Myeloische Neoplasien mit Eosinophilie D72.1, C47.5

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

Co-Autor: Christoph Rose

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Zuletzt aktualisiert am: 09.12.2024

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Synonym(e)

Eosinophilie - assoziierte Myeloproliferative Erkrankungen; MPN-Eo

Definition

Myeloische Neoplasien mit Eosinophilie sind eine klinisch, morphologisch, genetisch und prognostisch heterogene Gruppe von klonalen Erkrankungen, die wie folgt gekennzeichnet sind:

  • initial eine dauerhafte Vermehrung von klonalen eosinophilen Granulozyten im peripheren Blut
  • ein hyperzelluläres Knochenmark
  • ggf. eine Splenomegalie (Valent Pet al. 2012)

Morphologisch ist die Beurteilung der qualitativen und quantitativen Veränderungen der nicht-eosinophilen Reihen (Megakaryozyten, Monozyten, Mastzellen, Blasten) und der Knochenmarkfibrose bedeutsam. Mittels molekulargenetischer Untersuchungen werden zytogenetische Aberrationen (z.B. reziproke Translokation, Deletion, Inversion, Trisomie, komplexer Karyotyp), Rearrangierungen von Genen (FISH-Analyse), Fusionsgene (FISH-Analyse, RT-PCR) oder Mutationen (allelspezifische PCR, NGS) in die Diagnose miteinbezogen. Die ursächlichen genetischen Aberrationen sind durch ein unterschiedlich hohes Risiko für eine Progression in eine myeloische oder lymphatische Blastenphase (mit entsprechend ungünstiger Prognose) gekennzeichnet.

Hinweis: Bei Vorliegen einer signifikanten und persistierenden Eosinophilie im peripheren Blut, eines hyperzellulären Knochenmarks und einer Splenomegalie wird bis zum Nachweis einer morphologisch bzw. molekulargenetisch klar definierten Entität zunächst der Überbegriff „myeloische Neoplasie mit Eosinophilie“ verwendet.

Einteilung

Die WHO definiert zwei Gruppen von Entitäten (Swerdlow SH et al. (2016):

Die „myeloische/lymphatische Neoplasie mit Eosinophilie (+ Rearrangierung von PDGFRA, PDGFRB , FGFR1  oder  PCM1-JAK2 Fusionsgen“).  

Chronische Eosinophilenleukämie (CEL)´not otherwise specified´ (CEL, NOS). Die „CEL, NOS“  wird diagnostiziert, wenn mittels Zytogenetik (z.B. Deletion, Trisomie, Monosomie, komplexer Karyotyp) oder Molekulargenetik (z.B. Mutation durch Allel-spezifische PCR oder NGS) ein klonaler Marker oder eine Vermehrung von Blasten nachweisbar ist.

 

Vorkommen/Epidemiologie

Primäre, neoplastische (klonale) Eosinophilien sind bei 5-20% der Patienten mit persistierender Eosinophilie nachweisbar (Jovanovic JV et al. 2007; Pardanani A et al. 2004). Bei der großen Mehrzahl der Patienten mit Eosinophilie handelt es sich jedoch um eine reaktive, nicht-klonale Eosinophilie.

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Ätiopathogenese

Die Diagnose einer primären, neoplastischen Eosinophilie wird durch den Nachweis ursächlicher genetischer Aberrationen, die die Kriterien einer myeloischen Neoplasie erfüllen, gesichert. Für die klonalen Eosinophilien sind v.a. Fusionsgene unter Beteiligung von Tyrosinkinasen sowie versch. Mutationen pathogenetisch bedeutsam. Grundsätzlich gilt, dass bei einer persistierenden unklaren Eosinophilenvermehrung, v.a. im Zusammenhang mit Splenomegalie, Leukozytose oder einem thromboembolischen Ereignis eine Klonalität stets abgeklärt werden sollte.

Reaktive, nicht-klonale Eosinophilien treten z.B. bei Allergien, Autoimmunerkrankungen oder reaktiv bei Neoplasien (z.B. bei Lymphomen, Karzinomen, Sarkomen oder selten beim Melanom) auf.

Komplikativ kann in beiden pathogenetischen Gruppen (reaktive Gruppe, primär neoplastische Gruppe) ein Hypereosinophilie-Syndrom auftreten. Beim Hypereosinophilie-Syndrom handelt es sich um eine (unspezifische) multiätiologische Konstellation, eine durch Eosinophile verursachte Multisystembeteiligung. Klinische Kennzeichnen sind  eine eine persistierende Eosinophilie  +  ein durch eine eosinophile Infiltration herbeigeführter Organschaden.

Klinisches Bild

Patienten mit klonaler Eosinophilie können lange beschwerdefrei bleiben. Aber auch unspezifische Allgemeinsymptome wie Fatigue, Nachtschweiß, Gewichtsverlust und Splenomegalie können das Bild mitbestimmen. Eosinophiliebedingte Organmanifestationen  treten bei klonaler Eosinophilie mit einer Inzidenz von ca. 10% auf. Weitere bedeutsame Komplikation sind Thromboembolien (arteriell, kardial, venös). Diagnostisch wichtig ist, dass der monotopische Befall versch. Organe (Lunge, Darm, Haut) fast nie mit einer klonalen Eosinophilie assoziiert ist.

Ein wichtiges klinisches und diagnostisches Kriterium für eine reaktive Esoinophilie ist das gute Ansprechen auf Kortikosteroide. Weiterhin gilt: Je mehr Organe involviert sind, desto wahrscheinlicher ist eine reaktive Eosinophilie.

Folgende Organe sind bei Eosinophilie-assoziierten myeloproliferativen Erkrankungen beteiligt:

Lunge: Eine pulmonale Beteiligung ist aus diagnostischer (eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis) und therapeutischer Sicht (Einsatz von Kortikosteroiden) differenziert zu betrachten (z.B. Asthma bronchiale, eosinophile Lungeninfiltrate, Pleuraerguss, Lungenfibrose). Cave: Asthma bronchiale und Polyneuropathie sind wichtige diagnostische Kriterien für die eosinophile Granulomatose mit Polyangiits (EGPA, vormals Churg-Strauss-Syndrom).

Haut: Eosinophile Hautveränderungen (Hypereosinophile Dermatitis) kennzeichnen sich durch einen anfallsartigen oder persistierenden Juckreiz sowie durch urtikarielle Erscheinungen. Weiterhin treten reaktive Histoeosinophilien bei einer Vielzahl von dermatologischen Hauterscheinungen auf (s. dort).  

Milz: Splenomegalie - Eine isolierte Splenomegalie ist typisch für eine klonale Eosinophilie. Sie wird bei der reaktiven Eosinophilie nicht beobachtet.

Herz: Endokarditis/Myokarditis/Myokardfibrose sind Zeichen für eine kardiale Beteiligung bei längerzeitig bestehender Hämatoeosinophilie.

Magen-Darmtrakt: Eosinophile Ösophagitis, Gastritis und Kolitis. Bemerkung:  Eine eosinophile Kolitis ist die häufigste Fehldiagnose einer Darminfiltration bei der systemischen Mastozytose (Mastzellen sind bei konventionellen Färbungen nicht erkennbar).

Lymphknoten: Eosinophile Lymphadenopathie - Diese eosinophile Manifestation ist dringend abklärungsbedürftig. Abzuklären und auszuschließen sind v.a. ein Lymphom (Eosionphilie klonal oder reaktiv!) oder eine systemische Mastozytose (v.a. retroperitoneale Lymphknoten).

Diagnostik

  • Blutbild mit persistierender Eosinophilie
  • Leukozytose mit/ohne Linksverschiebung
  • Klonale Eosinophilie: Tryptase erhöht (typisch für TK-Fusionsgene, meist < 100µg/l, > 100µg/l ziemlich sicher SM)
  • LDH erhöht (Zellumsatz, klonal und reaktiv)
  • AP erhöht (typisch für Systemische Mastozytose)
  • IgE erhöht (myeloische Neoplasie eher unwahrscheinlich)
  • Autoantikörper (myeloische Neoplasie eher unwahrscheinlich)
  • Vitamin B12 erhöht (erhöhte Bildung von Haptocorrin, welches Vit. B12 im Serum und Gewebe bindet, unspezifisch bei allen MPN)
  • KM-Histologie: Beurteilung der nicht-eosinophilen Zellreihen!  Zellularität, Dysplasie, Megakaryozyten, Monozyten, Mastzellen, Blasten sowie Fibrose entscheiden die Frage der Klonalität der Eosinophilie.
  • Genetik: RT-PCR- oder FISH-Analyse
  • T-Zell-Klonalität (aberrante T-Zellen durch FACS-Analyse, T-Zell-Rezeptor-Rearrangierung durch PCR)
  • Technische Untersuchungen: Sonographie, Echokardiographie; CT; MRT, Kardio-MRT
  • Bei Verdacht auf Beteiligung der Lunge oder bei Multiorganbeteiligung: Endoskopie/BAL/Histologie,  Gastro-/Koloskopie); Neurologie (PNP, MRT); Haut (Hautbiopsie)

Bildgebung

Sonographie, Echokardiographie; CT, MRT; Kardio-MRT

Differentialdiagnose

Reaktive (nicht klonale) Eosinophilie 

Bemerkung: Die wichtigste differentialdiagnostische Aufgabe ist die Trennung zwischen klonaler und reaktiver Eosinophilie. Innerhalb der klonalen Eosinophilie gibt es wichtige Unterscheidungen zwischen chronischen myeloischen Neoplasien in chronischer Phase oder Blastenphase und akuten, meist myeloischen Leukämien

Die differentialdiagnostische Abgrenzung innerhalb der reaktiven Eosinophilie mit ihrer Vielzahl von Ursachen ist schwierig. Am wichtigsten erscheint die Diagnose der Eosinophilie-assoziierten Autoimmunerkrankung, mit der eosinophilen Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA).

Weiterhin ist die systemische Mastozytose (Tryptase, CD117, CD25) abzugrenzen. 

Verlauf/Prognose

Die Prognose der klonalen Eosinophilien ist abhängig vom Subtyp, der genetischen Aberration und dem Erkrankungsstadium. Die beste Prognose haben Patienten mit PDGFRA / -B Fusionsgenen, unabhängig vom Krankheitsstadium. Deutlich schlechter ist, aufgrund der hohen Raten an primären und sekundären Blastenphasen, die Prognose bei Nachweis von FGFR1 Fusionsgenen. Das Langzeitüberleben von Patienten mit CEL-NOS ist aufgrund der begrenzten Therapiemöglichkeiten und der zumeist raschen Progression in eine Blastenphase mit 1-2 Jahren kurz. Bei allen anderen myeloischen Neoplasien mit Eosinophilie lassen sich häufig prognostisch ungünstige somatische Mutationen nachweisen.

Hinweis(e)

Die Molekulardiagnostik hat bei der Entschlüsselung der genetischen Grundlagen von myeloischen Neoplasmen mit Eosinophilie erhebliche Vorteile gebracht. Die Familie der Krankheiten, die durch dysregulierte Fusions-Tyrosinkinase (TK)-Gene entstehen, wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter der Kategorie "Myeloische/lymphoide Neoplasmen mit Eosinophilie und Rearrangement von PDGFRA, PDGFRB oder FGFR1 oder mit PCM1-JAK2" geführt.

Neben myeloproliferativen Neoplasien (MPN) können diese Patienten auch ein myelodysplastisches Syndrom/MPN sowie de novo oder sekundäre Leukämien oder Lymphome mit gemischtem Phänotyp aufweisen.

Eosinophilie ist ein häufiges, aber nicht unveränderliches Merkmal dieser Erkrankungen. Der natürliche Verlauf von Neoplasmen mit PDGFRA- und PDGFRB-Arrangement hat sich durch Imatinib dramatisch verändert.

Im Gegensatz dazu weisen Patienten mit FGFR1- und JAK2-Fusions-TK-Genen einen aggressiveren Verlauf und eine unterschiedliche Empfindlichkeit gegenüber den aktuellen Tyrosinkinase-Inhibitoren auf, und in den meisten Fällen kann ein langfristiges krankheitsfreies Überleben nur durch eine allogene hämatopoetische Stammzelltransplantation erreicht werden.

Ähnlich schlechte Prognosen können bei FLT3- oder ABL1-Rearrangements (die beide häufig mit ETV6 vergesellschaftet sind) beobachtet werden, und es sind weitere Untersuchungen erforderlich, um ihre Aufnahme in die derzeit von der WHO definierte Gruppe der Eosinophilie-assoziierten TK-Fusions-Neoplasmen zu bestätigen.

Die Diagnose chronische eosinophile Leukämie, nicht anderweitig spezifiziert (CEL, NOS) wird Patienten mit myeloproliferativen Neoplasien (MPN) mit Eosinophilie und unspezifischen zytogenetischen/molekularen Anomalien und/oder vermehrten Myeloblasten zugewiesen.

Myeloide Mutations-Panels haben somatische Varianten bei Patienten mit der vorläufigen Diagnose einer Hypereosinophilie von unbestimmter Bedeutung identifiziert und einige dieser Fälle als Eosinophilie-assoziierte Neoplasmen reklassifiziert.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Cross NCP et al. (2019) Recurrent activating STAT5B N642H mutation in myeloid neoplasms with eosinophilia. Leukemia 33:415-425.
  2. Jovanovic JV et al. (2007) Low-dose imatinib mesylate leads to rapid induction of major molecular responses and achievement of complete molecular remission in FIP1L1-PDGFRA-positive chronic eosinophilic leukemia. Blood 109:4635-4640.
  3. Metzgeroth G et al. (2007) Recurrent finding of the FIP1L1-PDGFRA fusion gene in eosinophilia-associated acute myeloid leukemia and lymphoblastic T-cell lymphoma. Leukemia 21:1183-1188.
  4. Pardanani A et al. (2004) FIP1L1-PDGFRA fusion: prevalence and clinicopathologic correlates in 89 consecutive patients with moderate to severe eosinophilia. Blood 104:3038-3045.
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  6. Reiter A et al. (2005) The t(8;9)(p22;p24) is a recurrent abnormality in chronic and acute leukemia that fuses PCM1 to JAK2. Cancer Res 65:2662-2667.
  7. Reiter A et al. (2017) Myeloid neoplasms with eosinophilia. Blood 129:704-714.
  8. Schwaab J et al. (2015) KIT D816V and JAK2 V617F mutations are seen recurrently in hypereosinophilia of unknown significance. Am J Hematol 90:774-777.
  9. Swerdlow SH et al. (2016) WHO Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues. WHO press 4th edition.
  10. Valent Pet al. (2012) Contemporary consensus proposal on criteria and classification of eosinophilic disorders and related syndromes. J Allergy Clin Immunol130:607-612
  11. Wang SA et al. (2016) Targeted next-generation sequencing identifies a subset of idiopathic hypereosinophilic syndrome with features similar to chronic eosinophilic leukemia, not otherwise specified. Mod Pathol 29:854-864.
  12. Zaliova M et al. (2016) Characterization of leukemias with ETV6-ABL1 fusion. Haematologica 101:1082-1093.

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