NSAR-Überempfindlichkeit

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

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Synonym(e)

Allergie auf nicht steroidale Antiphlogistika; Allergie auf nicht steroidale Antirheumatika; Aspirin-hypersensitivity; Aspirin-Intoleranz; Morbus Widal/Samter-Trias; Nonsteroidal anti-inflammatory drugs; NSAID idiosyncrasy; NSAIDs; NSAR-Allergie; NSAR-Intoleranz; Überempfindlichkeit auf nicht steroidale Antiphlogistika; Überempfindlichkeit auf nicht steroidale Antirheumatika

Definition

Nicht steroidale Antirheumatika gehören zu den weltweit am häufigsten verordneten Pharmaka und machen etwa 10% des weltweiten Apothekenumsatzes aus (Wedi B 2017).

Grundsätzlich können NSARs alle eine große Breite an allergischen Reaktionstypen auslösen, am häufigsten sind jedoch nicht-immunologische Sofortreaktionen mit kutaner (Urtikaria/Angioödem) und/oder respiratorischer Symptomatik (Rhinitis, Asthma bronchiale) sowie anaphylaktische Reaktionen. 

Kenntnis und Management der NSAR-Überempfindlichkeiten sind somit von großer klinischer Bedeutung.

Bei den (nicht-immunologisch) ausgelösten kutanen NSARs (NECD) stehen die Sofortreaktionen auf Ibuprofen, Diclofenac, Acetylsalicylsäure im Vordergrund.

Bei den ausgelösten respiratorischen Sofortreaktionen (NERD) dominiert die Acetylsalicylsäure (Kowalski ML et al. 2011). COX-2-Inhibitoren (Celecoxib, Etoricoxib, Parecoxib) verursachen sehr selten Überempfindlichkeitsreaktionen.

Bei den selteneren immunologischen Spätreaktionen werden versch. Mechanismen unter Beteiligung von T-Zellen (Typ IV-Reaktionen - SNIDR), zytotoxischer T-Zellen  und NK-Zellen in Erwägung gezogen. Klinisch imponieren lichenoide Arzneimittelexantheme, schwere systemische Arzneimittelreaktionen (SCAR) wie Erythema multiforme, Stevens-Johnson-Syndrom, Toxische epidermale Nekrolyse (TEN) und „Drug reaction with eosinophilia and systemic symptoms“ (DRESS) die nicht selten durch eine akute tubulointerstitielle Nephritis bedrohlich werden. 

Einteilung

Nach dem Zeitpunkt des Auftretens:

  • Kutane und/oder respiratorische Sofortreaktionen (Auftreten innerhalb von Minuten oder Stunden; der weitaus häufigste Reaktionstyp)
  • Verzögerte Reaktionen (Auftreten innerhalb von > 24 Stunden)

Nach ätiopathogenetischer Reaktionsform:

  • Nicht-immunologische Auslösung: Dysbalance im Arachidonsäuremetabolismus. Arachidonsäure wird mittels Phospholipasen aus den Phospholipiden der Zellmembranen von Eosinophilen, Mastzellen und Leukozyten bereitgestellt. Über Lipoxygenasen und Cyclooxygenasen (COX) werden wahlweise zwei Stoffwechselwege beschritten, deren Produkte z.T. antagonistisch wirken. Über den Leukotrien-C4- (LTC4) Cyclooxygenase-Stoffwechselweg werden Prostaglandine (z.B. Prostaglandin E2) gebildet. Über den Lipoxygenase-Stoffwechselweg werden Peptidleukotriene (PLT) gebildet. PLT wirken im Gegensatz zu Prostaglandinen bronchospastisch und schleimbildend. Patienten mit NSAR-Überempfindlichkeit  neigen zu überschießender Bildung von PLT, wahrscheinlich bedingt durch eine verstärkte Aktivität der LTC4-Synthetase (Ursache: Möglicher Polymorphismus der Gensequenz der LTC4-Synthetase auf Chromosom 5q). Bei den Patienten mit AIS wurde nach Gabe von NSARs ein "Shifting" (ungebremster Wechsel) zum Lipoxygenase-Stoffwechselweg beschrieben.
  • Immunologische Auslösung: echte (selten) T-Zell-mediierte, Typ IV- Arzneimittelexantheme; echte (sehr selten) IgE-vermittelte Typ I-Reaktionen (Urtikaria/Angioödem). 

 

Nach neuerer Nomenklatur werden unter dem Begriff NSAR-Überempfindlichkeit (auch NSAID-Überempfindlichkeit/-Hypersensititvität/-Intoleranz) 5 unterschiedliche Entitäten zusammengefasst:

  • NECD: NSAID exacerbated cutaneous disease (Verschlechterung von zugrunde liegender Urtikaria /Angioödem durch NSARs.
  • NIUA: NSAIDs-induced urticaria-angioedema (Urtikaria /Angioödem die durch NSARs ausgelöst werden).
  • NERD: NSAIDs exacerbated respiratory disease (alle durch NSARs ausglösten respiratorischen Überempfindlichkeiten)
  • SNIDR: Single-NSAID-induced delayed reactions (echte T-Zell-mediierte Arzneimittelreaktionen)
  • SNIUAA: Single-NSAID-induced urticaria/angioedema oder anaphylaxis (sehr seltene, echte IgE-vermittelte allergische Reaktionen auf NSARs - z.B. Diclofenac, Ibuprofen)

Vorkommen/Epidemiologie

Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) sind die zweithäufigsten Auslöser einer Arzneimittelüberempfindlichkeitsreaktion bei Erwachsenen und Kindern. Weiterhin gilt diese Medikamentengruppe als zweithäufigste Ursache einer arzneimittelbedingten Anaphylaxie. In den USA wurde die Ein-Jahres-Inzidenz einer unerwünschten Arzneimittelreaktion (UAW) bezogen auf die Verordnungen von NSAR mit 1,7% angegeben (Blumenthal KG et al. 2017). Bis zu 2% der erwachsenen Allgemeinbevölkerung ist von einer Acetylsalicylsäure-Überempfindlichkeit betroffen.

Bei vorbekanntem Asthma bronchiale wird die Prävalenz einer NSAR-Überempfindlichkeit mit 4-11% angegeben (Kowalski ML et al. 2011). Bei Kindern liegt sie mit 5% deutlich niedriger (Jenkins C et al. 2004)

Bei vorbekanntem Asthma bronchiale und Polyposis nasi beträgt die Prävalenz einer Überempfindlichkeit auf Acetylsalicylsäure 26% (früher als Samter-Trias, heute als NERD bezeichnet - Kim JE et al. 2007).

Bei vorbekannter Urtikaria wird die Prävalenz einer Überempfindlichkeitsrate auf Acetylsalicylsäure mit 27-35% angegeben (Grattan CE 2003). Bei Kindern liegt sie bei 25% (Wedi B 2017).

Ätiopathogenese

Der definitive Mechanimus der NSAR-Überempfindlichkeit (-Intoleranz) ist nicht endgültig geklärt. Wahrscheinlich kommt es durch die NSAR-COX-Blockade zu einer massiven Überproduktion von Prostaglandin E2 (Laidlaw TM et al. 2016). 

Diagnose

Sorgfältige Anamnese, Hauttestungen, stationäre Plazebo-kontrollierte Provokationsverfahren in Notfallbereitschaft, Laboruntersuchungen (Basophilenaktivierungstest, meist nur geringe Relevanz). Bei respiratorischen Reaktionen sind auch nasale oder bronchiale Provokationen möglich (Wedi B 2017). Bei schwerer Indexreaktion ist eine sorgfältige Risikobewertung vorzunehmen. Kreuzreaktionen sind auszuschließen (betrifft NSAR der selben Arzneigruppe z.B. COX-1-Hemmer). Alternativ sind Ausweichtestungen zu empfehlen.

Spätreaktionen: Sorgfältige Anamnese, Hautbiopsie, Epikutantestung, stationäre Placebo-kontrollierte Provokationsverfahren (Goldstandard), Laboruntersuchungen (meist nur geringe Relevanz z.B der LTT). Alternativ sind Ausweichtestungen zu empfehlen.

 

Allergologische Fachanamnese mit folgenden Fragen (variiert n. S. Wöhrl 2018)

Reaktionsmuster:

  • Hauttyp (Pruritus, Urtikaria, Angioödem)
  • Respiratorischer Typ (Husten, Asthma bronchiale, Atemnot, Rhinorrhö, Blockade der Nasenatmung)
  • Echte Anaphylaxie (Blutdruckabfall, Bewusstseinsverlust, notärztliche Maßnahmen)

 

Anzahl der Episoden, auslösende Dosis:

  • Anzahl der Episoden
  • Auslösende Dosis (Patienten mit NERD reagieren mit deutlich geringerer Dosis als Patienten mit NECD/NUA.
  • Hinweise auf Kreuzreaktionen
  • >3 Episoden auf versch. NSAR impliziert eine hohe Wahrscheinlichkeit auf NSAR-Überempfindlichkeit.

Vorbestehende Grunderkrankung:

  • Chronische spontane Urtikaria
  • Asthma bronchiale
  • Nasale Polypen
  • Chronische Rhinosinusitis

Auszuschließende Differenzialdiagnosen:

  • Urtikaria/Angioödem oder Asthma anderer Genese 

 

 

Therapie

Bei gesicherter NSAR-Überempfindlichkeit wird eine lebenslange Karenz empfohlen. Es empfiehlt sich bei Überempfindlichkeit gegen einen COX-1- Hemmer, alle COX-1-Hemmer zu meiden, da hier Kreuzrektionen wahrscheinlich sind. Dies gilt in analoger Weise auch für COX-2-Hemmer. Alternative Ausweichpräparate sind Opioid-Analgetika wie Tramadol und Tilidin.   

Bei gesicherter respiratorischer Sofortreaktion sowie einer chronischen Rhinosinusitis mit Nasenpolypen wird eine Toleranzinduktion (adaptive Desaktivierung) mit Acetylsalicylsäure empfohlen (Beule A et al. S2k-Leitlinie Rhinosinusitis;). Die Toleranzinduktion ist bei >90% der Patienten erfolgreich (Cortellini G et al. 2017). Nach der Toleranzinduktion ist eine tägliche Einnahme erforderlich, da die Toleranz sonst nach 2-5 Tagen wiederum verschwindet. Sie eignet sich somit insbes. für Pat. Mit koronarer Herzerkrankung, die einen täglichen Bedarf an ASS haben (s. a. Salicylatintoleranz).

Prophylaxe

Meidung der in Frage kommenden NSAR. Ausweichtestungen mit klinisch relevanter Dosierung für eine alternative Therapie.  Paracetamol wird i.A. bei  NSAR-Überempfidlichkeit vertragen.    

Hinweis(e)

Arzneimittelreaktionen gegenüber NSAR werden uneinheitlich beschrieben als Überempfindlichkeit, Hypersensitivity, Idiosynkrasie, Intoleranz. International wird am häufigsten der Begriff Überempfindlichkeit oder Hypersensitivity verwendet.

NSAR kommen in Nahrungsmitteln nicht vor. Der Nutzen einer salicylatarmen Kost bei gesicherter Überempfindlichkeit gegenüber Acetylsalicylsäure ist nicht belegt (Wedi B 2017).

Da der Mechanismus der nicht-immunologischen NSAR-Überempfindlichkeit die COX-1-Hemmung ist,  werden klassischee Haut-Allergietestungen negativ bleiben und können nicht empfohlen werden!  

Beweisend sind orale Provokationstestungen in steigender Dosierung (z.B. ASS 50-250-500-1000mg). Für andere NSAR gelten: 1/10 -1/2-1/1/1 der Normaldosierung.

Provokationstestungen sollten nur unter stationären Bedingungen erfolgen! 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Cortellini G et al. (2017) Clinical approach on challenge and desensitization procedures with aspirin in patients with ischemic heart disease and nonsteroidal anti-inflammatory drughypersensitivity. Allergy 72: 498-506. 
  2. Grattan CE (2003) Aspirin sensitivity and urticaria. Clin Exp Dermatol 28:123-127. 
  3. Jenkins C et al. (2004) Systematic review of prevalence of aspirin induced asthma and its implications for clinical practice. BMJ 328:434.
  4. Kim JE et al. (2007) The prevalence of Samter's triad in patients undergoing functional endoscopicsinus surgery. Ear Nose Throat J 86:396-399.
  5. Kowalski ML et al. (2011) Hypersensitivity to nonsteroidal anti-inflammatory drugs (NSAIDs) classification, diagnosis and management: review of the EAACI/ENDA(#) and GA2LEN/HANNA*. Allergy 66:818-29. 
  6. Laidlaw TM et al. (2016) Aspirin-Exacerbated Respiratory Disease--New Prime Suspects.
    N Engl J Med 374:484-488.
  7. Wedi B (2017) Aktuelle Diagnostik der NSAR-Überempfindlichkeit.   Allergo J Int 26: 204-211
  8. Wöhrl S (2018) NSAID-Überempfindlichkeit -Empfehlungen zu Diagnostik und Patientenmanagement. Allergo J Int 27: 113-121

 

Disclaimer

Bitte fragen Sie Ihren betreuenden Arzt, um eine endgültige und belastbare Diagnose zu erhalten. Diese Webseite kann Ihnen nur einen Anhaltspunkt liefern.

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