Synonym(e)
Erstbeschreiber
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wird über die Gastroparese in der Literatur berichtet (Usai- Satta 2020).
Eine Dysfunktion des Pylorus bei diabetischer Gastroparese wurde erstmals 1986 von Meinin et al. beschrieben.
Seit 1993 wird der von Ghoos et al. entwickelte Diagnosetest zur Messung der Magenentleerungsrate mittels eines kohlenstoffmarkierten Oktansäure- Atemtests verwendet (Usai- Satta 2020).
Definition
Unter einer Gastroparese (GE / Gp) versteht man ein Symptom oder eine Reihe von Symptomen (Schol 2021), die auf eine verzögerte Magenentleerung ohne Vorliegen einer mechanischen Obstruktion zurückzuführen sind (Grover 2019). Die Symptome selbst müssen mindestens seit 3 Monaten bestehen, um von einer Gp zu sprechen (Schol 2021).
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Einteilung
Die Gastroparese zählt zählt zu den enteritischen Ganglionitiden (Keller 2021).
Man differenziert zwischen
- a. Echter Gastroparese:
Diese ist definiert als eine Form der Erkrankung mit typischen Symptomen und szintigraphisch nachgewiesener verzögerter Gastroparese.
- b. Wahrscheinlicher Gastroparese:
Hierbei besteht neben den typischen Symptomen zusätzlich eine endoskopisch nachgewiesene verzögerte Gp.
- c. Möglicher Gastroparese:
Diese zeigt sich durch typische Symptome oder eine asymptomatische verzögerte Gp (Grover 2019).
Waseem et al. (2009) differenziert zwischen drei verschiedenen klinischen Verlaufsformen:
- Milde Gp:
Es besteht kein Verlust des Körpergewichtes und die Symptome sind leicht zu beherrschen.
- Moderate Gp:
Es finden sich häufige, aber nicht tägliche Symptome, die mit Antiemetika, Prokinetika, Ernährungsumstellung und Kontrolle der Glukose gut behandelbar sind
- Schwere Gp:
Hierbei kommt es trotz ärztlicher Behandlung zum Auftreten täglicher Symptome, Gewichtsverlust und Unterernährung. Der Patient benötigt häufige medizinische Behandlungen und Krankenhausaufenthalte (Waseem 2009).
Die Schwere der Symptome lässt sich durch den GCSI (Gastroparesis Cardinal Symptom Index) berechnen:
Der GCSI besteht aus 9 Items, gruppiert in drei Unterskalen, bewertet in den letzten zwei Wochen:
- Übelkeit / Erbrechen
- postprandiales Völlegefühl / frühes Sättigungsgefühl
- Blähungen
Für jedes Item wird vom Patienten eine Bewertung von 0 bis 5 vergeben. Je höher der Gesamtscore ist, desto höher der Schweregrad der klinischen Manifestationen (Waseem 2009).
Vorkommen/Epidemiologie
Bei der Gp handelt es sich um eine relativ häufige, aber wenig bekannte klinische Erkrankung (Usai- Satta 2020), die oftmals nicht diagnostiziert wird, insbesondere die Malignom- assoziierte Form (Tilg 2021).
Die Epidemiologie der Erkrankung ist laut Schol (2021) bislang nicht bekannt (Schol 2021). Grover (2019) beschreibt die altersbereinigte Inzidenz pro 100.000 Personen für Männer mit 2,4 und für Frauen mit 9,8, wobei die Zahlen im Alter noch weiter ansteigen.
Eine Gp kann allerdings auch bereits – wenn auch seltener - im Kindesalter auftreten (Rodeck 2008)
Die Gastroparese findet sich im Rahmen eines Diabetes mellitus als parasympathische Schädigung nur selten (Herold 2022). Es hat sich gezeigt, dass lediglich ca. 1 – 5 % aller Diabetiker von einer diabetischen Gastroparese (DG) betroffen sind (Grover 2019).
Frauen sind mit 82 % erkranken deutlich häufiger als Männer (Schol 2021)
Ätiopathogenese
Es handelt sich bei der Gastroparese um eine parasympathische Schädigung, die im Rahmen folgender Erkrankungen auftreten kann (Herold 2022):
Diabetes gilt als prototypische Ursache (Grover 2019). Besonders betroffen sind Typ- 1- Diabetiker (Schol 2021).
- chronische Pankreatitis (Kasper 2015)
- Nierenerkrankungen im Endstadium
- mesenteriale Ischämie
- Myopathien
- Apoplex
- Muskeldystrophien wie z. B. Duchenne- Muskeldystrophie, myotone Dystrophie
- Infektionserkrankungen wie z. B. Viruserkrankungen durch CMV (Zytomegalieviren), EBV (Epstein- Barr- Virus), VZV (Varizella Zoster Viren) etc. (Usai- Satta 2020)
- postoperativ nach z. B. Magenresektion, Vagotomie, bariatrischen Operationen, Lungentransplantation, Pankreatikoduodenektomie etc.
- als postinfektiöse Erkrankung nach viralen Magen- Darm- Infektionen (Schol 2021)
- Erkrankungen des Bindegewebes einschließlich Amyloidose, Dermatomyositis, Sklerodermie, Sjögren- Syndrom, LES (Lambert- Eaton- Rooke- Syndrom), Polymyositis etc.
- Essstörungen wie z. B. Anorexia nervosa, Bulimie
- maligne Erkrankungen wie z. B. Lymphom, Pankreaskarzinom, paraneoplastisches Syndrom (Usai- Satta 2020)
- idiopathisch (häufigste Ursache mit über 50 % [Grover 2019])
- Erkrankungen des Nervensystems wie z. B. M. Parkinson, Multiple Sklerose, Myasthenia gravis, Guillain- Barre- Syndrom, Dysautonomie (Usai- Satta 2020)
- Amyloidneuropathie (Schol 2021)
- Medikamente wie z. B. Opioide (Schol 2021), Anticholinergika, Antipsychotika der 2. Generation, trizyklische Antidepressiva, Kalziumkanalblocker, Cannabis etc. (Usai- Satta 2020)
- Nahrungsmittelallergie (Rodeck 2008).
Pathophysiologie
Die Gastroparese ist das Ergebnis neuromuskulärer Anomalien in der Magenmotorik. Es gibt Hinweise darauf, dass eine intrinsische Neuropathie bei Patienten mit Gastroparese vorliegt.
Ausgelöst wird die Gastroparese durch ein Versagen der Kontraktion des Antrums oder der Entspannung des Pylorus (Camilleri 2022). Die gesamte Pathophysiologie ist jedoch bis heute nicht gänzlich geklärt (Usai- Satta 2020).
Bei der idiopathischen und diabetischen Gastroparese z. B. findet sich eine postprandiale Hypomobilität im Antrum mit verringerter Häufigkeit und normalen Kontraktionsamplituden (Camilleri 2022).
Klinisches Bild
Als Leitsymptome gelten
- Übelkeit (häufigstes Symptom, kommt bei ca. 95 % der Patienten vor [Grover 2019])
- Erbrechen (Schol 2021) innerhalb 1 h nach der Nahrungsaufnahme (Kasper 2015)
Weitere Symptome können sein:
- Völlegefühl
- Druckgefühl im Oberbauch
- postprandiale Hypoglykämie (Herold 2022)
- frühzeitiges Sättigungsgefühl (Schol 2021)
- schwere Blähungen bei ca. 40 % (Grover 2019)
- Gewichtsverlust (Tilg 2021)
Diagnostik
Die Diagnostik erfolgt i. d. R. zunächst sonographisch, endoskopisch (Schol 2021) und wird dann durch eine Spezialdiagnostik wie z. B. den 13C- Oktansäure- Atemtest oder eine Magenentleerungs- Szintigraphie ergänzt (Herold 2022).
Eine mechanische Behinderung der Magen- Darm- Passage sollte bei der Diagnostik sicher ausgeschlossen werden (Schol 2021).
Bildgebung
Sonographie
Sonographisch lassen sich die Bewegungen der Antrumwand, Muster des transpylorischen Flusses und der Durchmesser des Magenantrums beurteilen (Schol 2021).
Magen- Darm- Passage (ÖGD) / CT / MR- Enterographie
Diese Untersuchungen dienen in erster Linie zum Ausschluss einer mechanischen Obstruktion (Rodeck 2008 / Tilg 2021).
Gastroskopie
Hierbei findet sich typischerweise neben Magensaftresten (Kasper 2015) auch eine Nahrungsretention (Schol 2021).
Magenentleerungs- Szintigraphie (GES)
Diese Untersuchung gilt derzeit als Goldstandard. Hiermit kann der Transport einer mit Technitium 99 m markierten Mahlzeit durch den oberen Magen- Darm- Trakt beurteilt werden (Usai- Satta 2020).
Die Magenentleerungsstörung ist szintigraphisch definiert als:
- Magenretention > 10 % nach 4 h bzw.
- Magenretention > 60 % nach 2 h (Tilg 2021).
Bei der milden Gp findet sich eine Retention von 10 – 15 % nach 4 h, bei der moderaten Gp eine Retention von 15 – 35 % nach 4h und bei der schweren GP eine Retention von > 35 % nach 4 h (Tilg 2021).
Doppelkontrast- Röntgenaufnahme
Diese dient in erster Linie zum differentialdiagnostischen Ausschluss z. B. einer Hiatushernie, einem Ileus etc.. Bei einer Gp finden sich hierbei eine verminderte Peristaltik, eine Magendilatation und eine Retention von Mageninhalt (Usai- Satta 2020).
Sonstige Untersuchungsmethoden
Körperliche Untersuchung
Es sollten der Body- Mass- Index berechnet und abdominelle Narben beachtet werden. Bei der Untersuchung der Haut und Schleimhäute können sich eventuell Hinweise auf Bindegewebserkrankungen zeigen (Usai- Satta 2020).
Auskultatorisch ist bei einer abrupten Seitwärtsbewegung des Patienten ein Succussions- Plätschern zu hören (Kasper 2015).
Atemtest zur Magenentleerung (GEBT)
Der 13- C- Oktansäure Magenentleerungs- Atemtest stellt eine einfache und kostengünstige diagnostische Untersuchung dar. Der Test ist allerdings unzuverlässig bei Patienten mit Pankreasinsuffizienz, obstruktiver Lungenerkrankung und Malabsorption (Usai- Satta 2020).
Drahtlose Motilitätskapsel (WMC)
Hiermit ist es möglich, Verweildauer, Temperatur, pH- Wert und Druck zu übertragen. Eine Verweildauer im Magen von mehr als 5 h definiert eine verzögerte Magenentleerung (Usai- Satta 2020).
Labor
- großes Blutbild
- Elektrolyte
- Glukose
- Kreatinin
- Harnstoff
- TSH
- Hb- A1c- Wert bei Diabetikern
- serologische Marker bei untergewichtigen Patienten
- Bestimmung spezifischer Antikörper bei V. a. eine Autoimmunerkrankung (Usai- Satta 2020)
Histologie
Es findet sich bei vielen intestinalen Mobilitätsstörungen, u. a. auch bei der Gp oftmals eine Reduzierung der ICC- Zahl (Intestinal Cells of Cajal) bzw. eine veränderte Architektur und Verteilung der ICC- Netzwerke. Ein direkter kausaler Zusammenhang konnte bislang jedoch nicht sicher nachgewiesen werden (Keller 2021).
Differentialdiagnose
- Funktionelle Dyspepsie (Kasper 2015)
- Dumping- Syndrom
- maligne Erkrankungen
- Magenausgangsstenose
- Ileus (Usai- Satta 2020)
Therapie allgemein
Die Behandlung einer Gp besteht in erster Linie aus:
- Symptomkontrolle
- Korrektur der Nahrungsdefizite
- Aufrechterhaltung eines bestimmten Körpergewichtes
- Therapie der Ursachen (Usai- Satta 2020).
Ernährungsumstellung
Diätologische Maßnahmen sollten im Vordergrund stehen (Tilg 2021).
Olausson (2014) weist auf einen deutlichen Rückgang der Symptomatik einer Gastroparese durch die sog. „small- particle- diet“ hin, auch als „Interventionsdiät“ bezeichnet. Diese Form der Diät sollte aus kleinen, häufigen, fett- und ballaststoffarmen Nahrungsmitteln bestehen (Usai- Satta 2020).
Interne Therapie
Die Therapie einer autonomen diabetischen Neuropathie kann zusätzlich medikamentös erfolgen.
Hier empfiehlt sich als Erstes die Gabe von Metoclopramid (Tilg 2021).
Es handelt sich um einen kombinierten 5- HT4- Agonisten und einen D2- Antagonisten. In bis zu 25 % der Fälle führen jedoch antidopaminerge Nebenwirkungen wie z. B. Dystonien, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen zu einem begrenzten Einsatz (Kasper 2015). Es zeigt sich darunter außerdem meistens ein rascher Wirkverlust (Herold 2022), dennoch wird ein Therapieversuch laut Leitlinie empfohlen (Keller 2021).
Dosierungsempfehlung: 3 – 4 x 10 mg / d ca. 10 – 15 min vor den Mahlzeiten (Tilg 2021).
Sollte unter Metoclopramid keine Verbesserung der Symptomatik erzielt werden können, empfiehlt sich die Gabe von Erythromycin (Tilg 2021).
- Erythromycin
Dieses Medikament erhöht durch Wirkung auf Rezeptoren für Motilin die gastroduodenale Motilität (Kasper 2015). Aber der Motilin- analoge Effekt ist meistens nur kurzfristig (Herold 2022), der Einsatz wird aber dennoch laut Leitlinie empfohlen (Keller 2021).
Dosierungsempfehlung: 3 x 250 mg / d vor den Mahlzeiten (Tilg 2021).
Hier empfiehlt sich Ondansetron (Handelsname Zofran R) in einer Dosierung von 4 – 8 mg 3 x / d
(Lüllmann 2004 / Usai- Satta 2020).
Bei insulinpflichtigen Diabetikern sollte auf eventuell auftretende postprandiale Hypoglykämien geachtet und der Spritz- Ess- Abstand entsprechend angepasst werden, eventuell sogar die Injektion erst nach der Nahrungsaufnahme erfolgen (Herold 2022).
Bei therapierefraktärer schwerster Gastropathie können eine jejunale Ernährungssonde mit CGMS (continuous glucose monitoring) oder eine Insulinpumpentherapie (CSII) erforderlich werden (Herold 2022).
Operative Therapie
Pyloroplastik
Bei schweren und therapieresistenten Verlaufsformen kann eine Pyloroplastik angezeigt sein
(Usai- Satta 2020). In einer retrospektiven Studie von Mancini et al aus dem Jahre 2015 hat sich eine Normalisierung der Magenentleerung bei 60 % der betroffenen Patienten gezeigt.
Magenschrittmacher
Ein Magenschrittmacher gilt als Ultimo Ratio. Die Operation ist in wenigen, darauf spezialisierten Kliniken möglich (Tilg 2021).
Verlauf/Prognose
Die Gp führt zu erheblichen Einschränkungen und Belastungen der Lebensqualität (Usai- Satta 2020). Patienten mit sowohl mit eindeutiger, als auch wahrscheinlicher und möglicher Gp wiesen in einer Studie von Jung aus dem Jahre 2009 eine höhere Rate an Krankenhauseinweisungen, und eine verringerte Lebenserwartung auf.
Die Prognose einer Gastroparese ist abhängig von der Ursache der Erkrankung (Schol 2021).
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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