Klinefelter-Syndrom Q98.40

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles, Dr. med. Cornelia Paul

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

47; XXY47-Syndrom; XXY-Syndrom; XXY-Syndrome

Erstbeschreiber

Klinefelter, 1942

Definition

Syndrom, u.a. charakterisiert durch testikuläre Entwicklungsstörung mit unterschiedlich stark ausgeprägten körperlichen Merkmalen auf der Grundlage einer numerischen Aberration der Geschlechtschromosomen (in 80% 47, XXY; selten 48, XXYY; 49, XXXXY oder Mosaik 46, XY/47, XXY) durch Nondisjunction entweder in den meiotischen Teilungen während der Keimzellentwicklung oder in frühembryonalen mitotischen Zellteilungen bei der Reifeteilung bei phänotypisch männlichen Individuen.

Vorkommen/Epidemiologie

Häufigkeit: 1:500 männliche Neugeborene bzw. zwischen 2 und 5% bei infertilen Männern (Prävalenz von 0,2%). Fortgeschrittenes Alter der Mutter scheint ein Risikofaktor zu sein.

Klinisches Bild

Präpubertär: keine sicheren Symptome, gelegentlich Oligophrenie. An der Haut findensich fokale Atrophien, Pigmentveränderungen, Knotenbildungen. 

In der Pubertät bzw. postpubertär: obligat kleine Hoden mit Volumina unter 3-5 ml im Sinne eines primären Hodenschadens mit kompensatorisch hypergonadotropem Hypogonadismus ( FSH stark erhöht, LH/ICSH mäßig erhöht oder normal), Azoospermie bzw. hochgradige Oligozoospermie mit meist irreversibler Infertilität (vereinzelt sind Vaterschaften beschrieben worden); fakultativ in 30-50% der Fälle manifester oder latenter Testosteronmangel mit gynoidem Habitus ( Gynäkomastie mit einer möglichen verstärkten Pigmentierung des Mamillen-areola-Komplexes, weibliches Fettverteilungsmuster, weibliche Sekundärbehaarung, erhöhte Stimmlage).  Weiterhin findet sich vermehrt:

  • lange Extremitäten
  • Adipositas 
  • Osteoporose 
  • Intelligenzdefekte 
  • Gefäßdysplasien
  • Ulzera der Unterschenkel
  • Cutis verticis gyrata (selten)
  • Nageldysplasien
  • Warzenförmige Papillen der Haut und Schleimhaut (Krause W 2017)

Patienten mit Klinefelter-Syndrom haben gegenüber einem gesunden Mann ein 50-mal erhöhtes Risiko an einem Brustkrebs zu erkranken (Hultborn R et al. 1996).

 

Diagnose

Molekulargenetische Untersuchung, Familienanamnese, Klinik

Obligat herabgesetztes Hodenvolumen (unter 3–5 ml); Azoospermie oder hochgradige Oligozoospermie, Hypotestosteronämie, FSH-Erhöhung, Hodenbiopsie mit exzessiver Tubulussklerose und Hyperplasie der v. Leydig'schen Zwischenzellen, Mundschleimhautabstrich mit Nachweis eines oder mehrerer Chromatinkörperchen in den Zellkernen, Chromosomenanalyse.

Differentialdiagnose

Sekundärer Hodenschaden, Hodendysgenesie anderer Ursache, Gynäkomastie anderer Ursache.

Therapie

Bei erniedrigtem Testosteronspiegel bzw. LH-Serumspiegeln > 7 mU/ml Beginn mit einer Testosteronsubstitutionstherapie im ca. 11. Lebensjahr, s. Tabelle 1.

Bei den Dosierungen im Kindesalter handelt es sich um Leitlinien, die immer an der Klinik (Längenwachstum, Ossifikation, psychosexuelle Entwicklung) abgeglichen werden müssen. Zur Überwachung der Testosteronsubstitution siehe Kallmann-Syndrom. Die Behandlung muss lebenslang durchgeführt werden. Einen therapeutischen Sonderfall bilden kriminell auffällig gewordene Patienten, die eine sorgfältig überwachte Substitutionstherapie erhalten sollten. Bei Kinderwunsch kann im Hodengewebe nach Spermien gesucht werden und ggf. mittels der TESE-(testicular sperm extraction)-Technik aus einem kleinen Hodenbioptat vitale Spermien für eine Intrazytoplasmatische Spermieninjektion gewonnen werden.

Eine Gynäkomastie bleibt durch die Testosteronsubstitution unbeeinflusst und muss ggf. operativ angegangen werden. Sorgfältige Überwachung dieser Patienten, da das Risiko der Entwicklung eines Mammakarzinoms im Vergleich zu normalen Männern um das 20fache erhöht ist.

Extragonadale Keimzelltumoren (mediastinale nichtseminomatöse Keimzelltumoren, intrazerebrale Keimzelltumoren) müssen operativ angegangen werden.

Tabellen

Testosteronsubstitution bei Klinefelter-Syndrom

Alter

Applikation

Beispielpräparat

Dosierung

11. Lebensjahr

oral

Andriol

40 mg/Tag

Alternativ:

Proviron

12,5 mg/Tag

12. Lebensjahr

oral

Andriol

40 mg 2mal/Tag

Alternativ:

Proviron

12,5 mg 2mal/Tag

ab 13. Lebensjahr

oral

Andriol

40 mg 2mal/Tag

Alternativ:

Proviron

25 mg 2mal/Tag

Alternativ:

i.m.

Testoviron

100 mg/Monat

Erwachsene

i.m.

Testoviron Depot 250 mg

alle 2-3 Wochen

Alternativ:

Testosteron Depot 250 mg

alle 2-3 Wochen

Alternativ:

p.o.

Andriol

2–4 Kps./Tag

Alternativ:

transdermal

Testogel

25-50 mg/Tag

Alternativ:

Androderm

2 Membranen/Tag

Hinweis(e)

X-gebundene Genodermatosen

Die Gene eines der beiden X-Chromosomen bei der Frau sind üblicherweise inaktiviert (Lyonisierung). X-gebundene Dermatosen, die für die männlichen Nachfahren letal sind, können daher nur bei Frauen beobachtet werden. Hierzu zählen folgende Syndrome:

  • Incontinentia pigmenti
  • Fokale dermale Hpoplasie
  • Conradi-Hünermann-Happle-Syndrom
  • Oral-fazial-digitales Syndrom
  • MIDAS (Microphthalmie, dermale Aplasie, Sclerocornea)-Syndrom.

Weitere nicht-letal verlaufende x-chromosomal gebundene Erkrankungen sind:

  • Hypohidrotische ektodermale Dysplasie Christ-Siemens-Touraine
  • IFAP-Syndrom (Ichthyosis, follikuläre Alopezie, Photophobie)   
  • Dyskeratosis congenita
  • Da beim Klinefelter-Syndrom 2 oder > 2 X-Chromosomen vorhanden sind, besteht die Möglichkeit, dass auch männliche Kinder mit einem der für männliche Nachfahren letalen Krankheitsbilder überleben. Beschrieben wurden eine Incontinentia pigmenti und eine fokale Hypoplasie (Krause W 2017)

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Amory JK (2000) Klinefelter's syndrome. Lancet 356: 333-335
  2. Christiansen P (2003) Longitudinal studies of inhibin B levels in boys and young adults with Klinefelter syndrome. J Clin Endocrinol Metab 88: 888-891
  3. De Geyter CH et al. (1996): Assistierte Fertilisation. In: Nieschlag, E., Behre HM (Hrsg.) Andrologie - Grundlagen und Klinik der reproduktiven Gesundheit des Mannes. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, S. 350–353
  4. Hultborn R et al. (1997) Prevalence of Klinefelter's syndrome in male breast cancer patients. Anticancer Res 17:4293-4297. 
  5. Keller K et al. (2001) Klinefelter syndrome and cutis verticis gyrata. Am J Med Genet 103: 249-251
  6. Klinefelter HF, Reifenstein EC Jr, Albright F Jr (1942) Syndrome characterized by gynaecomastia, aspermatogenesis without A-Leydigism and increased excretion of follicle-stimulating hormone. Journal of Clinical Endocrinology (Baltimore) 2: 615-627
  7. Krause W (2017) Hautkrankheiten beim Klinefelter-Syndrom. Hautnah Dermatologie 33:32-35     

  8. Nieschlag E et al. (1996): Störungen im Bereich der Testes. In: Nieschlag E, Behre HM (Hrsg.) Andrologie - Grundlagen und Klinik der reproduktiven Gesundheit des Mannes. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, S. 153–154 u. 315–329

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