Prurigo simplex subacutaL28.2

Autoren:Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles, Pia Nagel

Alle Autoren dieses Artikels

Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

acne frontalis; Acne necrotica; Acne urticata; acne varioliformis; Chronic Prurigo; Chronische Prurigo; Lichen urticatus; Lichen Vidal urticatus; Necrotizing lymphocytic folliculitis; Prurigo simplex acuta et subacuta adultorum; Prurigo simplex chronica; Strophulus adultorum; subakute Prurigo; Urticaria papulosa chronica; Urticaria perstans

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Erstbeschreiber

Hebra 1874

Definition

Eminent chronische, polyätiologische, endogen ausgelöste, häufig mit unerträglichem Juckreiz 0der auch Schmerz-Juckreiz einhergehende, papulöse, entzündliche Erkrankung der Haut mit typischem, disseminierten, symmetrischem Verteilungsmuster.

Die chronische Prurigo geht mit einer charakteristischen, umschriebenen Beantwortung (Auslöffeln, Ausbohren, Quetschen) eines als "punktförmig" empfundenen Juckreizes (auch stechender oder schmerzender "Juckreiz") einher, sowie mit den durch den stetig wiederholten Kratzvorgang induzierten, zentral ulzerierten und verkrusteten charakteristischen Papeln, Plaques oder Knoten. Im Allgemeinen ist mit dieser Erkrankung eine erhebliche Beeinträchtiung der Lebensqualität verbunden. 

Ätiopathogenese

Ursache letztlich unbekannt.

Zahlreiche auslösende Faktoren werden diskutiert:

  • Hormonelle Störungen, Magen-Darm-Störungen, Leberfunktionsstörungen, gynäkologische Störungen, Fokalinfektionen, neurologisch, psychiatrisch-psychosomatische Störungen.
  • Glutensensitivität
  • Da die Erkrankung refraktär gegenüber Antihistaminika ist, werden nichthistaminerge Pathomechnamismen diskutiert.
  • Weiterhin werden auch eine allergische Diathese sowie Zusammenhänge mit der atopischen Dermatitis in Erwägung gezogen.

Abzuklären sind weiterhin Nervenwurzelirritationen durch degenerative Veränderungen der hinsichtlich des Verteilungsmusters in Frage kommenden Rückenwirbel. Morphologische Studien konnten eine dermale Hyperplasie zeigen, die durch die Freisetzung von Neuropeptiden wie Nervenwachstumsfaktor, Substanz P und Calcitonin-gene related peptide bedingt sind.  

S.a.u. Prurigo diabeticaPrurigo gestationisPrurigo hepaticaPrurigo lymphaticaPrurigo chronica multiformis. Inwieweit die Krankheitsbilder echte Varianten der Prurigo simplex subacuta darstellen, oder ob nur der Juckreiz den gemeinsamen Hintergrund darstellt, bleibt offen.

Weiterhin wurden in der Vergangenheit noch folgende Bezeichnungen genutzt:

  • Prurigo uraemica
  • Prurigo lymphatica
  • Prurigo lymphogranulomatotica (Hodgkin-Lymphom). 

Manifestation

Vor allem bei Frauen zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr oder nach der Menopause auftretend; bei Männern meist nach dem 60. Lebensjahr. Keine saisonale oder regionale Bevorzugung.

Lokalisation

Meist sind Oberarmstreckseiten, obere Rückenpartie, Gesäß, Außenseite der Oberschenkel, Brustregion betroffen, seltener das Gesicht. Selten generalisiert auftretend. Üblicherweise frei sind die Hautpartien die mit den Händen schwer oder überhaupt nicht zu erreichen sind (z.B. Hautpartie zwischen den Schulterblättern). Stets frei bleiben Schleimhäute, Handflächen und Fußsohlen.

Klinisches Bild

Meist buntes klinisches Bild mit scharf begrenzten, einzeln stehenden, nie konfluierenden Effloreszenzen unterschiedlicher Akuität, von frisch zerkratzt bis narbig abgeheilt.

  • Primäreffloreszenzen sind meist nicht nachweisbar! Möglicherweise existieren auch keine Primäreffloreszenzen. Beschrieben wurden: urtikarielle, eminent juckende, 0,2-0,5 cm große, rote, urtikarielle Papeln, die eine gewisse Distanz zueinander nicht unterschreiten.  Der untersuchende Arzt findet derartige "Vorläufereffloreszenzen" nicht, und muss sich mit der Angabe über einen stechend-quälenden, punktförmigen Juckreiz in normal erscheinender Haut begnügen.
  • Residualbefund (typischer klinischer Befund): 0,3-0,5 cm große, zentral zerkratzte (ausgelöffelte) und mit einer Kruste oder einem frischen Granulationsgewebe bedeckte, flach erhöhte, rote oder rotbraune, scharf begrenzte Papeln/Erosionen/Ulzera. Typischerweise finden sich keine linearen Kratzspuren auf der umgebenden Haut (wie z.B. bei der atopischen Dermatitis). Auch breiten sich die Erosionen nicht auf die periläsionalen Hautpartien aus. 
  • Narben: Daneben finden sich je nach Dauer der Krankheitssymptomatik unterschiedlich alte, weiße oder noch gerötete Narben, die die exakte Größe der vorbestandenen Prurigopapel abbilden.
  • Juckreiz: Typisch ist ein punktueller, unangenehm stechender Juckreiz, der mit einer ebenso gezielten und typischen, tiefen Kratzreaktion (Auslöffeln) beantwortet wird; danach schlagartiges Sistieren des Juckreizes.
  • Kratzautomatismen: Nicht selten entwickeln sich schwer zu unterbrechende Kratzautomatismen.
  • Merke! Nicht die "störenden Effloreszenzen" sondern der lokalisierte, punktförmige, quälende Juckreiz führen zum Arzt!

Histologie

Ausgeprägte irreguläre Hyperplasie der Epidermis mit Verlängerung der Reteleisten. Häufig sieht man flache zentrale Ulzerationen mit frischem Granulationsgewebe und aufgeworfenen epidermalen Rändern. In der papillären Epidermis findet sich ein gemischtes (unspezifisches) Entzündungsinfiltrat evtl. mit neutrophilen und auch eosinophilen Leukozyten bei diffuser oberflächlicher Fibrosierung mit Fibroblastenvermehrung. Gelegentlich findet man kleine Neurome (Pautrier-Neurom).  

Differentialdiagnose

  • Prurigoform des atopischen Ekzems: Eindeutiger Nachweis der bestehenden Atopie (IgE, RAST). Sonstige klinische Zeichen des atopischen Ekzems.
  • Dermatitis herpetiformis: Symmetrische, disseminierte, stark juckende bis brennende, 0,1-0,2 cm große, urtikarielle Erytheme, seltener Bläschen. Labor: In einigen Fällen Bluteosinophilie. Antikörpernachweis: Anti-Gliadin-AK, Anti-Endomysium-AK, AK gegen Gewebetransglutaminase, AK gegen die epidermale Transglutaminase (sensitivste serologische Test zur Diagnosesicherung). Immunhistologie ist beweisend.
  • Prurigo nodularis: Eminent chronisch verlaufende, durch zahlreiche, große, heftig juckende, große (0,6-2,0 cm große) rotbraune oder braune Knoten gekennzeichnete Erkrankung. Knoten sind deutlich größer als bei der Purigo simplex subacuta! Gemeinsam ist der hochchronische Verlauf und die Qualität des Juckreizes.
  • polymorphe Lichtdermatose: Meist urtikarielle nicht zerkratzte Papeln. Befall der lichtbetonten Areale.
  • Purigoform des bullösen Pemphigoids: Serologischer Nachweis von Pemphigoid-AK. Immunhistologie mit Nachweis von Basalmembran-AK.
  • Lymphomatoide Papulose: Histologie (Immunhistologie CD30 positive Lymphozyten) ist diagnostisch. Disseminiertes Auftreten eher selten.
  • Reaktive perforierende Kollagenose: typische Effloreszenzen mit zentralen deckelartigen Krusten, meist kein Juckreiz

Therapie allgemein

Bei ausgeprägten Kratzautomatismen Zusammenarbeit mit einem Psychotherapeuten oder einem Psychiater. Abgrenzung zum Dermatozoenwahn (Frage nach Parasiten der Haut) ist notwendig.

Wichtig ist die subtile Durchuntersuchung mit Abklärung einer zugrunde liegenden internistischen Erkrankung.

Merke! Bei Prurigo simplex subacuta stets interne Erkrankungen ausschließen!

Externe Therapie

UVB; Balneo-Phototherapie, salinische Bäder oder Ölbäder mit Polidocanol-Zusatz, z.B. Balneum Hermal plus; PUVA-Therapie systemisch oder Balneophotochemotherapie ( PUVA-Bad-Therapie) sind indiziert.

Pflegende Maßnahmen mit hydrophilen Cremes oder Lotionen evtl. mit einem 1-3% Polidocanol-Zusatz (z.B. Optiderm Lotion/Creme), oder  auch Meenthol-Zusätzen, sind hilfreiche Begleitmaßnahmen; bei geringerem Juckreiz genügt das Auftragen einer 1%igen Polidocanol Schüttelmixtur R200.

Bei hartnäckigem Juckreiz können zeitweise Glukokortikoid-haltige Folienverbände (1-2 Std./Tag; Benutzung einer Haushalts-Klarsichtfolie, die mit einem Klebestreifen fixiert wird) angelegt werden, z.B. mit 0,1% Triamcinolonacetonid-Creme (Triamgalen, Volon A) oder 0,05-0,1% Betamethason (Betagalen, Betnesol, R030 , R029 ).

Hartnäckig therapieresistente Prurigopapeln sollten konsequent und mehrfach (Abstände von 3-4 Wochen) mit einer Glukokortikoid-haltigen Kristallsuspension unterspritzt werden (10 mg Triamcinolonacetonid, z.B. Volon A, verdünnt 1:1-1:3 mit 1% Scandicain, mit dünner Nadel intrafokal, nicht subläsional! applizieren).

Capsaicin: Lokaltherapie mit einer 0,025/0,05/0,1% "Hydrophilen Capsaicin-Creme" (4-6x täglich dünn auftragn)  

Interne Therapie

Kurzfristig Glukokortikoide wie Prednison (z.B. Decortin) initial 40-60 mg, schrittweise Reduktion innerhalb von 14 Tagen. Dieser Therapieansatz ist i.A. nur morbostatisch und nicht dauerhaft erfolgreich.

Alternativ: Orale, wenig oder nicht sedierende Antihistaminika wie Desloratadin (z.B. Aerius) 1-2 Tbl./Tag oder Levocetirizin (z.B. Xusal) 1-2 Tbl./Tag. Bei erheblichem Juckreiz auch sedierende Antihistaminika wie Dimetinden (z.B. Fenistil) 3mal/Tag 1 mg oder anxiolytisch wirkende Antihistaminika wie Hydroxyzin 25-75 mg/Tag (z.B. Atarax).

Alternativ: Gabapentin 900mg/Tag

Alternativ: Pregabalin 72-225mg/Tag.

Alternativ: Erfolge wurden mit dem Psychopharmakon Olanzapin (initial 5 mg; als Dauertherapie 10 mg/Tag p.o.) beschrieben.

Experimentell: Neurokinin-1-Rezeptorantagonisten (Aprepitant): die Ergebnisse einer randomisierten Studie 80mg Aprepitant/Tag über 4 Wochen) steht noch aus.

Experimentell: Anti-IL-31 Rezeptor-A- Antikörper (Nemolizumab): Die Ergebnisse bleiben abzuwarten.     

Nicht wirksam: Chloroquin: Der Einsatz von Chloroquin (z.B. Resochin) hat sich nicht bewährt

Merke! Aufgrund der Chronizität des Krankheitsbildes ist intensive und enge Patientenführung notwendig!

Verlauf/Prognose

Chronischer, oft jahrelanger Verlauf.

Naturheilkunde

Gute Erfolge werden mit einer dermatologischen Klimatherapie (insbes. Reizklima an der Nordsee und im Hochgebirge) erzielt.

Kühlende Abreibungen mit Essigwasser oder einem 2%igem Mentholspiritus.

Ergänzend: Menthol: Lokaltherapie mit einer 1-5% Menthol-Creme

Aktuelle Untersuchungen zeigen ein Ansprechen des Juckreizes auf CBD  extern und intern, s. unter  Cannabinoide.

Hinweis(e)

Die Unterteilung in versch. Subtypen der Prurigo simplex subacuta folgt keinem klar erkennbaren ätiopathogenetischen Prinzip. Sie führt insofern eher zu Verwirrungen (Ständer S 2018) und wird hier nur aus historischen Gründen wiedergegeben.    

Die von M. Kaposi im Jahre 1893 beschriebene "Acne urticata" ist eine Variante der Prurigo simplex subacuta, die ausschließlich auf das Gesicht beschränkt ist und die v.a. bei jungen (psychisch labilen) Frauen.

Literatur

  1. Akar HH et al. (2014) Prurigo simplex subacuta or prurigo simplex acuta? Eur Ann Allergy Clin Immunol 46:152-153
  2. Balakirski G et al. (2014) Bullous pemphigoid: a new look at a well-known disease. Hautarzt 65:1013-1016
  3. Bergner T et al. (1990) Prurigo simplex subacuta. Akt Dermatol 16: 221-225
  4. Boyd K et al. (2014) The role of capsaicin in dermatology.
    Prog Drug Res. 2014;68:293-306.
  5. Dauden E, Garcia-Diez A (2003) Severe resistant subacute prurigo successfully controlled by long-term cyclosporin. J Dermatolog Treat 14: 48-50
  6. Freitag M, von Kobyletzki G, Pieck C, Altmeyer P (1999) Balneologic photochemotherapy of prurigo simplex subacuta. Hautarzt 50: 344-349
  7. Huyn J et al. (2006) Olanzapine therapy for subacute prurigo. Clin Exp Dermatol 31: 1-2
  8. Pereira MP et al. (2018) Chronische Prurigo. Hautarzt 69:321-328 
  9. Schmidt E et al. (2002) Subacute prurigo variant of bullous pemphigoid: autoantibodies show the same specificity compared with classic bullous pemphigoid. J Am Acad Dermatol 47: 133-136
  10. Ständer S (2018) Pruritus, Prurigo. In: Braun-Falco`s Dermatologie, Venerologie Allergologie G. Plewig et al. (Hrsg) Springer Verlag S 591-592

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