Erstbeschreiber/Historie
Scott J. Boley war ein Pionier auf dem Gebiet der mesenterialen Ischämie, der sich bereits in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts ausgiebig mit der Entität der CMI beschäftigt hat (Menges 2022).
Definition
Unter einer mesenterialen Ischämie versteht man eine arterielle oder venöse Durchblutungsstörung des Darms, die letztlich zu einer dauerhaften Zerstörung des betroffenen Darmabschnittes führen kann (Heiss 2018).
Auch interessant
Einteilung
Die mesenteriale Ischämie kann akut oder chronisch verlaufen (Herold 2019).
- Akute mesenteriale Ischämie (AMI):
Sie wird nach pathophysiologischem Mechanismus unterteilt in:
- Arteriell okklusive Ischämie
- Non- okklusive Ischämie
- Venöse Ischämie (Ghadimi 2022)
Es handelt es sich hierbei immer um einen akuten Notfall (Herold 2019).
- Chronische mesenteriale Ischämie (CMI)
Sie ist definiert als eine insuffiziente Perfusion des Gastrointestinaltraktes, die länger als 3 Monate andauert. Sie wird am häufigsten durch eine Arteriosklerose verursacht (Menges 2022).
Vorkommen/Epidemiologie
Bei den akuten Abdominalerkrankungen tritt die mesenteriale Ischämie mit einer Häufigkeit von 0,4 % auf und ist damit eher selten (Häussinger 2018).
Die mesenteriale Ischämie tritt bevorzugt im höheren Lebensalter auf (Herold 2019). Die Inzidenz liegt bei ca. 2 – 3 Betroffene auf 100.000 Menschen (Kasper 2015). Frauen sind häufiger als Männer betroffen. Allerdings vermutet man eine erhebliche Dunkelziffer (Heiss 2018).
Die akute mesenteriale Ischämie macht ca. 60%-70% aller mesenterialen Ischämien aus (Schwab 2019).
Ätiopathogenese
- Thromboembolische okklusive Ischämie
- Vorhofflimmern
- Ventrikelaneurysma
- Künstliche Herzklappe
- Myokardinfarkt
- Rheuma
- Vorgeschaltete Stenose oder Aneurysma (Ghadimi 2022)
- Thrombotische okklusive Ischämie
- Kardiovaskuläre Risikofaktoren wie z. B.:
- Vorgeschaltetes Aneurysma
- Arteriosklerotische Stenose
- Angeborene oder erworbene Gerinnungsstörung
- Vaskulitis
- Dehydratation (Ghadimi 2022)
- Non- okklusive Ischämie
- Schock
- jahrelange Dialyse
- Kardiochirurgische Operationen
- Hypovolämie
- Katecholamine
- Beta-Blocker
- Digitalis
- Kritischer Allgemeinzustand (Ghadami 2022)
- Mesenterialvenenthrombose:
- Leberzirrhose
- Portale Hypertension
- Hämatologische Grunderkrankung
- Malignom
- Lungenembolie
- Tiefe Beinvenenthrombose
- Intraabdominelle Infektion
- Heparin- induzierte Thrombozytopenie I / II
- Einnahme von Medikamenten wie z. B.: Glukokortikoide, Kontrazeptiva
- Vitamin K
- Angeborene oder erworbene Thrombophilien wie z. B.: Antiphospholipid- Antikörpersyndrom, Antithrombin- III- Mangel, Protein- C-Mangel, Protein-S-Mangel, Prothrombin-Mutation, Faktor-V-Leiden-Mutation (Ghadami 2022)
Bei der chronischen mesenterialen Ischämie ist von der Arteriosklerose in mehr als 95 % die A. mesenterica superior (AMS) betroffen, seltener der Truncus coeliacus (Menges 2022).
Pathophysiologie
Die drei viszeralen Arterien Truncus coeliacus sowie die Arteria mesenterica superior und inferior spielen eine Rolle bei der mesenterialen Ischämie (Schwab 2019).
Beim akuten Mesenterialverschluss ist in 85% die A. mesenterica superior betroffen. Falls es zu einem zentralen Verschluss kommt, entsteht ein Gangrän von der Flexura jejunalis bis zur linken Kolonflexur hin. Bei peripheren Verschlüssen können ausschließlich Dünn- oder Dickdarmsegmente betroffen sein (Schwab 2019).
Bei einer langsamer Entwicklung der arteriosklerotischen Stenose dieser Arterie wird die Zirkulation über Kollaterale sichergestellt. Von daher bleiben diese Stenosen i. d. R. auch asymptomatisch (Herold 2019).
Akute Verschlüsse der AMS hingegen führen meistens zu einem Darminfarkt, können aber auch – bei guter Kollateralisation klinisch stumm bleiben (Herold 2019).
Lokalisation
Am häufigsten ist bei einer mesenterialen Ischämie die A. mesenterica superior betroffen, seltener der Truncus coeliacus ((Menges 2022).
Klinik
In erster Linie klagen die Patienten über
- plötzlich eintretende vernichtende abdominelle Schmerzen (bei der akuten mesenterialen Ischämie)
- diffuse abdominelle Schmerzen (bei der chronischen mesenterialen Ischämie)
- oftmals wässrige Diarrhoen mit oder ohne Blutbeimengungen
- im weiteren Verlauf Besserung der Symptomatik nach 6 – 8 Stunden mit anschließender dramatischer Verschlechterung bis zum Kreislaufversagen und zur Sepsis (Häussinger 2018).
Akute mesenteriale Ischämie (AMI):
Diese kann ohne irgendwelche Vorboten plötzlich als okklusive mesenteriale Ischämie (OMI) auftreten. Mit ca. 70 % wird sie verursacht durch Embolien, seltener (in ca. 30 %) durch eine arterielle Thrombose. Sie kann außerdem das Endstadium einer chronischen mesenterialen Ischämie darstellen (Herold 2019).
Die Stadien der akuten mesenterialen Ischämie werden unterteilt in:
- Initialstadium: Hierbei überwiegen abdominelle Schmerzen, Diarrhoen und Schocksymptomatik. Dieses Stadium kann bis zu 6 h anhalten (Schwab 2019).
- Schmerzarmes Intervall: Auch als sog. „Fauler Frieden“ bezeichnet. Dieses Stadium setzt nach 3-12 h ein und ist gekennzeichnet durch einen dumpfen Abdominalschmerz, Verschlechterung des Allgemeinzustands und Darmparalyse (Schwab 2019).
- Endstadium: Das Endstadium tritt nach ca. 12-24 h auf und zeigt sich in Peritonitis, Ileus, Sepsis sowie Multiorganversagen (Schwab 2019).
Ein akzeptables Behandlungsergebnis kann lediglich in den Stadien 1 und 2 erfolgen (Schwab 2019).
Chronische mesenteriale Ischämie (CMI):
Bei der CMI treten wegen der ausgeprägten Kollateralkreisläufe meistens erst dann Beschwerden auf, wenn mehr als ein Gefäß betroffen ist. Leitsymptom der CMI ist die Angina abdominalis, bei der ca. 20 – 30 min nach einer Nahrungsaufnahme krampfartige abdominelle Schmerzen auftreten, die bis zu 2 h anhalten können (Menges 2022).
Die Patienten vermeiden die Nahrungsaufnahme und können infolgedessen erheblich an Gewicht verlieren (Menges 2022).
Klinisch differenziert man bei der chronischen mesenterialen Ischämie (CMI) zwischen 4 verschiedenen Stadien:
- Stadium I:
Hierbei wird die Stenosierung durch Zufall arteriographisch oder per Duplexsonographie gefunden. Beschwerden bestehen dabei keine (Herold 2019).
- Stadium II:
Es findet sich eine Angina abdominalis mit intermittierenden, ischämiebedingten, postprandialen abdominellen Schmerzen (Herold 2019).
- Stadium III:
In diesem Stadium treten bereits abdominelle Dauerschmerzen und ein Malabsorptionssyndrom auf. Es kann sich außerdem eine ischämische Kolitis entwickeln (Herold 2019).
- Stadium IV:
Im IV. Stadium kommt es zu einem akuten Mesenterialverschluss mit Mesenterialinfarkt. Zeitlich verläuft dieses Stadium in 3 Phasen:
- 1. Phase: Es treten neben Übelkeit auch heftige kolikartige Schmerzen im Mittelbauch auch (Herold 2019).
- 2. Phase: Diese Phase ist gekennzeichnet durch ein relatives beschwerdefreies Intervall, das sich über einige Stunden ausstreckt (Herold 2019).
- 3. Phase: In dieser Phase kommt es zu einem paralytischen Ileus mit Durchwanderungsperitonitis, klinischen Zeichen eines akuten Abdomens. Es bestehen eine Abwehrspannung, diffuser Druckschmerz, Schock und eventuell blutiger Stuhlabgang (Herold 2019).
Diagnostik
Bei der akuten mesenterialen Ischämie handelt es sich um einen Notfall, der der raschen Diagnostik (und Therapie) bedarf, da die Ischämietoleranz des Darms bei nur ca. 3 h liegt (Herold 2019).
Die Anamnese ist von besonderer Bedeutung, da die AKI u. a. auch das Endstadium einer chronischen mesenterialen Ischämie darstellen kann. Außerdem stellen folgende Erkrankungen einen Risikofaktor dar wie z. B.:
- Herzerkrankungen, insbesondere KHK, Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz
- Arterielle Hypertonie
- Hypercholesterinämie
- Diabetes mellitus
- Einnahme von Ergotamin bzw. Digitalis
- Z. n. Aortenaneurysma- OP
- Z. n. Rektumamputation
- Kreislaufschock (Herold 2019)
- Rauchen (Heiss 2018)
Folgende Untersuchungen empfehlen sich:
- Auskultation des Abdomens mit der Frage nach pulssynchronen Stenosegeräuschen, insbesondere im Oberbauch (Herold 2019)
- EKG: Nachweis eines Vorhofflimmerns (Herold 2019)
- Abdomenübersichtsaufnahme: Sie dient in erster Linie zum Ausschluss von freier Luft und einem mechanischen Ileus (Häussinger 2018).
- Abdominelle Sonographie: Hier sollte der Fokus besonders gerichtet sein auf stehende Darmschlingen und freie Flüssigkeit (Herold 2019). Bei einer mesenterialen Ischämie zeigt sich eine ödematös verdickte Darmwand, bei der die Wandschichtung aufgehoben ist (Häussinger 2018).
- Biphasische Kontrastmittel- CT (Angio- CT): Diese Untersuchung stellt die wichtigste Untersuchung zum Nachweis eines arteriellen oder venösen Gefäßverschlusses dar (Herold 2019). Sie hat eine hohe Sensitivität und Spezifität (Menges 2022).
Labor
Differentialdiagnose
- Nicht- okklusive Mesenterialischämie (NOMI):
Hierbei kommt es im Bereich der Mesenterialarterien zu einer Ischämie, ohne dass ein Arterienverschluss vorliegt. Dies kann z. B. durch eine Reduktion des Herzzeitvolumens mit Vasokonstriktion der Splanchnikusgefäße verursacht werden, wie es beispielsweise bei einer Herzinsuffizienz, einem Kreislaufschock, einem Myokardinfarkt, einer chronischen Hämodialyse (Herold 2019), nach Kokainüberdosierung (Kasper 2015) oder nach Herzoperationen mit Einsatz einer extrakorporalen Zirkulation auftreten kann. Begünstigend wirkt hierbei Digitalis (Herold 2019).
- Thrombose der V. portae und V. mesenterica
Diese stellt bei ca. 10 % die Ursache eines Mesenterialinfarktes dar (Herold 2019).
Komplikation(en)/Assoziierte Erkrankungen
Postoperativ können nach einer Darmresektion folgende Komplikationen auftreten
- Kurzdarmsyndrom (Herold 2019)
- Nachblutung durch Heparingabe
- Anastomoseninsuffizienz
- Short-bowl-Syndrome (Jauch 2013)
Therapie allgemein
- Akute mesenteriale Ischämie mit Darminfarkt:
Bei Nachweis eines Darminfarktes ist eine sofortige Laparotomie angezeigt (Näheres s. u. „Operative Therapie“).
- Chronische mesenteriale Ischämie:
Bei Nachweis einer chronischen mesenterialen Ischämie besteht grundsätzlich die Indikation zur Revaskularisierung entweder als endovaskuläre Revaskularisierung = ER oder als offen operative Revaskularisierung = OR. (Menges 2022). Näheres s. u. „Operative Therapie“.
- Pfortaderthrombose:
Hierbei wird ein transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS) angelegt und es erfolgt eine Katheter- Lyse (Herold 2019).
- Nicht- okklusive Mesenterialischämie (NOMI):
Bei einer NOMI erfolgt eine Katheterangiographie mit selektiver i. v. Applikation von Vasodilatatoren wie z. B. Alprostadil oder Epoprostenol plus Heparin in die Arteria mesenterica superior (Herold 2019).
Interne Therapie
Die Sekundärprävention durch Optimierung kardiovaskulärer Risikofaktoren spielt ebenfalls eine große Rolle. Dazu zählen sowohl die medikamentöse Therapie als auch die Optimierung des persönlichen Lebensstils (Menges 2022).
Alle Patienten mit CMI sollten nach endovaskulärer Revaskularisierung eine Sekundärprophylaxe mit einem Thrombozytenaggregationshemmer (für 3 – 12 Monate) und ein Statin erhalten (Menges 2022) wie z. B. Acetylsalicylsäure oder Clopidogrel (Schwab 2019).
Operative Therapie
- Chronische mesenteriale Ischämie:
Hier hat die endovaskuläre Revaskularisierung den Vorzug wegen niedriger Morbidität und geringeren Kosten. Nachteile sind allerdings eine erhöhte Rezidiv- und Reinterventionsrate (Menges 2022).
Die operative Revaskularisierung zeigt eine initial erhöhte perioperative Morbidität, zeigt aber eine bessere Offenheitsrate (Menges 2022).
- Akute mesenteriale Ischämie bzw. Darminfarkt:
Da die Ischämietoleranz des Darms bei ca. nur 3 h liegt, sollte umgehend nach Diagnosestellung eine explorative Laparoskopie erfolgen. In Abhängigkeit des intraoperativen Befundes sind eine Desobliteration, Embolektomie, Bypass- OP oder Stent- PTA erforderlich. Bereits eingetretene Nekrosen des Darms machen immer eine Darmresektion notwendig (Herold 2019).
Verlauf/Prognose
Die Prognose wird im Wesentlichen von der Zeitdauer bis zur Operation bestimmt. Im Stadium II haben Operationen eine gute Prognose, die Operationsletalität liegt bei 5 %. Nach einer 12stündigen Ischämie steigt die Letalität auf 30 % und nach 24 Stunden bereits auf 85%. Begleiterkrankungen, das Alter des Patienten und die Länge des ischämischen Abschnittes spielen zusätzlich bei der Prognose eine Rolle (Herold 2019).
Die Letalität der akuten mesenterialen Ischämie liegt bei ca. 80 % (Häussinger 2018).
Unbehandelt führt eine mesenteriale Ischämie i. d. R. immer zum Tod (Heiss 2018).
Prophylaxe
Um einer mesenterialen Ischämie vorzubeugen, sollten etwaige Arterioskleroserisiken minimiert werden durch Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern wie z. B. ASS. Bei Vorliegen von Vorhofflimmern ist eine Thromboembolieprophylaxe angezeigt (Herold 2019).
Nachsorge
Postoperativ sind regelmäßige Kontrollen unbedingt erforderlich. Diese sollten nach 4 Wochen, 6, 12, 18, und 24 Monaten erfolgen, danach jährlich in Form einer Duplexsonographie erfolgen. Falls der V. a. eine Restenose besteht, empfiehlt sich eine Angio- CT (Menges 2022).
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir
Kopernio

- Ghadimi M, Kalff J C (2022) Allgemein- und Viszeralchirurgie: Spezielle operative Techniken. Elsevier Urban und Fischer Verlag Deutschland 260-261
- Häussinger D (2018) Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie: Kompendium und Praxisleitfaden. Walter de Gruyter Verlag Berlin / Boston 3.10
- Heiss C (2018) Chronische mesenteriale Ischämie. Dtsch Med Wochenschr. 143 (20) 1426 - 1429
- Herold G et al. (2019) Innere Medizin. Herold Verlag 815 - 818
- Jauch K W, Mutschler W, Hoffmann J N, Kanz K G (2013) Chirurgie Basisweiterbildung. In 100 Schritten durch den Common Trunk. Springer Medizin Verlag Berlin / Heidelberg 436
- Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1978 - 1981
- Menges A L, Stoklasa K, Meuli L, Reutersberg B, Zimmermann A (2022) Chronische mesenteriale Ischämie. Gefäßchirurgie 27. 435 - 443
- Schwab R, Germer C T, Lang H (2019) Notfälle in der Allgemein- und Viszeralchirurgie: Kurze Wege zur Therapie
Weiterführende Artikel (19)
Acetylsalicylsäure; Antithrombin-III-Mangel erworbener; Arterielle Hypertonie; Betarezeptorenblocker; Diabetes mellitus ; Heparin; Heparininduzierte Thrombozytopenie; Herzinsuffizienz; Hyperlipidämie; Katecholamine; ... Alle anzeigenDisclaimer
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