Anaphylaktischer SchockT78.2
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Definition
Ätiopathogenese
Die häufigsten Auslöser eines anaphylaktischen Schocks sind:
- Nahrungsmittel (s.u. Nahrungsmittelallergie: Erdnüsse, verschiedene Nusssorten, Milch, Eier, Fisch, Schalentiere, verschiedene Lebensmittelzusätze).
- Insektengifte (s.u. Insektengiftallergie: Biene, Wespe, Hornisse)
- Medikamente (s.u. Arzneimittelreaktion, unerwünschte: Antibiotika, Antiphlogistika, nichtsteroidale, Narkotika, Antiepileptika, Muskelrelaxantien, Rö.-Kontrastmittel [s.u. Kontrastmittel-Intoleranz])
- Latex
- Selten sind physikalische Auslöser (Kälte, UV-Strahlen) oder körperliche Anstrengung (= exercise induced anaphylaxis) als Maximalvariante der cholinergischen Urtikaria (s.u. Urtikaria, cholinergische).
Summationsanaphylaxie: Nicht selten werden anaphylaktische Reaktionen erst nach gleichzeitiger Präsenz von einem oder mehreren Ko-Faktoren symptomatisch (s.a. Nahrungsmittelallergie). Diese Kombinationen sind besonders schwierig zu diagnostizieren, da nur ihr Zusammenspiel die Anaphylaxie auslöst.
Klinisches Bild
Einteilung von Stadium 0 - IV, s. Tabelle 1. Neben den in
Tab.1 aufgeführten Symptomen können, wenn auch seltener, eine reflektorische Bradykardie (Bezold-Jarisch-Reflex) oder eine Hypertonie auftreten. Erste Anzeichen sind:
- Juckreiz an den Handflächen/Fußsohlen oder Genitalien
- metallischer Geschmack
- Prickeln im Mund-und Rachenraum
- Hitzegefühl bzw. -wallung
- Unruhe
- Rötung größerer Hautareale.
Eine biphasische Schockreaktion ( kann in etw 2% der Patienten erwartet werden). Zweiphasische Reaktionen werden 1bis max. 36 Stunden nach dem Erstereignis beobachtet.
Diagnose
Differentialdiagnose
Differenzialdiagnose des anaphylaktischen Schocks (var. n. Ludolph-Hauser et al.):
- Kardiovaskuläre Erkrankungen:
- Vagovagale Synkopen
- Non-anaphylaktischer Schock (z.B. kardiogen)
- Hypertone Krise
- Capillary-Leak-Syndrom
- Neuropsychiatrische Erkrankungen
- Hyperventilationstetanie
- Panikattacke
- Globus hystericus
- Epilepsie
- Apoplex
- Atemwegserkrankungen:
- Asthma ohne Zusammenhang mit Anaphylaxie
- Tracheale/bronchiale Obstruktion
- Intoxikationen
- Pathologische Mediatorfreisetzung:
- Urtikariaerkrankungen
- Angioödem (hereditär/erworben).
Therapie
Therapie allgemein
Venöser, möglichst großlumiger Zugang; Sauerstoff-Gabe, Atemwege freihalten, Blutdruckkontrolle. Wird der Schock durch lokale Injektionen oder Stiche an den Extremitäten ausgelöst, kann das vorübergehende Abbinden der jeweiligen Extremität die Reaktion abmildern.
Ablauf:
- SOFORT: Allergenzufuhr stoppen!
- Beruhigung von Patient (und Eltern)
- Lagerung symptomorientiert: Flachlagerung ist präferiert.
- Bei Bewusstlosigkeit: stabile Seitenlage
- Bei hämodynamischer Instabilität: Trendelenburg-Lagerung (Beine hoch)
- Bei Atemnot: sitzende oder halbsitzende Position
- Beurteilung des Schweregrades: Erkennen und Behandeln des bedrohlichsten Symptoms
- Gesicherten Zugang schaffen
- Bei Atem- oder Kreislaufbeschwerden sollten schon vorher Adrenalin i.m. und Sauerstoff inh. gegeben werden!
- Bei Herz-Kreislauf-Reaktion bzw. -Stillstand evtl. intraossärer Zugang
Interne Therapie
Adrenalin: Sobald Symptome wie Stridor, Hypotension, Dyspnoe vorliegen sollten 0,01mg/kgKG i.m. injiziert werden (s.unten).
Ab Stadium III oder bei akuter Atemnot Adrenalin z.B. Suprarenin 1:1000 (1 ml enthält 1 mg Adrenalin = Epinephrin) 0,3-0,5 ml langsam i.v., bei Larynx- bzw. Glottisödem und akuter Atemnot eine Gesamtdosis bis zu 1 ml injizieren.
In hochakuten Fällen werden nach Verdünnen von 1 ml der handelsüblichen Epinephrin-Lösung (1:1000) auf 10 ml oder unter Verwendung einer Epinephrin-Fertigspritze (z.B. Anapen 300 µg, Anapen 150 µg, Fastjekt) zunächst 0,5-1,0 ml (= 0,05-0,1 mg Epinephrin) unter Puls- und Blutdruckkontrolle langsam i.v. injiziert (0,1 mg/Min.); eine Maximaldosis von 1 mg Adrenalin sollte i.d.R. nicht überschritten werden.
Autoinjektor zur intramuskulären Injektion, gewichtsadaptiert.
- >7,5-15kg: 150µg Adrenalin
- >25-30kg: 300µg Adrenalin
- >50kg: 300µg 0der 500µg Adrenalin
Merke! Bei unzureichender hämodynamischer Stabilisierung durch Volumengabe und Adrenalin ggf. Gabe von Vasopressoren wie Noradrenalin oder Dopamin 35 µg/kg/Min (= 2,5 mg/Min/70 kg KG).
Volumensubstitution: I.v.-Gabe von Elektrolytlösungen im Stadium I bis II, ab Stadium III Plasmaersatzmittel wie Ringerlösung, in Ausnahmefällen Gelatinepräparate, niedrigmolekulare Dextran- und Hydroxyethylstärke-Lösungen.
Cave! Dextrane dürfen wegen des Risikos der Existenz präformierter Antikörper gegen Dextrane erst nach Vorbehandlung mit niedermolekularem Dextranhapten gegeben werden.
Antihistaminika: Ab Stadium I bis II Clemastin (z.B. Tavegil) oder Dimetinden (z.B. Fenistil) 1-2 Amp. i.v.
Theophyllin (z.B. Euphyllin): Zur Bronchialerweiterung ab Stadium III 0,12-0,24 g i.v.
Glukokortikoide: Ab Stadium II gleichzeitig hoch dosiert Glukokortikoide wie Methylprednisolon (z.B. Urbason) 500-1000 mg i.v.; die Dosis kann nach Bedarf wiederholt werden.
β 2 -Sympathomimetika: Bei obstruktiven Atembeschwerden ergänzende Injektion eines β-Sympathomimetikums wie Terbutalinsulfat (z.B. Bricanyl) 0,5-1 Amp. à 0,5 mg s.c., bis zu max. 2 mg/Tag.
Dosierungsempfehlungen bei Kindern:
- Adrenalin 0,005-0,01 mg/kg KG als Bolus; 0,05-0,5 µg/kg/Min. als Dauerinfusion (endotracheal 2-3fach höher).
- Dopamin 1,5-2,5 µg/kg/Min. als Dauerinfusion.
- Noradrenalin 0,05-1,0 µg/kg/Min. als Dauerinfusion.
- H1 Antagonisten, z.B. Fenistil 0,1-0,5 mg/kg KG i.v. oder Tavegil 0,025-0,05 mg/kg KG i.v.
- H2-Antagonisten, z.B. Tagamet 2,5-5,0 mg/kg KG i.v.
- Kristalloide Lösungen, z.B. Ringer-Laktat 20-30 ml/kg KG (Wiederholung evtl. alle 20-30 Minuten).
- Kolloide, z.B. HES 10-20 ml/kg KG.
- Prednisolon 2-5 mg/kg KG i.v. (max. 20 mg/kg KG).
- Theophyllin 5 mg/kg KG als langsamer Bolus; 0,5-1,0 mg/kg KG/Std. als Dauerinfusion.
Prophylaxe
Rezeptur und praktische Einweisung zur Handhabung eines Notfallsets, inbes. der Adrenalin Autoinjektoren (Jext®, Fastjekt®, Emerade® 150ug ab 15 kg, 300ug ab 30kg, 500ug ab 60kg).
Tabellen
Stadieneinteilung und Symptomatik anaphylaktischer Sofortreaktionen
Stadium |
Ausbreitung |
Symptomatik |
0 |
lokal |
lokal begrenzte kutane Reaktion |
I |
leichte Allgemeinreaktion |
disseminierte kutane Reaktionen (z.B. Flushphänomen, Urtikaria, Pruritus), Schleimhautreaktionen (z.B. Nase, Konjunktiven), Allgemeinreaktionen (z.B. Unruhe, Kopfschmerz) |
II |
ausgeprägte Allgemeinreaktion |
Kreislaufdysregulation (Blutdruck-, Pulsveränderung), Atemnot (leichte Dyspnoe, beginnender Bronchospasmus), Stuhl- bzw. Urinabgang |
III |
bedrohliche Allgemeinreaktion |
Schock (schwere Hypotension, Blässe), Bronchospasmus mit bedrohlicher Dyspnoe, Bewusstseinseintrübung, -verlust; ggf. mit Stuhl- und Urinabgang |
IV |
vitales Organversagen |
Manifestes Versagen der Vitalfunktionen (Atem-, Kreislaufstillstand) |
Stadium 0 |
Beobachtung lokal Kühlen, ggf. lokale Antihistaminika (z.B. Fenistil Gel) |
Stadium I |
venöser, möglichst großlumiger Zugang ggf. Antihistaminika i.v. (z.B. Fenistil) |
Stadium II |
wie oben, zudem
|
Stadium III + IV |
wie oben, zudem
|
Nachsorge
Fallbericht(e)
- Fall 1) Ein 17-jähriger Patient, bei dem bei einer unkomplizierten, geplanten Knie-Operation eine Intubationsnarkose eingeleitet wurde, erlitt während der Einleitungsphase einen anaphylaktischen Schock. Ihm wurden während der Narkose folgende Medikamente verabreicht: Thiopental, Propofol, Remifentanil, Suxamethonium; weiterhin erhielt er Amoxicillin und Clexane. Die geplante Operation wurde daraufhin verschoben.
- Labor: Gesamt-IgE (20,5 kU/l); Tryptase (4,57µg/l); Bemerkung: Normalwerte.Der Basophilendegranulationstest mit 5 unterschiedlichen Konzentrationen von Thiopental erbrachte eine positive Reaktion bei 250 µg/ml.
- Allergologische Diagnostik: Pricktest: positive Reaktion auf Thiopental. Alle weiteren Hauttestungen (Prick- und Intrakutan-Testungen) auf die o.g. weiteren Medikamente sowie versch. Latexextrakte und Soja erbrachten keine positiven Reaktionen.
- Diagnose: Anaphylaktischer Schock auf das Narkosemittel Thiopental.
- Fall 2) Bei einem 62-jährigen Patienten kam es bei einer Zystoskopie plötzlich zu einer Flush-Symptomatik, einem generalisierten urtikariellen Exanthem und plötzlicher Bewusstlosigkeit mit Blutdruckabfall (Schockstadium III).
- Bei dem zystoskopischen Eingriff wurde ein Gleitmittel verwendet, das u.a. Lidocain und Chlorhexidin enthielt. Weiterhin erhielt der Pat. bereits unmittelbar vor dem Eingriff 200 mg Ciprofloxacin p.o.
- Labor: Gesamt-IgE (25,5 kU/l); Tryptase (4,20µg/l); Bemerkung: Normalwerte.
- Allergologische Diagnostik: Prick-, Intrakutan- und Epikutantestungen mit Lokalanästhetika - und Antibiotika, Chlorhexidindigluconat, Chlorhexidinacetat und versch.Latexextrakten (Latex wurde auch konjunktival provoziert). Orale Provokationstestung mit Ciprofloxacin. Subkutane Provokationstestung mit Lidocain.
- Ergebnisse: In der Prick-Testung zeigte der Patient eine positive Reaktion auf Ciprofloxacin und Chlorhexidindigluconat. In der Epikutantestung zeigte sich bei Chlorhexidin eine Sofortreaktion.
- Diagnose: Anaphylaktischer Schock auf das Desinfektionsmittel Chlorhexidin.
Literatur
- Dybendal T et al. (2003) Screening for mast cell tryptase and serum IgE antibodies in 18 patients with anaphylactic shock during general anaesthesia. Acta Anaesthesiol Scand 47: 1211-1218
- Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAI) und Ärzteverband Deutscher Allergologen e.V. (ÄDA). Empfehlungen zur praktischen Durchführung der spezifischen Immuntherapie mit Allergenen (Hyposensibilisierung). AWMF-Leitlinien-Register Nr. 061/013
- Leibl M et al. (2011) Anaphylaxie nach versteckter Chlorhexidine-Exposition. Abstract-CD 46. DDG-Tagung: P02/25
- Pfeffer I et al. (2011) Acetylsalicylsäure - abhängige Anaphylaxie auf Karotte bei Mastozytose. JDDG 9: 230-231
- Portier P, Richet C (1902) De l'action anaphylactique de certains venins. C R Soc Biol (Paris) 54: 170-172
- Rohacek M et al.(2014) Biphasic anaphylactic reactions: occurrence and mortality.
Allergy 69:791-797 - Simon J (2014) Der allergologische Notfall. JDDG 12: 379-388
- Stratmann E (2011) Anaphylaktischer Schock auf Thiopental. Abstract-CD 46. DDG-Tagung: P02/24.