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Lymphödem (Übersicht)I89.00
Synonym(e)
Definition
Durch eine angeborene (primäres Lymphödem) oder erworbene (sekundäres Lymphödem) Lymphangiopathie bedingte, ungenügende Transportkapazität des Lymphgefäßsystems, das die normal anfallende lymphpflichtige Eiweißlast nicht mehr oder nur unzureichend abtransportieren kann. Im Gegensatz zum "schmerzhaften blauen Bein" (Phlebödem) kann das schmerzlose Lymphödem als "dickes weißes Bein" bezeichnet werden. Das Ödem ist relativ derb.
Einteilung
Aufgrund ihrer Ätiopathogenese unterteilt man Lymphödeme in (seltene, meist genetisch bedingte) primäre Lymphödeme sowie in nicht genetische (erworbene) sekundäre Lymphödeme. Die Gruppe der nicht klassifizierbaren, idiopathischen Lymphödeme wird in der Gruppe der genetischen Lymphödeme geführt.
Primäres Lymphödem: V.a. bei jüngeren Patienten. Genetisch oder sporadisch vorkommende, ein- oder beidseitige, bei Geburt oder im frühen Jugenalter sich manifestierende Lymphödembildung bedingt durch strukturelle Lymphgefäßanomalien.
Primäre Lymphödeme lassen sich unterteilen in genetische und idiopathische Lymphödeme.
Genetisches Lymphödem:
- Lymphödem, Typ Nonne-Milroy
- Lymphödem, Typ Meige (entsprechend dem Lymphödem, Typ Nonne-Milroy mit weiteren assoziierten Symptomen)
- Lymphödem-Distichiasis-Syndrom
- Yellow-nail-Syndrom
- Noonan-Syndrom.
- Lymphödeme und andere hereditäre Erkrankungen (sehr selten):
- Aagenaes-Syndrom
- Aarskog-Scott-Syndrom
- Buschke-Ollendorf-Syndrom
- Lymphangiektasie-Lymphödem-Syndrom (Hennekam-Syndrom)
- Hypotrichose-Lymphödem-Teleangiektasie-Syndrom
- Morbus Kanzaki
- OLEDAID-Syndrom.
Nicht klassifiziertes Lymphödem:
Sekundäres Lymphödem: V.a. bei älteren Menschen. Erworbene, ein- oder beidseitige Lymphödeme infolge von erworbenen Störungen des Lymphtransports. Am Arm ist das Lymphödem nach Masteketormie am bekanntesten.
- Tumoren die die Lymphwege obliterieren (Tumoren des kleinen Beckens (Ovarial-,Uterus-, Blasen-, Rektum- und Prostzatakarzinome)
- Chronische Infekte der Weichteile (z.B. rezidivierendes Erysipel, Herpes simplex, Lymphogranuloma inguinale; Chromomykose)
- Direkte Traumata des anteriomedialen Lymphgefäßbündels (Engpässe: medialer Kniebereich, Leiste)
- Postoperativer Zustand (z.B. nach Lymphadenektomien)
- Störungen des Lymphabflusses im Gefolge einer Strahlentherapie
- Parasitenbefall (z.B. tropischer Filarienbefall; s.u. Filariose)
- Artifizielles Lymphödem (Secrétan-Syndrom).
Ätiopathogenese
Genetisch, entzündlich oder durch Organinsuffizienzen bedingt. Ätiopathogenetisch basiert die Erkrankung auf einem Ungleichgewicht zwischen der lymphatischen Filtration und der Transportkapazität der Lymphgefäße. Man unterscheidet das relative Ungleichgewicht durch Beeinträchtigung des Lmphabstroms (afterload impairment) von dem absoluten Ungleichgewicht durch erhöhte Filtration (preload impairment) (Wollina U et al. 2018). Im lymphostatischen Staugebiet kommt es durch gestaute Plasmaproteine zu einer zellulären Reaktion (Makrophagen, Fibroblasten) und zur Bindegewebsproliferation mit Proliferation der Blutgefäße. Eine gesteigerte Infektanfälligkeit im lymphostatischen Gebiet kann zu rezidivierenden Erysipelen führen, die wiederum ein sekundäres Lymphödem bedingen.
Lokalisation
Klinisches Bild
Umfangsvermehrung und Schweregefühl der Extremitäten, Verdickung von Dermis (zugrunde liegt eine lymphostatische Fibrosklerose) und subkutanem Fettgewebe, verruziforme Epidermishyperplasie (Papillomatose lymphostatica), postinflammatorische Hyperpigmentierung, Onychodystrophie, Onychogrypose, Störung des Nagelwachstums. Ausbildung einer Elephantiasis möglich, s. Tabelle 1.
Labor
Diagnose
Anamnese, Klinik, (Lokalbefund, Hautfaltentest/ Stemmersches Zeichen), Labor.
Bei Lymphödem der unteren Extremität: Doppler- bzw. Farbduplex zum Ausschluss einer Mitbeteiligung der Venen.
Erweiterte Diagnostik: Indirekte Lymphographie, Lymphszintigraphie; ggf. Röntgenuntersuchung des Thorax, Sonographie Abdomen, Thorax, Hals (Lymphknotenvergrößerungen, Tumoren?), Computertomographie des Abdomens und der oberen Thoraxapertur; in seltenen, unklaren Fällen Kernspintomographie (beim Lymphödem: wabenförmiges Muster in der Subkutis).
Komplikation(en)
Bei chronischen Lymphödemen:
- Rezidivierende lokale arterielle und mykotische Infekte
- Bildung elastolytischer Riesenzellgranulome
- Kombination mit Immundefekten
- Bildung von Lymphzysten
- Lymphorrhoe
- Entwicklung benigner und maligner angiomatöser Tumoren (Lymphangiosarkom, Spindelzellhämangiom).
Therapie
- Im Mittelpunkt steht die konsequent entstauende Therapie!
- Földische 2-Phasen-Behandlung:
- Initial: Entödematisierung mit manueller und ggf. zusätzlich maschineller Lymphdrainage, Kompressionsverband mit Kurzzugbinden, Hochlagern der Extremität.
- Nachdem keine weitere Entstauung mehr zu erreichen ist, folgt die konservierende Phase: Anpassung des Kompressionsstrumpfes bzw. tgl. Pütter-Verbände. S.a.u. Kompressionstherapie.
- Stabilisierungsmaßnahmen unter ambulanten Bedingungen: Nach maximaler Entstauung Verordnung und konsequentes Tragen von Kompressionsstrümpfen (Klasse III). Anfertigung nach Maß. Anpassung morgens im schlanken Beinzustand; ggf. Einarbeiten von Pelotten prä- oder retromalleolär. Fortführung manueller Lymphdrainage, ggf. zusätzlich intermittierende maschinelle Kompression. Absprache eines langfristigen Behandlungsplans mit Patient und Familie, gezielte sportliche Betätigung (Radfahren, Wandern, Schwimmen), Behandlung einer Adipositas.
Merke! Übereinander ziehen von 2 Paar Strümpfen der Kompressionsstrümpfe Klasse II entspricht Druckklasse III!
Merke! Der alleinige Einsatz von apparativer intermittierender Lymphdrainage (s.u. Kompression, pneumatische intermittierende) wird nicht empfohlen. Sinnvoll ist diese nur als Ergänzung zur manuellen Lymphdrainage! Zuvor Antrag an die Krankenkasse zur Verordnung eines Hilfsmittels zur Therapie mit apparativer intermittierender Kompression stellen.
- Stationäre Behandlungsphase: Komplexe physikalische Entstauungstherapie mit mindestens einmal tgl. manueller Lymphdrainage und Kompressionstherapie mit Kurzzugbinden. Ggf. Unterfütterung mit Wattebinden, um Druckstellen zu vermeiden. Ggf. zusätzlich intermittierende pneumatische Kompressionstherapie. Nächtliches Hochlagern der Extremität. Krankengymnastik.
Merke! Der Einsatz von Diuretika beim Lymphödem wird zurückhaltend bewertet, da Diuretika nur bei eiweißarmen Ödemen wirksam sind. Ansonsten paradoxe Wirkung durch Anreicherung von Eiweiß im Interstitium möglich!
- Zu vermeiden an der betroffenen Extremität sind grundsätzlich: Injektionen, Infusionen, Kälte- und Wärmebehandlung, Blutabnahmen, Akupunktur, Blutdruckmessung, knetende Massage, invasive Verfahren, Auswickeln des Ödems.
Interne Therapie
Antikoagulation (5.000-10.000 IE Heparin s.c. 2mal/Tag).
Falls erforderlich Infektionsprophylaxe: Intermittierende antibiotische Therapie (Penicillin G 10 Mega IE über 10 Tage i.v. alle 3 Monate).
Operative Therapie
Verlauf/Prognose
Tabellen
Entwicklung des Lymphödems nach Földi
Phase I |
Latentes Lymphödem, Rückbildung innerhalb von 2 Wochen. |
Phase II |
Reversibles Lymphödem: Diskrete abendliche Schwellung des Fußrückens und der Knöchel, spontane Besserung durch Bettruhe, Hochlagerung. |
Phase III |
Irreversibles Lymphödem: Hartes, blasses, nicht eindrückbares Ödem, keine spontante Besserung. |
Phase IV |
Elephantiasis: Beindeformation bis zur grotesken Entstellung. |
Hinweis(e)
- Lympha-mat der Fa. Bösl Medizintechnik GmbH
- Hydroven der Fa. HNE Healthcare.
Literatur
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