Kongenitale nicht-syndromale Nagelveränderungen (Übersicht)
Synonym(e)
Definition
Unter der Bezeichnung "kongenitale, nicht-syndromische Nagelveränderungen" wird eine sehr seltene und heterogene Gruppe ektodermaler Dysplasien zusammengefasst. Diese Ektodermaldysplasien treten als "nicht-syndromische" Erkrankungen auf, bei denen einzelne, aber auch alle Nägeln (s.a. Zwanzig-Nagel-Dystrophie) sowie auch andere ektodermale Anhängsel (z.B.Haare) betroffen sein können (Saygı C et al. 2019).
Einteilung
Die kongenitalen, nicht-syndromalen Nagelveränderungen werden in 10 verschiedene Subtypen unterteilt,von denen 6 autosomal-dominant vererbt werden (Nail disorder, nonsyndromic congenital 1-10).
Ätiopathogenese
Bislang wurden 6 Gene mit Nageldysplasie in Verbindung gebracht:
- HPGD-Gen (Mutationen des Gens ist mit der Primären hypertrophen Osteoarthropathie assoziiert)
- SLCO2A1-Gen (Mutation des Gens ist ebenfalls mit der Primären hypertrophen Osteoarthropathie assoziiert - kodiert für einen Prostaglandin-Transporter)
- RSPO4-Gen (Mutationen des Gens sind mit dem Krankheitbild der Anonychia congenita assoziiert)
- PLCD1-Gen (Mutationen des Gens sind mit Leukonychia partialis/punctata/striata assoziiert)
- COL7A1-Gen (Mutationen des Gens sind mit Epidermolysis bullosa dystrophica, rezessiv mit kongenitalem Fehlen der Haut und Nageldystrophie verbunden (historisch: Bart-Syndrom)
- FZD6-Gen (Mutationen des Gens sind mit einer 20-Nageldysplasie verbunden - Khan S et al. 2015)
Manifestation
Das HPGD-Gen wird mit der isolierten kongenitalen Nageldystrophie (verklumpte Nägel/OMIM 119900) in Verbindung gebracht und ist für den Metabolismus von Prostaglandinen verantwortlich. Nach einer Reizung oder Verletzung wird Arachidonsäure (AA) freigesetzt und durch kalziumabhängige Enzymsysteme mit Sauerstoff angereichert, was zur Bildung von Prostaglandinen führt. Außerdem sind sowohl der Zufluss von extrazellulärem Kalzium als auch die Mobilisierung von intrazellulärem Kalzium für den Prozess der Prostaglandinbildung sehr wichtig (Taylor SM et al. (1990). Mutationen des Gens ist mit der Primären hypertrophen Osteoarthropathie assoziiert.
Das RSPO4-Gen ist ein weiteres Gen das mit der nicht-syndromalen kongenitalen Nagelerkrankung (NCDC4; OMIM 206800) in Verbindung gebracht wird. Es handelt sich um ein sekretiertes Protein, von dem bekannt ist, dass es eine Rolle bei der Embryonalentwicklung und der homöostatischen Selbsterneuerung in erwachsenen Geweben spielt; außerdem spielt es eine Rolle bei der Wnt-Signalübertragung, die sowohl entzündungshemmende als auch entzündungsfördernde Funktionen hat.
Das PLCD1-Gen ist mit der kongenitalen, nicht-syndromalen Nagelveränderung 3 (NDNC3/OMIM 151600) verbunden, einem Mitglied der Phospholipase-C-Familie, die die Homöostase des Immunsystems in der Haut reguliert. Das Fehlen des PLCD1-Proteins führt zu dermatitischen Reaktionen. Darüber hinaus schwächt exogen exprimiertes PLCD1 die LPS-induzierte Expression von IL-1b ab (COL7A1Nakamura Y et al. (2007). Mutationen des PLCD1-Gens verursachen beim Menschen unterschiedlich ausgeprägte Nagelveränderungen (Nail disorder, non-syndromic congenital, 3; Leukonychia partialis auch als Leukonychia punctata, Leukonychia striatus, Leukonychia totalis, Leukonychia totalis and/or partialis, Porcelain nails). Das Krankheitsbild kennzeichnet sich durch eine unterschiedlich stark ausgeprägte Weißfärbung der ansonsten unverändert erscheinenden Nagelplatte (echte Leukonychie). Die Leukonychie kann den gesamten Nagel (Leukonychia totalis) oder nur einen Teil des Nagels betreffen (Leukonychia partialis, Leukonychia punctata, Leukonychia striata).
COL7A1 ist ein weiteres Gen, das mit Nagelerkrankungen in Zusammenhang steht. COL7A1 kodiert die alpha-Kette des Typ-VII-Kollagens. Mutationen in COL7A sind mit der kongenitalen, nicht-syndromalen Nagelveränderung (NDNC8/ OMIM 607523) assoziiert. Die Mutationen in COL7A1 führen zu lebenslanger schwerer Blasenbildung auf der Haut und den Schleimhäuten, gefolgt von Narbenbildung, die durch den Verlust der Adhäsion zwischen Epidermis und Dermis verursacht wird.
Das FZD6-Gen fungiert über das kodierte FZD6-Protein als negativer Regulator der kanonischen Wnt/beta-Catenin-Signalübertragung. In einer Studie mit Patienten, die von Nageldysplasie betroffen waren, wurde beobachtet, dass die FZD6-Signalisierung Beta-Catenin aktiviert. In dieser Studie wurde berichtet, dass der Wnt3a-Signalweg die Akkumulation von Beta-Catenin in gesunden, aber nicht in FZD6-mutierten Fibroblasten verursacht, was auf eine kanonische Rolle von FZD6 in diesem Zusammenhang hinweist. Darüber hinaus zeigten Kilander et al., dass rekombinante WNT-1, - 2, 3A, - 4, -5A, -7A, -9B und -10B die Oberflächenmobilität von FZD6 beeinflussen und somit direkt auf FZD6 wirken (Kilander MB et al. (2014). Es besteht demnach eine Wechselwirkung zwischen dem WNT-Signalnetzwerk, entzündlichen Zytokinen und angeborenen Immunitätssignalwegen. Einzelne WNT-Proteine haben nachweislich pro- oder antiinflammatorische Funktionen. Der gemeinsame Schnittpunkt aller bekannten NDNC-Gene ist ihre Verbindung mit dem Immunsystem, insbesondere der angeborenen Immunität (Saygı C et al. 2019). Insofern verwundert nicht das assoziierte Auftreten von Autoimmunerkrankungen bzw. chronischen Infektionskrankheiten nicht (Saygı C et al. 2019).
Das SLCO2A1-Gen (SLCO2A1 steht für Solute Carrier Organic Anion Transporter Family Member 2A1) ist ein Protein kodierendes Gen, das auf Chromosom 3q22.1-q22.2 lokalisiert ist. Das SLCO2A1-Gen kodiert einen Prostaglandin-Transporter, der zur 12-Membranen überspannenden Superfamilie der Transporter gehört. Das kodierte Protein kann an der Vermittlung der Aufnahme und Ausscheidung von Prostaglandinen in zahlreichen Geweben beteiligt sein. Zu den assoziierten Stoffwechselwegen gehören der Transport von Vitaminen, Nukleosiden und verwandten Molekülen sowie Störungen von Transmembrantransportern. Zu den Krankheiten, die mit SLCO2A1 assoziiert sind, gehört die Primäre hypertrophe Osteoarthropathie, autosomal rezessiv (OMIM: 259100)
Hinweis(e)
Die Entwicklung der menschlichen Nägel beginnt etwa in der neunten Schwangerschaftswoche und ist im fünften Monat der Schwangerschaft abgeschlossen (Saygı C et al. (2019).
Literatur
- Cong F et al.(2004) Wnt signals across the plasma membrane to activate the beta-catenin pathway by forming oligomers containing its receptors, frizzled and LRP. Development 131:5103–5115.
- Fröjmark AS et al. (2011) Mutations in frizzled 6 cause isolated autosomal-recessive nail dysplasia. Am J Hum Genet 88:852–860.
- Khan S et al. (2015) Genetics of human isolated hereditary nail disorders. Br J Dermatol 173:922–929.
- Kilander MB et al. (2014) Assessment of frizzled 6 membrane mobility by FRAP supports G protein coupling and reveals WNT-frizzled selectivity. Cell Signal 26:1943–1949
- Nakamura Y et al. (2007) Lack of phospholipase C-delta1 induces skin inflammation. Biochem Biophys Res Commun 356:912–918.
- Saygı C et al. (2019) A possible founder mutation in FZD6 gene in a Turkish family with autosomal recessive nail dysplasia. BMC Medical Genetics 20: https://doi.org/10.1186/s12881-019-0746-6
- Taylor SM et al. (1990) Influence of extracellular calcium on the me- tabolism of arachidonic acid in alveolar macrophages. J Leukoc Biol 48:502–511.
- Wilson NJ et al. (2013) Recessive mutations in the gene encoding frizzled 6 cause twenty nail dystrophy – expanding the differential diagnosis for pachyonychia congenita. J Dermatol Sci 70:58–60.