Glukose-6-Phosphatdehydrogenase-Mangel D55.0

Zuletzt aktualisiert am: 22.08.2024

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Synonym(e)

Favism; Favismus; G-6-PD-Mangel

Erstbeschreiber

1920 wurde das erste Medikament (Primaquin ein Antimalaria-Mittel) beschrieben hämolytische Anämie zu verursachen (Luzzatto u.a. 2016).

Das Enzym G-6-PD wurde 1932 durch Otto Warburg und Walter Christian entdeckt.

Definition

Glucose-6-Phosphatdehydrogenase ist ein körpereigenes Enzym, das in allen Zellen des menschlichen Körpers vorkommt und eine wichtige Rolle im Pentose-Phosphat-Stoffwechsel spielt. Durch einen X-chromosomal-rezessiv vererbten Gen-Defekt, der eine funktionelle Defizienz des Enzyms zur Folge hat, kommt es zu einer Prädisposition für eine Schädigung von Erythrozyten durch reaktive Sauerstoffspezies.

2 Defektvarianten wurden beschrieben: 

  • G6PD A− Defektvariante A (Afrika, Mittelmeerraum, Farbige in USA und Südamerika)
  • G6PD Mediterranean Defektvariante (Mittelmeerraum, Naher Osten, Indien, Indonesien)

Einteilung

WHO-Klassifikation: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilt den G6PD-Mangel anhand der EnzymAktivität in folgende 5 Klassen ein:

  • Klasse I (Enzymaktivität) < 1 % oder nicht detektierbar. Klinische Symptome: chronische hämolytische Anämie
  • Klasse II (Enzymaktivität) < 10 %. Klinische Symptome: akute hämolytische Anämie auf Fava-Bohnen und entsprechende Medikamente
  • Klasse III (Enzymaktivität) 10 - 60 %. Klinische Symptome: gelegentlich hämolytische Anämien
  • Klasse IV (Enzymaktivität) 60 - 90 %. Klinische Symptome: asymptomatisch
  • Klasse V (Enzymaktivität) > 110 %. Klinische Symptome: asymptomatisch

Bemerkung: Je mehr Restfunktion des Enzyms vorhanden ist, umso weniger Symptome zeigen die Patienten. Sogar eine Überfunktion des Enzyms verläuft asymptomatisch. Die Klassen IV und V sind klinisch nicht relevant. 

 

 

Vorkommen/Epidemiologie

Der Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel (G-6-PD-Mangel) ist nach Diabetes mellitus der weltweit häufigste Enzymdefekt. So sind weltweit mehr als 400 Mio. Menschen betroffen; in Afrika schätzt man die Prävalenz zwischen 5 - 25 %, in Mitteleuropa < 0.5 %“ (Depta et al. 2006). Der G-6-PD-Mangel tritt häufig in den Tropen auf und ist verbreitet in Afrika, dem Nahen Osten und dem indischen Subkontinent (Hofmann et al. 2016). Es gibt gewisse Bevölkerungsgruppen, die ein höheres Risiko aufweisen, an einem G6PD-Mangel zu leiden. Dazu gehören kurdische Juden, Südafrikaner, Brasilianer, Afroamerikaner, Thailänder, Sarden, Griechen, Südchinesen und Inder. Außerdem sind Männer aufgrund der Genetik öfter betroffen als Frauen (Gautam K et al. 2016).

Ätiopathogenese

Der Glucose-6-Phosphatdehydrogenase-Mangel beruht auf einem X-chromosomal-rezessiv (wie bei Hämophilie) vererbten Defekt im, für die Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase kodierenden Gen (Genlocus: Langer Arm des X-Chromosoms, Xq28). Bekannt sind >100 Mutationen des G-6-PD-Gens. Der Defekt betrifft alle Zellen, die nun nicht mehr in der Lage sind dieses Enzym zu produzieren.

Hemizygote Männer sind hauptsächlich betroffen. Homozygote Frauen (diese Konstellation ist selten) erkranken ebenfalls immer. Heterozygote Frauen sind in der Regel nicht oder kaum betroffen.

Zu den Triggern die im Körper oxidativen Stress auslösen gehören u.a.:

  • Medikamente (s.u.)
  • Pneumoperitoneum (Bhageria et al. 2016)
  • Hypothermie
  • Reperfusion nach Ischämie (z. Bsp. Blutsperre/-leere)
  • perioperativer Stress
  • Infektionen
  • Metabolische Ketoazidose
  • Fava-Bohnen (Depta A et al. 2006)
  • Medikamente: Eine Reihe von Medikamenten s.u.) lösen im Körper oxidativen Stress aus, indem sie mit dem Hämoglobin und mit Sauerstoff in den Erythrozyten interagieren und als Resultat Wasserstoffperoxid produzieren (H2O2). H2O2 ist ein sehr starkes Oxidans (Glader 2017).
  • Infektionen: Die Infektionen gehören zu den häufigsten Triggern von hämolytischen Anämien bei Patienten mit einem G6PD-Mangel (Gautam K 2016). Insbesondere bei Patienten, die diesen Enzymmangel bereits kennen und die entsprechenden Medikamente und Nahrungsmittel bewusst meiden, sind Infektionen die führenden Trigger von hämolytischen Anämien. Warum es jedoch bei Infektionen zu oxidativem Stress im Körper kommt, ist noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass die Leukozyten während der Phagozytose oxidative Stoffe produzieren. Zu den häufigsten auslösenden Erregern hämolytischer Anämien gehören:
  • Salmonellen
  • Escherichia coli
  • Streptokokken (Typ β-Hämolyse)
  • Rickettsien
  • Hepatitis-Viren
  • Influenza-A-Viren (Gautam K 2016).

Pathophysiologie

Das Peptid Glutathion schützt die Erythrozytenmembran vor oxidativem Stress durch reaktive Sauerstoffspezies (freie Radikale), indem es selbst oxidiert wird. GSH sorgt im Glutathion-Zyklus für die Neutralisation dieser freien Radikale wie z. B. Wasserstoffperoxid (H2O2). H2O2 wird zu Wasser reduziert. In vielen Zellen sind für die NADPH-Produktion mehrere Enzyme zuständig. In den Erythrozyten ist für diese Aufgabe ausschließlich die G-6-PD verantwortlich.

Bei Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel kann erhöhter oxidativer Stress (freie Sauerstoffradikale z.B. durch Medikamente o.a. Einflüsse) auftreten. Reaktive Sauerstoffspezies schädigen die Erythrozyten-Membran, es kommt zur Hämolyse. Da oft eine Rest-Aktivität des Enzyms besteht und NADPH auch noch durch andere Enzyme (z. B. die 6-Phosphoglukonat-Dehydrogenase, kurz: 6PGD) produziert wird, sind bei Abwesenheit von oxidativem Stress oft keine Symptome ersichtlich. Erst wenn durch äußere Trigger der Bedarf an NADPH und GSH steigt, können die Erythrozyten diesen nicht mehr kompensieren und werden geschädigt (Luzzatto L et al. 2016).

Klinisches Bild

In den allermeisten Fällen sind die Betroffenen lebenslang asymptomatisch. Erst bei erhöhtem oxidativem Stress, etwa durch den Konsum von Saubohnen (das resultierende Krankheitsbild wird dann als Favismus bezeichnet) oder durch die Einnahme diverser Medikamente (s.u.) werden die Betroffenen durch das Auftreten der klinischen Symptome der Hämolyse auffällig. Diese Zeichen treten oft erst 1 - 3 Tage nach der belastenden Exposition auf. Folgende klinische Symptome stellen sich ein:  

  • Kopf-, Rücken- und Bauchschmerzen
  • Tachykardie
  • Dyspnoe
  • Lethargie
  • Zyanose
  • rötlich-braun verfärbter Urin (Hämoglobinurie)
  • Skleren- und/oder generalisierter Ikterus
  • akutes Nierenversagen
  • Splenomegalie (Depta A et al. 2006).
  • Der Hämoglobinwert kann bis auf 4 mg/dl absinken. Aufgrund der Hämolyse kommt es zu einer Hyperbilirubinämie (Depta A et al. 2006).

Diagnostik

Hinweisend für die Diagnose ist die Anamnese (positive Familienanamnese, familiärer Hintergrund in Risikogebieten, bekannter G6PD-Mangel bzw. das Auftreten von Ikterus oder Splenomegalie unbekannter Ursache).

Anämiediagnostik:  Großes Blutbild: Meist normochrome und normozytäre Anämie, ggf. Retikulozytose (im Verlauf). Blutausstrich: Heinz'sche Innenkörper

Bei hämolytischer Krise: Hämolysezeichen möglich (LDH, indirektes Bilirubin erhöht, Haptoglobin erniedrigt), Polychromasie möglich.  

Zur Bestätigung wird die reduzierte Enzymaktivität spektrophotometrisch nachgewiesen (pathologisch: verminderte Aktivität <60 % - Diagnosebestätigung).

Labor

Ein Mangel besteht, wenn der Blutspiegel der G-6-PD unter die Normwerte (Männer: 2,70 - 6,62 U/g Hb; Frauen: 3,25 - 7,87 U/g Hb) fällt (Depta et al. 2006).

Therapie

Es existiert keine spezifische Therapie der hämolytischen Anämie. Wird eine Hämolyse diagnostiziert, sollte der potentielle Auslöser gefunden werden. Es ist wichtig, die Nierenperfusion aufrecht zu erhalten (Valiaveedan u. a. 2011). Depta u. a. (2006) empfehlen außerdem eine Harnalkalisierung mit intravenösem Natriumbikarbonat, damit es zu keiner Ausfällung des Hämoglobins in den Nierentubuli mit darauffolgendem Nierenversagen kommt (Depta A et al. 2006).

Verlauf/Prognose

Der Verlauf der Hämolyse ist sehr unterschiedlich. In milden Fällen ist sie selbstlimitierend; in schweren Fällen kann sie lebensbedrohlich sein. Durch die Anämie wird die Erythropoese im Knochenmark angeregt (Retikulozytose mit einem Peak sieben bis zehn Tage nach Einsetzen der Hämolyse). Der weitere Verlauf hängt vom Mutationstyp und der Restaktivität des Enzyms (WHO-Klassifikation) ab. Patienten der Aktivitätsstufen  „Klasse I und II“ zeigen schwerere Verläufe ihrer Anämien mit schlechteren Prognosen. Jene aus der Klasse III werden schneller genesen (Glader et al.  2017).

Prophylaxe

Tragen eines Notfallausweises bei bekanntem Enzym-Mangel; auslösende Faktoren meiden.

Hinweis(e)

Die heterozygoten Anlageträger haben ein geringeres Risiko an Malaria zu erkranken als die übrige Bevölkerung (ebenso wie bei Sichelzellanämie) was in Malaria-betroffenen Regionen zu einem  Selektionsvorteil führte. Zur Erklärung: Die Plasmodien sind von dem erhöhten oxidativen Stress ebenso betroffen wie die Erythrozyten, sodass deren intraerythrozytäre Vermehrung beeinträchtigt ist.

Hinweis(e)

Auslöser: Im Allgemeinen erfolgt bei dem Glucose-6-Phosphatdehydrogenase-Mangel eine Hämolyse nur dann, wenn die Patienten triggernde Substanzen zu sich nehmen wie beispielsweise:

  • Bohnen, vor allem Saubohnen (Vicia faba, daher die Bezeichnung „Favismus“)
  • Erbsen
  • Johannisbeeren

Triggernde Medikamente sind:

Andere               

  • Rasburicase
  • Methylthioniniumchlorid (Methylenblau)
  • Toloniumchlorid (Toluidinblau)
  • Dimercaptobernsteinsäure (Succimer)
  • Glibenclamid
  • Isosorbiddinitrat (ISDN)
  • Vitamin C

Folgende Antimalariamittel stehen bei einem 6G-6-PD-Mangel zur Verfügung: 

  • Malarone
  • Paludrine
  • Riamet

Literatur
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  1. Bhageria V et al. (2016) Anaesthetic management of a patient with glucose-6-phosphate dehydrogenase deficiency undergoing robotic-assisted laparoscopic radical prostatectomy (Electronic version). Journal of Society of Anaesthesiologists of Nepal 3: 93-95
  2. Depta A et al. (2006) Anästhesie bei Patienten mit Glukose-6- Phosphat-Dehydrogenase-Mangel: Fallbericht und perioperatives anästhesiologisches Management (Electronic version). Der Anaesthesist 5: 550-554
  3. Elyassi AR et al. (2009). Perioperative Management of the Glucose-6- Phosphate Dehydrogenase Deficient Patient: A Review of Literature (Electronic version). Anesthesia Progress 56: 86-91
  4. Gautam, K. (2016). Glucose-6-phosphate dehydrogenase: History and diagnosis (Electronic version). Journal of Pathology of Nepal 6: 1034-1039
  5. Hofmann S et al. (2016) Glucose-6-Phosphat-DehydrogenaseMangel (Electronic version). SWISS MEDICAL FORUM 16: 241-244
  6. Inglin T (2017) Glukose-6-PhosphatDehydrogenase-Mangel. NDS HF Anästhesiepflege Kurs F16
  7. Luzzatto L et al. (2016) Glucose-6-Phosphate Dehydrogenase Deficiency (Electronic version). Hematology/oncology Clinics of North America 30: 373-393
  8. Reading NS et al. (2016). Favism, the commonest form of severe hemolytic anemia in Palestinian children, varies in severity with three different variants of G6PD deficiency within the same community (Electronic version). Blood Cells, Molecules and Diseases 60: 58-64
  9. Valiaveedan S et al. (2011) Anaesthetic management in patients with glucose-6-phosphate dehydrogenase deficiency undergoing neurosurgical procedures (Electronic version). Indian Journal of Anaesthesia 55: 68-70

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