extrazellulären Matrix, die Hautadhäsion und Protein-Protein-Interaktionen wichtig sind. Da es verschiedene ECM1-Spleißvarianten und Mutationen gibt, sind viele LP-Genotypen und -Phänotypen möglich (LeWitt TM et al. 2023). LP wird autosomal rezessiv vererbt. Die Patienten haben oft betroffene Familienmitglieder, und einige sind Kinder blutsverwandter Eltern. Die Mutationen innerhalb des ECM1-Gens führen zu beeinträchtigten Protein-Protein-Interaktionen und einer gestörten Gewebehomöostase. Die hyalinartige Ansammlung in verschiedenen Geweben erklärt viele klassische klinische Befunde wie Heiserkeit, moniliforme Blepharose und Krampfanfälle.

Pathogenetisch scheint das hyaline Material durch Eiweißaustritt aus den Gefäßen und durch Sekretionsleistung der Fibroblasten sowie sekundäre Lipideinlagerungen zu entstehen. Die Ablagerungen enthalten Basalmembrankomponenten und die Kollagentypen III, IV und V.

Pathophysiologie

ECM1 ist ein Glykoprotein, das verschiedene extrakutane Funktionen erfüllt, darunter die Regulierung der endochondralen Knochen- und Knorpelbildung, der Proliferation von Endothelzellen und der Angiogenese sowie der Differenzierung dendritischer Zellen. Eine hohe ECM1-Expression kann mit bestimmten bösartigen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden. In der Haut interagiert ECM1 mit dem Basalmembran-spezifischen Heparansulfat-Proteoglykan-Kernprotein (HSPG), auch bekannt als Perlecan, und anderen Proteinen, die für die ECM-Struktur und den Gewebeumbau wichtig sind, wie Matrix-Metalloproteinase-9, Fibulin-3 und Laminin 332. Bestimmte ECM1-Spleißvarianten werden in basalen Keratinozyten und suprabasalen Zellen exprimiert, was auf eine mögliche Rolle bei der Keratinozytendifferenzierung hindeutet. Die ECM1-Expression ist bei Personen mit chronischer UV-Lichtexposition vermindert, was auf eine zusätzliche Rolle bei der Stressreaktion der Haut hindeutet. Die ultrastrukturelle Analyse erosiver Läsionen bei einem Kind ergab "frei schwimmende" Desmosomen sowie einen Verlust der Verbindung zwischen einigen Desmosomen und dem Keratinfilament-Netzwerk. Dies deutet auf eine mögliche Rolle von ECM1 bei der Verbindung zwischen Keratinfilamenten und Desmosomen hin (LeWitt TM et al. 2023).

Manifestation

Alter bei Diagnosestellung: Säuglingsalter oder in der frühen Kindheit (1.-3. Lebensjahr). Erstsymptome = Heiserkeit.  

Lokalisation

Gesicht, Rand der Ober- und Unterlider, der Lippen, an den Fingerkanten, Ellenbogen, Knie und in den Achselhöhlen.

Klinisches Bild

Erstsymptome:

  • Erste Symptome sind meist (eine unerklärliche) Heiserkeit (bedingt durch Einlagerungen von hyalinem Material in den Larynx)!
  • Als erste Hauterscheinungen werden kleine Krusten und Vesikeln im Gesicht und an den Extremitäten wahrgenommen. Diese führen zu kleinen, akneiformen "ice-pick" -Narben.

Spätere Hauterscheinungen:

  • Ersteindrücklich ist der starre Gesichtsausdruck mit ausgeprägter perioraler und frontaler Furchenbildung. Gelb-weißliche, stecknadelkopfgroße Knötchen; an den Streckseiten der Extremitäten: Konfluenz zu plattenartigen, derben Plaques, teilweise mit bräunlicher verruköser oder krustiger Oberfläche.
  • Blasenbildung und Ulzerationen sind schon nach geringfügigen Traumen möglich. Abheilung unter pockenähnlicher Narbenbildung.
  • Verzögertes Haar- und Nagelwachstum, ggf. bleibender Haarverlust ( vernarbende Alopezie) infolge der hyalinen Einlagerungen.
  • Differenzialdiagnostisch wichtig ist eine ausgeprägte Vulnerabilität und Blasenbildung der Haut bereits im Säuglings- und Kleinkindesalter.

Extrakutane Manifestationen:

  • Noch vor den Hauterscheinungen werden blass-weiße bis weiß-gelbliche, meist prominente Einlagerungen sichtbar, vor allem an Wangenschleimhaut, an der Lippenschleimhaut, am Pharynx, Tonsillen und Kehlkopf.
  • Zunehmende Makroglossie, Verlust der Zungenbeweglichkeit durch ein verdicktes Zungenbändchen.
  • Schmerzhafte rezidivierende Parotisschwellungen (Einengung des Ductus paroticus) sowie Dysphagien.
  • Persistierendes Milchgebiss mit Aplasie oder Hypoplasie der seitlichen oberen Schneidezähne.
  • Mitbeteiligung von Trachea und Bronchien bis zur Atemwegsobstruktion ist möglich.
  • Befall von Ösophagus, Magen, Rektum und Vagina; verminderte Wundheilungstendenz.
  • Assoziierte Symptome: U.a. Krampfanfälle, geistige Retardierung, symmetrische Verkalkungen im Gehirn.

Labor

Dysproteinämie, pathologische Glukosetoleranz.

Histologie

Eher flaches Oberflächenepithel mit deutlicher orthokeratotischer Hyperkeratose. Die papilläre Dermis ist hyalinisiert, verquollen und zellarm. Extrazelluläre PAS-positive, Diastase-resistente Hyalinablagerungen im Stratum papillare und Stratum reticulare um Gefäße und Adnexe. In älteren Herden sind diese Ablagerungen zwiebelschalenartig verdickt und können die gesamte papilläre Dermis ausfüllen. Kräftige hyaline Ablagerungen finden sich ebenfalls um die ekkrinen Schweißdrüsen.

Elektronenmikroskopie: Subepidermale Zone, die aus Basallaminae der dermo-epidermalen Junktionszone besteht, zwischen die hyalines Material eingelagert ist. Die Gefäße sind mantelförmig von Basallaminae und hyalinem Material umgeben. In der oberen Dermis sind die elastischen Fasern fast vollständig verdrängt.

Differentialdiagnose

Therapie

Bislang ist keine kurative Therapie bekannt. Operative Entfernung funktionell störender Veränderungen. Mit Rezidiven ist zu rechnen. Verbesserung der Symptomatik wird im Einzelfall nach langjähriger Einnahme von Dimethylsulfoxid berichtet. Die Heiserkeit muss von HNO-Ärzten angegangen werden, ggf. Dekortikation der Stimmbänder.

Verlauf/Prognose

Günstig. Bis zum Erwachsenenalter progredienter Verlauf.

Literatur
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  1. Dogramaci AC et al. (2012) Lipoid proteinosis in the eastern Mediterranean region of Turkey. Indian J Dermatol Venereol Leprol 78:318-322
  2. Hamada T et al. (2002) Lipoid proteinosis maps to 1q21 and is caused by mutations in the extracellular matrix protein 1 gene (ECM1). Hum Mol Genet 11: 833-840
  3. LeWitt TM et al. (2023) Lipoid Proteinosis. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2023 Jan–. PMID: 33760528.
  4. Ramsey ML, Tschen JA, Wolf JE Jr (1985) Lipoid proteinosis. Int J Dermatol 24: 230-232
  5. Siebert M et al. (2003) Amygdala, affect and cognition: evidence from 10 patients with Urbach-Wiethe disease. Brain 126: 1-11
  6. Urbach E (1933) Kutane Lipoidosen. Derm Z Berlin 66: 371
  7. Urbach E, Wiethe C (1929) Lipoidosis cutis et mucosae. Virchows Arch Path Anat 273: 285-319
  8. Vago B et al. (2007) Hyalinosis cutis et mucosae. JDDG 5: 401-405
  9. Wiethe C (1924) Kongenitale, diffuse Hyalinablagerungen in den oberen Luftwegen, familiär auftretend. Z Hals-, Nasen-, Ohrenheilk 10: 359
  10. Wong CK et al. (1988) Remarkable response of lipoid proteinosis to oral dimethyl sulphoxide. Br J Dermatol 119: 514-544
  11. Zhang R et al. (2014) Treatment of lipoid proteinosis due to the p.C220G mutation in ECM1, a major allele in Chinese patients. J Transl Med 12:85

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