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FrühsyphilisA51.-
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Leonicenus (Leonicus), 1497
Definition
Weltweit verbreitete, bakterielle, sexuell übertragbare Infektion mit einem typischen, phasenhaft ablaufenden, chronischen Verlauf mit initialer lokalisierter, zu einer progredienten systemischen Infektionskrankheit.
Erreger
Treponema pallidum (Spirochaeta pallida), eine Spirochäte, die aufgrund ihrer Empfindlichkeit nur im feucht-warmen Milieu übertragen wird.
Vorkommen/Epidemiologie
Im Jahre 2015 betrug die bundesweite Inzidenz 8,5 Fälle /100.000 Einwohner/Jahr. In Berlin lag die Inzidenz bei 31/100.000 Einwohner, in Hamburg bei 19,7/100.000. In Europa (29 Länder) betrug 2014 die durchschnittliche Inzidenz 5,1 Fälle/100.000 Einwohner/Jahr. Die niedrigste Inzidenz fand sich in Italien (0,6/100.000), die höchste in Malta (11,5/100.000 Einwohner/Jahr).
Der Frauenanteil der gemeldeten Syphilis-Fälle lag für Deutschland bei 6,2%.
Gehäuft finden sich Syphilis-Infektionen bei Männern, die Sex mit Männern ("men who have sex with men" MSM) haben. Bei dieser Gruppe wurden in den letzten Jahren die höchsten Zuwachsraten verzeichnet. S.a. Slamming.
Bis zu 15% der Infizierten in Deutschland leiden gleichzeitig unter einer HIV-Infektion, bis zu 80% der HIV-infizierten sind TPHA-positiv (kein wesentlicher Unterschied im klinischen Verlauf).
Ätiopathogenese
Unmittelbare Übertragung von Mensch zu Mensch durch Schmierinfektion, vor allem beim Geschlechtsverkehr. Das Eindringen der Erreger in den Organismus erfolgt durch mikroskopisch kleine Epitheldefekte.
Sehr selten sind "nicht-sexuelle" akzidentelle Übertragungen bei Läsionen im Bereich der Mundschleimhaut.
Infektionen durch Bluttransfusion sind heute nahezu ausgeschlossen.
Lokalisation
Frühsyphilis (Primäraffekt):
- Genitale: Beim Mann sind vor allem Glans, Sulcus coronarius, inneres Vorhautblatt (s.a. Präservativschanker) befallen. Bei der Frau sind v.a. große und kleine Labien, Klitoris und Urethralmündung betroffen.
- Extragenital (5%): Auftreten v.a. perianal, intrarektal, im Mund, in der Mundhöhle, an Tonsillen, Lippen, Wangenschleimhaut, weiblichen Brustwarzen. Jede Körperstelle kann befallen sein.
Klinisches Bild
- Frühsyphilis (Syphilis I u. II; Syphilis <1 Jahr):
- Syphilis I: Inkubationszeit 2-3 Wochen. Primäraffekt: Schmerzlose, meist solitäre (s.a. Abklatschschanker), verschieden große, indurierte Papel, die sehr rasch ulzeriert und in ein schmerzloses, derbes Ulkus (Ulcus durum) übergeht. Bei etwa 5% (?) der Fälle tritt der Primäraffekt auch extragenital auf (v.a. oral; selten an Fingern oder Mamillen).
- Sonderform: Oedema indurativum. Primärkomplex = indolente regionale Lymphadenitis (Bubo) + Primäraffekt.
- Syphilis II: Nach etwa 2-3 Wochen spontane Remission des Primärkomplexes. Die Pat. erscheinen während der ersten Latenzphase von 4-6 Wochen erscheinungsfrei. Das Stadium der generalisierten Spirochätose beginnt etwa 3-8 Wochen nach Auftreten des Primäraffektes. Es kommt zu klinischen Allgemeinsymptomen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, leichtem Fieber, Halsschmerzen, generalisierter Lymphadenopathie (indolent, verschiebbar, aus differenzialdiagnostischer Sicht wichtiges Zeichen [DD: lymphatische Systemerkrankungen!]), Muskel- und Gelenkschmerzen.
- Erste sichtbare Hauterscheinungen sind i.A. nicht juckende, häufig nur diskrete, rosafarbene, makulöse Exantheme mit narbenloser Abheilung (Roseolen).
- Im weiteren Verlauf treten deutlich sichtbare, zunehmend polymorphe Exantheme auf, die regelmäßig Hohlhand und Fußsohlen miteinbeziehen (palmoplantares Hohlhand/Hohlfuß-Syphilid = wichtiges differenzialdiagnostisches Zeichen dieser Exantheme).
- S.a.
- Depigmentierungen oder Hyperpigmentierungen können am Ort der abgeheilten Syphilide auftreten, s.a.u. Leucoderma syphiliticum, Halsband der Venus (v.a.beim weiblichen Geschlecht auftretend).
- Alopezie: S.u. Alopecia areolaris syphilitica, Alopecia specifica diffusa.
- Extrakutane Manifestationen/Allgemeinzustand: Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, leichte Temperaturerhöhung, Myalgien, polyarthritische Schmerzen (Polyarthritis syphilitica, Periostitis syphilitica), meist nächtliche Knochenschmerzen (Osteocopi nocturni), vor allem an Femur, Tibia, Humerus, Schläfengegend, Sternum, Clavicula. Weiterhin: nächtliche Kopfschmerzen, Iritis, Nephritis, Phlebitiden, Periphlebitiden.
-
Merke! Etwa 75% aller unbehandelten Syphilisfälle heilen nach der Sekundärsyphilis spontan ab!
- Syphilis I: Inkubationszeit 2-3 Wochen. Primäraffekt: Schmerzlose, meist solitäre (s.a. Abklatschschanker), verschieden große, indurierte Papel, die sehr rasch ulzeriert und in ein schmerzloses, derbes Ulkus (Ulcus durum) übergeht. Bei etwa 5% (?) der Fälle tritt der Primäraffekt auch extragenital auf (v.a. oral; selten an Fingern oder Mamillen).
- Spätsyphilis (Syphilis III u. IV; Syphilis > 1 Jahr) s.u, Syphilis acquisita Spätsyphilis:
Labor
S.u. Syphilisserologie. TPHA-Test u. VDRL-Test sind effektive Suchtests. Bestätigungsreaktion: FTA-Test, FTA-Abs-Test (Goldstandard der Bestätigungstestverfahren).
Histologie
- Frühsyphilis:
- Primäraffekt: Dichtes, diffuses, histiozytenreiches gemischtes Infiltrat in allen Schichten der Dermis. Unterschiedliche Beimengung von eosinophilen Granulozyten und v.a. von Plasmazellen.
- Syphilitische Exantheme: Das histologische Bild variiert je nach Klinik. Psoriasiforme Syphilide zeigen das Bild einer Interface-Dermatitis mit psoriasiformer Epidermisreaktion (unregelmäßige Akanthose, Spongiose, fokale Parakeratose, apoptotische Kerationozyten) und eines (ungewöhnlich) dichten, bandförmigen Infiltrates in der oberen und mittleren Dermis (Lymphozyten, Histiozyten und Plasmazellen (!)). Ausdehnung des Infiltrates auf den tiefen Gefäßplexus. Möglich sind epitheloidzellige Granulome, die sich in der späten Phase der Frühsyphilis verdichten.
- Spätsyphilis (Syphilis III + IV, ab dem Ende des 2. Jahres nach der Infektion): Oberflächliches und tiefes Infiltrat. Infiltratzusammenseztung wie zuvor, jedoch entstehen mit zunehmender Verdichtung epitheloidzellige (tuberkuloide) Granulome.
Diagnose
- Frühsyphilis: Klinik, Erregernachweis im Dunkelfeldverfahren, Syphilisserologie (positiv 2–3 Wochen nach Auftreten des Primäraffektes).
- Spätsyphilis: Ex juvantibus: Rückbildung der Veränderungen durch interne Jodkaligabe, vorher Ausschluss einer Tuberkulose.
Differentialdiagnose
- Klinische Differenzialdiagnosen:
- Genitaler Primäraffekt: Ulkus meist schmerzlos, fest, stets regionale Lymphadenopathie.
- Balanoposthitis chronica circumscripta plasmacellularis: andere Altersgruppe: > 60 Jahre. Weiche Konsistenz. Mehrmonatiger Entstehungsverlauf, kein akutes Auftreten.
- Erythroplasie: andere Altersgruppe (> 60Jahre). Weiche Konsistenz. Flache Erosion. Mehrmonatiger Entstehungsverlauf, kein akutes Auftreten.
- Syphilitische Exantheme:
- Arzneimittelexanthem, makulo-papulöses: Anamnese. Selten Befall der Handflächen und des Kapillitiums. Die Farbe ist meist hellrot, bei Syphilid braun-rot. Keine Lymphadenopathie. Juckreiz kann vorhanden sein.
- Psoriasis vulgaris: Verteilungsmuster und typischer Ellbogenbefall schließen ein Syphilid aus. Keine oralen Läsionen. Keine Lymphadenopathie. Befall der Handflächen ist möglich.
- Infektiöse Exantheme (s.u. Exanthem (DD): Diese sind aufgrund der klinischen Gesamtsymptomatik (akuter Beginn, Allgemeinsymptome) und von zielgerichteten Laboruntersuchungen auszuschließen.
- Pityriasis rosea (wichtigste DD bei einem frühen syphilitischen Exanthem): Primärmedaillon. Kein Befall der Handflächen. Nie Schleimhautsymptomatik. Keine Lymphadenopathie.
- Scabies: meist prominenter Juckreiz mit Kratzexkoriationen (fehlt bei Syphilis immer!). Milbengangstrukturen. Befall der Handflächen bei v.a. jungen Patienten ist selten. Keine Lymphadenopathie.
- Histologische Differenzialdiagnosen:
- Lichen planus: markante Interface-Dermatitis mit ausgeprägter Vakuolisierung der basalen Keratinozyten. Keine Plasmazellen.
- Lichenoide Arzneireaktion: meist deutliches dermales Ödem. Häufig Eosinophilie. Keine Plasmazellen.
- Mycosis fungoides: typische Halobildung um polymorphe Lymphozyten. Kaum Plasmazellen. Markante Epidermotropie mit vakoulisierten Epidermiszellen. Eosinophilie ist möglich.
- PLEVA: keine Histiozyten. Keine Plasmazellen.
- Acrodermatitis chronica atrophicans: Atrophie der Epidermis und Verschmälerung der Dermis. Klaffende dermale Gefäße. Zahlreiche Plasmazellen.
Therapie
Therapie der 1. Wahl ist Benzathinpenicillin G. Dosierung: 2,4 Mio I.E. i.m. (gluteal links/rechts je 1,2 Mio.I.E.)
Alternativ: Ceftriaxon 1,0 g/Tag i.v. über 10 Tage.
Alternativ: Doxycyclin 100mg 2x/Tag p.o. über 14 Tage.
Alternativ: Erythromycin 0,5g 4x/Tag p.o. über 14 Tage.
Merke! Auftreten einer Herxheimer-Reaktion (historisch exakter: Jarisch-Herxheimer-Reaktion) einige Std. nach Penicillingabe ist möglich (etwa bei 25-65% der Patienten)!
Zur Prophylaxe können 25-50 mg Prednisolon eine Stunde vor oder während der Penicillin-Injektion appliziert werden. Therapiebesonderheiten ergeben sich bei Penicillinunverträglichkeiten, Epilepsie oder Schwangerschaft.
Verlauf/Prognose
- Frühsyphilis: Spontane Abheilung ist möglich. Unbehandelt oder ungenügend behandelt ist ein Übergang in die Syphilis III oder die Syphilis IV möglich.
- Spätsyphilis: Letalität bei Befall des Herzkreislaufsystems 80-90%. Defektheilung, in der Regel aber Progression bis zum Tod. Dauernde Invalidität oder Debilität.
Tabellen
Therapie der Syphilis acquisita
|
Wirkstoff |
Beispielpräparat |
Dosierung |
Dauer |
Frühsyphilis * 1 |
Benzathin-Penicillin |
Pendysin |
2,4 Mio. IU i.m. |
1malige Applikation |
Bei Penicillinallergie * |
Doxycyclin |
DoxyHexal |
2mal/Tag 100 mg p.o. oder i.v. |
14 Tage |
Erythromycin |
Erythrocin |
4mal/Tag 500 mg p.o. |
14 Tage |
|
|
||||
Spätsyphilis * 2 |
Benzathin-Penicillin als Depotinjektion |
Tardocillin 1200 |
2,4 Mio. IE i.m. |
3mal im Abstand von 7 Tagen (Tag1,8,15) |
Alternativ * |
Doxycyclin |
DoxyHexal |
2mal/Tag 100 mg p.o. oder i.v. |
28 Tage |
Ceftriaxon |
Rocephin |
1,0 g/Tag i.v. |
14 Tage |
|
Neurosyphilis * |
Benzylpenicillin-Natrium |
Penicillin G Jenapharm |
6mal/Tag 3-4 Mio. IE i.v. alternativ: 10 MioIE 3x/Tag i.v. |
14-21 Tage |
Alternativ |
Ceftriaxon |
Rocephin |
2,0 g/Tag i.m. oder i.v.(initial 4,0g) |
14-21 Tage |
Bei epileptischen Anfällen durch hohe Penicillindosis |
Benzylpenicillin-Procain/Benzylpenicillin-Natrium |
Retacillin compositum |
1,2-2,4 Mio. IE/Woche i.m. |
7-14 Tage |
Anschließend: Benzathin-Penicillin |
3mal/Woche 2,4 Mio. IE i.m. |
3 Wochen |
||
Bei Penicillinallergie |
Doxycyclin |
DoxyHexal |
2mal/Tag 100-200 mg i.v. |
30 Tage |
Schwangerschaft |
Benzathin-Penicillin |
Pendysin |
2,4 Mio. IE i.m. |
1-3mal (im Abstand von 1 Woche) |
Bei Penicillinallergie |
Erythromycin 3 |
Erythrocin |
4mal/Tag 500 mg p.o. |
je nach Stadium |
Azithromycin |
Zitromax |
1mal/Tag 500 mg p.o. |
je nach Stadium |
|
Ceftriaxon |
Rocephin |
250-1000 mg/Tag i.v. oder i.m. |
je nach Stadium |
Literatur
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- Brown DL et al. (2003) Diagnosis and management of syphilis. Am Fam Physician 68: 283-290
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- Doherty L et al. (2002) Syphilis: old problem, new strategy. BMJ 325: 153-156
- Golden MR et al. (2003) Update on syphilis: resurgence of an old problem. JAMA 290: 1510-1514
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- Lee JY, Lee ES et al. (2003) Erythema multiforme-like lesions in syphilis. Br J Dermatol 149: 658-660
- Leonicenus N (1497) De morbo gallico. Aldus Manutius, Venedig
- Potthoff A et al. (2005) Syphilis and HIV infection. Characteristic features of diagnosis, clinical assessment, and treatment. Hautarzt 56: 133-140
- Walker DG, Walker GJ (2002) Forgotten but not gone: the continuing scourge of congenital syphilis. Lancet Infect Dis 2: 432-436