Mukositis orale

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

Co-Autor: Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

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Synonym(e)

Mucositis enoralis; orale Mukositis

Definition

Häufige, frühe (meist im Verlauf der 1.Behandlungswoche), reaktive, schmerzhafte, entzündliche, komplexe Nebenwirkung der Mundschleimhaut auf mukotoxische onkologische Therapieverfahren der Kopf-Halsregion (s. a. ANUG = akut nekrotisierende ulzeröse Gingivitis) mit phasenhaftem Verlauf (Enanthem - fokale pseudomembranöse Schleimhautläsionen - lokalisierte oder auch konfluente Ulzera). Häufig auch als Nebenwirkung einer Radio(chemo)-therapie auftretend (s.a. Zytostatika, supportive Therapie). Die orale Mukositis stellt einen Dosis-limitierenden Faktor für eine zytostatische Therapie dar und stellt durch die Störung der Schleimhautbarriere ein erhöhtes Risiko für eine systemische Infektion dar.

Einteilung

Der Schweregrad der Mukositis wird wie folgt eingeteilt:

  • Grad 0: normale Mundschleimhaut ohne Veränderungen.
  • Grad 1: Rötungen, Wundsein und Brennen; gelegentliche und geringe Schmerzen; Schwierigkeiten bei fester Kost.
  • Grad 2: Rötungen, kleine Entzündungen; zeitweilige und erträgliche Schmerzen; Schwierigkeiten bei weicher Kost.
  • Grad 3: größere Entzündungen; starke, dauerhafte Schmerzen.
  • Ab Grad 3 spricht man von einer schweren Mukositis. Selbst Trinken bereitet zunehmend Probleme. Auch beim Sprechen treten Schmerzen auf.
  • Grad 4: schwerste Verlaufsform; tiefe Geschwüre, qualvolle Schmerzen; künstliche Ernährung.

Vorkommen/Epidemiologie

Eine Vielzahl zytostatischer Substanzen können Stomatitis, Ösophagitis und orale Ulzerationen verursachen. Häufigkeit und Schwere der Mukositis hängen von Substanz, Dosis, Applikationsart und der gewählten Kombination mit anderen Zytostatika oder mit einer Radiotherapie ab. Eine Mukositis wird insbesondere bei Verwendung von Methotrexat, Antrazyklinen, 5-Fluorouracil, Capecitabin und Etoposid beobachtet. Weitere besonders mukotoxische Chemotherapeutika sind:

Ätiopathogenese

Die Pathogenese der Mukositis/Stomatitis ist ein komplexer Vorgang. Stomatotoxische Chemotherapeutika und Radiotherapie generieren Sauerstoffradikale mit resultierenden DNA-Schädigungen des Epithels. Hierbei kommt es zu Frühveränderungen sowohl am Endothel der submukösen Blutgefäße als auch am Bindegewebe, obwohl die Mukositis als epithelialer Prozess gedeutet wird.

Klinisches Bild

Akutreaktionen äußern sich in unterschiedlichen Erscheinungsformen (unterschiedlich je nach Agens, Art und Umfang einer Strahlentherapie): Charakteristisch ist das Auftreten von Brennen der Mundschleimhaut das sich 3-10 Tage nach Gabe der Zytostatika einstellt. Zu diesem Zeitpunkt sind objektive Zeichen, wie Rötung oder Ulzerationen, noch nicht sichtbar. 3-5 Tage nach dem Auftreten der ersten Symptome zeigen sich Erytheme und flächige Erosionen (Mucositis enoralis) die sich zu großflächigen Ulzera entwickeln können. In schweren Fällen entwickelt sich ein hämorrhagische Stomatitis. Die orale Mukositis kann sich als:
  • Glattflächenmukositis manifestieren (Entzündungen der Wangen, Gaumen, Zunge, Mundboden, Oropharynx) oder als
  • Gingivitis, als deren Maximalvariante eine ANUG (akute, nekrotisierende, ulzeröse Gingivitis) anzusehen ist.
  • Weiterhin wird regelmäßig eine Xerostomie mit Geschmacksstörungen beobachtet.
Die Störung der Barrierefunktion der Mundschleimhaut führt zur Gefahr einer lokalen und systemischen Infektion bis hin zur Sepsis. Spätreaktionen können nach Monaten oder Jahren in Form von Schleimhautatrophien, Ulzera, Strahlenkaries, permanenter Xerostomie und Geschmacksstörungen, Trismus (Kieferklemme) auftreten. Die Schädigungen sind in der Regel reversibel und verheilen 1-2 Wochen nach Beendigung der Therapie.

Komplikation(en)

Sekundärinfektionen durch unterschiedliche Bakterien (Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus aureus, Escherichia coli sowie Streptococcus viridans) und Sprosspilze (Candida albicans), die zu lokalisierten aber auch septischen Infektionen führen können. Weitere komplikative Infektionen v.a. bei immunsupprimierten Pat. sind Herpes-simplex-Virus Typ I - und Varizella-Zoster-Virus- Infektionen. Die Mehrzahl der HSV-Infektionen erfolgt durch Reaktivierung des latenten Virus.

Therapie

  • Chlorhexidin: Chlorhexidindiglukonat (0,12% bis 0,2%) ist wirksam gegen grampositive Bakterien. Nebenwirkungen sind verändertes Geschmacksempfinden, Zahnverfärbungen und Besiedlung der Mundhöhle durch gramnegative Bakterien [Foote RL 1994].
  • Für die übrigen topischen Desinfektiva (Hydrogenperoxid 3%, Polyvidonjodid, Cetylpyridiniumchlorid, Silbernitrat) liegen keine Daten vor, die eine generelle Empfehlung unterstützen.
  • PTA-Lutschtabletten: Enthalten Polymyxin E, Tobramycin und Amphotericin B, um orale und pharyngeale Infektionen zu unterdrücken.
  • Benzydamin-HCl: Die Anwendung 0,15%iger Spüllösung vor und nach Radiotherapie zeigte in einer placebokontrollierten Studie eine Überlegenheit
  • Traumeel S: Eine kleinere randomisierte Studie bei Kindern, die eine Stammzelltransplantation erhielten, zeigte eine reduzierte Rate der Chemotherapie-induzierten Stomatitis.
  • Orale Kryotherapie: Randomisierte Studien konnten zeigen, dass eine 30-minütige orale Kryotherapie bei einer Bolus-5-Flourouracil-Applikation oder einer Melphalan - haltigen Chemotherapie die Frequenz der oralen Mukositis günstig beeinflusst. Anwendung v.a. bei Substanzen mit kurzer Halbwertszeit und Bolusapplikation.
  • Sucralfat: Sucralfat wird bei Pat. mit Strahlentherapie eingesetzt. Das Präparat wird als Granulat in Wasser aufgelöst und bildet einen Schutzfilm auf der Mukosa. 
  • Antiphlogistika: Pflanzenextrakte (Kamille oder Salbeilösungen): Kamille hatte trotz bekannter antiinflammatorischer, antibakterieller und spasmolytischer Eigenschaften keinen gesicherten Einfluss auf die durch 5-Fluorouracil induzierte Stomatitis Auch der positive Effekt von Salbeitee und Myrrhetinkturen ist nicht gesichert.

Prophylaxe

  • Strahlentherapie: Möglichst kleine Schleimhautflächen mit möglichst geringen Dosen strahlentherapeutisch belasten.
  • Optimale Mundhygiene, häufige Spülungen mit Leitungswasser oder antiphlogistischen Präparaten (s.u.)
  • Verzicht auf Alkohol- oder Zigarettenkonsum
  • Diätetische Maßnahmen (salzarm, gewürzarm)
  • Symptomatische Schmerzbehandlung
  • Bei Infektzeichen gezieltes Antibiogramm - gesteuerte antibiotische oder antimykotische System - oder Lokaltherapie
  • Prothesenkarenz
.

Hinweis(e)

Die Mundhöhle ist im Hinblick auf eine onkologische Therapie als Gesamtorgan zu betrachten, mit einer komplexen Interaktion verschiedener Strukturen wie: Schleimhaut, Geschmackspapillen, Zähne, Zahnhalteapparat, Weichgewebe, Muskulatur, Kiefergelenke, Speicheldrüsen.

Literatur
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  1. Awidi A et al. (2001) Double-blind, placebo-controlled cross-over study of oral pilocarpine for the prevention of chemotherapy-induced oral mucositis in adult patients with cancer. Eur J Cancer 37:2010-2014
  2. Bleyer WA (1978) The clinical pharmacology of methotrexate: new applications of an old drug. Cancer 41:36-51
  3. Dodd MJ et al. (2000) Randomized clinical trial of the effectiveness of 3 commonly used mouthwashes to treat chemotherapy-induced mucositis. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 90:39-47
  4. Meropol NJ et al. (2003) Randomized phase I trial of recombinant human keratinocyte growth factor plus chemotherapy: potential role as mucosal protectant. J Clin Oncol 21:1452-1458.

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