Synonym(e)
Definition
Zweithäufigste Form der Urtikaria, die nach körperlichen, seelischen oder thermischen Belastungen bei offenbar erhöhter Acetylcholin-Empfindlichkeit auftritt. Diese Urtikariaform ist nicht selten mit anderen Urtikariaarten oder auch Nahrungsmittelallergien kombiniert.
Pathophysiologie
Obwohl die Pathophysiologie der belastungsinduzierten Urtikaria und Anaphylaxie nicht genau geklärt ist, dürften thermoregulatorische Mechanismen und eine übersteigerte cholinerge Reaktion eine Rolle spielen (Casale TB et al. 1986). Ein Temperaturanstieg von mehr als 0,7 °C, Mastzelldegranulation und ein Anstieg des Plasmahistaminspiegels werden für die Symptome verantwortlich gemacht (Casale TB et al. 1986).
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Manifestation
Frauen sind bevorzugt befallen. Typisch ist das erstmalige Auftreten im jungen Erwachsenalter.
Lokalisation
Klinisches Bild
Nach einer relevanten körperlichen, mit Schwitzen verbundenen Anstrengung, aber auch nach heißem Duschen oder Baden, seltener nach emotionalen Stresszuständen, kommt es am Rumpf (Prädilektionstelle) und an den Extremitäten zu einem disseminierten, urtikariellen, juckenden Exanthem.
Im Gegensatz zu anderen Formen der Urtikaria zeigen sich meist kleinherdige, kaum 0,1-0,2 cm große, aber auch zu größeren Arealen konfluierte, eher spitzkegelig als flache, inital follikulär gebundene Quaddeln. Der follikuläre Bezug geht nach etwas längerem Bestand verloren. Die Urtikae sind meist von einem Reflexerythem umgeben, können aber auch einen abgeblassten Halo aufweisen. Die Patienten geben meist einen kräftigen Juckreiz an.
Diagnose
S.u. Physikalische Urtikaria.
Als Provokationsteste kommen heiße Halbkörpervollbäder (40-41 °C für 10-20 Min.), doppelseitige Armbäder (40-44 °C für 20-25 Min.), Treppensteigen und heißer Tee bis zum Schwitzen infrage. Klinisch und labortechnisch sind Nahrungsmittelallergien abzuklären.
Therapie allgemein
Prophylaxe ist zugleich Therapie! Meidung emotionaler Stresssituationen und starker körperlicher Belastung. Keine schweißtreibenden Nahrungsmittel bzw. Genussmittel wie z.B. Alkohol, Kaffee, Tee.
Die Refraktärphase (Erschöpfungsphase der Mastzellen) kann zur Induktion einer Toleranz genutzt werden, d.h. die Pat. können angeleitet werden, sich regelmäßig Reizen auszusetzen, die keine schwere Symptomatik hervorrufen. Leichte körperliche Arbeit im Sinne eines Hardenings. Bei gewollten sportlichen Aktivitäten kann versucht werden, die kritische induktive Schwelle zu "unterlaufen". S.a. Urtikaria, physikalische. S.a. Kasuistik.
Zusammenarbeit mit Psychotherapeuten ist sinnvoll.
Externe Therapie
Symptomatisch mit juckreizstillender Lotio alba aquosa ggf. mit Zusatz von 2-5% Polidocanol R200 oder 1% Menthol-Lösung.
Alternativ:Glukokortikoid-haltige Cremes oder Lotionen wie 0,5-2% Hydrocortison-Creme oder Lotion R123 R120 .
Antihistaminika-haltige Gele (z.B. Fenistil, Tavegil, Soventol) helfen häufig wenig.
Bestrahlungstherapie
Interne Therapie
Erfolge mit Desloratadin (z. B. Aerius) 5-10 mg/Tag p. o., Cetirizin (z. B. Zyrtec) 10 mg/Tag p.o. oder Levocetirizin (z. B. Xusal) 10 mg/Tag p. o. sind beschrieben. Ggf. müssen die Antihistaminika aus therapeutischen Gründen "überdosiert" werden (z. B. Cetirizin 20 mg/Tag p.o.). - Bemerkung: dieser Vorschlag ist nur zeitlich begrenzt realistisch. Dauerhaft gesehen ist er eher nicht praktikabel.
Bei sedierenden Antihistaminika ist das Mittel der 1. Wahl Hydroxyzin (z. B. Atarax 1-3 Tbl./Tag p. o.).
- Alternativ: Dimetinden (z. B. Fenistil 2mal/Tag 1 Drg. p. o.) oder Clemastin (z. B. Tavegil 2mal/Tag 1 Tbl. p. o.).
Mastzellstabilisatoren: Durchschnittlich gute Wirkung auf Juckreiz und Quaddelbildung erzielt der Mastzellstabilisator Ketotifen (z. B. Zaditen) initial 1 mg/Tag über 3-4 Tage, danach auf 2mal/Tag 1 mg und später auf 2mal/Tag 2 mg p. o. steigern.
Auch Danazol (z. B. Danadrol [über die internationale Apotheke erhältlich]) wurde erfolgreich eingesetzt, 100-600 mg/Tag p. o., später 100-300 mg/Tag p. o., erhaltend oder kontinuierlich. Unter 200 mg/Tag kommt es zur kompletten Rückbildung des Juckreizes.
Alternativ können parasympatholytisch wirksame Medikamente wie Secalealkaloide (z. B. Dihydroergotamin 2mal/Tag 2,5 mg p. o.) versucht werden.
Alternativ können zusätzlich Benzodiazepine wie Oxazepam eingesetzt werden (z. B. Adumbran) 25-50 mg/Tag.
Alternativ bei Versagen sämtlicher Theapieversuche ist ein Versuch mit dem Anti-IgE-Antikörper Omalizumab (Xolair; 300 mg/14 Tage s. c.) erwägenswert.
Verlauf/Prognose
Die durchschnittliche Dauer der cholinergen Urtikaria beträgt 7,5 Jahre. Verläufe über mehrere Jahrzehnte wurden beschrieben.
Hinweis(e)
Nicht immer äußert sich das Krankheitsbild im Vollbild der Urtikaria. Es kann auch in reduzierter Form als cholinergischer Pruritus oder in einer Extremvariante als "Excercise induced anaphylaxis" auftreten (s.u. Schock, anaphylaktischer).
Fallbericht(e)
Bei dem Patienten handelte es sich um einen 27-jährigen Deutschen ohne nennenswerte Vorerkrankungen, der sich mit einem, nach eigenen Angaben, "trainingsinduzierten Ausschlag" vorstellte. Erstmalig hatte er einen juckenden Ausschalg beim Fußballspielen im Alter von acht Jahren bemerkt. Seitdem entwickelte er bei jedem Fußballtraining immer wieder juckende Exantheme an den Armen, "was seine körperliche Aktivität deutlich einschränke". Im Alter von 22 Jahren deutliche Verschlimmerung der Symptome. Nach intensivem Lauftraining bildete sich innerhalb von 20 Minuten eine generalisierte Urtikaria aus, die "etwa zwei Stunden andauere und dann spontan wieder abheile". Keine Schwellungen der Lippen oder der Zunge; keine Schluck-oder Atembeschwerden. Die Urtikaria trat bei körperlicher Betätigung auf, unabhängig von einer Nahrungsaufnahme vor dem Sport.
Befund: Da keine akute Episode vorlag, war die körperliche Untersuchung des Patienten unauffällig. Es wurde (unter klinischen Bedingungen) ein Belastungstest durchgeführt, bei dem der Patient eine Kombination aus Laufen, Treppensteigen und Kniebeugen absolvierte. Innerhalb von 10 Minuten begann er zu schwitzen. Zugleich traten Erytheme hinzu. 20 Minuten nach Beginn der Belastung zeigte sich ein juckender urtikarieller Ausschlag an den beugeseitigen Armen, am Hals, an der Brust und am Bauch. Keine Atemnot; keine Anzeichen eines Angioödems oder einer Anaphylaxie. Die Vitalparameter vor und nach dem Belastungstest zeigten einen Anstieg der Temperatur um 0,4 °C und einen Anstieg der Herzfrequenz um 30 % gegenüber dem Ausgangswert.
Therapie: Anstatt absolut auf Sport zu verzichten, entschied sich der Patient im Rahmen einer gemeinsamen Entscheidungsfindung für einen Wechsel zu einem Sport mit geringer Intensität. Dem Patienten wurde bei den Erst- und Folgebesuchen geraten, vor jeder sportlichen Betätigung orale Antihistaminika einzunehmen; er zog es jedoch vor, auf Medikamente zu verzichten. Durch die schrittweise Umstellung der sportlichen Betätigung war der Patient nun in der Lage, eine Stunde lang spazieren zu gehen und zu schwimmen, ohne urtikarielle Symptome auszulösen.
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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Verweisende Artikel (19)
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