Brachioradialer Pruritus L29.9

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Brachioradialer Juckreiz; Brachioradialer Pruritus; Brachioradialer solarer Pruritus; Brachioradial pruritus; BRP

Erstbeschreiber

Waisman 1968

Definition

Chronischer (>6 Wochen lang persistierender = Definition des chronischen Juckreizes), vorwiegend an den streckseitigen Unterarmen lokalisierter, meist beidseitiger, neuropathischer Juckreiz (evtl. kombiniert mit Parästhesien).

Ätiopathogenese

Angeschuldigt werden v.a. degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule (C5-C8). 

Bei etwa 30% der Pat. wurden Nervenkompressionen durch Bandscheibenprotusionen bzw. Stenosen der Foramina nachgewiesen.

Längere UV-Expositionen kommen als zusätzlicher Triggerfaktor infrage. 

Manifestation

Mittleres Alter bei Erstauftreten des Juckreizes 59J (12-84 Jahre); bei Männern liegt das Alter etwas höher bei 60,5 Jahre; w:m=8:2 (Masuda PY et al. 2013); 

Lokalisation

Betroffen sind die Extremitäten, v.a. Hände und Füße sowie die Streckseiten der Unterarme (und Unterschenkel).

Klinisches Bild

Chronischer, meist bilateral auftretender (75%), sehr unangenehmer, eher stechender, überwiegend intermittierender, seltener kontinuierlicher Juckreiz, der von den Betroffenen mit Reiben (nicht Kratzen oder Kneifen) beantwortet wird.

Häufig saisonal verstärkt, insbes. in den Sommermonaten nach längerer UV-Bestrahlung (in größeren Kollektiven bei etwa 50% der Betroffenen).

Keine sichtbaren Veränderungen der Haut (vgl. Notalgia paresthetica).

Ein diagnostisch wertvolles Zeichen ist das "ice pack sign", ein deutliche Linderung des Juckreizes unter Kälteapplikation.

An Komorbiditäten werden arterielle Hypertonie und Depressionen berichtet.

Bildgebung

Die häufigsten radiologischen Veränderungen betreffen die Wirbelsäule (C4-C5, C7/T1): nachweislich sind Stenosierungen der intervertebralen Zwischenräume (etwa 75% der Betroffenen), sowie Osteophytosen (etwa 60%).  

Histologie

Das histologische Bild ist nicht wegweisend. Abgesehen von einer aktinischen Elastose stellt sich ein "Normalbefund" dar. Experimentell: Reduktion der intraepidermalen insbes. der Calcitonin-sensitiven Nervenfasern.

Therapie

Behandlung der verursachenden spinalen Nervenkompression.

Mäßig gute Erfolge (rund 30% der Patienten sprechen an) wurden unter Gabe von Gabapentin oder Carbamazepin berichtet (alternativ: Lamotrigin).

  • Gabapentin: Erwachsene: Aufdosierung innerhalb von 3 Tagen (Tag 1: 1mal/Tag 300 mg p.o., Tag 2: 2mal/Tag 300 mg, Tag 3: 3mal/Tag 300 mg p.o.). Alternativ: Anfangsdosierung 900 mg/Tag in 3 gleichen ED, maximale Gesamtdosis: 3600 mg.
  •  Carbamazepin: Erwachsene: Allgemeiner Tagesdosisbereich: 400-1200 mg. Gesamttagesdosis von 1600 mg i.d.R. nicht überschreiten. Therapeutischer Carbamazepin-Spiegel: erfahrungsgemäß zwischen 4 u. 12 μg/ml.

Externe Therapie

Erfolge werden mit Capsaicin-Salbe (z.B. Dolenon, Capsamol) über einen Behandlungszeitraum von mehreren Monaten erreicht. Applikation von Capsaicin ist durch Brennen, Juckreiz u.a. in den ersten Tagen unangenehm (Aufklärung des Patienten!). Besserungen lassen sich auch über lokalanästhesierende Cremes erreichen (z.B. EMLA Creme). Behandlungen mit Physiogel AI-Creme oder antipruriginösen Substanzen wie Kampher oder Menthol (z.B. Menthol-Lösung als Rezeptur oder Pruricalm als Fertigarzneimittel) können versucht werden.

Hinweis(e)

Abklärung von degenerativen Wirbelsäulenveränderungen per CT oder MRT.

Literatur
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  5. J Dtsch Dermatol Ges 11:530-535.
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