Synonym(e)
Definition
Chronische Missempfindungen im Bereich der Mundhöhle und/oder Zunge (chronische oro-linguale Dysästhesien), die sich als extrem unangenehm empfundenes Brennen, Stechen, Kribbeln, Jucken sowie Gefühl des Wundseins und anderen Missempfindungen äußern. Ggf. sind diese Symptome mit gestörtem oder schlechtem Geschmacksempfinden (und Geruchssinn) verbunden.
Vorkommen/Epidemiologie
Die Prävalenz liegt zwischen 80-120/100.000. Die höchste altersjustierte Prävalenz findet sich bei Frauen zwischen 70 und 80 Jahren mit etwa 500/100.000.
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Ätiopathogenese
Meist bestehen psychische Ursachen, z.B. im Rahmen einer larvierten Depression oder Involutionsdepression bei Karzinophobie. Kontaktsensibilisierungen können bei etwa 70% der Patienten nachgewiesen werden (s.u.). Sekundäres Auftreten als Begleitsymptom bei:
Lokale Faktoren:
- Exfoliatio areata linguae
- Haarzunge
- Diabetes mellitus
- Lingua plicata
- Lichen planus mucosae
- Kontaktallergien (Nickel, Palladium, Perubalsam, Pfefferminzöl, Methacrylate; Benzoylperoxid)
- Kiefergelenksyndrom (Cowden-Syndrom)
- Glossitis electrogalvanica (bei Füllungen oder Zahnersatz aus vesch. Metallen zwischen denen ein Spannungselement entsteht)
Systemische Faktoren:
- Vitamin B12-Mangel
- Folsäuremangel
- Glossitis Möller-Hunter
- Eisenmangelanämie (s.u. Spurenelemente, Mangelerscheinungen)
- Plummer-Vinson-Syndrom
- Sjögren-Syndrom
- Nebenwirkung von Betablockern.
- Diabetes mellitus (nicht diagnostiziert bzw. schlecht eingestellt)
- Vitaminmangel-Zustände von Vitamin B1, B2, B6
- Sjögren-Syndrom
- Akustikusneurinom
- Xerostomie verursachende Medikamente
Manifestation
Vor allem bei Frauen zwischen dem 45.-70. LJ auftretend, häufig im und nach dem Klimakterium. Bei Kindern kommt dieses Symptom praktisch nicht vor. w:m=4:1.
Klinisches Bild
Bis auf Zungenbrennen und/oder Zungenschmerzen kein klinischer Lokalbefund; nur äußerst selten geringe entzündliche Rötung der Zunge. Typische Klagen sind ständiges Gefühl einer verbrannten Zunge (hot tongue syndrome) sowie brennende oder stechende Schmerzen (burning mouth syndrome).
Assoziierte Störungen:
Mundtrockenheit (66%)
Geschmacksstörungen (11%)
Oft zeigen sich Zeichen einer milden Depression, Schlaflosigkeit und allg. Antriebslosigkeit.
Die Glossodyniee kan wie folgt eingeteilt werden:
- Typ I: Beginn der Beschwerden meist am Morgen mit Verstärkung während des Tages. Beschwerden werden gegen Abend bei Ermüdung dann unerträglich.
- Typ II: Kontinuierliche Symptomatik (häufig kombiniert mit Kontaktallergien)
- Typ III (häufigster Typ): Intermittierende Schmerzsymptomatik.
Anamnestisch bringen viele Pat. eine zuvor durchgemachte zahnärztliche Behandlung in einen kausalen Zusammenhang.
Histologie
Normale Schleimhaut, keine Zeichen einer Inflammation. Zeichen einer „small fibre neuropathy“.
Therapie
Schwierig zu therapierendes Krankheitsbild, da häufig kein organisches Substrat fassbar ist. Eine Epikutantestung sollte bei der relativ hohen Zahl an Kontaktallergien durchgeführt werden.
Psychotherapie führt oft nicht zur Beschwerdefreiheit, sollte aber trotzdem diskutiert werden.
Wichtig: Die kontinuierliche Betreuung durch einen erfahrenen, geduldigen Arzt ist notwendig. Ggf. Therapie einer Grunderkrankung.
Externe Therapie
Milde Spülungen mit Stomatologika wie Kamillenextrakten (Kamillosan Lösung) und
anästhesierenden Lösungen wie Benzocain vor dem Essen (z.B. Dolo-Dobendan Lösung).
Gelegentlich v.a. bei zusätzlicher Mundtrockenheit helfen künstliche Speichelprodukte.
Erfolge wurden auch mit der topischen Anwendung von Clonazepam erzielt (Liu YF et al. 2018), 3 minütiges Lutschen einer Clonazepam 1 mg, Tablette, dann ausspucken, 3 x täglich für 14 Tage (Die Autoren (Gremeau-Richard C et al. 2004) vermuten dabei eine – über den Placebo-Effekt hinausgehende – lokale Wirkung des Clonazepams auf den Benzodiazepin-GABA-A-Rezeptorkomplex in den Nervenendigungen der Zungenschleimhaut)
Interne Therapie
Anfangserfolge auf verschiedene Pharmaka wie Carbamazepin (z.B. Tegretal) 400-800 mg/Tag in 3-4 ED (langsamer Dosisaufbau) oder trizyklische Antidepressiva (z.B. Saroten) 3mal/Tag 25 mg p.o., max. 150 mg/Tag. Im chronischen, oft jahrelangen Verlauf, der das Privat- wie auch das Berufsleben beherrscht, kann sich zusätzlich ein Medikamentenabusus einstellen.
Bei komplettem therapeutischem Misserfolg bieten sich als ultima ratio wechselseitige Bockaden des Ganglion cervicale superius oder des Ganglion stellatum an.
Hinweis(e)
Die Glossodynie ist eine Ausschlußdiagnose.
Psychogene, chronische, oro-linguale Dysästhesien sind häufig der somatisierte Ausdruck eines schweren, seelisch nicht verarbeiteten Verlusterlebnisses (familiärer Konflikt, Partnerverlust, Klimakterium, Familienzerfall u.a.).
Kommt in einer solchen Krisensituation noch der Verlust der Zähne (Prothese) mit Bewusstwerden des Alters hinzu, so reagieren entsprechend disponierte Patienten, meist unbewusst, mit einem oralen Dysästhesiesymptom.
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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Verweisende Artikel (8)
Burning Mouth Syndrom; Burning mouth syndrome; Clonazepam ; Spurenelemente, Mangelerscheinungen; Stomatodynie; Vestibulitis, irritative ; Zungenbrennen; Zungenschmerzen;Weiterführende Artikel (21)
Ackerminze ; Benzocain; Benzoylperoxid; Carbamazepin; Clonazepam ; Diabetes mellitus Hautveränderungen; Exfoliatio areata linguae; Folsäuremangel; Glossitis Möller-Hunter; Lichen planus mucosae; ... Alle anzeigenDisclaimer
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