Sturge-Weber-Syndrom Q85.8

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Angiomatosis encephalo-cutanea; Angiomatosis encephalo-oculo-cutanea; Angiomatosis encephalotrigeminalis; Angiomatosis enzephalotrigeminale; Angiomatosis oculo-cutanea; Angiom kutaneo-zerebrales; Brushfield-Wyatt-Syndrom; ektoneurodermales Hamartom (Wohlwill); Encephalo-cutane Angiomatose; Encephalo-oculo-cutane Angiomatose; enzephalotrigeminale Angiomatosis; fourth phacomatosis; Hamartom ektoneurodermales; Hirn-Trigeminus-Angiomatose-Syndrom; Kalischer-Syndrom; Krabbe-Syndrom; Krabbe-Syndrom III; kraniofaziale Angiomatose mit zerebraler Verkalkung; kutaneo-zerebrales Angiom; Neuroangiomatosis encephalofacialis; Sturge-Krankheit; Sturge-Weber-Dimitri-Syndrom; Sturge-Weber-Krabbe-Syndrom; Weber-Dimitri-Syndrom

Erstbeschreiber

Luschka, 1854; Sturge, 1879; Weber, 1922; Krabbe, 1934

Definition

Das Sturge-Weber-Syndrom, auch bekannt als "Enzephalofaziale Angiomatose" oder auch als "Sturge-Weber-Krabbe-Syndrom", ist eine kongenitale, neuro/kutan-vaskuläre Störung (s.a. Neurokutane Syndrome), die als sporadische, angeborene Erkrankung auftritt; sie ist durch eine kapilläre Malformation (Naevus flammeus) gekennzeichnet, die in etwa die Haut in der Verteilung des ophthalmischen Astes des Nervus trigeminus betrifft und mit venös-kapillären Anomalien der Leptomeningen und des Auges einhergeht.

Folgende Trias kennzeichnet das Syndrom:

  • meist einseitige kapilläre Malformation (Naevus flammeus) im Bereich des N. ophthalmicus (Nervus V1) (Bemerkung: diese neurogene Assoziation mit dem bekannten Verteilungsmuster wird von versch. Autoren angezweifelt)   
  • vaskuläre Malformation der Uvea (Glaukomentwicklung mit Gefahr der Blindheit)
  • verkalkende Hämangiome der Leptomeninx mit pathologischen Veränderungen der darunterliegenden Hirnrinde (neurologische Symptomatik - Krampfleiden).

Vorkommen/Epidemiologie

Inzidenz: ca. 1-2/100.000 Einwohner.

Ein Kind, das mit einem Feuermal im Gesicht geboren wird, hat eine Wahrscheinlichkeit von etwa 6 %, das Sturge-Weber-Syndrom zu haben (Piram M et al. 2012). Dieses Risiko steigt auf 26 %, wenn sich das Feuermal in der Verteilung des ophthalmischen Astes des N. trigeminus (V1) befindet (Ch’ng S et al. 2008). Die kapillären Malformationen im Gesichtsbereich entwickeln meist eine unterschiedlich stark ausgeprägte  "Weichteil- und Knochengewebsüberwucherung" (Greene AK et al. 2009).

Ätiopathogenese

Das Sturge-Weber-Syndrom, sowie auch nicht-syndromale Portweinflecken, werden durch eine somatische aktivierende Mutation im GNAQ-Gen verursacht. Beim Sturge-Weber-Krabbe-Syndrom können bei nahezu 90% der Erkrankten eine "nicht-synonyme Einzelnukleotid-Variante -c.548G→A, p.Arg183Gln- (Bemerkung: nicht-synonyme Einzelnukleotid-Polymorphismen sind SNPs, die zu einem Aminosäurewechsel an dem betreffenden Codon führen) im GNAQ-Gen in Proben von läsionaler Haut  (auch in läsionalen Gehirnproben) nachgewiesen werden (Shirley MD et al. 2013).
Während die aktivierende somatische R183Q-GNAQ-Mutation die häufigste somatische Mutation ist, die dem SWS zugrunde liegt, deuten neuere Forschungsergebnisse darauf hin, dass auch somatische GNA11- und GNB2-Mutationen mit dem SWS in Verbindung stehen (Yeom S et al. 2022).

Auch bei nicht-syndromalen fazialen "Feuermalen" (Portweinflecken) können  somatische Einzelnukleotid-Polymorphismen im GNAQ-Gen nachgewiesen werden.

Pathophysiologie

Bei dem Sturge-Weber-Syndrom werden folgende Hypothesen diskutiert: Eine angeborene Schwäche der Gefäßwände, Defekte in perivaskulären dermalen Elementen, Anomalien in der Neuromodulation und eine Dysmorphogenese des kephalen Neuroektoderms. Die beiden Haupthypothesen, für die neuere Studien sprechen, sind defekte Nerveninnervationen zu den dermalen Blutgefäßen und genetische Mutationen, die zu einer Dysregulation der angiogenen Signalübertragung führen (Nguyen V et al. 2019). Den Gefäßen bei PWS fehlt es an normalen Nerveninnervationen, was sich an der signifikanten Abnahme der S-100-positiven Nervenfasern zeigt, die nur die Gefäße in der Dermis betreffen (Nguyen V et al. 2019). Infolgedessen kommt es zu einer Abnahme des Basalttonus der Gefäße und/oder zu einem Verlust neurotropher Faktoren, was zu den pathologischen Veränderungen des PWS führen könnte. Es wurde diskutiert, dass es eine fehlerhafte Reifung der sympathischen Fasern in den dermalen Gefäßen gibt, die embryologisch stattfindet, was zu einem Verlust der sympathischen Kontrolle führt, was wiederum eine vaskuläre Ektasie zur Folge hat.

Dermale Blutgefäße bei PWS ko-exprimieren sowohl arterielle Marker (EfnB2) als auch venöse Marker (EphB1), was zu Fehlentwicklungen bei der normalen Differenzierung des primären Kapillarplexus in dermale Arteriolen und Venolen führt. Das Ergebnis ist ein venenähnliches Gefäßsystem, das eine fortschreitende Dilatation erfährt. Eine abnorme Aktivierung der mitogen-aktivierten Proteinkinasen (MAPK) und der Phosphoinositid-3-Kinase (PI3K), die eine Schlüsselrolle bei der Angiogenese spielen, wurde ebenfalls in Betracht gezogen(Nguyen V et al. 2019). Mutationen in RASA1, GNAQ, EphB4 und die Koexpression von EphB1 und EfnB2 sind einige der auslösenden Faktoren für diese abnorme Aktivierung.

Die Ursachen für abnorme und erweiterte Blutgefäße bei Naevus flammeus (PWS) lassen sich wie folgt zusammenfassen (Liu L et al. 2022):

  • Somatische GNAQ (R183Q)-Mutationen, die Angiopoietin-2 induzieren, führen zur Bildung vergrößerter kapillarartiger Gefäße
  • Verminderte Anzahl perivaskulärer Nervenelemente
  • Koexistenz von Eph-Rezeptor B1 und Ephrin B2
  • Fehlende Expression von alpha-glattem Muskelaktin

Klinisches Bild

Überwiegend unilateral lokalisierte (zu 15% bilateral) kapilläre Malformation (Naevus flammeus, auch als Portwein-Flecken bezeichnet) einer Gesichtshälfte, häufig nur im Ausbreitungsgebiet des 1. Trigeminusastes (s.unten). Seltener sind die gesamte Kopfhälfte sowie die Mundschleimhaut (mit Gingivahyperplasie) betroffen.

Auge: Am Auge kann eine ipsilaterale vaskuläre Malformation (Angiomatose) der Aderhaut (in etwa 60% der Fälle - v.a. wenn das Aubreitungsgebiet des 1. und2. Trigeminusastes betroffen ist) zu Komplikationen wie Glaukom, Buphthalmos offen ist) und Netzhautablösung führen. Eine Prävalenzrate von 30 bis 70 % findet sich bei Patienten mit Muttermalen an Ober- und Unterlid.

Die Entwicklung eines Glaukoms kann sich jederzeit entwickeln, wobei die häufigsten Zeiträume im Säuglings- und jungen Erwachsenenalter liegen. Bei 60 % der Patienten tritt das Glaukom bereits im frühen Säuglingsalter auf, bei 40 % der Patienten beginnt es später. 

Bei Sturge-Weber-Syndrom-Patienten ist das Offenwinkelglaukom die häufigste Form des Glaukoms. Zu den Symptomen des Offenwinkelglaukoms gehören Sehkraftverlust, die Entwicklung erweiterter Bindehautgefäße, Augenschmerzen, übermäßiges Tränen und bei Säuglingen eine Vergrößerung des Auges (Buphthalmos). Bleibt das Glaukom unbehandelt, kann es das Sehvermögen bedrohen, indem es eine ischämische Schädigung des Sehnervs verursacht (Yeom S et al. 2022).

Kinder mit SWS entwickeln häufig bis zum Alter von 2 Jahren Krampfanfälle, die mit kontralateralen neurologischen Defiziten einhergehen können. Ein früherer Anfallsbeginn wurde mit geistigen und sprachlichen Behinderungen in Verbindung gebracht; aktive Epilepsie wurde mit Sprachstörungen in Verbindung gebracht. Ursächlich ist eine Beteiliung leptomeningealer Gefäße mit fokalen Verkalkungen). Weiterhin möglich:  Spastische Hemiparese, Migräne.

Volle Ausprägung des Syndroms ist nur in etwa 50% der Fälle vorhanden. Bei fehlender Augenbeteiligung spricht man auch von einer Angiomatosis encephalo-cutanea, bei fehlender ZNS-Beteiligung von einer Angiomatosis oculo-cutanea.  

Diagnostik

Neurologische und ophthalmologische Untersuchung (insbesondere Messung des Augeninnendrucks), Röntgenbild des Schädels (charakteristische, doppelt konturierte, geschlängelte Verkalkungen), Computertomogramm und evtl. Kernspintomogramm des Schädels und EEG.

Bildgebung

Die Bildgebung des Gehirns kann eine zerebrale Atrophie mit gyriformen Verkalkungen zeigen, die als ""tram-track sign" (Straßenbahnschienen-Zeichen)" beschrieben werden.

Diagnose

Kinder mit Surge-Weber-Syndrom entwickeln häufig bis zum Alter von 2 Jahren Krampfanfälle, die mit kontralateralen neurologischen Defiziten und Lernschwierigkeiten einhergehen können. Am Auge kann das Aderhautangiom zu Komplikationen wie Glaukom, Buphthalmos und Netzhautablösung führen. Ein Naevus flammeus im Gesicht, der jeden Bereich der Stirn, einschließlich des oberen Augenlids und der Mittellinie des frontonasalen Vorsprungs umfasst, ist der wichtigste Indikator für ein Sturge-Weber-Syndrom. Es ist bemerkenswert, dass nicht alle Patienten mit Naevus flammeus ein Sturge-Weber-Syndrom entwickeln; die Manifestation auf der Stirn ist der stärkste unabhängige Prädiktor (Sánchez-Espino LF et al. 2023).

Therapie

Behandlung der Hautveränderungen mit dem Laser (Argon-, gepulster Farbstoff-Laser).

Die klinische Effizienz von Latanoprost auf das Glaukom, das mit der vaskulären Malformation assoziiert ist, ist als unbefriedigend zu bezeichnen (Altuna JC et al.1999).

Verlauf/Prognose

Im Alter Bildung von Gefäßknötchen im Bereich des Naevus flammeus (PWS=Portwine stains).

Hochrisikofaktoren für assoziierte Anomalien des zentralen Nervensystems bei Patienten mit Naevus flammeus (Sánchez-Espino LF et al. 2023)

  • Ausgedehnte bilaterale Beteiligung
  • Hemifaziale Beteiligung der Stirn
  • Medianes PWS
  • >50% zusammenhängende hemifaziale Stirnbeteiligung

Hinweis(e)

Die lange Zeit vorherrschende Meinung, dass die Verteilung der vaskulären Malformationen auf den Trigeminusnerv zurückzuführen ist, wird durch die Beobachtung in Frage gestellt, dass das Verteilungsmuster dem Verlauf embryologischer Gefäße zu folgen scheint.

Die somatisch-aktivierenden Mutationen in GNAQ, die p.Gln209Leu und p.Arg183Gln kodieren, werden auch bei Patienten mit Aderhautmelanom gefunden (Shirley MD et al. 2013). Für das häufigere p.Gln209Leu wurde gezeigt, dass es den Mitogen-aktivierten Proteinkinase (MAPK)-Signalweg überaktiviert (Van Raamsdonk CD et al. 2009).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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