Synonym(e)
Definition
Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine akute, meist sehr schnell fortschreitende, sich allerdings selbst limitierende inflammatorische Polyneuropathie und charakterisiert durch Muskelschwäche und leichte distale Sensibilitätsausfälle. Als Ursache wird ein Autoimmunprozess angenommen. Die Diagnose wird klinisch gestellt. Die Behandlung umfasst i.v.-Immunglobuline, Plasmaaustausch und, in schweren Fällen, eine apparative Beatmung.
Ätiopathogenese
Wahrscheilich autoimmunologische Genese. Symptomatik 5 Tage bis 3 Wochen nach einem banalen Infekt, auch nach Impfungen. Die Infektion ist der Auslöser bei > 50% der Patienten; häufige Krankheitserreger sind unter anderem
- Campylobacter jejuni
- Enterische Viren
- Herpesviren (einschließlich Zytomegalovirus und Epstein-Barr-Virus)
- Mykoplasmen -Spezies
Eine Häufung von Fällen folgte dem Schweinegrippe-Impfprogramm im Jahr 1976. Ein Zusammenhang wurde jedoch später bestritten.
Es existieren Berichte über Fälle, bei denen das Guillain-Barré-Syndrom nach einer Impfung gegen das Coronavirus aufgetreten ist. Betroffen waren Patienten, die zuvor das Vektorvakzin von AstraZeneca oder von Johnson & Johnson erhalten hatten. Meist entwickelten sie zwei bis drei Wochen nach der Impfung erste Lähmungserscheinungen – und damit zu einem Zeitpunkt, an dem typischerweise die maximale Immunantwort auf die Impfung auftritt.
Konkret berichtet das US-Impfüberwachungssystem VAERS von 100 solcher GSBS-Fälle nach einer Johnson & Johnson-Impfung in den USA. 95 der Betroffenen mussten stationär aufgenommen werden. Ein Pat. verstarb. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA zählte bis einschließlich Ende Mai 2021 insgesamt 156 Fälle eines GBS im zeitlichen Zusammenhang mit der Gabe des Vakzins von AstraZeneca – bei bis dato rund 40 Millionen verimpften Dosen.
Ein Syndrom, das dem Guillain-Barré-Syndrom ähnelt gehört zu den unerwünschten Wirkungen von Immun-Checkpoint-Inhibitoren.
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Klinisches Bild
Klinisch vordergründig und auffällig ist eine schlaffe Lähmung. Sie beginnt mit einer symmetrischen Schwäche mit Parästhesien, üblicherweise in den Beinen. Ausbreitung auf die Arme. GBS kann gelegentlich auch in den Armen oder am Kopf beginnen. Maximum der Symptomatik in der 3. bis 4. Krankheitswoche. Die Muskeleigenreflexe fallen aus. Die Sphinkteren bleiben in der Regel ausgespart. Die Schwäche persistiert regelhaft für einige Wochen. Danach Rückbildung.
Die funktion der fazialen und oropharyngealen Muskeln ist bei > 50% der Patienten gestört. Die Folge sind: Dehydrierung und Hyperosmolarität. Komplikatio ist in 5-10% der Fälle eine respiratorische Lähmung mit endotrachealer Intubation und apparativer Beatmung.
Weiterhin können signifikante, lebensbedrohliche autonome Funktionsstörungen beobachtet werden:
- Blutdruckschwankungen
- kardiale Arrhythmien
- gastrointestinale Stase
- Harnverhalt .
Bie der Fisher Variante (auch Miller-Fisher-Syndrom beannt) kann eine Kombination lediglich aus Ophthalmoparese, Ataxie und Areflexie auftrten.
Diagnostik
Die Diagnose des Guillain-Barré-Syndroms wird primär klinisch gestellt:
- Klinischer Status
- EKG
- Liquoranalyse
Differentialdiagnose
Eine ähnliche akute Schwäche kann durch Myasthenia gravis, Botulismus, Poliomyelitis (v. a. außerhalb der USA), Zeckenparalyse, West-Nil-Virusinfektion und metabolische Neuropathien hervorgerufen werden, jedoch können diese Störungen von einem Guillain-Barré-Syndrom in der Regel wie folgt unterschieden werden:
Myasthenia gravis: intermittierender Verlauf; durch körperliche Anstrengung verschlimmert.
Botulismus (selten): starre dilatierte Pupillen (in 50% der Fälle) sowie weitere prominente Hirnnervenstörungen bei normaler Sensorik.
Poliomyelitis (selten): epidemisches Auftreten mit fieberhafter Symptomatik.
Zeckenparalyse (in Europa bisher nicht beobachtet - Nord- und Südamerika, Afrika und Australien): verursacht aufsteigende Lähmungen, betrifft aber nicht die Sensorik (Als Auslöser einer Zeckenparalyse wurden insgesamt über 40 verschiedene Zeckenarten beschrieben, die zu den Gattungen Amblyomma, Dermacentor, Haemaphysalis, Hyalomma, Ixodes und Rhipicephalus gehören. Das für das Krankheitsbild verantwortliche Nervengift wird erst nach etwa fünf bis sieben Tagen Saugtätigkeit von der Zecke gebildet, weshalb die Zeckenparalyse ein sehr seltenes Krankheitsbild darstellt. Betroffen sind v.a. Kinder.
West-Nil-Virusinfektion: Infektgeschen mit Kopfschmerzen, Fieber und asymmetrische schlaffe Lähmungen. Sensorik nihct betroffen.
Metabolische Neuropathien treten im Rahmen chronisch metabolischer Störungen auf.
Komplikation(en)
Nach der initialen Besserung entwickeln 2–5% der Patienten eine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP).
Therapie
IVIG: Frühe Gaben von IVIG 2 g/kg über 1 bis 2 Tage oder, langsamer, 400 mg/kg i.v. einmal täglich an 5 aufeinanderfolgenden Tagen ist die Therapie der Wahl; sie hat einen gewissen Nutzen bis zu 1 Monat nach Ausbruch der Krankheit.
Plasmapherese: Ein Plasmaaustausch hilft wenn er früh erfolgt; er wird bei Unwirksamkeit von IVIG eingesetzt. Der Plasmaaustausch ist relativ sicher, er verkürzt den Krankheitsverlauf und die Dauer des stationären Aufenthalts, senkt das Mortalitätsrisiko und verringert die Inzidenz von bleibenden Lähmungen. Beim Plasmaaustausch werden alle zuvor verabreichten IVIG entfernt und damit ihr Nutzen zunichte gemacht, und somit sollte er niemals während oder kurz nach dem Einsatz von IVIG durchgeführt werden. Es wird empfohlen, bis mindestens 2–3 Tage nach Absetzen der IVIG zu warten.
Heparin mit niedrigem Molekulargewicht (LMWH) trägt zur Prävention tiefer Venenthrombosen bei bettlägerigen Patienten bei.
Kortikosteroide sind bei Guillain-Barré-Syndrom kontraidiziert, weil diese den Ausgang verschlechtern können.
Therapie allgemein
Das Guillain-Barré-Syndrom ist ein medizinischer Notfall.
Das Syndrom erfordert die konstante Überwachung und Unterstützung der Vitalfunktionen, typischerweise auf einer Intensivstation. Die forcierte Vitalkapazität sollte häufig gemessen werden, sodass die Atmung nötigenfalls unterstützt werden kann. Wenn die Vitalkapazität < 15 ml/kg liegt, ist eine endotracheale Intubation indiziert. Die Unfähigkeit, den Kopf durch Nackenbeugung vom Kissen abzuheben, ist ein weiteres Gefahrenzeichen; es entwickelt sich häufig gleichzeitig mit einer Schwäche des N. phrenicus (Zwerchfelllähmung).
Bei Schwierigkeiten mit der oralen Flüssigkeitsaufnahme werden i.v.-Flüssigkeiten nach Bedarf gegeben, um ein Urinvolumen von mindestens 1–1,5 l/Tag aufrechtzuerhalten. Die Extremitäten sollten vor Verletzungen und Lagerungsschäden bei Bettlägrigkeit geschützt werden.
Wärmebehandlung hilft, Schmerzen zu lindern und macht eine frühe physikalische Therapie möglich.
Cave: Immobilisierung. Immobilisierung führt zu Ankylose und Kontrakturen. Ein passives Durchbewegen aller Gelenke im gesamten Bewegungbereich sollte sofort begonnen werden, und eine aktive Übungsbehandlung sollte baldmöglichst bei Rückbildung der akuten Symptome folgen.
Verlauf/Prognose
Etwa 70% der Patienten erholen sich vollständig
Bei < 2% der Patienten verläuft das Guillain-Barré- Syndrom tödlich.
Die meisten Patienten zeigen über einen Zeitraum von Monaten eine deutliche Besserung
2-5% der Patienten entwickeln jedoch eine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathy.
30% der Erkrankten zeigen nach 3 Jahren noch eine Restlähmung.
Weiterführende Artikel (9)
Campylobacter; Enteroviren; Herpes simplex Virus-Infektionen; HHV-4; Immun-Checkpoint-Inhibitoren; IVIG; Mykoplasmen; Plasmapherese; Zytomegalievirus;Disclaimer
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