Neisseria meningitidis

Co-Autor:Christoph Rose

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Zuletzt aktualisiert am: 23.08.2024

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Synonym(e)

Meningococcus; Meningokokken

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Definition

Neisseria meningitidis ist ein anspruchsvoller, 0.2 bis 0.8 µm großer, verkapselter, aerober, unbeweglicher, gramnegativer Diplokokkus. Neisseria meningitidis zählt wie Neisseria gonorrhoeae zur Gattung Neisseria in der Familie der Neisseriaceae, zu der noch die humanpathogenen Gattungen Eikenella und Kingella zugehörig sind. Von medizinischem Interesse sind in dieser Familie neben N. meningitidis noch N. gonorrhoeae (Erreger der Gonorrhö) sowie, aus differenzialdiagnostischen Gründen, eine Reihe apathogener Neisseria-Spezies, die zur Normalflora des Rachenraums gehören.

Die Kolonien von Neisseria meningitidis sind positiv im Oxidase-Test. Die meisten Stämme verwerten Maltose.

Die phänotypische Klassifizierung der Meningokokken, die auf strukturellen Unterschieden im Kapselpolysaccharid, Lipooligosaccharid (LOS) und in äußeren Membranproteinen basiert, wird durch die Genomsequenztypisierung (ST) ergänzt. Das Genom von N. meningitidis der Serogruppen A und B wurde bereits im Jahre 2000 vollständig sequenziert. Die Genomgröße beträgt 2.2 Millionen Basenpaare (Rouphael NG et al. 2012).

Der Mensch ist das einzige Reservoir für N. meningitidis. Der Erreger kolonisiert asymptomatisch Schleimhautoberflächen (Nasopharynx) durch einen multifaktoriellen Prozess, an dem Pili, „twitching motility“, LOS, trübungsassoziierte und andere Oberflächenproteine beteiligt sind (Rouphael NG et al. 2012; Coureuil M et al. 2019). So sind 5-10% der Bevölkerung symptomlose Keimträger von Meningokokken. Die Übertragung der Keime von Mensch zu Mensch erfolgt vermutlich durch Tröpfcheninfektion oder durch direkten oder indirekten oralen Kontakt (Hof H et al. 2019).

Einteilung

Die Artdifferenzierung erfolgt u.a. auf Grund der unterschiedlichen Fähigkeiten der Meningokokken Zucker zu spalten.

Auf Grund unterschiedlicher Antigenstrukturen der Kapselpolysaccharide kann Neisseria meningitidis in 12 Serotypen unterteilt werden: A, B, C, X, Y, Z, E, W, H, I, K und L. Der häufigste Serotyp ist B, der für sporadische Fälle in Europa verantwortlich ist (Hof H et al. 2019).

Allgemeine Information

Durch Tröpfcheninfektion gelangt der Erreger in den Nasopharyngealraum. Die primäre Adhärenz an Epithelzellen erfolgt wahrscheinlich über Pili. Dabei spielen verschiedene äußere Membranproteine (u.a. Opa, Opc) eine besondere Rolle. N. meningitidis kann dann über Opa-Proteine einen engen Kontakt zur Wirtszelle herstellen. Diese Interaktion ermöglicht den Bakterien die Passage durch die Zelle ins subepitheliale Gewebe. Dieser Prozess erfolgt verhältnismäßig schnell. So können die Mikroorganismen innerhalb von 24 Stunden in der Nähe von lokalen Immunzellen und Gefäßen nachgewiesen werden. In den meisten Fällen verläuft diese nasopharyngeale Infektion subklinisch und unbemerkt.

Nach der Schleimhautpenetration kann das Bakterium die Gefäßbarriere durchdringen. Im Gefäßsystem werden die Meningokokken entweder durch ein Zusammenspiel von bakteriziden Serumantikörpern, Komplementfaktoren und phagozytierenden Zellen eliminiert, oder sie sind in der Lage, sich explosionsartig zu vermehren. Damit wird die bakteriämische Phase eingeleitet.

Eine Interaktion von N. meningitidis mit menschlichen Endothelzellen führt zur Bildung typischer Mikrokolonien, zu Gefäßverletzungen und in einem Extremfall zu einer disseminierten intravasalen Gerinnung (Coureuil M et al.2019). Faktoren wie Kapselbildung oder die Sialisierung von Lipopolysacchariden bewirken, dass antigenisch bedeutsame äußere Membranproteine (z.B. Opa) maskiert werden. Dadurch werden die Bakterien von der Immunabwehr schlecht erkannt. Sie sind befähigt zu überleben und sich zu vermehren.

Vorkommen

Neisseria meningitidis verursacht weltweit eine signifikante Morbidität und Mortalität bei Kindern und jungen Erwachsenen durch epidemische oder sporadische Meningitis und / oder Septikämie (Rouphael NG et al. 2012). In den industrialisierten Ländern liegt die jährliche Inzidenz an Meningokokkeninfektionen bei etwa 1 bis 10 Fällen pro 100.000 Einwohnern. Bei Kindern < 2 Jahre liegt sie höher. In Deutschland werden etwa 300 Meningokokkenerkrankungen registriert. Sie treten bevorzugt in den Winter- und Frühlingsmonaten auf (Hof H et al. 2019).

Entwicklungsländer: Meningitisepidemien werden regelmäßig aus Afrika (hauptsächlich Sahelzone, Afrikas „Meningitisgürtel“, China und Südamerika berichtet. Sie verursachen viele Todesfälle. Meningokokken der Serogruppe A waren früher die primäre Ursache dieser Epidemien. Durch massive Impfkampagnen wurde dieser Serotyp zurückgedrängt. Aktuell wird er nicht mehr bei Epidemien beobachtet. Stattdessen treten vermehrt Infektionen mit den Serotypen W, X und C auf (Hof H et al. 2019).

Pathophysiologie

Virulenzfaktoren von N. meningitidis (Pizza M et al. 2014):

Adhäsine: Adhäsine oder Adhäsionsmoleküle ermöglichen die Bindung der Erreger an die Epithelzellen. Sie induzieren eine Internalisation, sodass der Erreger diese Barriere auf intrazellulärem Weg überwinden kann.

Rezeptor für humanes Transferrin: N. meningitides ist nicht befähigt, Siderophoren zu bilden. Eisen ist jedoch essenziell für das Wachstum dieser Bakterien. Sie bilden stattdessen Rezeptorproteine für Transferrin. Diese haben eine stärkere Affinität zu Eisen als Transferrin. Diese Affinität ermöglicht es ihnen, im Organismus Eisenionen vom Transferrin zu übernehmen und zu verarbeiten.

Endotoxine: N. meningitides bildet Endotoxine aus, die in der Lage sind,  die Zytokinkaskade und damit Fieber, Gerinnungsstörungen und Schock auszulösen. Bei diesen Toxinen handelt es sich um toxische Zellwandkomponenten, wie Lipopolysaccharid (LPS) u.a. Durch diese Endotoxine werden Makrophagen aktiviert, die TNF-alpha ausschütten. Dies führt zu Fieber, toxischer Vaskulitis, Störung des Gerinnungssystems und Blutungen.

IgA-Proteasen: IgA-Proteasen spalten IgA-Immunglobuline und inhibieren die Wirkung protektiver Antikörper.

Polysaccharidkapsel: Eine Kapsel schützt den Erreger vor Phagozytose und Komplementopsonisation. Durch die Beschaffenheit der Kapseloberfläche wird die Entstehung einer funktionellen Konvertase und des Membranangriffskomplexes (MAK) verhindert. Dadurch wird eine effiziente C3b-vermittelte Opsonierung unmöglich gemacht.

Phasenvariation und Antigenvarianz: Eine Phasenvariation, d.h. das Ein- und Ausschalten bestimmter Gene, verbunden mit einer Antigenvarianz (von Oberflächenmolekülen), spielt für die Virulenz der Meningokokken eine wichtige Rolle. Sie kann zu einer schlagartigen Änderungen des Phänotyps und damit seiner Antigenität führen (Antigenes Mimikry).

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Immunität bei M. meningitis:  Die Eliminierung der Krankheit wird durch die enorme Diversität und antigene Variabilität des Erregers, Neisseria meningitidis, einem der variabelsten Bakterien der Natur, erschwert (Caugant A. et al. 2014). Für die natürliche Immunität gegen Meningokokken könnte die Besiedelung mit nicht-pathogenen N. lactamica und nicht-verwandten, aber immunologisch ähnlichen Bakterien wichtig sein.

Defizienzen im Komplementsystem: Das Komplementsystem und Antikörper gegen die Kapsel (bei B-Meningokokken auch gegen Membranproteine) spielen eine kritische Rolle in der Immunabwehr der invasiven Meningokokkenerkrankung, da aktiviertes Komplement durch direkte Lyse oder durch Opsonierung und Phagozytose zum Tod der Bakterien führt.

Individuen, die rezidivierende Attacken mit Neisserien-Infektionen durchmachen, haben eine hohe Prävalenz familiärer Defizite terminaler Komplementfaktoren (s.u. Immundefekte primäre (Komplementdefekte). Dieses Defizit resultiert in der Unfähigkeit, den membrane attack complex (C5-C9) zu bilden. Allerdings ist die Prävalenz an terminalem Komplementfaktoren-Defizit in der Gesamtbevölkerung sehr gering (etwa 0,03%). Andererseits machen ungefähr 50% aller betroffenen Individuen irgendwann in ihrem Leben eine Meningokokkeninfektion durch. Patienten mit Komplementfaktoren-Defizit tendieren zu Infektionen mit den selteneren Serogruppen W-135, X, Y, Z und 29E.

Properdin-Defizit: Individuen mit Properdin-Defizit, einer geschlechtsbezogenen vererbten Störung, haben eine funktionierende klassische Komplementaktivierung, aber eine gestörte alternative Aktivierung. Mehr als die Hälfte der Männer dieser Gruppe entwickelt eine Meningokokkenerkrankung, wobei der Verlauf häufig fulminant ist mit einem tödlichen Ausgang.

Individuen mit Hypogammaglobulinämie, primär isoliertem IgM-Defizit oder funktioneller/organischer Asplenie haben ebenso ein erhöhtes Risiko für sporadische Meningokokkenerkrankungen bzw. für schwere Krankheitsverläufe (s.u. Waterhouse-Friderichsen-Syndrom). 

Klinisches Bild

Der Verlauf einer Meningokokkeninfektion ist akut. Die Inkubationszeit beträgt 2-5 Tage. Danach setzt plötzlich ein schweres Krankheitsbild ein mit hohem Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerz und Nackensteife. Die Bakteriämie kann zu einer Infektion der Endothelien führen mit Mikrothrombosierungen. Die Freisetzung toxischer Zellwandkomponenten (Endotoxine; z.B. Lipopolysaccharide) können zu lebensbedrohlichen Krankheitszuständen und zum septischen Schock führen. Eine klinische Besonderheit ist das Waterhouse-Friderichsen-Syndrom mit Endoxinschock, Verbrauchskoagulopathie  (Purpura fulminans) und hämorrhagischer Nekrose der Nebennierenrinde.

Diagnostik

Neisseria meningitidis wird in Liquor, Nasen- und Rachenabstrichen sowie im Blut nachgewiesen. Das Untersuchungsmaterial muss rasch verarbeitet werden, da die Erreger kälteempfindlich sind. Im Ausstrich sind gramnegative Diplokokken intra- und extrazellulär sichtbar. N. meningitidis wächst auf bluthaltigen Medien, Kohlendioxid fördert das Wachstum. Eine Abgrenzung zu anderen Neisserien erfolgt biochemisch. Im Liquor können Antigene von Meningokokken über einen Latex-Agglutinationstest direkt nachgewiesen werden.

Therapie

Penicillin G bleibt das Antibiotikum der Wahl bei Meningokokkenerkrankung. Weiterhin spielen Chloramphenicol und Cephalosporine der 3. Generation wie Ceftriaxon eine Rolle.

Hinweis(e)

Eine invasive Meningokokkenerkrankung bildet sich fast ausschließlich bei Menschen, denen schützende, bakterizide, gegen den infektiösen Stamm gerichtete Antikörper fehlen. Bei Kindern in den ersten Lebensmonaten spielen passiv übertragene maternale Antikörper bei der Protektion eine Rolle. Mit dem Verlust der maternalen Antikörper steigt die Anfälligkeit für eine Infektion mit einem Gipfel im Alter von 6 bis 12 Monaten. Sie fällt danach zunehmend ab, vermutlich durch die Besiedlung mit eng verwandten, nicht-pathogenen Bakterien wie N. lactamica, mit avirulenten N. meningitidis oder mit anderen Bakterien, die Oberflächenantigene exprimieren, die mit denen von virulenten Meningokokkenstämmen kreuzreagieren.

In manchen Fällen bleiben die Meningokokken auf das Blut beschränkt, d.h. es entwickelt sich keine Entzündung der Meningen. Die Vermehrung der Meningokokken im Blut (Sepsis; Gerinnungsstörungen) ist ebenfalls lebensbedrohlich (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom.). Letztlich ist noch nicht endgültig geklärt, wie Meningokokken die Blut-Hirn-Schranke überwinden (Coureuil M et al.2019).

Literatur

  1. Caugant DA et al. (2020) Neisseria meningitidis: using genomics to understand diversity, evolution and pathogenesis. Nat Rev Microbiol18:84-96.
  2. Christodoulides M et al. (2017) Novel approaches to Neisseria meningitidis vaccine design. Pathog Dis 75: doi: 10.1093/femspd/ftx033
  3. Coureuil M et al.(2019) Molecularinteractions between Neisseria meningitidis and its human host. Cell Microbiol 21:e13063.
  4. Hof H et al. (2019)  Gramnegative Kokken. In: Hof H, Schlüter D, Dörries R, eds Duale Reihe Medizinische Mikrobiologie. 7th, completely revised and expanded edition. Stuttgart: Thieme S 390-393  
  5. Hollingshead S et al.(2019) An Overview of Neisseria meningitidis. Methods Mol Biol 1969:1-16.
  6. Pizza M et al. (2015) Neisseria meningitidis: pathogenesis and immunity. Curr Opin Microbiol 23:68-72.
  7. Read RC (2019) Neisseria meningitidis and meningococcal disease: recent discoveries and innovations. Curr Opin Infect Dis 32:601-608.
  8. Rouphael NG et al.(2012) Neisseria meningitidis: biology, microbiology, and epidemiology. Methods Mol Biol799:1-20.

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