Immundefekte primäre (Übersicht und Einteilung)D81.-D84.

Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

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Synonym(e)

Angeborene primäre Immundefekte, Klassifikation; Hereditäre Immundefekte; Klassifiaiton der hereditären Immundefekte; Klassifikation der Primären Immundefekte; PID; PID-Klassifikation; PID, Klassifikation; Primäre Immundefekte; Primäre Immundefekte, Klassifikation

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Definition

Unter dem Begriff Primäre Immundefekte (synonym: PID/Immundefizienz-Syndrome/Immungmangel-Erkrankungen) werden mehr als 400 verschiedene Erkrankungen des Immunsystems zusammengefasst, die durch eine passagere oder auch irreversible Störung der Abwehrfunktion gekennzeichnet sind, bei denen die Immundefizienz angeboren ist, familiär gehäuft auftritt und/oder vererbt werden kann.

Sekundäre oder erworbene Immundefekte: Der PID-Gruppe mit angeborenen Defekten werden erworbene oder sekundäre Immundefekte gegenübergestellt. Das bekanntestes Beispiel hierfür ist AIDS (acquired immune deficiency syndrome). Am häufigsten beschäftigen uns naturgemäß Immundefizienzien die durch immunsuppressive Therapiemaßnahmen induziert werden.

Klinisch treten Primäre Immundefekte meist, aber nicht immer (z.B. Fiebersyndrome) durch eine pathologische Infektanfälligkeit in Erscheinung, die bei diversen Mutationen auch spezifisch ausfallen können.  Z.B. IL-ILRA-Defekt (chronisch mukokutane Candidiasis), Interleukin-12-/IL-23RB1-Defekte (Medelian Susceptibility to Macobacerial Diseases) oder STAT1/STAT2-Defekte die zu einer Prädispositon für schwere virale Infektionen führen.

Typische Warnsignale verbergen sich hinter den Akronymen:

  • ELVIS (Erreger: ungewöhnlich; Lokalisation: atypisch; Verlauf: lange; Intensität: schwer; Summe: sehr häufig)

und

  • GARFIELD (Granulome, Autoimmunität, Rezidivierendes Fieber, Ekzem, Lymphoproliferation, Darmentzündung) ab.

PID können sich in allen Organen manifestieren, wobei die Oberflächenepithelien von Haut, Lunge, Darm und Urogenitaltrakt am häufigsten betroffen sind.

Für Kinder gelten die nachfolgenden Symptome als Warnzeichen (12 Warnzeichen bei Kindern):

  1. positive Familienanamnese für angeborene Immundefekte
  2. 8 oder mehr eitrige Otitiden pro Jahr, Mastoiditis
  3. 2 oder mehr Sinusitiden pro Jahr
  4. 2 oder mehr Pneumonien innerhalb eines Jahres
  5. indizierte antibiotische Therapie über 2 oder mehr Monate ohne Effekt
  6. Impfkomplikationen bei Lebendimpfungen (insbes. BCG, Rotavirus und Polio nach Sabin)
  7. rezidivierende oder systemische Infektionen mit atypischen Mykobakterien
  8. rezidivierende tiefe Haut- oder Organabszesse
  9. 2 oder mehr viszerale Infektionen (Meningitis, Osteomyelitis, septische Arthritis, Empyem, Sepsis)
  10. persistierende Candida-Infektionen an Haut oder Schleimhaut jenseits des 1. Lebensjahres
  11. unklare Erytheme/Erythrodermie bei Neugeborenen und jungen Säuglingen (z.B. chronische Graft vs Host Reaktion, Omenn-Phänotyp u.a.)
  12. Gedeihstörung im Säuglingsalter, mit und ohne chronische Durchfälle.

 Für Erwachsene sind folgende  6 Warnzeichen hinweisgebend:

  1. 4 oder mehr Infektionen innerhalb eines Jahres, die mit Antibiotika behandelt werden mussten
  2. rezidivierende Infektionen oder eine Infektion mit dem Bedarf einer verlängerten Antibiotikatherapie
  3. 2 oder mehr schwere bakterielle Infektionen
  4. 2 oder mehr radiologisch nachgewiesene Lungenentzündungen innerhalb von drei Jahren
  5. Infektion mit ungewöhnlicher Lokalisation oder mit ungewöhnlichem Erreger
  6. Primärer Immundefekt in der Familie

Die folgende Tabelle gibt, ausgehend von dem biologischen Befund , die aktuell gültige Klassifikation der Primären Immundefekte gemäß IUIS Klassifikation 2021 wieder. Sie erweitert sich ständig, da pro Jahr etwa 10 neue Primäre Immundefekte beschrieben werden. Dei einzelnen Krnkaheitsbilder sind hier gruppenweise zusammengefasst. Die einzelnen Entitäten können unter den verlinkten Gruppenbezeichnungen gefunden werden.  

Einteilung

Primäre Immundefekte (PID) gemäß IUIS Klassifikation (2021)

1.PID /kombinierte T/B/NK-Zell-Immundefekte incl. „SCID und CID“

  • 1.1.SCID (T-/B+)
  • 1.2.SCID (T-/B-)
  • 1.3  Kombinierte Immundefekte (CID, weniger gravierend als SCID)

2. PID /T- und B-Zell-Immundefekte mit syndromalen Eigenschaften

  • 2.1. PID mit angeborener Thrombozytopenie
  • 2.2. DNA-Reparaturdefekte
  • 2.3. Thymusdefekte mit zusätzlichen Anomalien
  • 2.4. Immunossäre Dysplasien
  • 2.5. Hyper-IgE-Syndrome
  • 2.6. Störungen beim Vitamin B12- und Folsäurestoffwechsel
  • 2.7. Anhidrotische Ektodermaldysplasien mit Immundefekten (EDA-ID)
  • 2.8. Kalziumkanal-Defekte
  • 2.9. Andere Defekte (Ig vermindert, IgA fehlt)

3) PID/Antikörpermangel als führendes Symptom (s.a. Common variable immundeficiency - CVID)

  • 3.1. Starke Reduktion aller Immunglobulin-Isotypen mit stark verminderter oder fehlenden B-Zellen
  • 3.2. Starke Reduktion von mindestens 2 Ig-Isotypen (IgG und IgA)B-Zellzahl normal oder vermindert
  • 3.3. Verminderung von IgG u.IgA bei normalem/erhöhtem IgM und normaler Anzahl von B-Zellen
  • 3.4. Isotyp-oder Leichtkettenmangel mit normalen B-Zellen

4. PID/Immundysregulationen

  • 4.1.Familiäre hämophagozytierende Lymphohistiozytosen (FHL)
  • 4.1.1.Familiäre hämophagozytierende Lymphohistiozytosen (FHL)
  • 4.1.2. Familiäre hämophagozytierende Lymphohistiozytosen mit Hypopigmentierungen
  • 4.2. Genetische Defekte der regulatorischen T-Zellen
  • 4.3. Autoimmunität mit oder ohne Lymphoproliferation
  • 4.4. Immundysregulation mit Kolitis
  • 4.5. Autoimmune lymphoproliferative Syndrome (ALPS; Canale Smith Syndrom)
  • 4.6. Immundysregulation mit Auffälligkeiten gegenüber EBV/Lymphoproliferation

5. PID/Defekte der Phagozyten

  • 5.1. Defekte der Neutrophilen-Entwicklung, kongenitale Neutropenien
  • 5.2. Störungen der Motilität
  • 5.3. Defekte im respiratorichen Burst
  • 5.4. Weitere non-lymphozytäre Defekte

6. PID/Defekte der intrinsischen und natürlichen Immunität 

  • 6.1. Mendelian Susceptibility to Mycobacterial Disease (MSMD)
  • 6.2. Epidermodysplasia verruciformis
  • 6.3. Prädisposition zu schweren viralen Infektionen
  • 6.4. Herpes simplex Enzephalitis
  • 6.5. Disposition zu invasiven Pilzinfektionen
  • 6.6. Chronische mukokutane Kandidiasis (CMC)
  • 6.7. Störungen des TIR (Toll-like und Interluekin-IR) Signallings mit Suszeptibilität
  • 6.8. Andere angeborene Defekte der Immunität mit Beteiligung nicht hämatopoetischer Gewebe
  • 6.9. Andere angeborene Defekte in Leukozyten

7. PID/Autoinflammatorische Erkrankungen

  • 7.1. TypI Interferonopathien
  • 7.2. Defekte des Inflammasoms
  • 7.3. Non-Inflammason-abhängige Autoinflammation

8. PID/Komplementdefekte

9. PID/Knochenmarksversagen

10. PID/Phänokopien (als DD der primären Immundefekte)

  • 10.1.Phänokopien assoziiert mit somatischen Mutationen
  • 10.2. Phänokopien assoziiert mit Autoantikörpern

Vorkommen/Epidemiologie

In Europa leben etwa 1,5 Mio. Menschen mit einem angeborenen, primären Immundefekt (PID). Die Betroffenen leiden trotz der Möglichkeiten der modernen Antibiotikatherapie unter häufigen, schwer beherrschbaren Infektionen. In Deutschland geht man derzeit von >100.000 Betroffenen aus. Eine frühzeitige Diagnose ist eine wichtige Grundvoraussetzung, um Prognose und Lebensqualität der Patienten entscheidend zu verbessern.

Vorkommen/Epidemiologie

Über die Häufigkeit der primären Immundefekte (PID) gibt es in Deutschland keine präzisen Zahlen. Schätzungen gehen dahin, dass bei 1.000 Menschen eine PID zu finden ist.

Bisher sind rund  340 PID- Erkrankungen bekannt, bei denen definierte Mutationen in einem Gen nachgewiesen wurden, und jährlich werden weltweit ca. 10 neue PID beschrieben. Diese Genotypen sind durch unterschiedlichen Phänotypen gekennzeichnet. Nicht selten jedoch sind einem uniformen Phänotyp unterschiedliche Genotypen zugeordnet. Klinische Leitsymptome aller PID-Syndrome sind chronische und rezidivierende Infektionen, wobei Haut, Verdauungstrakt, Bronchialsystem und Urogenitaltrakt und Zentralnervensystem bevorzugt betroffen sind.

Die wachsende Vielfalt von Phänotypen und Genotypen die den primären Immundefekterkrankungen (PID) zugeschrieben werden, macht die primären Immundefekte zu einem rasch expandierenden Bereich der Medizin (s.u. Einteilung).

Diagnostik

Nach einer detaillierten Anamneseerhebung und klinischen Untersuchung erfolgt das weitere diagnostische Vorgehen entsprechend der Vorgaben von Konsens- und evidenzbasierten Leitlinien. In einzelnen komplexen Fällen, die mit bisherigen Methoden nicht aufgeklärt werden können, kann ein sogenanntes „Whole exome Sequencing“ indiziert sein

Therapie

Es stehen inzwischen zahlreiche Therapieformen zur Vefügung (z.B. regelmäßige Gabe von Antikörperzubereitungen, Enzymersatztherapie, moderne Antibiotika bzw. Antimykotika, Transplantation von Stammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut sowie gentherapeutische Ansätze).

Bemerkung: Seit August 2019 werden Neugeborene auf schwere angeborene Immundefekte (SCID) gescreent.

Hinweis(e)

Die Klassifikation primärer Immundefekte wird in mehrjährigen Abständen als Report einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe der International Union of Immunological Societies (IUIS) publiziert. Die vorliegende Klassifikation basiert auf der Arbeit von Tangye SG et al. (2020) und Tangye SG et al (2021).

Literatur

  1. Bousfiha A et al. (2015) The 2015 IUIS Phenotypic Classification for Primary Immunodeficiencies. J Clin Immunol 35:727-738.
  2. Bousfiha A et al. (2020) Human Inborn Errors of Immunity: 2019 Update of the IUIS Phenotypical Classification. J Clin Immunol 40:66-81.
  3. Tangye SG et al. (2020) Human Inborn Errors of Immunity: 2019 Update on the Classification from the International Union of Immunological Societies Expert Committee. J Clin Immunol 40:24-64.
  4. Tangye SG et al. (2021) The Ever-Increasing Array of Novel Inborn Errors of Immunity: an Interim Update by the IUIS Committee. J Clin Immunol 41:666-679.

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