Tubulin-Inhibitoren

Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

This article in english

Definition

Tubulin-Inhibitoren sind Chemotherapeutika, die direkt in das Tubulinsystem (s.u. Mikrotubuli) eingreifen und stehen im Gegensatz zu den Chemotherapeutika, die auf die DNA wirken.

Mikrotubuli spielen für die Funktion und Teilung von eukaryontischen Zellen eine wichtige Rolle. Die Strukturproteine Alpha- und Beta-Tubulin sind die Hauptbestandteile der Mikrotubuli. Sie haben aufgrund ihrer Funktion und biophysikalischen Eigenschaften großes Interesse geweckt und sind Gegenstand intensiver Studien geworden.

Tubulin-bindende Moleküle (Tubulin –Liganden): Die Zugabe von Tubulin-Liganden kann die Stabilität und die Funktion der Mikrotubuli beeinflussen, einschließlich der Mitose, der Zellbewegung und des Transports intrazellulärer Organellen. Tubulin-bindende Moleküle sind, nach der allgemeinen Verwendung der Vinca-Alkaloide, und der Einführung der Taxane in die klinische Onkologie, auf großes medizinisches Interesse gestoßen. Tubulin-bindende Moleküle hemmen die Zellmitose, indem sie an das Protein „Tubulin“ in der mitotischen Spindel binden und damit die Polymerisation oder Depolymerisation in die Mikrotubuli verhindern. Tubulin-Inhibitoren haben damit einen grundsätzlich anderen Ansatzpunkt als andere Zytostatika die an der DNA angreifen. Colchicin war die erste bekannte Verbindung, die an Tubulin bindet. Colchicin ein Alkaloid das aus dem Herbstkrokus (Colchicum autumnale) isoliert wurde, fand jedoch keinen Eingang in die Tumortherapie, sondern wurde erfolgreich in der Therapie des akuten Gichtanfalls eingesetzt. Die ersten onkologischen Medikamente aus dieser Medikamentenfamilie waren die Vinca-Alkaloide Vinblastin und Vincristin, die aus Extrakten der Pflanze Catharanthus roseus (Vinca rosea) isoliert wurden. Später folgten als weitere Tubulin-Liganden die Taxane (Paclitaxel, Docetaxel, Cabazitaxel), die aus der Rinde der Eibe (Taxus brevifolia) extrahiert wurden. Ihre tubulinhemmende Wirkung wurde jedoch erst 1979 bekannt. Inzwischen wird diese Substanzgruppe synthetisch hergestellt. Paclitaxel wurde 1992 für die Chemotherapie zugelassen.

Einteilung

Tubulin-Polymerisations-Inhibitoren

Colchicin-Bindungsstelle (Colchicin-domain-binder):

  • Colchicin
  • Combrestatine (Fosbreabulin, Verubulin, Crinobulin, Ombrabulin)
  • Methoxybenzolsulfonamide (E7010)
  • Tirbanibulin (nicht-ATP-kompetitiver Inhibitor der proto-onkogenen Nicht-Rezeptor-Tyrosinkinase (SRC) + starker Tubulin-Polymerisations-Inhibitoren). Es konnte gezeigt werden, dass Tirbanibulin bei niedrigen nanomolaren Konzentrationen eine Tubulin-Depolymerisation und einen Stillstand des Zellzyklus in der G2/M-Phase auslöst. Die Substanz wirkt ähnlich wie Colchicin (Niu L et al. 2019).

 Vinca-Alkaloide-Bindungsstelle:

  • Vinblastin
  • Vincristin
  • Vinorelbin
  • Vinflunin
  • Dolastatin (Brentuximab)
  • Halichondrine (Eribulin)
  • Maytansinoide (Mertansinde ADCs)
  • Hemiasterin
  • Cryptophysin 52

Estramustin-Bindungsstelle (Microtubule-associated protein)

  • Estramustin: hemmt die Polymerisation von Tubulin zu Mikrotubuli nur schwach durch Bindung an das „Microtubule-associated protein“. Diese Bindungsstelle unterscheidet sich von den Colchicin- oder Vinblastin-Bindungsstellen.

Tubulin-Depolymerisations-Inhibitoren

Paclitaxel-Bindungsstelle:

Pharmakodynamik (Wirkung)

Wirkstoffe, die als Tubulin-Inhibitoren wirken, wirken auch als Inhibitoren der Zellteilung. Ein Mikrotubulus befindet sich in einem kontinuierlichen dynamischen Zustand des Wachstums und der Verkürzung durch reversible Assoziation und Dissoziation von α/β-Tubulin-Heterodimeren an beiden Enden. Dieses dynamische Verhalten und die daraus resultierende Kontrolle über die Länge des Mikrotubulus ist für das ordnungsgemäße Funktionieren der mitotischen Spindel bei der Mitose, d. h. der Zellteilung, von entscheidender Bedeutung. Tubulin-Inhibitoren wirken  indem sie in die Dynamik der Mikrotubuli eingreifen, d. h. in deren Wachstum (Polymerisation) und Verkürzung (Depolymerisation).

Polymerisations-Inhibitoren: Eine Klasse von Inhibitoren wirkt durch Hemmung der Polymerisation von Tubulin zur Bildung von Mikrotubuli. Diese Substanzen werden als Polymerisationsinhibitoren bezeichnet. Hierzu gehören Colchicin und versch. Colchicin-Analoga sowie die Vinca-Alkaloide. Bei Substanzgruppen haben unterschiedliche Bindungsstellen an den Mikrotubili. Bei hoher Konzentration verringern sie die Masse der Mikrotubuli-Polymere in den Zellen und wirken als Mikrotubuli-Destabilisatoren.

Bindungsstelle der Tubulin-Inhibitoren (Colchicin und Vinca-Alkaloide): Colchicin-Analoga blockieren die Zellteilung durch Unterbrechung der Mikrotubuli. An der Colchicin-Bindung Hierbei ist die β-Untereinheit des Tubulins beteiligt. Colchicin bindet an das lösliche Tubulin. Es entsteht ein  und Colchicin-Tubulin-Komplex. Dieser Komplex wird dann zusammen mit den normalen Tubulinen polymerisiert und bildet den Mikrotubulus (T-C-Komplex). Jedoch bewirkt die Anwesenheit dieses T-C-Komplexes eine Konformationsänderung, die die Tubulindimere an der weiteren Anlagerung hindert. Das weitere Wachstum des Mikrotubulus wird verhindert. Da der T-C-Komplex die Hinzufügung neuer Dimere verlangsamt, zerfällt der Mikrotubulus aufgrund eines strukturellen Ungleichgewichts oder einer Instabilität während der Metaphase der Mitose.

Die Vinca-Alkaloide binden mit hoher Affinität an die β-Untereinheit von Tubulindimeren in der sog. Vinca-Bindungsdomäne. Im Gegensatz zu Colchicin binden die Vinca-Alkaloide direkt an den Mikrotubulus. Sie komplexieren jedoch nicht mit dem löslichen Tubulin. Diese hochaffine Bindung führt jedoch zu einer Konformationsänderung des Tubulins und zu einer starken kinetischen Unterdrückung des Tubulin-Austauschs. Dies selbst bei niedriger Wirkstoffkonzentration. Es existiert noch eine zweite Tubulin-Bindungsstelle der Vinca-Alkaloide die jedoch mit geringer Affinität erfolgt. Auch die gering affine Bindung führt bei relativ hoher Wirkstoffkonzentration zu einer Depolymerisierung der Mikrotubuli.

Depolymerisations-Inhibitoren (Taxangruppe): Die andere Klasse von Inhibitoren hemmt die Depolymerisation von polymerisiertem Tubulin und erhöht damit die Masse der Mikrotubuli-Polymere in den Zellen.  Im Gegensatz zu Colchicin und Vinca-Alkaloiden verstärken Paclitaxel und versch. Paclitaxel-Analoga die Mikrotubuli-Polymerisation, indem es sowohl die Keimbildungs- als auch die Dehnungsphase der Polymerisationsreaktion fördert und die kritische Tubulin-Untereinheitskonzentration (d. h. die Konzentration des löslichen Tubulins im stationären Zustand) verringert. Mikrotubuli, die in Gegenwart von Paclitaxel polymerisiert werden, sind äußerst stabil. So wird die Unterdrückung der Mikrotubuli-Dynamik als Hauptursache für die Hemmung der Zellteilung und den Tod von Tumorzellen in mit Paclitaxel behandelten Zellen angesehen.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Haider K et al. (2019) Tubulin inhibitors as novel anticancer agents: an overview on patents (2013-2018). Expert Opin Ther Pat 29:623-641
  2. Knaur R et al. (2014) Recent developments in tubulin polymerization inhibitors: An overview European Journal of Medicinal Chemistry 87: 89-124
  3. Niu L et al. (2019) Reversible binding of the anticancer drug KXO1 (tirbanibulin) to the colchicine-binding site of β-tubulin explains KXO1's low clinical toxicity. J Biol Chem 294:18099-18108.

Verweisende Artikel (1)

Mikrotubuli;
Abschnitt hinzufügen

Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024